Die "Lost Places Profis" aus Wien

josef

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#1
UNTERWELTEN
Wie ein Forscherteam Lost Places in Wien entdeckt
Marcello La Speranza und Lukas Arnold lieben Bunker, verfallene Villen und Industrieruinen. Eine Leidenschaft, die sie mit immer mehr Menschen teilen

Der Historiker Marcello La Speranza mit Helm sowie Fotograf Lukas Arnold bilden das Forscherteam Wiener Unterwelten.
Foto: Lukas Arnold

An einem sonnigen Morgen im Frühling im Alsergrund knipst Marcello La Speranza seine Taschenlampe an. Zuvor hat der Wiener Historiker die unscheinbare Kellertür eines Gründerzeithauses aufgesperrt und flugs eine Zeitkapsel betreten. Als er unten in den engen Gang leuchtet, muss ihm sein Begleiter vor dem Weitergehen noch ein Versprechen geben: niemandem zu verraten, wo genau im neunten Wiener Gemeindebezirk sich dieser Keller befindet.


Ein verborgener Luftschutzkeller im neunten Wiener Gemeindebezirk.
Foto: Lukas Arnold

"Die Urban Explorer nehmen überall zu und tauchen sonst ungebeten hier auf." La Speranza sagt "Örban", als würde man den Namen eines ungarischen Politikers betont lustig aussprechen. Tatsächlich sind dem 1964 geborenen Wiener Historiker mit besonderem Interesse für Archäologie und Zeitgeschichte nur die vielen englischen Modeworte wie "Lost Places" oder die zu "Explorern" aufgewerteten sensationsgeilen Spechtler suspekt. Letztere sieht er nicht immer, aber immer häufiger als Störenfriede bei seiner Arbeit an historischen Orten wie diesem.


Fotograf Lukas Arnold nutzt den Keller auch als Galerie.
Foto: Lukas Arnold

Der Lichtkegel der kräftigen Stablampe fällt auf eine Reihe von großformatigen Fotografien an der schwarzen Ziegelwand. Es sind die Werke von Lukas Arnold, der nun ebenfalls den Keller betreten hat. Der freischaffende Fotograf, Jahrgang 1988, hat sich vor gut fünf Jahren mit La Speranza zusammengetan, um als "Forscherteam Wiener Unterwelten" genau jene zu erkunden und zu dokumentieren. "Ich mag diese düstere Galerie", sagt Arnold über den ungewöhnlichen Keller in einem gewöhnlichen Zinshaus, in dem er etwas mehr als ein Dutzend seiner Fotografien von Lost Places gehängt hat. Einzelne Bilder fallen immer wieder von der Wand, weil die Nägel in dem nassen Untergrund nicht lange halten.


Eine phosphoreszierendes Emailleschild.
Foto: Lukas Arnold

Arnold richtet den Spot seiner Taschenlampe auf ein rostiges Emailleschild mit der Aufschrift "Notausstieg". Als er das Licht kurz ausknipst, leuchtet das Schild noch lange kräftig grün in der Dunkelheit. Um die nächste Ecke tauchen weitere phosphoreszierende Schilder auf, neben zusammengezimmerten Kojen und einer langen Leiter, die durch die Decke ins Freie führt. "Notabort für Frauen" und "Rauchen verboten" steht da. Zusammen mit herumliegenden Gegenständen wie einem einzelnen Schuh, Blechtöpfen und antiquierten Schwechater-Bierflaschen aus braunem Glas verrät der Keller: Hier haben Menschen wohl über einen längeren Zeitraum Zuflucht gesucht.


In dem 2011 erstmals untersuchten Keller wurden viele persönliche Gegenstände gefunden.
Foto: Lukas Arnold

Als die Räume 2011 erstmals genauer untersucht wurden, fand man die Reste eines französischen Revolvers und eines österreichischen Mannlicher-Gewehres sowie den Filter einer "Volksgasmaske", der sofort bei der ersten Berührung zerbröselte. Es handelt sich also um einen alten Luftschutzkeller. Doch für die innere Stadt scheint er überraschend groß geraten. Als sich La Speranza um 180 Grad dreht und den Lichtkegel mitzieht, taucht hinter den Eindringlingen in diese Zeitkapsel noch ein viel größerer Raum auf.

Kleine Kathedrale
Ein Gewölbe offenbart sich, gut sechs Meter hoch und rund zehn Meter unter der Erde. Es wirkt wie das Mittelschiff einer zu klein geratenen Kathedrale oder wie ein recht großer Weinkeller, in dem man eher teure Jahrgänge lagert. Darunter scheint sich noch eine weitere Etage zu verbergen, die vielleicht nur zugeschüttet wurde. Ziegelbögen auf Bodenniveau deuten jedenfalls darauf hin, dass da unten noch etwas sein könnte. Wozu dieses Gewölbe, das in dieser Form seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast unverändert geblieben ist, in der Zeit davor diente, ist ungeklärt.

Historisch Relevantes
Mittwoch bis Samstag arbeitet La Speranza im Haus des Meeres. Er hat die Ausstellung Erinnern im Inneren kuratiert, die die historische Seite dieses Flakturms mit Aquarien beleuchtet. An den meisten anderen Tagen streift der Wissenschafter durch die Stadt und fahndet nach Gebäudestrukturen, die historisch Relevantes enthalten könnten. Wenn der Historiker die Eigentümer der Häuser nicht kennt, läutet er auch einfach mal bei einer der Hausparteien an, stellt sich vor und verrät, was sein Interesse geweckt hat.


Eine verlassene Jugendstil-Villa in Wien
Foto: Lukas Arnold

"Nur in jedem dreißigsten Keller findet sich tatsächlich etwas Interessantes. Die Stadtarchäologie juckt das aber ohnehin nicht. Die sind auf die Römerzeit fokussiert, nehmen vielleicht noch Stätten aus dem Mittelalter mit. Aus historischer Sicht sind Dinge aus einem Luftschutzkeller aber genauso Artefakte wie jene aus Pompeji oder Ephesos", sagt La Speranza.

Vergessene Orte
Auch wenn der Historiker mit der Bezeichnung Lost Places wenig anfangen kann, hat ihn doch genau jene Faszination gepackt, die von solch vergessenen Plätzen ausgeht. Bis zu dreimal pro Woche untersucht er ganz nach Lehrbuch-Definition für Lost Places vergessene Orte und Bauwerke aus der jüngeren Geschichte, die entweder noch nicht historisch aufgearbeitet worden sind oder kein allgemeines Interesse fanden.


In den ehemaligen Paukerwerken, einer industriellen Werksanlage in Wien-Floridsdorf.
Foto: Lukas Arnold

"Durch persönliche Gegenstände, die man an solchen Orten findet, bekommt das Ganze noch einmal eine besondere Dimension für Zeitgeschichtler", meint er und fügt an, dass die Stadt Wien mit ihrer 2000-jährigen Geschichte eine gut gefüllte historische Fundgrube sei. Fotograf Lukas Arnold sieht Wien dagegen nicht in der ersten Lost-Places-Liga mitspielen.

Lost-Places-Paradies Berlin
"Vor der Pandemie war ich oft in Berlin und Brandenburg. Das ist in Bezug auf Lost Places noch einmal eine ganz andere Nummer." Es gäbe dort deutlich mehr vergessene und verlassene Orte, die vor allem aus fotografischer Sicht interessant seien. Spontan fallen ihm die "alte Anatomie" mit den grellen Graffitis auf den Sitzreihen ein oder die Vielzahl geschlossener Fabrikshallen, die manchmal dennoch aussehen, als wäre nur gerade Schichtwechsel.


In den Paukerwerken wurden vor allem Waggons gefertigt.
Foto: Lukas Arnold

Worin sich die beiden einig sind: Ihr Forschungsgegenstand ist immer nur eine Momentaufnahme. Während sie an einem Ende der Stadt gerade neue Fragen ausgraben, wird am anderen Ende ein historisch aufschlussreiches Gebäude schon wieder abgerissen. "Die Immobilienfirmen haben naturgemäß wenig Interesse an unserer Arbeit. Im schlimmsten Fall stoßen wir ja auf etwas historisch Bedeutsames, das die Bauarbeiten verzögert", sagt der Historiker.


Die alte Anatomie in Berlin.
Foto: Lukas Arnold

Immer öfter kontaktieren auch Bewohner oder Anrainer das Forscherteam, das durch Fernsehauftritte und eigene Publikationen bekannt geworden ist. "Zum Höhepunkt der Pandemie haben wir wöchentlich zwei oder drei Hinweise auf interessante Objekte bekommen", sagt La Speranza. Überhaupt sieht er die Begeisterung für solche Orte seit ein paar Jahren immer weiterwachsen. Weil die Menschen in der Pandemie nur schlecht reisen konnten, versuchten sie Entdeckungen in der Nähe zu machen. Das Team hat in dieser Zeit so viele Anfragen für Führungen bekommen, dass sie gar nicht alle bedienen konnten.

Romantische Orte
Man möchte meinen, dass sich mit den zurückgewonnenen Reisefreiheiten mehr Menschen nach fröhlichen Orten sehnen. Aktuell kommt aber noch etwas hinzu, was für gut besuchte düstere Plätze spricht: "Wir bemerken seit Beginn des Kriegs in der Ukraine ein gewachsenes Interesse an Luftschutzkellern und Bunkern. Das hängt mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen zusammen. Manche wollen sich wiederum vorstellen können, wie schrecklich es dort drinnen sein muss", meint der Historiker. Ein weiterer Aspekt, der für den Besuch verwunschener Orte spricht: Romantik. "Früher hat man Burgruinen besucht, um wie in Romanen oder auf Gemälden dargestellten Verfall zu sehen. Heute sucht man das Morbide in Kellern oder Fabrikshallen." Ein Zugang, den Arnold aus ästhetischer Sicht des Verfalls nachvollziehen kann.


Eine frühere Gärtnerei in Hirschstetten, die mittlerweile abgerissen wurde.
Foto: Lukas Arnold

Der Fotograf hat in Hirschstetten eine mittlerweile abgerissene Gärtnerei dokumentiert, die auf ihn sehr romantisch wirkte. Eines der Fotos zeigt einen Baum, der sich seinen Weg gewaltsam durch das Glasdach eines Gewächshauses gebahnt hat. "Ich mag es, wenn sich die Natur zurückerobert, was der Mensch zurücklässt", sagt Arnold mit gefühligem Unterton und fügt an: "Es erinnert mich daran, dass unsere Spezies auf der Erde vielleicht doch nicht der Endgegner ist."
(Sascha Aumüller, RONDO, 11.5.2023)
Wie ein Forscherteam Lost Places in Wien entdeckt
 
#2
ich finde das beachtlich das diese Gruppe öffentlich propagandiert wird. Klar, es steckt eine Menge Arbeit dahinter und sind gute Fotos.
Die Frage ist nur, wurden alle gezeigten Fotos mit "Genehmigung" geschossen oder so wie auch alles andere in der Szene passiert?

Es gibt viele Urbexer die meinen, dann ein Buch ihrer Werke veröffentlichen zu müssen/ auf "halb-legal"...
 
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wolfsgeist

Well-Known Member
#3
ich finde das beachtlich das diese Gruppe öffentlich propagandiert wird. Klar es steckt eine Menge Arbeit dahinter und sind gute Fotos.
Die Frage ist nur, wurden alle gezeigten Fotos mit "Genehmigung" geschossen oder so wie auch alles andere in der Szene passiert?

Es gibt viele Urbexer die meinen, dann ein Buch ihrer Werke veröffentlichen zu müssen/ auf "halb-legal"...
Ich denke in diese ganzen Wiener Keller wird man ohnehin schwer ohne Genehmigung reinkommen, oder täusche ich mich da?
Soweit ich weiß entstehen viele klassische "Lost Places"-Bücher ohne Genehmigung, vor allem auch wegen Haftungsfragen...
 
#5
Der gezeigte Keller ist 100% legal.
der/die Keller vielleicht, aber ich denke hier werden andere Location auch noch dargestellt.


Soweit ich weiß entstehen viele klassische "Lost Places"-Bücher ohne Genehmigung, vor allem auch wegen Haftungsfragen...
in der Tat. Für so etwas gehört besonderer Mut, genau wie auf Youtube sich bei einem Lostplace zu zeigen.
Respekt, kann ich nur sagen.... - meiner Ansicht nach sind dies keine "Profis", es gibt nicht viele, aber doch einige in der Urbex Szene die habens drauf, arbeiten noch ehrlich auf Recherche und dokumentieren nicht auf "Schmarotz-Locations". Diese veröffentlichen jedoch auch keine Bücher und müssen auch nicht den "fame" leben.
 
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adasblacky

Well-Known Member
#6
Also bei den Beiden bin ich mir recht sicher, dass sie die notwendigen "Genehmigungen" haben. Sie sind bekannt genug, dass sie von Besitzern eingeladen werden ...
Was ist schlecht dran wenn man von seinem Hobby leben möchte? Da gehört dann halt auch ein wenig Werbung dazu :)
Bei einem Teil der Aufnahmen kenn ich sogar den Hausbesitzer ...

Lukas Arnold erzählte das letzte Mal recht ausführlich wie mühsam es sein kann die Erlaubnis zum Betreten zu bekommen, da halt viele Hausbesitzer nicht interessiert sind.
LG Blacky
 
#7
Also bei den Beiden bin ich mir recht sicher, dass sie die notwendigen "Genehmigungen" haben. Sie sind bekannt genug, dass sie von Besitzern eingeladen werden ...
Was ist schlecht dran wenn man von seinem Hobby leben möchte? Da gehört dann halt auch ein wenig Werbung dazu :)
Bei einem Teil der Aufnahmen kenn ich sogar den Hausbesitzer ...

Lukas Arnold erzählte das letzte Mal recht ausführlich wie mühsam es sein kann die Erlaubnis zum Betreten zu bekommen, da halt viele Hausbesitzer nicht interessiert sind.
LG Blacky

Das diese Leute einen höheren Bekanntheitsgrad haben macht sie zu Privilegierten? Klar würd ich auch nicht jedem erlauben das Grundstück zu betreten. Aber wo fängt man an und wo hört man auf? - Es gibt möglicherweise weitere Urbexer die auch eine social media Karriere anstreben wollen...
Es liegt eh in den Händen der jeweiligen Grundstückbesitzer, aber wundern darf man sich dann nicht, wenn auch illegale Betretungen passieren.
Wie wurde Urbex vor Adventurebuddy & Co gehandelt?

Man beschaffte sich Informationen über verlassene Orte und machte seine Fotos und das wars. Klar präsentierte man diese Fotos auch, da dies auch eine eigene Schiene der künstlerischen Darstellung von Hobby/Profi-fotografen sein soll - aber man verbreitete diese Orte nicht

für mich sind das alles nur Showmänner, so wie auch ein Adventurebuddy...
 
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adasblacky

Well-Known Member
#8
Warum privilegiert? Welche (ungerechtfertigte) Besserstellung erfahren sie?
Natürlich wollen Andere auch von Ihrem Hobby leben können :) Ich glaub nur, dass das keine Massenbewegung wird.
Ja, man sollte solche Plätze nicht jedermann zugänglich machen - 10% der Leute sind halt Deppen.
Aber diese Geheimniskrämerei ist auch nicht das Gelbe vom Ei.
Ich würde z.B. Michi&Emma jederzeit ein Plätzchen verraten, das sie nicht kennen (OK, das is jetzt sehr an den Haaren herbeigezogen :) ).
Oder auch anderen guten Bekannten, bei denen ich sicher sein kann, dass sie nichts zerstören ... Hast Du alles ganz allein gefunden?
Dein Problem mit "Adventurebuddy" versteh ich nicht. Ist das eine Person oder die Bezeichnung?
Als Paragleiter würde ich einige meiner Freunde als Adventurebuddys bezeichnen, was ist da schlecht dran?

Nichts für ungut
LG Blacky
 
#9
Klar, mit manchen Leuten kann man Location teilen, wo man sich sicher sein kann, bin ich ganz bei dir...

ob ich alles ganz alleine gefunden habe... - meine ersten Einstiegsjahre in die Urbexszene sammelte ich Erfahrungen und gewiss, bekam ich von Profis den einen oder anderen Platz vermittelt. Wenn man weiß welche "Werkzeuge" eigentlich jedem zur Verfügung stehen um solch Orte zu finden, braucht man auch diese ganze Tauscherei auch nicht..

Wenn du mich "heute" oder jetzt fragst, muss ich dir sagen, dass ich meine LP selbst finde und auch allein arbeite.
Selbst manch Posting hier im Forum sind für mich keine Einschränkung diesen Ort nicht selbst zu finden.
Fragen sich manche Schnorrer nicht, woher auf einmal der eine oder andere Spot in der Urbexszene auftaucht?

Es gibt Leute die leisten hier investigative Arbeit, leider auch ungewollt für Andere.
 

adasblacky

Well-Known Member
#10
Ja, eh - Als "alter" Hase kennt man Quellen, liest viel und liebt Karten und Satellitenbilder - und hat mehr Zeit dafür?
Vor Allem bekommt man ein Auge für Schlot und Co :) Aber am Anfang ist das sicher nicht so einfach

Viele der Plätze hab ich auch selbst gefunden (um dann drauf zu kommen, dass Einer/Eine von Euch schon vorher dort war. Dank @wolfsgeist find ich es aber immer schnell heraus :) )
Aber ich war auch schon dankbar für den ein oder anderen Tipp aus dem Forum.

Und ich geh lieber zu zweit, man braucht ja nur blöd über Gerümpel stolpern ...

LG Blacky
 
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