Renaissance der Flugzeugträger

josef

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Derzeit werden so viele Flugzeugträger gebaut wie schon lange nicht. Wegen des technischen Fortschritts wird ihr militärischer Sinn aber immer öfter angezweifelt
Russland hat einen kaputten, Frankreich hat einen funktionierenden, die USA haben viele, und China will gern viele haben. Die Rede ist von Flugzeugträgern – zigtausende Tonnen schwere Landebahnen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind.

Immer mehr Nationen streben in den Klub der schwimmenden Luftwaffenbasen. Japan hat erst unlängst angekündigt, seine Hubschrauberträger umzurüsten, damit von ihren Decks künftig auch Kampfjets starten können. Die Türkei will folgen und hat Trägerdesigns von Spanien gekauft. Die Zahl an Nationen, die Flugzeugträger betreiben, würde damit auf eine neue Höchstzahl steigen.

Es ging schon exklusiver zu im Flugzeugträgerklub zu. Wie so oft im maritimen Bereich, waren die Briten die Ersten: Die HMS Argus sollte der Royal Navy dabei helfen, den ersten Weltkrieg zu gewinnen. Dazu sollte es nie kommen, die Argus wurde erst nach Ende des Krieges fertiggestellt. Das Konzept überzeugte die Militärs jedoch; die USA, Japan und Frankreich folgten und investierten massiv in den neuen Schiffstyp.

Seinen Schrecken entfaltete das neue Konzept am 7. Dezember 1941. Mit dem Überraschungsangriff durch hunderte Flugzeuge auf Pearl Harbor in Hawaii, die von sechs japanischen Flugzeugträgern gestartet sind, zwang Japan die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg – und legte den Grundstein der eigenen Niederlage.


foto: u.s. navy via ap
1942 musste die Besatzung des Flugzeugträgers USS Lexington das Schiff verlassen, nachdem es von japanischen Streitkräften angegriffen worden war. Große Flugzeugträgerschlachten wie im Zweiten Weltkrieg gab es seither nie wieder.

Wenige Jahre später starteten Düsenjets von den immer größeren Decks; 1961 ging der erste atomar angetriebene Träger in Betrieb. Doch die Hochzeit der Flugzeugträger war da schon vorbei: So viele Träger wie im Zweiten Weltkrieg sollten nie wieder auf den Weltmeeren unterwegs sein.

Trotz eines militärischen Wettrüstens im Kalten Krieg ging die Zahl der Flugzeugträger stetig zurück. Das lag auch daran, dass die Sowjetunion nie eine große Trägerflotte baute – bis heute steht Russlands Marine mit nur einem Träger, Admiral Kusnezow, da. Das gerne als Schrottträger bezeichnete Schiff ist gerade für eine Generalüberholung in der Werft.

Übrig blieben die USA. Mit elf sogenannten Supercarriern betreiben sie bis heute die größte Flotte an Flugzeugträgern, hinzu kommen neun amphibische Helikopterträger, von denen bei Bedarf ebenfalls Senkrechtstarter (STVOL-Flugzeuge) abheben können.

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Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs sind Flugzeugträger von der jüngeren US-Politik kaum mehr wegzudenken. Sei es beim Einsatz in der Jugoslawienkrise in den 90ern, in mehreren Golfkriegen am Persischen Golf oder zuletzt bei Kampfeinsätzen gegen den "Islamischen Staat" in Syrien oder im Irak – die riesigen Schiffe sind immer vorne dabei. "Wenn in Washington die Nachricht von einer Krise eintrifft, ist es kein Zufall, dass die erste Frage, die jedermann über die Lippen kommt, 'Wo ist der nächste Flugzeugträger?' lautet", sagte Präsident Bill Clinton 1993 an Bord der USS Theodore Roosevelt, einem der Symbole amerikanischer Militärmacht.

Der Satz macht die Schiffe bis heute attraktiv – nicht nur in den Augen der USA: Nach kurzer Abstinenz bauen die Briten gerade ihren zweiten Flugzeugträger, Indien plant gerade seinen dritten Träger, und neben Japan und der Türkei überlegt auch Südkorea, einen seiner Hubschrauberträger in einen Flugzeugträger umzurüsten.

China rüstet auf

Aber eine Nation übertrifft sie fast alle: China baut und plant so viele Flugzeugträger wie sonst nur die USA. Mit ein Grund dafür ist eine schon beinahe in Vergessenheit geratene Militärkrise in den 1990ern. Chinesische Drohgebärden und Raketentests gegenüber Taiwan veranlassten Washington damals dazu, zwei Flugzeugträgerverbände in die Region zu beordern – die größte Zurschaustellung amerikanischer Militärmacht in Asien seit dem Vietnamkrieg.

Zähneknirschend mussten die Chinesen zugeben, dass sie den USA in einem Konflikt vor ihrer eigenen Haustür haushoch unterlegen wären. "Die Krise 1995/96 zwang die chinesische Führung, den Tatsachen in die Augen zu blicken, nämlich dass sie wenig bis gar nichts tun konnten, um zu verhindern, dass die USA Taiwan zu Hilfe kommen", erklärt der Asien-Analyst Corte A. Cooper in mehreren Berichten für die Denkfabrik Rand Corportation.

Chinas Reaktion war eine massive Investitionsoffensive in die eigenen Streitkräfte – allen voran in die Marine.


foto: afp photo / - / china out
Kriegsschiff statt Casino: Der Flugzeugträger Liaoning ist der Stolz der chinesischen Seestreitkräfte.

Nur kurze Zeit später kaufte ein chinesisches Tourismusunternehmen einen nie fertiggestellten sowjetischen Flugzeugträger, der in einer ukrainischen Werft vor sich hinrostete, um daraus – so beteuerten die chinesischen Käufer damals – ein schwimmendes Casino zu machen. Die Glücksspielversion wurde schon beim Kauf angezweifelt, und nach einer fast zwei Jahre dauernden Reise durch die Weltmeere und jahrelangen, streng geheimen Umbauten wurde aus dem ukrainischen Schrottträger Warjag der chinesische Flugzeugträger Liaoning.

Seither hat Peking Geschmack an den Riesenschiffen gefunden: Bis 2020 plant China, mindestens zwei Träger voll betriebsfähig zu haben. Ein dritter, noch größerer Träger, der darüber hinaus besser ausgestattet sein soll, soll folgen. Experten halten eine Flotte von fünf bis sechs chinesischen Trägern bis 2030 für realistisch.


foto: afp photo / planet labs inc. / planet labs inc. / - china out /
Im Gänsemarsch: Satellitenaufnahmen zeigen den chinesischen Träger Liaoning gemeinsam mit anderen Kriegsschiffen im Südchinesischen Meer.

Hinter der chinesischen Aufrüstung zur See stecken handfeste strategische Interessen, meint der deutsche Marineexperte Heinz Dieter Jopp im Gespräch mit dem STANDARD. "Die Denke hinter Chinas Plänen ist folgende: Die drei großen wirtschaftlichen Zentren des Landes sind alle an der Küste entstanden. Von daher ist es durchaus richtig in der Logik, diese Wirtschaftsräume gegen mögliche Bedrohungen von der See her zu schützen." Es mache daher durchaus Sinn, eine Flotte zu entwickeln, die in der Lage sei, die Nutzung des Südchinesischen Meeres für die USA zu erschweren, "wenn nicht sogar unmöglich zu machen", sagt Jopp.

Teilweise lasse sich dadurch auch der Drang asiatischer Nationen erklären, ebenfalls Flugzeugträger zu bauen. Der erst vor kurzem angekündigte Umbau eines japanischen Hubschrauberträgers zu einem Flugzeugträger sowie die indischen Pläne für mehrere Flugzeugträger seien letztlich nur Reaktion auf die chinesische Marineexpansion. Die chinesische Seite müsse sich künftig "überlegen, ob sie weiterhin so burschikos auftreten kann wie bisher".

"Träger frisst Flotte"
Dabei sind Flugzeugträger – auch kleine – nicht billig: Allein die Betriebskosten eines Supercarriers verschlingen im Monat Millionen – Personalkosten nicht eingerechnet. Als Supercarrier gelten Träger mit einer Verdrängung von 75.000 Tonnen. Solche amerikanischen Träger haben bis zu 6.300 Mann Besatzung. Und dabei handelt es sich nur um die laufenden Kosten. Der Bau der USS Ford, ein Schiff der neuesten Generation, kostet rund 13 Milliarden Dollar. Die Kosten beinhalten noch keine Flugzeuge oder Bewaffnung an Bord.


foto: u.s. navy photo by mass communication specialist 2nd class kristopher rui
Groß, größer, teurer: Der neueste Flugzeugträger der US-Marine, die USS Ford, soll rund 13 Milliarden Dollar kosten.

Der größte Brocken kommt auf eine Marine allerdings erst zu, wenn der Träger im Dienst ist. "Es gibt in der Marine den klassischen Spruch, wenn es um Flugzeugträger geht: 'Träger frisst Flotte'", erklärt Jopp.

Flugzeugträger mögen auf den ersten Blick aufgrund ihrer schieren Größe imposant und angsteinflößend wirken, aber einmal in See gestochen, sind die Stahlkolosse ein leicht gefundenes Fressen für feindliche Seestreitkräfte. Folglich ist eine große Anzahl an Kriegsschiffen nötig, um die schwimmenden Luftwaffenbasen vor Angriffen von U-Booten, von anderen Schiffen oder feindlichen Flugzeugen zu schützen. Amerikanische Trägerkampfgruppen setzen sich im Schnitt aus mindestens fünf Kriegsschiffen, zwei Jagd-U-Booten und einem Versorgungsschiff zusammen – in Friedenszeiten wohlgemerkt.

Prestigefrage
Nicht alle Marinen können das aufbieten. Die Royal Navy plant derzeit, zwei gigantische Flugzeugträger in Dienst zu stellen; die größten, die je für die britischen Seestreitkräfte gebaut wurden. Gleichzeitig sinkt aber bereits seit Jahren die Anzahl an Schiffen, die diese beschützen könnten (siehe dazu: Schleichender Niedergang einer globalen Seemacht). Das erste Schiff, die HMS Queen Elizabeth, fährt bereits zur See. "Allerdings mit einem interessanten Ansatz", sagt Marineexperte Jopp: "Sie hat noch keine eigenen Flugzeuge." Die Royal Navy könne auch noch nicht sagen, wie viele Kampfjets sie denn einmal an Bord haben werde. Wenig verwunderlich, ist man bei den britischen Streitkräften derzeit primär mit dem Stopfen von Budgetlöchern beschäftigt.


foto:photo by lphot kyle heller / mod / royal navy / crown copyright 2018 / afp
Größerer Träger, kleinere Flotte: Die HMS Queen Elizabeth, der derzeit einzige Flugzeugträger der Royal Navy, auf Besuch in New York.

Enorme Kosten, großer Personalaufwand und trotz sinkender Militärbudgets größere Flugzeugträger – ergibt das Sinn? Nicht wirklich, meint Jopp, selbst langjähriger Offizier in der deutschen Marine. Und dennoch setzen auch immer öfter kleinere Nationen wie Südkorea, die Türkei oder Japan auf Träger als Teil ihrer Marine. Für Jopp sind solche Entscheidungen oft mehr eine Frage des Prestiges denn des militärischen Nutzens. Politiker hätten oft Clintons Spruch "Wo ist unser nächster Träger?" im Hinterkopf. Aber: "Hier bin ich der Auffassung, das macht in der Zukunft keinen Sinn mehr", sagt Jopp.

Umdenken in den USA Ausgerechnet in der Trägergroßmacht USA setzt ein Umdenken ein. Der Ursprung dafür liegt in China, das selbst fleißig neue Träger baut. Geprägt durch die amerikanische Machtdemonstration in den 90ern, hat sich China zum Ziel gesetzt, amerikanische Trägerverbände möglichst weit weg von Chinas Küsten fernzuhalten. Die Antwort darauf waren neben einer größeren Marine neue Langstreckenwaffen, die vom Festland aus amerikanische Flugzeugträger erfassen und treffen können. "In der Folge bedeutet das, dass die amerikanischen Träger nicht mehr so nahe an die Küste herankommen wie bisher", erklärt Jopp. Da gleichzeitig die Reichweite der Flugzeuge sinkt, wird das ganze Konzept infrage gestellt.


foto: u.s. navy/mass communication specialist 3rd class anthony j. rivera/handout via reuters
Schwimmende Luftwaffenbasis mit Fragezeichen: Der militärische Nutzen von Flugzeugträgern wie der USS Theodore Roosevelt wird immer öfter infrage gestellt.

Hinzu kommt, dass die USA durch Nato-Manöver schon seit langem über einen weiteren Schwachpunkt ihrer Trägergruppen Bescheid wissen. Konventionelle U-Boote von Verbündeten wie Deutschland, die im Vergleich zu U-Booten mit Atomantrieb als besonders leise gelten, kamen in Manövern gefährlich nahe an amerikanische Flugzeugträger heran.

Aufgrund der explodierenden Kosten der neuesten Generation amerikanischer Flugzeugträger haben auch die USA begonnen, den Taschenrechner auszupacken: hier ein 13 Milliarden Dollar teurer Flugzeugträger, dort ein deutsches, konventionelles U-Boot um rund 200 bis 400 Millionen Euro. "Hier verändert sich sehr stark etwas gerade im Denken der US Navy, sodass auch dort die Frage auftaucht, inwieweit man tatsächlich in der Zukunft noch weiter auf den Träger setzt", sagt Jopp.

Die Amerikaner hätten angefangen, derartige Szenarien in entsprechenden Planungen durchzuspielen. Und immer öfter tauche dabei die Frage auf: Wozu Flugzeugträger? (Stefan Binder, 21.1.2019)
Renaissance der Flugzeugträger - derStandard.at
 
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