Chile: Lithiumabbau in der Atacama-Wüste verursacht unabsehbare Schäden für die Umwelt

josef

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#1
SALAR DE ATACAMA
Lithiumabbau: Unabsehbare Schäden für die Umwelt
In der Atacama-Wüste wird mit großem Wasserverbrauch Lithium gefördert. Die Folgen für das empfindliche Ökosystem werden sich erst in Jahrzehnten zeigen

Der Lebensraum der Flamingos des Salar de Atacama ist durch den Lithiumabbau bedroht.
Foto: REUTERS/Stringer

Lithium ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Gegenwart. Das Leichtmetall steckt in Lithium-Ionen-Akkus, die von Smartphones über Akkuschrauber bis hin zu E-Autos unsere moderne Welt antreiben. Gerade in Zeiten der Klimakrise kommt Lithium eine Schlüsselrolle zu: Die Wende hin zu elektrischer Mobilität und nachhaltiger Stromversorgung erfordert gewaltige Mengen des Metalls.

Die großen Batterien, die schicke Wagen von A nach B bringen sollen, und die riesigen Akkus, die Solarstrom für die Nacht aufnehmen – beide Technologien sind von Lithium abhängig. Kein Wunder also, dass die Nachfrage explodiert und die Fördermengen steigen. Ganze 40 Prozent der bekannten Lithiumvorkommen liegen in einem salzigen Becken der Atacama-Wüste. Doch wie beeinflusst der Abbau dort das empfindliche Ökosystem?

Lithiumreiche Sole
Im Norden Chiles, zu Füßen schneebedeckter Andengipfel, liegt eine Mondlandschaft. Wenige Pflanzen und noch weniger Menschen besiedeln die trockene Ebene des Salar de Atacama. Nur Flamingos tummeln sich in von dicken Salzkrusten umkränzten Soleseen. Im seichten Wasser jagen die Vögel nach Krebsen, denen sie ihre leuchtende Farbe verdanken. Ein genauerer Blick offenbart jedoch zahlreiche ökologische Nischen: Vor allem die aus Süßwasser bestehenden oberen Wasserschichten der Lagunen bieten Tieren einen wertvollen Lebensraum. Auch einige indigene Dörfer trotzen am Rande der Ebene dem Wassermangel.


Die oberen Wasserschichten der Soleseen stellen einen wertvollen Lebensraum in der dürren Atacama-Wüste dar. Tieferes Wasser ist sehr mineralreich und enthält Lithium.
Foto: APA/AFP/MARTIN BERNETTI

Seine Bewohner leben mit dem Salar in einem fragilen Gleichgewicht. Dieses ist gestört, seit Firmen im porösen Gestein der Ebene lithiumhaltige Sole fanden. Das Metall wird von Regen und Schmelzwasser aus dem vulkanischen Gestein der umliegenden Berge gewaschen und reichert sich im Salar an. Seitdem fördern Bergbauunternehmen Lithium, indem sie das mineralhaltige Grundwasser in fußballplatzgroße Becken pumpen, wo es nach und nach verdunstet. Zurück bleibt eine stark konzentrierte Lösung, die in Tankwagen aus der Atacama-Wüste zu Raffinerien an der Küste gebracht wird. Das dort abgeschiedene Lithium wird dann nach China verschifft, wo daraus Akkus entstehen.

Verantwortung der Unternehmen
Die Praxis erntet von verschiedenen Seiten Kritik: Einerseits profitiert Chile vergleichbar wenig vom Lithiumreichtum des Salar, da dem Land die Industrie zur Weiterverarbeitung des Metalls fehlt – die Wertschöpfung findet in China statt. Andererseits verschärft der enorme Wasserverbrauch der Lithiumförderung die Situation im Salar de Atacama: Die Region leidet bereits unter Trockenheit – wird ihr zusätzlich in großem Stil Wasser entzogen, sind die Auswirkungen auf lokale Ökosysteme schwerwiegend. SQM, der größte Lithiumproduzent Chiles, weist diese Bedenken zurück: Seit 25 Jahren habe sich der Grundwasserspiegel im Salar nicht verändert.


Je nach Konzentration nimmt die Sole in den Verdunstungsbecken bunte Farben an. Ist sie zunächst blau, wird die Lösung später grün, dann gelb und schließlich orange.
Foto: REUTERS/Ivan Alvarado

Diese Probleme betreffen auch europäischen Firmen, wo die EU-Kommission an einem Lieferkettengesetz nach Vorbild Deutschlands arbeitet. Dort wurde bereits im Sommer 2021 die unternehmerische Sorgfaltspflicht auf alle Zulieferer ausgedehnt. Unabhängig davon versprechen Firmen wie der Autobauer BMW, die Lieferketten ihrer Rohstoffe zu überwachen. Teil dieser Anstrengungen ist eine aktuelle Studie der Universität Massachusetts Amherst, mitfinanziert von BMW.

Träger Wasserkreislauf
Satellitenaufnahmen, chemische Analysen und Wassernutzungsdaten erlaubten es den Forscherinnen und Forschern, für einen Zeitraum von 40 Jahren zu rekonstruieren, woher die Soleseen des Salar ihr Wasser nehmen. Bisher ging man davon aus, dass die Lagunen von unregelmäßigen Regenfällen und dem saisonalen Schmelzwasser der umgebenden Berge gespeist werden. Doch dieses Bild scheint falsch zu sein: "Die Hydrologie ist hier viel komplexer als bisher gedacht", sagt Brendan Moran, Mitautor der Studie.


Der Lithiumabbau hat Narben in den Salar de Atacama gerissen. Die Andengipfel spiegeln sich nun in Verdunstungsbecken.
Foto: REUTERS/Ivan Alvarado

Wie sich herausstellt, ist mehr als die Hälfte des Wassers, das den Salar de Atacama speist, über 60 Jahre alt. Aufgrund der Trockenheit der Region verlaufen hydrologische Prozesse sehr langsam. Bis sich Wasser den Weg in die Lagunen bahnt, vergehen offenbar Jahrzehnte. Daher ist der Salar besonders stark von kurzfristigen Veränderungen gefährdet. Bleiben durch den Klimawandel Regenfälle aus oder kommt es im Gegenteil zu Starkregen, kann der träge Wasserkreislauf diese Extrema nicht ausgleichen. In der Folge ist das ökologische Gleichgewicht im Salar de Atacama gestört, und Lebensräume sind bedroht.

Der lange Schatten des Lithiumabbaus
Die Studie macht deutlich, dass die Argumentation von SQM nicht stichhaltig ist: Dass der Grundwasserpegel seit 25 Jahren stabil ist, bedeutet nicht, dass die Lithiumförderung keine Schäden hinterlassen hat. In einem derart langsamen System treten Veränderungen mit starker Verzögerung auf. "Die Effekte des starken Wasserverbrauchs bahnen sich noch ihren Weg durch den Wasserkreislauf", erklärt Moran. Mögliche Auswirkungen könnten dann aber für Jahrzehnte spürbar sein, so der Forscher.

Der Lithiumabbau im Salar de Atacama hat also bereits unabsehbare Schäden hinterlassen. Welche das sind, werden wir erst wissen, wenn es zu spät ist. Ähnliches wird für alle Rohstoffe gelten, die in großer Menge in empfindlichen Ökosystemen gefördert werden: Manche Auswirkungen sind nicht unmittelbar sichtbar, aber anhaltend. Daher arbeiten Firmen an Alternativen. So könnte Lithium in größerem Maßstab recycelt werden. Andernfalls wäre der Preis der Energiewende ein zerstörtes Ökosystem am anderen Ende der Welt.
(Dorian Schiffer, 13.7.2022)

Studie
Earth's Future: Relic Groundwater and Prolonged Drought Confound Interpretations of Water Sustainability and Lithium Extraction in Arid Lands (Englisch)

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Lithiumabbau: Unabsehbare Schäden für die Umwelt
 

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#3
AKKUS
Problematischer Run auf Lithium
Lithium gilt als Schlüsselrohstoff, um den globalen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch in Südamerika protestieren indigene Gemeinschaften gegen den industrialisierten Abbau, wie Wirtschaftsgeograf Felix Dorn im Gespräch mit ORF.at erzählt. In Österreich gibt es ebenfalls eine Lagerstätte mit vermutlich Hunderttausenden Tonnen an lithiumhaltigem Gestein – und auch hier gehen die Wogen hoch.
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In den südamerikanischen Anden auf etwa 4.000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel ist Lithium in Salzseen und -wüsten vorhanden. Im „Lithiumdreieck“ in Argentinien, Chile und Bolivien befinden sich 59 Prozent der globalen Ressourcen. Internationale Bergbaukonzerne sind seit Jahrzehnten in der Region tätig. Der Ausbau von erneuerbarer Energie hat das Interesse an Lithium noch vergrößert.

Um das Lithium aus dem Untergrund der Salzseen zu gewinnen, müssen Millionen Liter Wasser verdunstet werden. Die Folgen für das Ökosystem seien nicht absehbar, weil es dazu im Grunde genommen keine unabhängigen Studien gebe, kritisiert Wirtschaftsgeograf Dorn von der Universität Innsbruck. Viele Forschungsarbeiten seien größtenteils durch Auftragsstudien von den dort operierenden Bergbauunternehmen entstanden. Die Region wird seit Jahrhunderten von indigenen Gemeinschaften bewohnt. Ihre Lebensweise wird durch die intensive Lithiumgewinnung der Unternehmen beeinflusst.

Felix Dorn/Bajo La Sal
Kleinteiliger Abbau von Lithium findet durch indigene Gemeinschaften statt, wie Ariel Alancay erzählt

„Nein zu Lithium, ja zu Wasser und Leben“
In den argentinischen Provinzen Jujuy, Salta und Catamarca leben indigene Gruppen vorrangig von der Viehzucht und kleinteiliger Subsistenzwirtschaft. Der enorme Wasserverbrauch durch die Lithiumextraktionen der Bergbauunternehmen trocknet das Weideland aus. Wanderwege werden unterbrochen. Unter dem Motto „Nein zu Lithium, ja zu Wasser und Leben“ haben die Gemeinschaften der Salinas Grandes in den letzten Jahren deshalb zu Protesten aufgerufen.

Hinter dem Schlagwort Wasser steckt allerdings viel mehr, stellte Dorn während seiner Forschungsaufenthalte in Argentinien fest. Es gehe um Forderungen nach Mitsprache und Selbstbestimmung. Gemeinsam mit dem Filmemacher Emiliano Bazzani ist der Dokumentarfilm „Bajo la sal“ (engl.: „Below the Salt“) entstanden, der die Perspektive der indigenen Gemeinschaften beleuchtet.

Von der Regierung im Stich gelassen
Die Kritik der indigenen Gemeinschaften richtet sich nicht nur gegen die Unternehmen, sondern auch gegen die Regierung. Die Bergbaukonzerne genießen steuerliche Vorteile in Argentinien. So sind nur drei Prozent Abbaugebühren auf den Umsatz zu entrichten. Der Wasserkonsum ist gar nicht versteuert. „Was wir hier sehen, ist eine ungleiche Verteilung von Profiten einerseits und Umweltrisiken andererseits; Profite zugunsten internationaler Unternehmen und Umweltrisiken zulasten der indigenen Gemeinschaften vor Ort“, bilanziert Dorn.

Die Regierung ist nicht in der Lage zu vermitteln. Die eigenen Interessen, durch den Lithiumboom in der Weltwirtschaft eine bedeutende Rolle zu spielen, überwiegen. Der Großteil des Lithiums wird allerdings zur Batterieproduktion nach Asien und Europa exportiert.

Felix Dorn/Bajo La Sal
Wirtschaftsgeograf Felix Dorn stellt grundsätzliche Fragen zur Elektromobilität

Vorkommen im Gestein
Lithium ist ein chemisches Element, das in der Natur nicht in reiner, metallischer Form vorkommt. Große Lagerstätten befinden sich etwa in Australien und China. Beim konventionellen Abbau im Bergwerk sind Gesteine der Rohstoff, in denen das Lithium zu kleinen Mengen in Mineralen enthalten ist. Dazu gehört das Mineral Spodumen mit einem Lithiumgehalt von einem bis maximal fünf Prozent.

Das Lithium muss aus dem mineralischen Gestein durch chemische Prozesse gelöst werden, erklärt der Geologe Frank Melcher von der Montanuniversität Leoben. Das kann mitunter aufwendig sein. Übrig bleibt jedenfalls viel Material, dass entweder zurück ins Bergwerk gebracht werden muss oder anderweitig, etwa in der Bauindustrie, verwertet werden kann.

Das Lavanttaler Lithium
In Europa könnte sich die Kärntner Koralpe in den nächsten Jahren zu den wichtigsten Abbaugebieten entwickeln. Seit 2011 gehört die Abbaustelle inklusive der Schürfrechte dem Unternehmen European Lithium. Dahinter steht der australische Bergbaukonzern Global Strategic Metals.
Derzeit laufen Explorationstätigkeiten, Probebohrungen und Machbarkeitsstudien. Aus technischer Sicht könnte European Lithium 2024 mit dem Abbau beginnen. Eine Fabrik soll zur Weiterverarbeitung und Produktion von jährlich 10.000 Tonnen Lithiumhydroxid in der Region errichtet werden, heißt es von European Lithium.

Felix Dorn/Bajo La Sal
Yanina Flores aus Argentinien erzählt, wie ihre Felder wegen des industriellen Lithiumabbaus austrocknen

Bedenken auch in Kärnten
Günther Vallant, Bürgermeister von Frantschach/St. Gertraud, verlangt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) angesichts der Abbaupläne von European Lithium auf der Koralpe. Frank Melcher (Montanuni Leoben) schätzt Umweltrisiken durch den Abbau als gering ein, da Lithiumerz keine toxischen Metalle oder Schwefel enthält. Eine UVP würde aber keinesfalls schaden. Der Transport von großen Mengen Gestein ins Tal wird aber enorme Staub- und Lärmbelästigungen mit sich bringen. Auch das könnte im Rahmen einer UVP geklärt werden. Man sollte über Alternativen zum Lkw-Transport, zum Beispiel den Bau einer Seilbahn nachdenken, fügt Melcher noch hinzu.

Ob es zu einer UVP kommen wird, ist offen. Da aktuell noch kein konkretes Abbauprojekt von European Lithium vorliegt, kann beim Land Kärnten formell keine UVP beantragt werden, so Vallant. Darüber hinaus ist eine UVP erst ab Verfahren im Ausmaß von zehn Hektar zwingend notwendig. Im gegenständlichen Fall gehe es um 9,9 Hektar, erzählt Vallant und kritisiert den Fokus auf solche Formalitäten bei den Behörden. Es werde zu wenig nach dem eigentlichen Ermessen beurteilt.

Energiewende: Zwischen Ersatz und Reduktion
1991 hatte Sony seine wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien präsentiert. Seitdem bricht die Nachfrage nicht mehr ab. Neben Akkus für Mobiltelefone und Laptops wird Lithium vor allem für den Ausbau der Elektromobilität gebraucht. Bis 2030 erwartet die Global Battery Alliance eine vierzehnfache Produktionssteigerung der Batterien.

Lithium wird in einen direkten Zusammenhang mit der notwendigen Energie- und Mobilitätswende gesetzt. Das E-Auto soll Verbrennungsmotoren in den kommenden Jahrzehnten ablösen. Der Lithiumabbau erhält damit seine Legitimation. Aus europäischer Sicht stellt sich die Frage, woher das Lithium kommen soll.

Derzeit liegt die Importrate in Europa bei über 80 Prozent. Melcher sieht Aufholbedarf, was Investitionen in die Forschung und entsprechende Explorationsprojekte in Europa betrifft.

Die Europäische Kommission strebt eine Reduktion der Importabhängigkeit an. Dass die Arbeiten auf der Koralpe von australischen Akteuren angeführt werden, verdeutlicht die Widersprüche des Lithiumbooms.

Dorn stellt hingegen eine grundsätzlichere Frage in den Raum. Eine weitere Inwertsetzung von natürlichen Rohstoffen reicht seiner Ansicht nicht aus, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten. Auch die strukturellen Probleme des Individualverkehrs werden dadurch nicht gelöst. Als Hauptverursacher der Klimakrise müsse man im globalen Norden daher eher über Reduktion und die Transformation des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells nachdenken.

13.08.2022, Viktoria Tatschl (Text und Gestaltung), ORF Wissenschaft, Simon Hadler (Redaktion), ORF.at

Links:
Akkus: Problematischer Run auf Lithium
 
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