Verschwundene Kaufhäuser in den Einkaufsstraßen Wiens mit jüdischem Hintergrund

josef

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Geschichte einer Geschäftskultur
Viele der Kaufhäuser in den Einkaufsstraßen Wiens und eine Vielzahl der k. u. k. Hoflieferanten sind im 19. Jahrhundert auf Initiative von Geschäftsleuten mit jüdischem Hintergrund entstanden. Von banalen Konsumartikeln bis hin zur Luxusware deckten sie nahezu alles ab, was in Wien benötigt wurde und prägten die Stadt. Das Jüdische Museum Wien erinnert mit der Ausstellung „Kauft bei Juden!“ daran.

„Im Grunde beschäftigt sich die Ausstellung mit einer verschwundenen Welt“, erklärt Astrid Peterle vom Jüdischen Museum Wien, die als Kuratorin für „Kauft bei Juden!“ verantwortlich zeichnet und sich zunächst mit der europäischen Warenhauskultur des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. „In den meisten europäischen Großstädten, nicht nur in Metropolen wie Paris und London, sondern auch in kleineren Großstädten wie Kopenhagen und Dublin existieren alte schöne Kaufhäuser nach wie vor.“


Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek
Das Kaufhaus Rothberger am Wiener Stephansplatz war ein wichtiger Ort für den Textilhandel


Warum in Wien von dieser Kaufhauskultur so gut wie nichts mehr übrig ist, hat vorwiegend einen Grund. „Durch die Zäsur der Schoa sind auch die Kaufhäuser und Geschäfte verschwunden. Das in der Ausstellung Gezeigte ist heute bis auf wenige Ausnahmen gar nicht mehr vorhanden.“

Erlebnisräume für Wien
Doch so manche Hinweise sind geblieben, wie etwa der Name Gerngross, des heute noch auf der Wiener Mariahilfer Straße existierenden Kaufhauses, das einst von Juden, die mit dem Textilhandel zu Geld gekommen waren, gegründet wurde. Es wurde im Jahr 1938 arisiert.

Einst war das Gerngross ein Palast des Konsums. Bereits im Treppenhaus des Jüdischen Museums zeugt eine großformatige Postkartenansicht von der mondänen Innenarchitektur des Kaufhauses und erinnert an die glanzvollen Zeiten der ersten Warenhäuser. Nur wenige Menschen konnten sich den dort gebotenen Luxus leisten.

„Doch jeder konnte reingehen und staunen. Niemand war verpflichtet, etwas zu kaufen“, erklärt Peterle, „deshalb waren diese Kaufhäuser auch Erlebnisräume mit viel Inszenierung und großer Bedeutung für alle Wiener.“ Aber auch in den Vorstädten gab es große Warenhäuser, wie das Dichter in Ottakring und das Diamant, die keine edle Ware, sondern Dinge für den Alltag von Kochtöpfen bis Socken angeboten haben.

Früher Antisemitismus
Insbesondere das in den 1890er Jahren eröffnete Warenhaus Rothberger, direkt am Wiener Stephansplatz gelegen, zählte zu den zentralen Orten des Konsums in Wien, das viele Geschichten erzählt. „Wo in Wien liegt der Stephansdom? Vis-a-vis vom Rothberger!“, hieß es damals im Volksmund, um die Wertigkeit des Textilkaufhauses zu verdeutlichen.

Der einstige Glanz jüdischer Geschäftskultur
„KulturMontag“ zeigte Spuren des einstigen Glanzes jüdischer Wiener Geschäftskultur. Dabei kam August Zirner zu Wort, dessen Großmutter die mondäne „Maison Zwieback“ leitete.

Unternehmensgründer Jacob Rothberger, der in Ungarn aufgewachsen war, in Paris das Schneiderhandwerk gelernt hatte, um sich erfolgreich in Wien niederzulassen, war im Zuge der behördlichen Genehmigung für den Kaufhausbau mit starkem Antisemitismus vonseiten des Wiener Gemeinderates konfrontiert. Ein christlich-sozialer Abgeordneter sprach abfällig von einer „Judenburg“ in bester Lage und angesichts der innovativen Secondhand-Schiene, die Rothberger neben der feinen Ware ebenso angeboten hat, von einem „Mausoleum alter Hosen“, was den riesigen Erfolg des Konzepts nicht verhindern konnte. Unter den Nazis haben Warenhäuser später als Feindbild gegolten, als Symbol für die Weltherrschaft der Juden.

Dem Textil geschuldetes Baujuwel
Die starke Präsenz von Juden im Textilgewerbe war damals aber keineswegs ein neues Phänomen. „Weil Juden viele Berufe nicht ausüben durften, ist es zur Konzentration in bestimmten Berufsfeldern gekommen“, beschreibt Peterle den Hintergrund des regen Handels mit Textilwaren aller Art.

Auch Goldman und Salatsch zählte zu den renommierten Bekleidungsunternehmen in Wien, das ebenso von Juden betrieben wurde. Ihm ist das wichtigste Wiener Architekturdenkmal des 20. Jahrhunderts zu verdanken. Architekt Adolf Loos, der den Wienern der Jahrhundertwende erstmals gezeigt hat, was Sachlichkeit in der Architektur bedeutet, hatte eine enge Verbindung zum Unternehmen, die durch seine Vorliebe für edle Herrenkleidung entstanden war. Goldman und Salatsch galt damals als eine der ersten Adressen.

Der Sohn des damaligen Unternehmenschefs hegte ebenso wie Loos eine große Vorliebe für gutes Design und hatte generell sehr progressive Zugänge, was 1909 im Auftrag an Loos mündete, eine neue Unternehmenszentrale für Goldman und Salatsch zu entwerfen: Das Loos-Haus am Wiener Michaelerplatz wurde angesichts seiner schmucklosen Fassade zum größten Architekturskandal in Österreichs Geschichte und eines der bedeutendsten Bauwerke Wiens. Auch davon erzählt „Kauft bei Juden!“.


imagno
Ella Zirner-Zwieback ist als Kaufhausbetreiberin in eine Männerdomäne eingedrungen


Legendäre Kaufhausbetreiberin
Die Ausstellung nähert sich der jüdischen Geschäftswelt von vielen Seiten. Nicht nur die Architektur ist Thema. „Kauft bei Juden!“ rückt auch bemerkenswerte Protagonisten der damaligen Wiener Geschäftswelt ins Bewusstsein. Etwa Ella Zirner-Zwieback, die sich als Kaufhausbetreiberin als einzige Frau in einer Männerdomäne bewiesen hat und damals eine bekannte Persönlichkeit mit Femme-fatale-Qualitäten war. Ihr geerbtes Textilhaus Ludwig Zwieback und Bruder hat sich in der Kärntner Straße befunden.

Sie war die Großmutter des Schauspielers August Zirner („Homo Faber“, „Die Fälscher“), der in den USA geboren wurde, weil seine Eltern vor den Nazis fliehen mussten. Für die Ausstellung hat Zirner ein Kapitel aus Hugo Bettauers Roman „Die Stadt ohne Juden“ eingelesen, das sich Besucher von „Kauft bei Juden!“ auf einer klassischen Wiener Parkbank mit Blick auf eine großformatige Straßenansicht des Kaufhauses anhören können.

Zurückgekehrte Zwieback-Kleider
Nicht nur so schließt die Ausstellung, die sich ebenso ausführlich wie den Warenhäusern auch dem in den vergangenen 20 Jahren endgültig verschwundenen Textilviertel rund um den Wiener Rudolfsplatz widmet, einen Kreis. Viele der damals in den jüdischen Geschäften gekauften Kleider sind mit der Flucht vieler Juden vor den Nazis in aller Welt gelandet. „Einige der Kleider kehren für die Ausstellung nun erstmals wieder nach Wien zurück“, sagt Peterle, die vor allem bei einem Sammler von historischen Kostümen aus Kanada fündig geworden ist. „Auch Kleider von Zwieback sind dabei.“

Alte Anzeigensujets erzählen von der Blüte des jüdischen Geschäftslebens in Wien ebenso wie Fotografien, Gemälde, Zeitungsartikel und Plakate. Die Ausstellungsarchitektur nimmt mit ihren den Ladenfronten der Geschäfte nachempfundenen Elementen Bezug zum damaligen Straßenbild Wiens, und weiß auch die brutale Verfolgung durch die Nazis entsprechend zu inszenieren.


Sammlung Eduard Konrad
Der Stephansdom lag „vis-a-vis vom Rothberger“, nicht umgekehrt


Migranten als Geschäftsleute
„Kauft bei Juden!“ erzählt nicht nur die Familiengeschichte der Zwiebacks, sondern zeigt, dass viele der später geschäftlich erfolgreichen Juden als Migranten nach Wien gekommen waren, und daher, so wie Jacob Rothberger, sehr viel Ehrgeiz und Gespür für geschäftliche Innovationen beweisen mussten. Auch heute bleibt vielen Migranten keine andere Wahl als die Selbstständigkeit. Oder das Beispiel vieler osteuropäischer Juden, die auf dem Weg nach Israel in Wien geblieben sind. Peterle: „In den 1980er Jahren noch sind viele dieser Frauen, die kein Wort Deutsch konnten, in Textilbetrieben als Näherinnen untergekommen. Zwei von ihnen haben wir für die Ausstellung interviewt.“

Hof- vs. Kammerlieferanten
Die Ausstellung beleuchtet als dritten Schwerpunkt die unzähligen k. u. k. Hoflieferanten mit jüdischem Hintergrund. Peterle muss dabei aber auch mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufräumen. „Der k. u. k. Hoflieferant war kein Ehrentitel, sondern eine Art Qualitätssiegel, für das man zwar teils komplizierte Auflagen erfüllen musste, wie etwa einen Nachweis bezüglich guter Kundschaft. Doch man musste auch Geld bezahlen, um den Titel führen zu dürfen.“ Die Produkte der Hoflieferanten haben der Kaiser und sein Hofstaat nicht einmal zu Gesicht, geschweige denn in den Magen bekommen. Peterle: „Für die Versorgung des Hofes waren die sogenannten Kammerlieferanten zuständig.“

Link:

Johannes Luxner, für ORF.at - Publiziert am 16.05.2017
http://orf.at/stories/2391511/2391510/

Ausstellungshinweis
„Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur“ ist von 17. Mai bis 19. November im Jüdischen Museum Wien zu sehen.
 

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