Vorarlberg: Der Panzer im Naturschutzgebiet

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Ein Hauch vom Krieg im Naturschutzgebiet

November 2018

Mitten im Uferwald an der Mündung der Bregenzer Ach in „Neu Amerika“ steht ein alter russischer Kampfpanzer vom Typ T-34 – aus Beton gegossen. Das Ding ist weithin kaum bekannt. Wir gingen auf Spurensuche.

Ich muss dir was zeigen, komm“, sagte ein Freund irgendwann Anfang der 1980er. Wir waren zusammen in der Mehrerau, im Gymnasium dort. Er tat geheimnisvoll. In der Mittagspause radelten wir los, den Bregenzer Strandweg entlang bis zum Kiosk in jener Gegend nahe der Achmündung und der idyllischen Bucht des sogenannten Wocherhafens, die man gemeinhin „Neu Amerika“ nennt. Beim Kiosk führt ein Weg in den Uferwald. Wir folgten ihm, bogen auf einen Pfad ab und gerieten in immer dichteren, dschungelhaft verwachsenen Wald, bis im trüben Licht jäh ein riesiger Schatten erschien. Es war fast unheimlich. Dann standen wir vor ihm: einem Panzer aus Beton. In Originalgröße. Was tat der hier?

Panzer sind in Vorarlberg eine historische Rarität. Unter den französischen Truppen, die im Mai 1945 kamen, waren US-Modelle vom Typ Sherman und Stuart, wie Fotos zeigen. Aber weder das Bundesheer der Ersten noch der Zweiten Republik hatte im Ländle je Panzer stationiert, diese englische Erfindung, die 1916 an der Westfront erschienen war. Beim Einmarsch 1938 rollten keine deutschen Panzer nach Vorarlberg, auch danach tauchten solche selten auf, meist bei Bahntransporten via Arlberg.

Das Rätsel wird größer, weil der Betonklotz einem T-34 gleicht. Das waren jene legendären sowjetischen Panzer, die es 1939 als Prototypen gab, aber im Ausland unbekannt waren, als die Deutschen 1941 die UdSSR angriffen. Die stellten entsetzt fest, dass die meisten ihrer Panzer und Panzerabwehrkanonen gegen den T-34 wenig ausrichteten. Er war ein neues, bis heute konstruktiv prägendes Design, mäßige 32 Tonnen schwer, mit schräger Panzerung, was ihn schwerer zu knacken machte, mit für 1941 überdurchschnittlich großkalibriger Kanone (76 mm, später 85 mm), robustem Fahrwerk und Motor und sehr schnell (55 km/h).

Vor allem war er simpler gebaut als alle deutschen Panzer, leichter zu warten – und zu bauen. Die Zahlen sprechen Bände: Bis Kriegsende entstanden mindestens 51.000 Stück der Versionen T-34/76 und T-34/85, nach anderen Quellen über 58.000, bis zum Bauende in den 1950ern total etwa 84.000 – der bis heute zweitmeistgebaute Panzer. Von deutschen Typen, die gleichwertig bis überlegen waren, gab es nicht ganz 16.000 (Panzer IV, Tiger I, Tiger II, Panther).
Niemand, dem ich seither von dem Ding erzählte, kannte es, nicht einmal Bregenzer. Sogar der Bregenzer Stadthistoriker, Thomas Klagian, sagte: „Ich gesteh’s. Ich kenne den nicht.“ Er findet sich indes auf Google Maps. Andernorts, etwa auf near-place.com, wird er als „Museum“ und „Sehenswürdigkeit“ gelistet, woanders erscheint er als „Kunstprojekt“.

Er ist eben – noch immer – gut versteckt. Man folge dem Waldweg beim Kiosk etwa 100 Schritte oder 80 Meter, dann geht der Pfad links ab. 100 bis 120 Meter weiter kommt eine Gabelung, dort steht er gleich rechts. Der Zahn der Zeit hat ihn angenagt. Auf ihm wächst Moos, das Metallrohr, das die Kanone war, ist weg (nicht aber das MG-Rohr). Beton bröckelt ab, der Turm ist zerborsten und man sieht hinein, dort verfault Laub, kriechen Insekten, Asseln. Zuletzt lagen darin Flaschen und eine Zigarettenschachtel. Er kriegt also Besuch. Aber woher kommt er?

Was wir als Schüler wussten: In Neu Amerika war ein Übungsgebiet. „Das hat das Heer in den 1950ern von der Stadt gepachtet“, erzählt der Militärhistoriker Oberst Erwin Fitz. „Da war dort Freiland, das Übungsgebiet reichte über den heutigen Reitstall hinaus (bis nahe der Rheinstraße, Anm.). Später wurde der Zivilisationsdruck größer und die Übungsfläche kleiner, etwa durch den Bau der Achsiedlung, bis die Stadt den Pachtvertrag Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr verlängert hat. Da war ich Kasernenkommandant in Bregenz und Lochau.“

Laut Klagian wurde 1959 ein unbefristeter Pachtvertrag über zwei Parzellen geschlossen und auf Jänner 1955 zurückdatiert, denn das Gebiet längs Ach und Achsiedlungsstraße war bereits militärisch genutzt. Laut Oberst Fitz sogar schon vor 1955: Durch die Franzosen ab 1945, und noch früher: Da ist die Rede von älteren Bunkern, die die Franzosen gesprengt hätten („Auf deren Trümmern haben wir geübt“, sagt Fitz), und dass das Heer schon ab 1931 in dieser Gegend geübt habe. Sogar in Form von Artillerieschießen mit Zielgebiet Rohrspitz.

Irgendwann Ende der 1950er also hätten Pioniere des 1956 errichteten Jägerbataillons 23 den Panzer aus Beton gegossen. Wann exakt, und wieso als T-34, ist unklar. Vielleicht, weil er eine Kriegs-Ikone ist, von der die Russen Österreich 1955 beim Abzug 27 Stück (nach anderen Quellen 37) geschenkt hatten. Einer der letzten Zeugen, der bekanntermaßen am Betonpanzer mitbaute, ist leider vor Jahren gestorben.

Wozu er diente? Laut Fitz kamen „meist einmal im Jahr“ einige Panzer aus dem Osten. Etwa aus Salzburg, wo 1956 bis 1994 das Panzer- beziehungsweise Jagdpanzerbataillon 7 stand, mit Fahrzeugen wie M-24 Chaffee, M-47 Patton, Kürassier. „Mit denen“, so Fitz, „haben wir Panzernahbekämpfung geübt. Sich anschleichen, überrollen lassen, Minenattrappen anbringen, Nebeltöpfe ans Rohr hängen, bei fahrendem Panzer. An einer Strecke waren Betonröhren vergraben. Da standen Soldaten drin. Wenn der Panzer gekommen ist, hat man sich geduckt, er ist drübergerollt, dann ist man aus der Röhre gesprungen und hat Haftminen raufgeworfen. Was man aber nicht tun konnte, war, Molotowcocktails auf sie zu werfen. Dafür gab es den Betonpanzer.“
Spätestens 1991, vor mehr als einem Vierteljahrhundert, schloss das Übungsgebiet, als es zum Kern eines größeren Naturschutzgebietes erklärt wurde. „Den Panzer haben wir belassen“, sagt Fitz. „Der war eh in einem Randbereich. Und es hat sich nie jemand aufgeregt.“
Bild im Artikel:



Autor:
Wolfgang Greber
* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

Quelle: Ein Hauch vom Krieg im Naturschutzgebiet
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#5
Der Russenpanzer im Bregenzer Auwald
1677871869467.png

Versteckt im Bregenzer Auwald steht ein stummer Zeuge des Kalten Krieges: Die Nachbildung eines russischen T-34-Panzers aus Beton ist längst eher bemoost als bedrohlich. Das versteckte Relikt gibt jenen, die sich dort ins Gebüsch verirren, heute nur noch Rätsel auf. Einstmals aber diente der Betonklotz der Landesverteidigung.
Online seit heute, 18.23 Uhr
Teilen
Dort, wo der Bregenzer Auwald am dichtesten ist, taucht eine gespenstische Silhouette aus dem Dickicht auf: Ein Panzer aus Beton steht bedrohlich mitten im Wald. Der Zahn der Zeit hat an dem Bauwerk genagt, manche Ecken sind schon abgebröckelt, und das Metallrohr, das früher die Kanone darstellen sollte, wurde von Unbekannten durch einen Ast ersetzt.

Wozu diente der Betonpanzer?
Wer den bemoosten Panzer erspäht, mag sich wohl fragen, ob es sich dabei um ein vergessenes Mahnmal handeln könnte oder gar ein verrottendes Kunstwerk? Die Antwort auf dieses Rätsel liegt natürlich in der Vergangenheit des Orts, denn früher befand sich im Auwald ein Übungsgelände des österreichischen Bundesheeres.

Im Auwald wurde mit echten Panzern geübt
„Zum Üben der Panzernahbekämpfung sind einmal im Jahr Panzer aus Salzburg gekommen“, erzählt Militärhistoriker Erwin Fitz über den Übungsplatz im Auwald. „Man konnte dort viele Dinge üben – vor dem Panzer seitwärts abrollen, sich in einer Stellung überrollen lassen oder Nebeltöpfe werfen.“

Fotostrecke
Erwin Fitz
„Panzernahbekämpfung“ wurde früher auch im Bregenzer Auwald geübt
Erwin Fitz
Dabei ließen sich Soldaten z. B. in einer Röhre versteckt von den Panzern überrollen, um sie dann von hinten anzugreifen

ORF
Übrig geblieben ist davon die Betonnachbildung eines russischen T-34. Dort, wo das Kanonenrohr war, steckt heute ein morscher Ast.

ORF
An dem Betonfahrzeug konnten die Soldaten üben, wie man einen solchen Panzer mit einem Molotowcocktail in Brand setzt, erklärt Militärhistoriker Erwin Fitz

Bundesarchiv
Dazu warf man eine Glasflasche mit einem Öl-/Benzingemisch und einer Lunte auf das Heck des Panzers – quasi auf den Kühlergrill. Die Flammen wurden nach unten gesaugt und setzten den Motor in Brand.

Erwin Fitz
Natürlich konnte man bei den Übungen im Auwald keinen echten österreichischen Panzer mit solchen Brandsätzen bewerfen

ORF
Deshalb wurde das Betonmodell mit den Molotowcocktails beworfen

Stadtarchiv Bregenz
Gebaut wurde der Betonpanzer Ende der 1950er Jahre direkt an Ort und Stelle auf dem Garnisonsübungsplatz im Auwald

Erwin Fitz
Auch am Seeufer beim Bregenzer Wocherufer wurde damals mit echten Panzern geübt

Erwin Fitz
Die letzten Übungen auf dem Garnisonsübungsplatz im Auwald fanden 1992 statt

Mit Molotowcocktails beworfen
Eines aber konnte mit den echten Panzern nicht geübt werden: „Nämlich, Molotowcocktails auf das Heck des Panzers zu werfen, damit die Flammen durch den Grill angesaugt werden und der Motor zum Brennen kommt“, erklärt Fitz. „Das wäre halt bei jedem Panzer nur einmal gegangen, und so viele Panzer haben wir nicht“, scherzt der Militärhistoriker.

Deshalb hat man damals das in Brand Setzen russischer Panzer mit dem Betonfahrzeug geübt, führt Fitz aus: „Molotowcocktails waren ein Gemisch aus Öl und Benzin in einer Glasflasche.“ Mit einer brennenden Lunte im Flaschenhals wurden diese auf das feindliche Fahrzeug geworfen, wo die Flasche zerbrach und das Gemisch sich entzündete: „Das zu simulieren war der Zweck des Betonpanzers.“

Bregenz verpachtete den Auwald ans Heer
Gebaut wurde der Betonpanzer Ende der 1950er Jahre direkt an Ort und Stelle, unweit des Bregenzer Wocherhafens. Damals gab es einen Pachtvertrag zwischen dem Bundesheer und der Stadt Bregenz für die Nutzung als Garnisonsübungsplatz. Regelmäßig wurde dort für den Ernstfall trainiert.

Bis heute findet man im Auwald auch noch weitere Relikte, die inzwischen fast vollständig vom Wald verschluckt worden sind – zum Beispiel eine Wand, die für Granatenwurfübungen errichtet wurde, und einen gesprengten Bunker, von dem nur noch ein paar Mauerreste übrig sind.

Noch heute ziehen sich Gräben durch den Wald
Der Wald ist durchzogen von bis zu zwei Meter tiefen Gräben. „Das waren Laufgräben und Stellungen, die sich quer durch das Übungsgelände zogen. Zum Teil wurden sie wieder zugeschüttet und dann wieder aufgegraben.“ Die Überbleibsel haben sich erstaunlich lange gehalten, meint der Historiker: „Die letzten Übungen hier sind 1992 abgehalten worden, und seither hat die Natur das Gebiet wieder zurückerobert.“

Pachtvertrag 1992 nicht mehr verlängert
Im Laufe der Jahre wurde das Übungsgelände immer kleiner, vor allem durch den Bau der Achsiedlung. 1992 verlängerte die Stadt Bregenz den Pachtvertrag nicht mehr. Seither ist der Wald ein reines Naherholungsgebiet. Aber wer sich abseits der Trampelpfade bewegt, kann sie noch finden: die steinernen Zeugen der Vorarlberger Militärgeschichte.
02.03.2023, red, vorarlberg.ORF.at

Link:

Der Russenpanzer im Bregenzer Auwald
 
Oben