Binnenschiffe sollen in Zukunft ohne Personal auf Fahrt gehen können

josef

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Transportschiffe der Zukunft fahren ohne Mannschaft
Geht es um die Zukunft des Verkehr, sind Fantasien von autonomen Autos nicht weit. Doch das erste selbstfahrende Fahrzeug könnte ein Schiff sein
Mehrere Forschungsteams arbeiten daran, Binnenschiffe so zu verändern, dass sie irgendwann einmal ohne Personal auf Fahrt gehen können. Damit sind große Erwartungen verbunden. Die Branche, von fehlendem Nachwuchs betroffen, hofft, mit Computern ihr Personalproblem zu lösen, Verkehrsexperten hoffen auf eine Entlastung der Straßen und Techfirmen auf eine Testumgebung, in der nicht allzu viel passieren kann.

Bei Berlin auf der Spree-Oder-Wasserstraße beispielsweise will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein "digitales Testfeld" aufbauen. "Langfristig können Binnenschiffe eine sinnvolle Ergänzung sein, um Großstädte zu versorgen", sagt der Forschungsleiter Ralf Ziebold. Er sieht dabei vor allem kleinere Einheiten im Vorteil, die ohne Besatzung unterwegs sind. Die ersten Entwicklungen in diese Richtung sollen nun in der Praxis getestet werden, zum Beispiel ein Assistenzsystem, das Schiffe automatisch in eine Schleuse bringt.


Ein Frachtschiff auf der Donau
Foto: Via Donau

"Wenn man sich vorstellt, ein 100 Meter langes und 11,40 Meter breites Schiff in eine zwölf Meter breite Schleuse zu bringen, bekommt man eine Ahnung davon, wie schwierig diese Aufgabe ist", sagt Ziebold. Das Navigationssystem aus dem Auto sei hierfür nicht präzise genug, eine Genauigkeit von zehn Zentimetern müsse es schon sein. Um diese zu erreichen, verwenden die Forscher Daten aller verfügbaren Satellitennavigationssysteme. Die so errechnete Position variiert aber und muss mit regelmäßig aktualisierten Daten korrigiert werden.

Zusätzlich setzt das Team auf Radar- und Lasertechnik, um die nähere Umgebung des Schiffs im Blick zu behalten. Schließlich ist auch eine Steuerung nötig, die Maschine, Ruder und Seitenstrahlruder so dirigiert, dass es trotz Wasserströmung die Schleuseneinfahrt trifft. Noch arbeiten die Forscher an Details. 2021 soll die automatisierte Schleuseneinfahrt gelingen – unter kritischer Beobachtung von Menschen.

Für die Schleuseneinfahrt
Selbst wenn es noch Jahre dauert, bis autonome Schiffe unterwegs sind, könnte das Assistenzsystem für die Schleuseneinfahrt schon früher eingesetzt werden, um Stress für Schiffsführer zu verringern und Unfälle zu vermeiden, sagt Ziebold. Die nächste Automatisierungsstufe wären dann Schiffe, die zwar ohne Menschen unterwegs sind, aber von der Ferne aus kontrolliert werden.

"Spätestens dann sind Technologien nötig, um die Umgebung zu beobachten und Sportboote, Schwimmer oder Wasservögel zu erkennen", sagt er. Die Diskussion darüber, was das Schiff oder der ferne Steuermann tun müssen, um etwa eine Kollision zu vermeiden, dürfte spannend werden – vom Straßenverkehr der Zukunft ist sie bereits bekannt.

Ziebold sieht hier einen Vorteil bei der Schifffahrt. "Im Straßenverkehr muss sofort reagiert werden, auf dem Wasser geht alles langsamer, sodass mehr Reaktionszeit bleibt, und es gibt weniger Entscheidungen, die getroffen werden müssen." Maßstab müsse aber sein, dass das automatische Schiff mindestens so sicher unterwegs ist wie eines mit Führer an Bord.

Auch dies sei ein Vorteil der Teststrecke: Es ist ein begrenztes Gebiet, und beispielsweise Paddler können entscheiden, ob sie dort entlangfahren wollen oder nicht, meint der Wissenschafter. In zwanzig Jahren, schätzt er, könnten solche fernüberwachten Schiffe einsatzfähig sein.

Nahfeldnavigation
Einen anderen Ansatz haben Christian Masilge von der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam und sein Team. Sie wollen schwimmende Transporteinheiten bauen, die sich weitgehend allein zurechtfinden und nur sehr wenige Daten von außen bekommen. "Weil es in absehbarer Zeit wohl kein 5G-Netz auf Gewässern geben wird", sagt er.
Außerdem sei für viele Manöver eine Nahfeldnavigation erforderlich. Daher setzen sie auf Radar- und Lasersensoren sowie Kameras, deren Daten mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet werden, um einen Schwan vom Kopf eines Schwimmers oder einer Boje zu unterscheiden. "Mit Infineon haben wir Sensorexperten gewonnen", sagt Masilge. "Die Firma hat erkannt, dass die langsame Schifffahrt mit langen Reaktionszeiten ein gutes Testfeld für spätere Anwendungen im Straßenverkehr ist."

Bedarfsweise aufteilen
Während der DLR-Forscher Ziebold teilautonome Schiffe mit Personal in einer zugeschalteten Kontrollzentrale für machbar und sinnvoll erachtet, ist Masilge zuversichtlich, dass eines Tages vollständig autonome Einheiten rund um die Uhr unterwegs sind. Nicht zu groß, stattdessen viele an der Zahl, die energiesparend im Schwarm unterwegs sind und sich aufteilen.

"Für die Ver- und Entsorgung einer Stadt wie Berlin könnten sie eine Rolle spielen", sagt der Wissenschafter. "Von Paketdiensten und Warenhandel, die Lieferungen an kleine Hubs bringen, bis zum Abtransport von Abfall könnten viele Fahrten, die bisher auf der Straße erfolgen, aufs Wasser verlegt werden."

Im Frühjahr sollen im Berliner Westhafen erste Tests mit einem Demonstrator erfolgen. Er ist etwa so groß wie ein Schiffscontainer und mit einem elektrischen Antrieb versehen. "Selbstverständlich wird ein Begleitboot dabei sein", so Masilge.

Standzeit vermeiden
Doch auch bei der herkömmlichen, menschgesteuerten Schifffahrt ermöglicht die Digitalisierung einige Fortschritte. Dies zeigt "Doris" (Donau River Information Services), das von der Österreichischen Wasserstraßen-Gesellschaft Via Donau maßgeblich entwickelt und betrieben wird.

Jedes gewerbliche Schiff verfügt über einen Transponder, der die GPS-Position und weitere Daten an das System meldet. Doris erkennt, wo viel Verkehr ist und ob es im Lauf der Fahrt an einer der neun Donauschleusen zum Stau kommen könnte, erläutert Christoph Caspar von der Wasserstraßen-Gesellschaft Via Donau.


Ein Frachtschiff auf dem Rhein bei Köln: Werden diese Schiffe in absehbarer Zeit führerlos unterwegs sein?
Foto: APA / dpa / Henning Kaiser

"Ausgehend von diesen Daten können Schiffe dirigiert werden." Wenn sich abzeichnet, dass ein Schiff eine Stunde auf die Schleuseneinfahrt warten muss, erhält es frühzeitig eine Mitteilung, langsamer zu fahren. "Das vermeidet Standzeit und spart zugleich Treibstoff und damit Emissionen."

Die Echtzeitdaten sind ebenso für Hafenmanager und Logistiker wertvoll, die so ihre Lieferketten optimieren können. Über eine App können auch Freizeitschiffer das System nutzen und sich aktuell über Pegelstände, Behinderungen durch Eis sowie Hochwasser oder Seichtstellen informieren.
(Ralf Nestler, 28. 9. 2020)

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