Gezielte Demolierung steht bevor
Die weststeirische Stadt Voitsberg wird am kommenden Sonntag Schauplatz einer gewaltigen Bauwerkssprengung. Eingesetzt werden 666 Kilogramm Sprengstoff, der rund 1.760 Einzeldetonationen befeuert. Damit wird das kohlebetriebene Dampfkraftwerk nach seinem Verkauf und der darauf folgenden Demontage endgültig dem Erdboden gleichgemacht. Für das Bundesheer, das den Abriss durchführt, ist die Aktion die größte Bauwerkssprengung in der Zweiten Republik.
Ende für 15.400-Tonnen-Bauwerk
Nach dem Abbruch des 180 Meter hohen Kamins des Kraftwerks Voitsberg werden nun die letzten Teile des verbliebenen Bauwerks gezielt zu Fall gebracht. In nur zehn Sekunden soll das Gebäude am Sonntag mit der Hilfe von 666 Kilogramm Sprengstoff Geschichte sein.
Die Zündung von etwa 1.760 Einzelsprengungen erfolgt über einen Zeitraum von zehn bis 15 Sekunden. 1.060 Ladungen wurden bereits im Stahlbeton platziert, 700 warten als „Schneidladungen“ im und am Stahl. Exakt 1.320 Zünder werden im Tausendstelsekundenbereich und exakt getaktet mit der elektrischen Zündanlage zur Detonation gebracht.
Zehn Sekunden „sehr großer Lärm“
„Die Sprengung wird in Abschnitten durchgeführt. Jede Sprengladung ist programmierbar. Es wird über zehn Sekunden ein sehr großer Lärm entstehen. Damit ist die Sprengung aber noch nicht vorbei, dann erst haben die Gebäude die Möglichkeit, umzufallen“, so Oberstleutnant Walter Voglauer, sprengtechnischer Leiter des Vorhabens.
Rund 15.400 Tonnen Bauwerk werden danach umstürzen, wobei zuerst der Stiegenhausturm, dann der Mittelbau und zum Schluss das Kesselhaus fallen sollen. Mit der Sprengung will man den Anrainern eine monatelange Staub- und Lärmbelastung ersparen, die ein Abtragen mit anderen Methoden zur Folge gehabt hätte. Allerdings wird die Beseitigung des verbliebenen Materials auch nach der Sprengung Arbeitskräfte beschäftigen.
300 Meter Sicherheitszone
Die Sprengung startet um 15.30 Uhr. Trotz aller Vorkehrungen muss das Bundesheer zusammen mit Feuerwehren und Polizei einen Abstand von 300 Metern rund um das Kraftwerk frei von Menschen halten. Anrainer müssen ihre Häuser aus Sicherheitsgründen verlassen. Niemand darf sich im Gefahrenbereich aufhalten. Der Sicherheitsbereich gilt ab 13.00 Uhr bis mindestens eine halbe Stunde nach der Sprengung.
Um Staub, Lärm und Erschütterungen zu minimieren, haben die Fachleute mehrere Maßnahmen getroffen: Fallbette aus angehäufter Erde sollen den Aufprall dämpfen und Gräben die Bodenerschütterung nicht zu stark an die Umgebung weitergeben. 15 Wasserbecken, gefüllt mit 84.000 Litern Wasser, in denen ebenfalls Sprengladungen hochgehen, sollen einen Wasserschleier bilden, der die Staubentfaltung eindämmt. Spezielle Vorhänge vor dem Kesselhaus sollen den Lärm ebenfalls reduzieren und Splitter abfangen.
Kein klassisches Kollabieren
Voglauer zufolge werden die Bauwerke nicht im klassischen Sinn kollabieren, so wie man es von anderen Gebäuden kennt: Die Stahlstützen und Hauptträger seien dafür einfach zu stark. Ladungen wurden so platziert, dass die Kraftwerksteile an den Bruchstellen im 45 Grad Winkel abrutschen und danach umfallen, so der Bundesheeroffizier. Vor allem das Kesselhaus werde aber selbst nach dem Umstürzen weiterhin rund 50 Meter hoch sein. Es könne erst danach abgebaut werden.
Martin Taborsky, Geschäftsführer der ARGE Kraftwerk Voitsberg von der Porr, erklärte beim Pressegespräch auf der Baustelle, dass in den vergangenen Wochen die wichtigsten Stützen bereits vorgeschwächt worden seien: „Jetzt darf nur mehr das Bundesheer hinein, weil die Vorschwächung bis zur Grenze der statischen Tragfähigkeit bemessen ist.“ Damit könne auch Sprengstoff gespart werden - zumal für die Sprengung einer der teuersten am Markt gekauft worden sei.
Übungssprengung für Bundesheer
Die Kosten für die Unterstützungsleistung des Bundesheeres werden übrigens von der Porr bezahlt. Die Sprengung wird von erfahrenen Fachleuten der Lehrgruppe Sprengdienst des Österreichischen Bundesheeres durchgeführt. 118 Soldaten waren in die Vorbereitungen eingebunden und nutzen das Projekt vor allem für Ausbildungszwecke.
Der laut Porr momentan größte industrielle Rückbau in Österreich geht mit dieser letzten Sprengung in die Endphase. Das Kraftwerk, dessen Block 1 seit 1948 in Betrieb war und dessen letzter produzierter Strom 2006 aus Block 3 floss, war prägend für die Region und von Weitem sichtbar. Nachdem die Reste der Sprengung beseitigt sind, will die Porr das rund 250.000 Quadratmeter große Areal rekultivieren. Die Gemeinde als Käufer erwartet eine „grüne Wiese“, auf der in Zukunft Gewerbe und Industrie Platz finden sollen.
Großer Andrang erwartet
Der Voitsberger Bürgermeister Ernst Meixner (SPÖ) empfahl den Bürgern zudem, lärmempfindliche Haustiere im näheren Bereich des Kraftwerks während der Sprengung in geschlossenen Räumen zu halten. Das gelte vor allem für Pferde. Auch für Schaulustige hat die Gemeinde eine Empfehlung: Da mit großem Interesse an der Sprengung und entsprechendem Andrang von Zuschauern zu rechnen sei, wurde eine rechtzeitige Anreise - am besten mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie etwa Zug - empfohlen.
Sprengung nur bei gutem Wetter
Der 180 Meter hohe Schlot des Gebäudes war übrigens Anfang August vorzeitig von Roboterbaggern zum kontrollierten Umstürzen gebracht worden. Bei Abbrucharbeiten an Rohren im Inneren des Kamins war das Fundament beschädigt worden, weshalb der Turm in eine leichte Schieflage geraten war.
Für das Bundesheer wird es die größte Bauwerkssprengung in der Zweiten Republik sein. Nur noch das Wetter könnte einen Strich durch die Rechnung machen: Herrscht wider Erwarten dichter Nebel oder sehr hohe Luftfeuchtigkeit, ist der 15. November Ersatztermin.