1934: Auf den Spuren des Bürgerkriegs

josef

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#1
1934: Auf den Spuren des Bürgerkriegs

Die Februarkämpfe jähren sich zum 80. Mal. Interessierte können sich auf die Spuren der Geschichte des Bürgerkriegs von 1934 bei Veranstaltungen und Exkursionen in Wien machen. Im Rathaus wird am Mittwoch der Opfer gedacht.

80 Jahre nach dem Bürgerkrieg in Österreich finden in Wien eine ganze Reihe an Veranstaltungen statt. Den Opfern der Februarkämpfe wird im Wiener Rathaus gedacht. Mit Ausstellungen, Exkursionen und einer Buchpräsentation werden die Unruhen, ihre Vorgeschichte und die Konsequenzen auf unterschiedliche Weise beleuchtet.

Von 12. bis 15. Februar 1934 gingen das Militär und die Polizei gegen den sozialdemokratischen Schutzbund und bewaffnete Arbeiter vor. Ausgehend von Linz wollten Schutzbündler einen landesweiten Aufstand anzetteln. Die Unruhen beschränkten sich aber auf Oberösterreich, Wien und die steirischen Industriegebiete. Hintergrund war die Ausschaltung des Parlaments durch den christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933. Nach dem Bürgerkrieg wurden alle Sozialdemokraten aus öffentlichen Ämtern entfernt und die Partei verboten.

Verfestigter Blick auf 1934
Der Bürgerkrieg forderte fast 300 Tote und mehr als 1.000 Verletzte. Wie bei kaum einem anderen Thema tut sich die heimische Geschichtsschreibung mit 1934 bis heute schwer. Zu verfestigt ist 80 Jahre nach den Februarkämpfen - je nach politischer Gesinnung - der Blick auf den damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß als „Arbeitermörder“ oder Gegner Adolf Hitlers, der einem austromarxistischen Aufstand zuvorkommen musste - mehr dazu in Als Österreich in den Bürgerkrieg stolperte (news.ORF.at).


Im Gedenken an die Opfer
Erstmals gedenken heute SPÖ und ÖVP gemeinsam des Bürgerkriegsbeginns am 12. Februar 1934 in Österreich. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) werden dazu einen Kranz beim Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich am Wiener Zentralfriedhof niederlegen. Opferverbände begrüßten diesen Akt im Vorfeld als historischen Schritt mit symbolischer Kraft.


In der Volkshalle des Wiener Rathauses findet am Mittwoch ab 18.00 Uhr eine Gedenkveranstaltung mit Gästen wie Bundeskanzler Faymann und Bürgermeister Michael Häupl statt.

Im Vorfeld können Interessierte ab 15.00 Uhr an vier Busexkursionen teilnehmen. Vom Rathaus ausgehend werden die Orte der Februarkämpfe angefahren. Die Tour Nord führt von Döbling bis in die Donaustadt, die Tour West von Hietzing bis Ottakring. Die Bezirke Favoriten, Meidling und Liesing werden im Zuge der Tour Süd angefahren. Über die Landstraße, die Kampfstätten innerhalb des Gürtels und durch Simmering verläuft die Tour Ost. Die Abfahrt ist jeweils hinter dem Rathaus am Friedrich-Schmidt-Platz.

Blick auf Rolle der Straßenbahner
Eine andere Sicht auf den Bürgerkrieg gewährt die Ausstellung im Kundenzentrum der Wiener Linien in Erdberg. Sie wird am Mittwoch eröffnet und läuft bis 8. April. Über zwei Dutzend Schautafeln, Bilder und historische Dokumente thematisieren die Rolle der Straßenbahner und die Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr während der Februarkämpfe.


Als Mitglieder in sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen nahmen viele Straßenbahner eine spezielle Rolle in den Unruhen ein. Gerade im Bereich von Betriebsbahnhöfen kam es zu schweren Kämpfen. Dabei wurden zwei Straßenbahner getötet und allein am 12. Februar 1934 54 Straßenbahner verhaftet.

Der „Arbeiterwillen“ im Krieg
Die Kämpfenden, Arbeiter und deren Frauen und Familien stehen im Mittelpunkt des Buches „Im Kältefieber“. Die bislang umfangreichste Sammlung an Texten zum Bürgerkrieg im Februar 1934 wird in Wien gleich zweimal präsentiert. Neben den Unruhen wird auch auf die Vorgeschichte und die Konsequenzen des Bürgerkrieges eingegangen. Die Texte stammen von österreichischen und ausländischen Autoren.


Mit 40.000 Flugblättern unter dem Titel „Aufruf zum Generalstreik“ wollte Kurt Neumann die Arbeiterschaft erreichen. Den Redakteur des sozialdemokratischen Tagblatts „Arbeiterwillen“ brachte das aber im Februar 1934 vor das Standgericht. Seinem Leben ist nun nach 80 Jahren eine Ausstellung gewidmet. Besucher können noch bis zum 27. Februar Fotos und schriftliche Unterlagen im Aktionsradius Wien begutachten.
1934: Auf den Spuren des Bürgerkriegs
 

Stoffi

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#2
Hier ein paar Bilder aus meiner Postkartensammlung .. Arbeiterheim in Ottakring und Goethehof in Kaisermühlen. Beide wurden recht intensiv beschossen ..

Was ich auch noch spannend finde ist das der berühmte Englische Doppelagent Kim Philby in Wien mitgekämpft hat und auch hier in Wien beim KFB unterschrieben hat.

Weiters hat ein Englischer Autor - Stephan Spender - Gedichte über die Kämpfe in Wien geschrieben ..
 

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josef

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#3
Damals in Linz

Beitrag des ORF-OÖ. über die Hintergründe und Vorgänge in Linz bzw. OÖ.:
Schwerpunkt Zeitgeschichte: 12. Februar 1934 in Linz

Land ohne demokratische Traditionen
Dass es 1934 zum Bürgerkrieg in Österreich kommen konnte, liegt in der Geschichte der 1. Republik. Ein kleines Land blieb übrig 1918 nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie. Ein Land ohne demokratische Traditionen, ein Land, in dem sich zwei große politische Parteien formierten und schließlich gegenüberstanden. Die christlich-soziale Partei und die Sozialdemokratie. Anfangs miteinander scheitert die Koalition rasch vor allem an sozialen Fragen. Die Weltwirtschaftskrise in den 1920ern und 1930ern führte zu Massenarbeitslosigkeit, ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in Österreich war ohne Arbeit. Als dritte Strömung kamen die Deutschnationalen hinzu, die die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich anstrebten. Sie fungierten auch als Koalitionspartner der Christlich-Sozialen.

Parallel dazu entwickeln sich die bewaffneten Wehrverbände. Heimwehr auf christlich-sozialer Seite, republikanischer Schutzbund auf sozialdemokratischer Seite. Die Heimwehren waren freiwillige, ursprünglich überparteiliche Selbstschutzverbände, die sich unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in den Bundesländern gebildet hatten. Ihr Zweck lag in der Sicherung der Grenzen und im Abwehrkampf gegen Gebietsansprüche der Nachbarländer.

An ihre Spitze traten allmählich konservative und reaktionäre Kräfte, die das System der parlamentarischen Demokratie zutiefst ablehnten. Auf der linken Seite des politischen Spektrums stand der republikanische Schutzbund, eine paramilitärische Organisation der Sozialdemokratie. Sie sah sich als Wächter der Republik. Ein Volk und drei Armeen also. Heer, Heimwehr und Schutzbund.

Die politischen Gegensätze eskalieren vor allem nach dem Brand des Justizpalastes 1927. Die Sozialdemokratie trat zwar kämpferisch auf, nahm jedoch gegenüber den politischen Ereignissen eine zögernde bis abwartende Stellung ein. Das erleichterte der Regierung Dollfuss ihren zunehmend autoritären Kurs. Der war auf die Auflösung des demokratischen Systems und letztlich der Arbeiterbewegung hin ausgerichtet. Diese Taktik zermürbte große Teile der Arbeiterschaft.

Nicht zuletzt deshalb begannen in den oberösterreichischen Arbeitergebieten viele zu den seit 1933 in der Illegalität agierenden Kommunisten und Nationalsozialisten abzuwandern. Im selben Jahr im März wird das Parlament aufgelöst. Es folgt das Verbot der sozialdemokratischen Partei, der Gewerkschaften, aller Arbeiterorganisationen. Alle gewählten sozialdemokratischen Gemeinderäte, Landtags- und Nationalratsabgeordnete verlieren ihr Mandat. Der republikanische Schutzbund ist zerschlagen und die Ankündigung des Vizekanzlers Emil Fey am 11. Februar, Zitat „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten“ wirkt bedrohlich.

Kampf gegen totale Entmachtung
Linz war Ausgangspunkt der Februarkämpfe 1934 und Signal für den Schutzbund und die Sozialdemokraten in ganz Österreich. Auch außerhalb von Linz an anderen Orten Oberösterreichs wehrten sich Schutzbund und Sozialdemokraten gegen ihre totale Entmachtung. In Ebensee, im Salzkammergut, in Mauthausen, in Attnang-Puchheim, am heftigsten jedoch im Hausruck-Kohlerevier und in Steyr.

Die Situation verschärfte sich zusehends, als die Heimwehren Anfang Februar versuchten, in einer putschähnlichen Art und Weise einen Umbau des Staates in ihrem Sinn zu erreichen. Am 6. Februar 1934 spricht die Landesführung der oberösterreichischen Heimwehr bei Landeshauptmann Josef Schlegel vor und verlangt – so der Wortlaut – „mit berechtigter Ungeduld, dass endlich die Hindernisse, die im Land Oberösterreich der Durchführung der Richtlinien des Bundeskanzlers entgegenstehen, beseitigt werden“. Gefordert wird unter anderem ein Landesausschuss bestehend aus Heimwehr und Vaterländischer Front, die Einsetzung eines Regierungskommissärs für Linz und Steyr und die Säuberung der Ämter und Schulen von Staatsfeinden.

„Fassungswidrig wegbringen lasse ich mich nicht“
Landeshauptmann Schlegel an Dollfuss: „Fassungswidrig wegbringen lasse ich mich nicht“. Die Sozialisten bestehen auf Ablehnung der autoritären Forderungen. Schlegel wendet sich dreimal an den Kanzler, ohne Antwort zu erhalten. In einer Meldung an Kanzler Dollfuss sagt Schlegel, ich werde mich bemühen, jedes Tun und Treiben zu unterdrücken, das auf Bürgerkrieg hinzielt. Landeshauptmann Schlegel weiß aber, dass ihm zur Wahrung des inneren Friedens die Hände gebunden sind, denn seit Juni 1933 sind den Landesregierungen die Sicherheitsdirektionen entzogen und direkt dem Bundesminister für öffentliche Sicherheit unterstellt. Seit der Forderungskatalog der Heimwehr vorliegt, tagt der sozialdemokratische Parteivorstand in Oberösterreich in Permanenz.

Die unmittelbare Parteiführung ist aber nicht eingeweiht. Der Parteiobmann und Linzer Bürgermeister Josef Gruber liegt in Wien im Krankenhaus, sein Stellvertreter Ernst Koref ist in Tirol unterwegs. Landesparteisekretär Richard Bernaschek, zugleich Schutzbundführer für Oberösterreich, sammelt fünf Vertrauensleute um sich. Seinen Bruder Ludwig, Ferdinand Hüttner, Franz Schlagin, Josef Glasner und Otto Huschka. Am 9. und 10. Februar hatte es strenge Waffendurchsuchungen beim Schutzbund in Steyr gegeben. Eine für 10. Februar im Linzer Parkbad anberaumte Durchsuchung, so erfahren die Sozialisten, wurde auf 12. Februar verschoben. Bernaschek schreibt am 11. Februar an einem Sonntag an die Parteiführung in Wien an Otto Bauer.

„Vorläufig noch nichts unternehmen“
Otto Bauer, der in der Nacht durch einen Kurier diesen Brief erhält, versucht die Aktion zu stoppen. Ein Telefonanruf, eine verschlüsselte Botschaft gehen nach Linz ans Hotel Schiff auf der Landstraße 36. Dort befand sich das Parteisekretariat der Linzer Sozialdemokraten. Samt Gastwirtschaft und Kino wurde es auch als Arbeiterheim, Bibliothek und Lesesaal genutzt. Der Text der Botschaft: „Das Befinden des Onkel Otto wird sich erst morgen entscheiden. Ärzte raten abwarten, vorläufig noch nichts unternehmen.“ Es ist 3 Uhr nachts, der 12. Februar, ein Montag.

Der Linzer Sicherheitsdirektor Hans Hammerstein-Equord entschließt sich, die Waffensuche am Morgen im Hotel Schiff und nicht im Parkbad zu beginnen. Um 7 Uhr klopft die Polizei dort zur Durchsuchung. Richard Bernaschek schließt sich ein. Er telefoniert zuerst mit dem Parteifreund Theodor Grill, der ihn noch nachts getroffen hat. Währenddessen dringt Polizei in den ersten Stock des Hotels Schiff vor, Bernaschek ruft vor seiner Verhaftung um 7.15 Uhr noch Landeshauptmann Schlegel an und beschwört ihn, die Einsatzkräfte zurückzuziehen. Schlegel, der mit den Sozialdemokraten in gutem Einvernehmen steht, will sich bei der Sicherheitsdirektion erkundigen, nicht wissend, dass diese längst der Regierung untersteht.

Die Kampfhandlungen beginnen
Bernaschek wird kurz vor 8.00 Uhr im Hotel Schiff verhaftet und abgeführt, doch 40 Schutzbündler verschanzen sich im Hintergebäude. Die Kampfhandlungen begannen. Der Maschinengewehrschütze Rudolf Kunst eröffnete nach einer Aufforderung an die Polizei, das Gebäude zu verlassen, das Feuer. Die Polizei zog sich daraufhin in Deckung zurück und forderte Verstärkung durch Militär an. Erst durch eine zusätzliche Maschinengewehrkompanie, die auf dem Dach des Karmelitenklosters und der Handelsakademie Stellung bezog, konnte das Bundesheer das Hotel Schiff stürmen.

Eine der wichtigsten Stellungen des Schutzbundes war in Linz der städtische Wirtschaftshof. Von hier starten als erste Aktion drei Spritzenwagen mit Maschinengewehr, um dem Hotel Schiff Hilfe zu leisten. Sie kommen nur bis zur Dametzstraße, zum ehemaligen Pestalozzi-, dem heutigen Hessenplatz, dort werden sie von Polizei und Bundesheer aufgehalten. Das Hotel Schiff ist mittlerweile vom Militär umstellt. Erst um die Mittagszeit, gegen 13 Uhr, als der Maschinengewehrschütze Rudolf Kunst gefallen war, ergaben sich die Schutzbündler im Hotel Schiff

Linzer Schutzbundführung sehr rasch verhaftet
Obwohl die Linzer Schutzbundführung sehr rasch verhaftet worden war, gab es neben dem Hotel Schiff Widerstandszentren im Osten der Stadt beim Parkbad, dem Gaswerk, den Spatenbrotwerken, dem Schlachthof, der Polizeikaserne Kaplanhof, auf dem Gelände des Südbahnhofs und in der Diesterwegschule.

Nördlich der Donau wurden Stellungen vom Schutzbund an der Eisenbahnbrücke, im Westen der Stadt auf dem Freinberg beim Gasthof Jägermayr, damals ein beliebtes Ausflugsgasthaus, errichtet. Dort schlossen unterdessen die Stellungen der Schutzbündler einen Halbkreis um die innere Stadt. Obwohl in unmittelbarer Nähe, dachte niemand seitens des Schutzbundes daran, den Rundfunksender der RAVAG zu besetzen, was taktisch umso unverständlicher ist, als man wusste, daß ohnehin seit 8 Uhr alle Telefonverbindungen in Oberösterreich von der Post auf Anordnung der Sicherheitsdirektion unterbrochen waren.

Eine Gruppe von Schutzbündlern bezog Posten beim Milchmariandl, um die Römerstraße, die zum Freinberg führt, unter Beobachtung zu halten. Am Vormittag bewegte sich ein Zug Bundesheer auf den Jägermayr zu, um ihn einzukreisen, was aber nicht gelang. Erst durch Verstärkung und mit Hilfe eines Minenwerfers, der vom Zaubertal her das Feuer eröffnete, gelang es der Exekutive, am Abend den Jägermayr einzunehmen. 26 Schutzbündler wurden verhaftet, die anderen flüchteten durch den Wald und über die Wasserstiege Richtung Stadt. Währenddessen versuchen Schutzbündler von ihrer Stellung am Jägermayrhof wieder in der Stadt zu gelangen.

Einheiten der Ennser Heeresschule eingesetzt
Der Wirtschaftshof fällt erst gegen 16 Uhr ans Militär. 100 Schutzbündler werden verhaftet. Damit werden Truppen frei für das Vorgehen gegen die Kreuzung Eiserne Hand, die von Schützbündlern vom Turm der Diesterwegschule mit einem Maschinengewehr kontrolliert wird. Seit 14.00 Uhr ist der Ausnahmezustand verhängt. Im Straßenkampf sind Einheiten der Ennser Heeresschule eingesetzt, schwere Maschinengewehre im Mädchenlyzeum Körnerstraße postiert, sie zwingen die Kämpfer der Diesterwegschule zur Feuereinstellung. Seit 15 Uhr liegt die Schule auch unter Artilleriebeschuss aus der einen Kilometer entfernten Artilleriekaserne.

Aus der Diesterwegschule, die vom Militär eingenommen wurde, konnten alle Schutzbundkämpfer entkommen, meist in die anliegenden Schrebergärten. Der Jägermayrhof kapituliert erst gegen Abend, vier Soldaten und ein Schutzbundmann waren gefallen. Zu den am schwersten umkämpften städtischen Bereichen gehörte der Polygonplatz , heute Bulgariplatz, wo der Schutzbund in der Brauerei Poschacher ein Waffenlager hielt und das Gebiet bis zur Neuen Welt hin absperrte.

Von fanatischer Menge aus dem Auto gezerrt
Zu weiteren Zentren zählten die Firma Wick, das Gasthaus Waldegg und die ehemalige Maschinenfabrik Krauß & Co. Am Nachmittag des 12. Februar nähert sich ein Auto von stadtauswärts den Barrikaden. Im Wagen fahren Soldaten der Garnison Wels, Oberleutnant Heinrich Nader in Begleitung von drei Kameraden. Hier kommt es zu unterschiedlichen Erzählungen. Sagen die einen, Nader habe mit dem Revolver das Feuer eröffnet und sei im darauffolgenden Schusswechsel samt seinen Mitfahrern im Auto tödlich verletzt worden, so behaupten andere Historiker, er sei von einer fanatischen Menge aus dem Auto gezerrt und erschlagen worden.

Ob Nader durch eine Spitzhacke oder ein sogenanntes Dum-Dum-Geschoß getötet wurde, ist bis heute unklar. Geschichtliche Tatsache ist wiederum, dass in der Folge dieser Kämpfe der 54-jährige Arbeitersamariter Anton Bulgari des Mordes beschuldigt und elf Tage später im Linzer Gefängnishof gehenkt wird. Das Urteil des Standgerichtes sollte ein Exempel statuieren. Es konnte Bulgari weder im Verhör nachgewiesen werden, daß er Nader getötet hatte, noch fanden sich irgendwelche Hinweise.

Das autoritäre Regime hat gesiegt
Am Abend des 12. Februar, so berichtet Sicherheitsdirektor Hammerstein wörtlich, war „die Stadt ohne Urfahr wieder in unserem Besitz“. Urfahr wird mittlerweile von der Mühlviertler Heimwehrbrigade kontrolliert. Aus dem Innviertel und Hausruck treffen Heimwehrabteilungen in Gaumberg ein. Das autoritäre Regime hat gesiegt.

Der verzweifelte Kampf der Linzer Schutzbündler konnte die Niederlage nicht verhindern. Sie scheiterten nicht nur an ihrer mangelhaften Bewaffnung, sondern auch an ihrer Desorganisation und Führerlosigkeit. Und: Man hatte den Gegner offensichtlich unterschätzt. Die Schutzbündler hatten mit der Heimwehr gerechnet, am 12. Februar standen sie vorwiegend dem Militär und der Polizei gegenüber. Die Gefangenen wurden zunächst ins Polizeigefängnis im Rathaus am Hauptplatz gebracht. In Linz hatten die Kämpfe 13 Opfer gefordert, davon eine Hinrichtung und zwei Selbstmorde.

Verhaftungen und Flucht ins Ausland
Hunderte Schutzbündler wurden verhaftet, vielen flohen in die Nachbarländer. Der christlich-soziale Landeshauptmann Schlegel wird abgesetzt, die sozialdemokratische Partei und ihre Organisationen verboten. Alle sozialdemokratisch dominierten Gemeindevertretungen wurden aufgelöst, alle verloren ihr Mandat. Eine der ersten Maßnahmen war die Umbenennung derjenigen Straßennamen, die in der sozialdemokratischen Ära entstanden.

Der „Platz des 12. November“ wurde wieder in „Hauptplatz“ umbenannt, die „Karl-Marx-Straße“ in Hauptstraße. Das Linzer „Tagblatt“ wird bis zum 31. März eingestellt und erscheint danach wieder – allerdings unter neuen Herausgebern und mit neuem Inhalt.

Bundeskanzler Engelbert Dollfuss hält noch am selben Tag eine Rundfunkansprache an das Volk, in der er sich für die Niederschlagung des Aufstandes bedankt und das mit einem Angebot endet.
http://ooe.orf.at/radio/stories/2629737/
 

josef

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#4
Der Februar 1934 in Steyr

Die Jahre 1933 bis 1938 bleiben in Österreich ein schwieriges Kapitel der politischen aber auch zeithistorischen Aufarbeitung. Im Gedächtnis der Historiker bildet der Februaraufstand einen Brennpunkt der geschichtspolitischen Auseinandersetzung.

In der Eisenstadt war die Atmosphäre sehr gespannt. Die Arbeiterschaft stand mit dem Rücken zur Wand: wirtschaftlicher und politischer Druck nahmen ständig zu. Im Anschluss an den Bankenkrach von 1931 waren Teile der Steyr-Werke stillgelegt worden. Zu Beginn des Jahres 1934 zählte der Betrieb nur mehr an die 1000 Beschäftigte, denen 3000 Arbeitslose gegenüberstanden. Neben diesen wirtschaftlichen Problemen gab es auch politische Querelen. Die Organisationen der Arbeiterschaft waren durch Versammlungs- und Aufmarschverbot praktisch in die Illegalität gedrängt.

Generalstreik in den Steyr-Werken
Anfang Februar spitzte sich die Lage zu. Am 9. und 10. Februar kam es zu Hausdurchsuchungen durch Polizei und Bundesheer. Der 12. Februar, ein Montag, begann nach außen wie ein normaler Arbeitstag. Als aus Linz die Benachrichtigung vom Ausbruch der Kämpfe begann, wurde der Generalstreik in den Steyr-Werken ausgerufen. Eines der ersten Opfer war ihr Direktor Wilhelm Herbst. Die Kasernen auf dem Tabor und die Arbeitersiedlung auf der Ennsleite wurden zu Zentren der Kämpfe.
http://ooe.orf.at/radio/stories/2630996/
 

josef

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#5
Hallein: 1934: Austrofaschismus unter der Lupe

1934: Austrofaschismus unter der Lupe
Heute jährt sich zum 80. Mal die Auflösung der Gemeindevertretung der Stadt Hallein (Tennengau) im „Austrofaschismus“. Der Historiker Emmerich Talos hält dazu am 20. Februar in Hallein einen Vortrag. Die Spaltung der Politik bei dem Thema ist noch immer da.

Heute vor genau 80 Jahren, am 14. Februar 1934, wurde die Halleiner Gemeindevertretung von Austrofaschisten unter der autoritären Regierung Dollfuß zwangsweise aufgelöst. Die katholisch-konservative Seite beschuldigte in ganz Österreich die Linksparteien, einen bewaffneten Umsturz zu planen. Auch der sozialdemokratische Halleiner Bürgermeister Anton Neumayr, Vizebürgermeister Wallner und weitere Vertreter der Stadtgemeinde und der Gewerkschaft wurden verhaftet und in das Landegericht Salzburg überstellt.

Was geschah von 1934 bis 1938?
Die katholisch-konservativen Machthaber unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuss ließen damals die linkgsgerichteten Parteien verbieten - einschließlich der Sozialdemokraten. Der austrofaschistischen „Heimwehr“ stand der sozialdemokratische „Schutzbund“ aber weiter als Gegner gegenüber - nun aus dem Untergrund heraus. Das politische System Österreichs sei durch diese große Spaltung der Gesellschaft weiter geschwächt worden, was später Hitler den „Anschluss“ wesentlich erleichtert habe, so der Historiker Talos.

„Arbeitermörder“ und Hitlers erstes Opfer
Vereinfacht dargestellte Positionen der heutigen Koalitionsparteien: Die ÖVP betrachtet ihren Partei-Pionier Dollfuß als erstes Opfer Hitlers unter den Staatslenkern Europas, nachdem der Bundeskanzler von österreichischen Nazis ermordet worden war. Während die Westmächte noch den deutschen Diktator hofierten und allem fast tatenlos zusahen, was dieser trieb - auch mit seinen Gegnern im ersten Konzentrationslager in Dachau bei München. Auch in Österreich war damals rasch allgemein bekannt geworden, was dort vor sich ging - entgegen späterer Beteuerungen und Gedächtnislücken nach 1945.

Und die SPÖ sieht im früheren Bundeskanzler Dollfuß bis heute - nach standrechtlichen Todesurteilen und Hinrichtungen von politischen Gegnern - einen skrupellosen Arbeitermörder und Totengräber der österreichischen Demokratie, der Hitler den Weg geebnet habe, wenn auch unfreiwillig.

Faschismus oder „nur“ autoritär?
„Beim Austrofaschismus ging es um eine endgültige und dauerhafte Veränderung der politischen Strukturen” , so der Wissenschafter. In den 1930er Jahren vollzogen sich in Österreich, wie in anderen europäischen Ländern, einschneidende politische Veränderungen. Sie kumulierten in der Etablierung des Austrofaschismus. Dieses autoritäre Herrschaftssystem der Christlichsozialen in Österreich wurde von Emmerich Tálos erstmals einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen.

Mussolini als Vorbild
Tálos bettet es in den internationalen Faschisierungsprozess ein und begründet, warum die Bezeichnung „Austrofaschismus“ und nicht etwa Ständestaat oder Imitationsfaschismus seiner Ansicht nach treffend ist. Die Anleihen beim italienischen Faschismus, teils auch beim deutschen Nationalsozialismus sowie die eigenen Besonderheiten würden diesen Begriff angemessen machen, so der Historiker. Ein hinreichendes Verständnis des des späteren „Anschlusses“ Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 sei nur vor dem Hintergrund des Austrofaschismus möglich, so Tàlos.
http://salzburg.orf.at/news/stories/2630214/
 
#6
Selbstausschaltung

Hallo allerseits!

Der Satz:

"Hintergrund war die Ausschaltung des Parlaments durch den christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933."

im Beitrag #1 ist etwas unglücklich formuliert. Nicht Dollfuß schaltete das Parlament aus, sondern das Parlament schaltete sich selbst aus.

Das macht durchaus einen Unterschied.

LG,
Martin
 
#7
Der Satz im Beitrag #1 ist schon völlig korrekt.

Das Parlament hat sich nicht selbst ausgeschalten. Nach einem Geschäftsordnungsproblem verhinderte Dollfuß die Wiederaufnahme der Sitzung am nächsten Tag. Die Abgeordneten wurde auf seinen Befehl am betreten des Parlaments durch die Polizei gehindert.

LG
Stealth
 
#10
@ Kalzium!

Der von Dir angeführte Wikipedia Artikel gibt mir recht.
Darin heißt es „Der Versuch der Opposition und des dritten Nationalratspräsidenten Sepp Straffner, die Nationalratssitzung am 15. März fortzusetzen und ordnungsgemäß zu schließen, wurde von der Polizei mit Waffengewalt verhindert.[16] Ebenso schaltete die Regierung Dollfuß am 23. Mai 1933 durch Verhinderung des vollständigen Zusammentritts den Verfassungsgerichtshof aus.[14]“

Auch im Wikipedia Artikel zur Selbstausschaltung des Parlament (http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstausschaltung_des_Parlaments) heißt es:“ Der Versuch der sozialdemokratischen und großdeutschen Opposition, die am 4. März unterbrochene Sitzung am 15. März 1933 fortzusetzen und ordnungsgemäß zu schließen, wurde von der Polizei im Auftrag der Regierung unter Androhung des Waffengebrauchs verhindert. Der zurückgetretene dritte Präsident des Nationalrates, der großdeutsche Abgeordnete Sepp Straffner, hatte seinen Rücktritt widerrufen; mit ihm befanden sich bereits großdeutsche und sozialdemokratische Abgeordnete im Sitzungssaal. Weitere Abgeordnete wurden nicht mehr ins Parlament gelassen, das von Polizei umstellt war; die im Sitzungssaal Anwesenden wurden von der Polizei aus dem Haus eskortiert.“

Siehe auch den AEIOU Artikel zu Dollfuß (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.d/d621176.htm) „Dollfuß schaltete im März 1933 das Parlament aus, verbot 1933 die NSDAP, die Kommunistische Partei und den Republikanischen Schutzbund, 1934 nach den Februarkämpfen auch die Sozialdemokratische Partei und ließ als einzigen politischen Willensträger die Vaterländische Front zu.„

Unter anderem wird auch im Buch “365 Schicksalstage – Ereignisse die Österreich bewegten von Johannes Sachsenlehner“ unter 4.März 1933 die ausschaltung des Parlaments durch Dollfuß beschrieben.

LG
Michael
 

josef

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#13
Österreich vor 82 Jahren...

Als Österreich in den Bürgerkrieg stolperte - „In den Vorstädten geht etwas vor“

Es scheint, als gäbe es über den Februar 1934 heute nicht mehr viel Neues zu sagen: über 300 Tote in drei Tagen, die Ausschaltung letzter demokratischer Reste in Österreichs politischer Landschaft durch Ständestaatskanzler Engelbert Dollfuß und damit ungewollte Vorarbeit für den „Anschluss“ 1938. Neue Erkenntnisse sind tatsächlich rar - umso mehr werden bekannte Fakten immer noch ignoriert.

Auch wenn die Gräben zwischen den politischen Lagern heute überwunden sind, wie etwa eine gemeinsame Kranzniederlegung der rot-schwarzen Bundesregierung im Februar 2014 unterstreichen sollte - die heimische Geschichtsschreibung ist weiter von Lagerdenken geprägt. Für die einen ist der damalige Bundeskanzler Dollfuß immer noch ein fanatischer Antidemokrat, für die anderen ein in die Enge getriebener Verteidiger Österreichs gegen Adolf Hitler. Die Wahrheit hat jedoch mehr Facetten.

„Werden morgen an die Arbeit gehen“
Unbestritten ist: Dollfuß trat für Österreichs Eigenstaatlichkeit ein und machte sich damit Hitler neben den Sozialdemokraten zum weit größeren Feind. Nur fünf Monate nach den Februarkämpfen wurde er beim Juliputsch 1934 im Bundeskanzleramt von Nazis erschossen. Ebenso unbestritten ist, dass der überzeugte Antisemit Dollfuß im März 1933 dem Parlament eine „Selbstausschaltung“ andichtete und sich damit der Sozialdemokraten als stärkster Parlamentspartei entledigte.

Auch steht außer Streit, dass Dollfuß mit dem Rücken zur Wand stand: Die Sozialdemokraten verweigerten größtenteils die Zusammenarbeit. Umso mehr stützte sich Dollfuß auf das faschistische Italien unter Benito Mussolini als Schirmherr und musste innenpolitisch wackelige Bündnisse eingehen, etwa mit Heimwehrführer Emil Fey. Gerade dessen Rolle im Februar 1934 scheint immer noch zu wenig beachtet. Er war es, der am 11. Februar 1934 vor Heimwehrkämpfern erklärte, sie sollten keine Sorge im Hinblick auf Dollfuß haben - man werde „morgen an die Arbeit gehen“.

Keine Razzia wie jede andere
Die von Fey gemeinte „Arbeit“ waren Polizeirazzien bei Sozialdemokraten, an die sich die Heimwehr anhängte. Die Razzien hatte es immer wieder gegeben, und nicht ohne Grund: Ende Jänner 1934 waren etwa in Schwechat (Niederösterreich) Waffen und genügend Sprengstoff gefunden worden, um den sozialdemokratischen Plan einer Sprengung der Wiener Regierungsgebäude über die Kanalisation umzusetzen. Doch diesmal sollte es anders kommen: Immer mehr Teile sowohl der Christlichsozialen als auch der Sozialdemokraten wollten es auf eine Machtprobe ankommen lassen.

Einer jener Sozialdemokraten, die von der eigenen Parteiführung ein viel energischeres Auftreten gegen die Unterdrückung durch Dollfuß verlangten, war der Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek. Er wusste am 11. Februar, dass am nächsten Tag Razzien zu erwarten waren und wollte diese nützen, um „gewaltsamen Widerstand“ zu leisten - „und in Fortsetzung des Widerstandes zum Angriff“ überzugehen, wie er an jenem Tag an die Parteiführung in Wien schrieb. Wien kabelte eilends in einem Codetelegramm zurück, das jedoch nie ankam.

„Onkel Otto und die Tante“ wollen keine „Operation“
Die Wiener Parteileitung wollte Bernascheks Plan, über eine „provozierte“ Waffensuche und nachfolgende Verhaftungen in Linz einen österreichweiten Arbeiteraufstand und Generalstreik auszulösen, verhindern. Die Parteiführer Otto Bauer und Julius Deutsch rieten als „Onkel Otto“ und „die Tante“, mit der „Operation“ noch zuzuwarten: Am Montag - dem 12. Februar - werde ein „Ärztekonsilium“ stattfinden. Das Telegramm wurde jedoch abgefangen und führte die Exekutive zielgenau zu Bernascheks Versteck im Linzer Hotel Schiff.

Hätte die Linzer Polizei wie anfangs geplant im Linzer Parkbad nach Waffen gesucht, wäre die Razzia vielleicht ausgegangen wie viele andere davor. So aber trafen sie auf Bernaschek, es kam zum Schusswechsel, weitere oberösterreichische Arbeiterverbände schlugen los, Wiener schlossen sich an. Dollfuß reagierte mit absoluter Härte: Er ließ Gemeindebauten in Wien unter schweres Artilleriefeuer legen und ließ Schutzbündler - darunter den bereits tödlich verwundeten Karl Münichreiter - standrechtlich am Würgegalgen hinrichten.

In grober Fehleinschätzung vereint
Dass das ständestaatliche Regime reagierte, wie es reagierte, hatte wohl auch mit einer groben Fehleinschätzung der Lage zu tun. Offenbar glaubten Dollfuß und seine Gesinnungsgenossen an den Beginn genau jenes österreichweiten Arbeiteraufstandes, dem man bei der sozialdemokratischen Parteiführung keine Chance eingeräumt hatte. Dazu mag beigetragen haben, dass von einem Generalstreik zwar keine Rede war, aber zumindest in Wien die Stromversorgung - und damit weite Teile der Kommunikation - für alle Beteiligten lahmgelegt waren.

Die Machthaber hatten damit ein ebenso falsches Bild von der Lage wie die sozialdemokratischen Parteiführer Bauer und Deutsch, die noch am 12. Februar in die Tschechoslowakei flüchteten. Tatsächlich beschränkte sich der Bürgerkrieg auf Teile Oberösterreichs, der Steiermark und Wiens. In allen anderen Bundesländern blieb es größtenteils ruhig, die Vorarlberger Sozialdemokraten lehnten die Kampfaufrufe ebenso dezidiert ab wie die Kärntner, wo es aus Protest gegen den Alleingang der Oberösterreicher und Wiener sogar zu prominenten Parteiaustritten kam.

„Am besten, ihr kauft eine ausländische Zeitung“
Als berechenbare Größe erwies sich zudem die österreichische Gleichgültigkeit. Autor Stefan Zweig räumte in seinen Lebenserinnerungen ein, er habe vom „Selbstmord der österreichischen Unabhängigkeit (...) nichts gesehen“: „Es wurde mit Kanonen geschossen, es wurden Häuser besetzt, es wurden Hunderte von Leichen weggetragen - ich habe nicht eine einzige gesehen.“ Es habe nur das Gerücht gegeben, „in den Vorstädten gehe etwas vor“.

Später sei Zweig von Freunden „mit Fragen bestürmt“ worden, was eigentlich in Wien geschehen sei. „Und ich, der ich doch der ‚Augenzeuge‘ der Revolution gewesen, mußte ihnen ehrlich sagen: ‚Ich weiß es nicht. Am besten, ihr kauft eine ausländische Zeitung.‘“ Tatsächlich titelte das „Prager Tagblatt“ am 13. Februar mit „Entscheidungsstunde in Oesterreich“, während das sozialdemokratische Wiener „Kleine Blatt“ tags zuvor zwar von Feys „interessanter“ Rede berichtet hatte, sich sonst aber auf Sportereignisse konzentrierte und da befand: „In Wien nicht viel los.“
Lukas Zimmer, ORF.at
Text u. Bilder: http://orf.at/stories/2323650/2215921/

1. Engelbert Dollfuß besucht Benito Mussolini am Strand
2. Heimwehr-Barrikaden auf dem Wiener Schwarzenbergplatz
 

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josef

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#15
"Anhaltelager" Wöllersdorf

Im Jahre 1933 richtete die Regierung des österreichischen Ständestaates in einigen Hallen der Wöllersdorfer Werke ein sogenanntes Anhaltelager ein. Darin wurden Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten als "Regimefeinde" inhaftiert. Das Lager wurde vor dem Einmarsch bzw. Anschluss ans Deutsche Reich 1938 aufgelöst.



Ein Lager als Bumerang für ein Regime

Der Umgang mit der eigenen Geschichte ist für Österreich alles andere als selbstverständlich. Das gilt besonders für die Erste Republik und das Scheitern der Demokratie ab 1933. Eine gemeinsame Sprache für die Zeit von 1933 bis 1938 gibt es nicht. Aber es gibt zentrale Erinnerungs- und Symbolorte wie das Anhaltelager Wöllersdorf. Für alle politischen Gruppen spielt es eine Rolle in der eigenen Erinnerungskultur. Eine große, systematische Untersuchung zu Wöllersdorf fehlte lange. Jetzt zeigt die Arbeit einer jungen Historikerin, wie sehr Wöllersdorf auch zum Bumerang für das Ständestaat-Regime wurde.

Der heikle Umgang mit einem Lager
„Österreich fehlt eine gemeinsame Sprache zu seiner Geschichte.“ Das konstatiert die Historikerin und Provenienzforscherin Pia Schölnberger, die gerade eine große Arbeit über das Anhaltelager Wöllersdorf des Dollfuß-Regimes vorgelegt hat. „Jeder in Österreich weiß, was Wöllersdorf war“, sagt sie im Gespräch mit ORF.at, und doch zerfielen alle Narrative zu diesem zentralen Erinnerungsort mit den einzelnen Familiengeschichten.

An das Beispiel Wöllersdorf schließe sich das Narrativ einer „völkisch angehauchten“ Familienbiografie ebenso an wie das einer kommunistischen oder sozialdemokratischen. Und die Argumentation der Christlichsozialen in Bezug auf Wöllersdorf, so Schölnberger, sei eher der Apologetik geschuldet, keinen anderen Ausweg gesehen zu haben, als ein Lager zu errichten angesichts des schwelenden NS-Terrors - und dabei die im Lager „Angehaltenen“ dennoch gut behandelt zu haben.

Eine Tatsache sei allerdings auch, dass Bundeskanzler Engelbert Dollfuß – auch in Anlehnung an Benito Mussolinis Forderung, die österreichische Sozialdemokratie auszuschalten – bestrebt war, die linke Opposition zurückzudrängen und deren Parteien ebenso zu verbieten wie die NSDAP. So fanden sich Nationalsozialisten ebenso im Lager wieder wie Kommunisten und, infolge des Verbots der SDAP nach dem 12. Februar 1934, Sozialdemokraten.

Der Wandel des Wöllersdorf-Bildes
Zu unterschiedlichen Phasen der österreichischen Geschichte habe der „Mythos Wöllersdorf“ unterschiedliche Rollen gespielt, etwa das Wöllersdorf-Narrativ zur Zeit des NS-Regimes und dann vor allem jenes nach 1945.

„Diese Narrative betonen ganz unterschiedliche Erinnerungselemente“, erläutert Schölnberger mit Blick auf die Ergebnisse ihrer jahrelangen Forschungsarbeit. Diese hätten vor allem eine Funktion für die jeweiligen politischen Lager gehabt. „Auf der anderen Seite“, sagt sie, „gab es gerade zum Fall Wöllersdorf nach 1945 auch ein von Zeitzeugen immer wieder aufgeworfenes Fraternisierungsmoment.“ Denn Wöllersdorf konnten sowohl nationalsozialistische als auch linksoppositionelle Häftlinge auch als eine gemeinsame Erfahrung begreifen.

„Man konnte daran anknüpfen, und gleichzeitig finden wir Erzählungen darüber, dass so manchen Widerstandskämpfer während des Nationalsozialismus die Bekanntschaft aus Wöllersdorf gerettet habe, etwa, weil man einen späteren Gestapo-Mann möglicherweise aus Wöllersdorf kannte“, erläutert Schölnberger.

In Wöllersdorf konnte sich auf der einen Seite die größte Feindschaft verfestigen, so die Historikerin, weil man einander politisch diametral gegenüberstand, „auf der anderen Seite war man ja zu einem gemeinsamen Alltag im Nichtstun und dem Warten auf ein Ende der oft ungewiss langen Haft gezwungen – das kann auch verbinden“. Im Gegensatz zu den Konzentrationslagern Hitler-Deutschlands herrschte für die Häftlinge in Wöllersdorf keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben.

Wöllersdorf und die Rechtsgrundlagen
Für ihre Arbeit hat Schölnberger nicht nur Erinnerungsberichte samt allen Stilisierungen und Brüchen zu dem Lager, das zur Ausschaltung der politischen Gegner des Ständestaates ab 1933 installiert wurde, gesichtet, sondern sich eingehend mit den rechtlichen Grundlagen und Hintergründen der Internierungen beschäftigt.

Mit der „Anhalteverordnung“ wollte man ein Instrument schaffen, Oppositionelle vorbeugend zu internieren, erläutert sie und fügt mit Blick auf die Anhaltepraxis hinzu: „Wenn man sich jedoch den Vollzug der Verordnung ansieht, dann handelte es sich in der Regel um einen verlängerten Freiheitsentzug für eine bereits verhängte Strafe. Die Betroffenen habe man, so erläutert Schölnberger, aufgrund eines politisch motivierten Delikts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; der eigentliche Tatbestand wurde dabei möglicherweise auch erst vom Regime geschaffen, indem man eine Ausnahmegesetzgebung mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 etabliert habe.

Die Verordnung sprach hier von „staatsfeindlichen und sonstigen die öffentliche Sicherheit gefährdenden Handlungen“, so die Historikerin: „Und sobald ihre Entlassung aus dem Gefängnis anstand, bekamen sie den Anhaltebescheid und wurden ins Lager überstellt.“ Somit habe man die Freiheitsstrafe eigentlich um einige Monate, bei Wiederholungstätern auf unbestimmte Zeit verlängert. Anders gestaltet habe sich das für Hunderte Sozialdemokraten, „die aufgrund der Februar-Kämpfe des Jahres 1934 allein aufgrund der Tatsache, vor dem Parteiverbot ein Mandat für die SDAP innegehabt zu haben, monatelang im Lager interniert wurden“.

Wöllersdorf als Synonym für das Ständestaat-Regime
Das im Oktober 1933 auf dem Gelände der ehemaligen k. u. k. Munitionsfabrik Wöllersdorf eingerichtete Lager wurde zum Synonym für das System der „Anhaltung“ der Ständestaat-Diktatur (1933-1938). Um sich von dem ein halbes Jahr zuvor von den Nationalsozialisten installierten Konzentrationslager Dachau bei München abzugrenzen, suchte das Dollfuß-Regime einen anderen Begriff als den ab Ende des 19. Jahrhunderts in Kuba aufgekommenen Namen „campos de concentracion“. Man einigte sich auf das Synonym für festnehmen, verhaften: Anhaltung. Fast 73 Prozent der Inhaftierten in Wöllersdorf waren Nationalsozialisten. Die Möglichkeit der „Anhaltung“ ohne richterlichen Befehl und auf bloßen Verdacht hin wurde in Österreich am 23. September 1933 geschaffen.

Sozialstruktur im Lager
Die Sozialstruktur im Lager Wöllersdorf wurde auch in einem 2014 abgeschlossenen Forschungsprojekt durch den Historiker Kurt Bauer untersucht, der die Daten von 11.500 Personen ermittelte, die in Wöllersdorf und anderen Lagern des Regimes „angehalten“ wurden. Bauer schätzt die Zahl auf rund 12.000 bis 14.000 Anhaltehäftlinge. 72,79 Prozent der Anhaltehäftlinge entfallen auf die Gruppe der Nationalsozialisten und 27,21 Prozent auf Sozialdemokraten und Kommunisten.

Den deutlichen Überhang NS-Inhaftierter erklären Historiker als Reaktion auf den nationalsozialistischen „Juli-Putsch“ 1934, dem ja auch Dollfuß zum Opfer fiel. Nach den Rechercheergebnissen von Bauer habe man Nationalsozialisten im Schnitt etwas länger festgehalten (dreieinhalb Monate gegenüber Kommunisten mit drei Monaten). Nach dem Juli-Abkommen 1936 und der österreichischen Annäherung an Nazi-Deutschland wurden mehr Linke als Nationalsozialisten in Haft genommen. Der Hauptteil der Inhaftierungen in Wöllersdorf entfällt auf das Jahr 1934.

„Beweis für Scheitern des Dollfuß-Regimes“
Historikerin Schölnberger kommt auf politischer Ebene zu dem Schluss, dass sich gerade am Beispiel Wöllersdorf zeige, wie kurzfristig geplant bzw. vor allem wenig durchdacht viele Maßnahmen des Dollfuß-Regimes letztlich gewesen seien: „Wöllersdorf war der Beweis für das Scheitern dieses Regimes.“ Das könne man aus den erhaltenen amtlichen Dokumenten und aus den Erinnerungsstücken zu Wöllersdorf rekonstruieren.

Eine Reihe von Erinnerungsberichten stimmten darin überein, „dass sie als bessere Nationalsozialisten, bessere Kommunisten oder bessere Sozialisten aus dem Lager gekommen sind“, einfach, weil sie dort auch eine Gemeinschaft vorgefunden hätten, die die eigene Gesinnung gestärkt habe. „Die Häftlinge wurden in der Regel nach politischer Orientierung monatelang gemeinsam in riesige Schlafsäle gesperrt“, so Schölnberger. Und, so erinnert sie, das Lager sei für das Regime auch ökonomisch sehr teuer gewesen. Am Ende habe es aus relativ teuren Ausbaustufen bestanden, die gar nicht mehr genutzt wurden.

Trotzdem warnt die Historikerin vor allen Beschönigungsansätzen rund um das Lager und das Dollfuß-Regime nach dem Motto „Alles halb so schlimm im Vergleich zu all dem, was danach kam“: „Es bleibt ein Regime, das Grundrechte wie jenes des Schutzes der persönlichen Freiheit ausgeschaltet hat und in dem Elemente einer Diktatur verwirklicht wurden.“

Gerald Heidegger, ORF.at
http://orf.at/stories/2323650/2323657/
 

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#16


St. Pölten: 85 Jahre nach dem Bürgerkrieg
Im Februar 1934 herrschte Bürgerkrieg in Österreich, auch in St. Pölten. Es war der Kampf zwischen dem Regime Dollfuß und dem republikanischen Schutzbund. Am Dienstag erinnerte man sich bei einer Gedenkveranstaltung.
Im Februar 1934 kam es auch in St. Pölten zu blutigen Kämpfen auf den Straßen. So wurden etwa in einem Haus in der Herzogenburgerstraße 90 Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes verhaftet. Kurz darauf wurden Anhaltelager eingerichtet und etwa 400 Menschen inhaftiert. Zwei davon, Viktor Rauchenberger und Johann Hoiss, wurden nach kurzem Prozess am 16. Februar 1934 gehenkt.


Stadtarchiv St. Pölten

„Es ging buchstäblich darum, die Erstbesten zu hängen, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Hoiss und Rauchenberger haben sich dafür angeboten, weil sie in eine Auseinandersetzung involviert waren, in der ein Kommandant der Heimwehr ums Leben kam“, erläuterte der Historiker Florian Wenninger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. „Man hat ihnen nicht nur den Tatbestand des Aufruhrs, sondern auch des Mordes vorgeworfen und sie ohne viel Federlesens erhängt.“

Hinrichtungen als Abschreckung
Bei der Gedenkveranstaltung am Dienstag wurden auch sehr persönliche Erinnerungen erzählt. „Einer meiner Großväter musste als Zeuge zu den Hinrichtungen in den Innenhof gehen. Das hat er ein ganzes Leben nicht verkraftet. Man hat damals ganz einfach Leute von der Straße geholt, die bei der Hinrichtung dabei sein mussten und das auch weitererzählen sollten, damit die Abschreckung funktioniert“, erzählte etwa St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ).


Stadtarchiv St. Pölten
Im Anhaltelager in St.Pölten-Harland wurden 400 Mitglieder des republikanischen Schutzbundes festgehalten

Unmittelbar nach den blutigen Februartagen kam es in ganz Niederösterreich zu etwa 7.000 Verfahren und Anklagen durch das Regime Dollfuß, nachdem das Parlament 1933 ausgeschaltet wurde. Die Historiker gehen davon aus, dass in ganz Niederösterreich 15 Menschen bei den Kämpfen getötet wurden. Die Widerstandskämpfer waren kaum untereinander verbunden und organisiert. Das führte letzten Endes dazu, dass sie keine Chance hatten, mit ihrem Widerstand erfolgreich zu sein, erklärte Wenninger.

Otto Stangel, noe.ORF.at

Publiziert am 13.02.2019
St. Pölten: 85 Jahre nach dem Bürgerkrieg
 

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#18
Österreich 1933/1934 - Ausstellung in der "Wienbibliothek im Rathaus":


Minutiös geplant und schrittweise umgesetzt - der Schritt in die Diktatur
15 Jahre kurz war die Zeit der Demokratie nach 1918. Noch kürzer dauerte ihre Zerstörung, minutiös geplant und schrittweise umgesetzt, von März 1933 bis Februar 1934. Was für die einen das Ende ihrer Ideale von Freiheit und Gleichberechtigung bedeutete, begrüßten andere als Wiedererrichtung einer „althergebrachten und gottgewollten Ordnung“.
Das Ziel war von Anfang an klar: die Zerstörung der Demokratie. Den Auftakt dazu bildete die Ausschaltung des Parlaments im März 1933. Danach lief alles wie nach Drehbuch ab. Regie führte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Bereits Anfang April log er bei einer Rede vor dem katholischen Männerverein in Wien: „Nichts ist bezeichnender für die innere Morschheit der gegenwärtigen Form des Parlamentarismus, als dass der Streit um einen Stimmzettel das ganze Parlament lahmlegen konnte.“ In Wahrheit hatte Dollfuß selbst der Polizei den Befehl gegeben, das Wiederzusammentreten des Parlaments mit Waffengewalt zu verhindern.

Bundeskanzler Dollfuß bei einer Rede am 11.09.1933 am Wiener Trabrennplatz
Ernst & Hilscher / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Europaweit standen Demokratien unter Druck. In Deutschland regierte seit Jänner 1933 Adolf Hitler, in Italien seit 1922 Benito Mussolini. Die Weltwirtschaft war in der Krise, die Arbeitslosenzahl erreichte 1933 den Höhepunkt mit mehr als 25 Prozent. Die Selbstmordrate stieg stark an. Im November 1933 vergifteten sich in Wien-Meidling ein Kellner und seine Lebensgefährtin mit Holzkohlengas. Als Motiv nannten die Zeitungen „Arbeitslosigkeit und bitterste Not“.

Umsturz von oben
Dollfuß setzte vor diesem Hintergrund in wenigen Monaten Schritt für Schritt das Szenario eines Umsturzes von oben um, die Abschaffung der Demokratie durch eine ursprünglich demokratisch gewählte Regierung. Ein revolutionärer Kampf auf der Straße war nicht notwendig, der „System Change“ von Demokratie zu Diktatur konnte mit Hilfe bürokratischer Verordnungen erreicht werden, unter Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917.

Lebensläufe am Ende der Demokratie
Viele demokratisch gesinnte Menschen wollten lange nicht wahrhaben, woran die Regierung unter Dollfuß kompromisslos arbeitete: das Ende der Demokratie. Einer von ihnen war Karl Farkas, der am 1. Mai 1933 bei der sozialdemokratischen Maifeier im Arbeiterheim Ottakring auftrat. Öffentliche Versammlungen oder Aufmärsche waren bereits verboten. 1938 flüchtete Farkas über Paris in die USA. 1946 kehrte er nach Wien zurück.

1. Mai 1933: Statt des Maiaufmarsches im Roten Wien ein „Maispaziergang“ hinter Stacheldraht
Hilscher, Albert / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Viele Österreicherinnen und Österreicher wie Farkas versuchten, den Weg Österreichs in die Diktatur aufzuhalten. Letztlich erfolglos. Für sie war das, was zwischen März 1933 und Februar 1934 geschah, der Beginn jahrelanger Unterdrückung, Ausgrenzung und Verfolgung.

Ferdinand Meyer war Sekretär des Freidenkerbundes, eines Vereins zur Vertretung konfessionsloser Menschen im katholisch geprägten Österreich. Meyer war verheiratet und hatte eine Tochter. In der Wirtschaftskrise wurde er zwar 1932 vom Freidenkerbund gekündigt, danach aber wegen Flugblättern, die nie verteilt worden waren, unter dem Vorwurf der Blasphemie vor Gericht gestellt. Nach seiner Verurteilung beging Ferdinand Meyer im Mai 1933 Suizid.

Faktor Massenarbeitslosigkeit
Die Sozialwissenschaftlerin Käthe Leichter verlangte im November 1933 als „beste Abwehr“ des Faschismus die Entfachung „sozialistischer Leidenschaften“. Sie kritisierte damit die defensive Haltung der Sozialdemokratie. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmete sie sich den Lebensverhältnissen arbeitender Frauen unter den Bedingungen von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Nach dem Bürgerkrieg 1934 flüchtete Leichter für einige Monate in die Schweiz. Danach setzte sie den Widerstand in Österreich fort. 1938 wurde sie von der Gestapo verhaftet, 1940 ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert und im März 1942 ermordet.

Bürgerkrieg im Februar 1934: Mit Artillerie und Maschinengewehren schoss das Bundesheer auf Gemeindebauten
Fritz Zvacek

Maria Jahoda war eine der Autorinnen der bahnbrechenden soziologischen Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, erschienen im Frühjahr 1933. Die Studie dokumentiert die dramatischen psychologischen und soziologischen Folgen der Arbeitslosigkeit Anfang der Dreißigerjahre in Österreich. Jahoda emigrierte später nach Großbritannien und schließlich in die USA.

Die Auflösung des Freidenkerbundes wurde unter anderem mit einer Rede der sozialdemokratischen Reformpädagogin Stefanie Endres begründet, in der sie 1932 dazu aufforderte, dafür zu sorgen, „dass auch Frauen in Zukunft das Licht nicht mehr in Form einer Kerze bei verschiedenen Anlässen in der Hand, sondern ständig im Kopfe trügen“. Endres wurde nach dem Februar 1934 als Leiterin der Frauengewerbeschule der Stadt Wien abgesetzt und in den Ruhestand versetzt.

Zeitplan
  • 15. März 1933 – Regierung verhindert mit Polizeigewalt das Zusammentreten des Nationalrats
  • 31. März 1933 – Verbot des Republikanischen Schutzbundes
  • 1. Mai 1933 – Verbot von Aufmärschen und Versammlungen
  • 10. Mai 1933 – Verbot von Wahlen
  • 23. Mai 1933 – Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes
  • 26. Mai 1933 – Verbot der Kommunistischen Partei Österreichs
  • 12. Juni 1933 – Verbot des Freidenkerbundes
  • 19. Juni 1933 – Verbot der Nationalsozialistischen Partei Österreichs
  • 10. November 1933 – Verhängung des Standrechts und Wiedereinführung der Todesstrafe
  • 12. Februar 1934 – Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs
  • 12.-15. Februar 1934 – Februaraufstand/Bürgerkrieg

Bürgerkrieg im Februar 1934: Straßensperren in der Wiener Innenstadt
Fritz Zvacek

Engagement für die Demokratie
Nach Wiedereinführung der Todesstrafe wurde als erstes Opfer der Taglöhner Peter Strauß im Jänner 1934 in Graz hingerichtet, für das Anzünden eines Holzschuppens eines Bauern bei Leibnitz. Das Gericht hatte einstimmig eine Begnadigung befürwortet, Justizminister Kurt Schuschnigg aber die Weiterleitung des Gnadengesuchs an den Bundespräsidenten verweigert. Strauß wurde am Würgegalgen hingerichtet, für viele ein Beispiel für „Klassenjustiz“ gegen die „kleinen Leute“.

Spottvers:
Bauernbuam, bringts Menscha um,
da Miklas schickt d’Begnadigung.
Zünds oba jo kan Stadl an,
weil dann kemmts dran!
Der Juwelier Norbert Samuel Futterweit wurde am 12. Juni 1933 durch ein nationalsozialistisches Bombenattentat ermordet, einer der Auslöser des Verbots der NSDAP am 19. Juni 1933. Die Attentäter waren die Nationalsozialisten Josef Kreil und Hans Thayer. Kreil gelang die Flucht nach Deutschland, Thayer kam mit vier Jahren Kerker davon. Futterweits Witwe Anna und seinem Sohn Peter gelang 1938 auf unterschiedlichen Wegen die Flucht in die USA.

Wenige Namen für die vielen, die man nennen könnte als Opfer der langen Jahre der Diktatur, von 1933 bis 1938 in Österreich, bis 1945 im Dritten Reich. Die Überlebenden begannen danach nicht nur mit dem materiellen Wiederaufbau, sondern noch wichtiger mit der Wiedererrichtung der Demokratie, in den staatlichen Strukturen Österreichs und in allen Bereichen der Gesellschaft. Heute ist die Demokratie gefestigter, als sie es 1933 war – in Österreich. Internationale Beispiele der letzten Jahre zeigen aber, dass Demokratie auch heute nichts Selbstverständliches ist, sondern Engagement, Festigung und manchmal Verteidigung braucht.
10.06.2023, ORF TV Wissenschaft Robert Gokl für ORF Topos

Ausstellungshinweis:
Die Ausstellung „Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934“ der Wienbibliothek im Rathaus dokumentiert noch bis zum 16. Februar 2024 die Umwandlung Österreichs in einen autoritären Staat mit faschistischem Zuschnitt – keineswegs plötzlich, sondern schrittweise, stets unter dem Anschein der Legalität, in Wahrheit aber unter ständigem Bruch der Verfassung. „In Ruhe und Ordnung“ wurden so Parlamentarismus, Sozialstaat, Grund- und Freiheitsrechte, Verfassung und das Rote Wien ausgehebelt. Für Bernhard Hachleitner und Werner Michael Schwarz, die Kuratoren der Ausstellung, ist klar: „Der Bürgerkrieg war nicht der Beginn, sondern der Endpunkt der Zerstörung der Demokratie in Österreich.“

Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett, 1010 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6, 1. Stock,
Montag bis Freitag, 9.00 bis 19.00 Uhr
Link:
ORF Topos
 

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#19
1934
Der Bürgerkrieg kommt über den Äther
Vor genau 90 Jahren stellte der Bürgerkrieg den blutigen Höhepunkt auf dem Weg zum Ende der Ersten Republik dar. Nach drei Tagen der Kämpfe waren mehr als 300 Todesopfer zu beklagen. Die Menschen hatten nur wenige Informationsquellen zur Verfügung, neben den zwangsläufig langsamen Zeitungen gab es den schnellen Rundfunk. Dieser spielte während der Februar-Kämpfe eine bedeutende Rolle: Fast in Echtzeit wurde die Bevölkerung auf dem Laufenden gehalten – und beeinflusst.
„Noch nie hat die Bevölkerung einer großen Stadt, die Bevölkerung eines weiten Landes, mit solcher Hingebung, mit solcher Inbrunst dem Rundfunk gelauscht“, schrieb die Programmzeitschrift „Radiowelt“. Kein Wunder, vor Kurzem war in Österreich der Bürgerkrieg ausgebrochen. Wieso, was geht vor sich, was ist passiert? Darüber informierten sich die Österreicherinnen und Österreicher freilich im Radio.

Und das feuerte seine Nachrichten aus allen Rohren in den Äther. In den Morgenstunden des 12. Februar 1934 hatte die Polizei das sozialdemokratische Parteisekretariat in Linz, das Hotel Schiff, nach Waffen durchsucht. Dort kam es schnell zum Äußersten: Die Mitglieder des bereits verbotenen Republikanischen Schutzbundes unter ihrem oberösterreichischen Anführer Richard Bernaschek eröffneten das Feuer auf die Exekutive.


Dollfuß erklärte unter Jubel bei seiner „Trabrennplatzrede“, wohin Österreichs Weg gehen solle
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Durch Wien rollten die Panzerautos. Das Heer beschoss die Gemeindebauten sogar mit Artillerie.
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Überall war man auf der Suche nach versteckten Waffen
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Schusswarnungen in Wien: Die Kämpfe breiteten sich rasch auf die Hauptstadt aus
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Die Razzia im Parteibüro Hotel Schiff gilt als Funke, der zum Bürgerkrieg führte
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Der Karl-Marx-Hof in Wien ist heute noch ein Symbol für Österreichs Bürgerkrieg

Die brutale Atmosphäre war nicht über Nacht entstanden. 1927 hatte das Urteil von Schattendorf schon gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten nach sich gezogen. 1933 schaltete Kanzler Engelbert Dollfuß das Parlament aus und regierte auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes per Verordnung.

Die noch erlaubten Parteien wurden verboten. Im September erläuterte Dollfuß bei seiner „Trabrennplatzrede“ in der Wiener Krieau, wie der Umbau zum angestrebten Ständestaat angepackt werden solle und wieso Parteienherrschaft und Parlamentarismus gescheitert seien.

Razzia in Linz
Die Repressionen gegen Sozialdemokraten und ihren paramilitärischen Arm, den Republikanischen Schutzbund, verstärkten sich bis zur Razzia im Linzer Hotel Schiff. Die Kämpfe griffen rasch auf angrenzende Teile der Linzer Innenstadt über, nur wenig später erreichten sie die Industrieregionen Oberösterreichs und der Steiermark und schließlich auch Wien.

Heer, Polizei und paramilitärische Gruppen der faschistischen Heimwehren kämpften mit voller Härte gegen die Schutzbündler an, in Wien beschoss das Heer Gemeindebauten sogar mit Artillerie. Drei Tage lang dauerte der Bürgerkrieg in Österreich, mehr als 300 Menschen starben, rund 800 wurden verletzt.


Wien 1934, als Österreicher gegen Österreicher kämpften. Die Geschütze sind auf den Karl-Marx-Hof gerichtet.
Foto: Picturedesk / ÖNB-Bildarchiv

Das ausgeschaltete Parlament
Im Frühjahr 1933 kam es bei einer Abstimmung über Eisenbahnergehälter zum Patt im Parlament, die Folge war eine Geschäftsordnungskrise samt taktischen Rücktritten der drei Parlamentspräsidenten. Niemand konnte die Sitzung ordnungsgemäß fortführen. Das nutzte Kanzler Dollfuß unter Einbindung der Polizei, um eine Wiederaufnahme und das neuerliche Zusammenkommen der Abgeordneten zu verhindern. De facto war damit die parlamentarische Demokratie abgeschafft. Dollfuß’ Regierung sprach fortan von der „Selbstausschaltung“ des Parlaments. Sie verbot sukzessive die anderen Parteien und errichtete eine ständestaatliche Diktatur. Noch heute sind die Begriffe „Austrofaschismus“ und „Kanzlerdiktatur“ Gegenstand öffentlicher Debatten.

Am 15. Februar wurde der Aufstand endgültig niedergeschlagen, neun Schutzbündler wurden zum Tode verurteilt und Hunderte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kamen hinter Gitter. Auch wurden ihnen ihre Abgeordnetenmandate aberkannt, die Opposition war de facto nicht mehr existent.

Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, erließ die Regierung Dollfuß die ständisch-autoritäre Verfassung. Die Früchte seines Staatsumbaus erlebte Dollfuß nicht mehr. Beim Putschversuch am 25. Juli 1934 wurde er vom Nationalsozialisten Otto Planetta ermordet.

Lebenswichtige Informationen
Vor der Haustüre Panzer und Schüsse, ein Bürgerkrieg mit unabsehbaren Folgen. Sorge und Hilflosigkeit in einer ohnehin politisch turbulenten Zeit machten sich breit. Sich zu informieren wurde überlebenswichtig, doch die Zeitungen konnten der Geschwindigkeit der Ereignisse nicht folgen.
Auf dem Titelblatt der letzten Ausgabe der „Arbeiterzeitung“ am 12. Februar wurde über einen Generalstreik in Frankreich berichtet, die „Kronen Zeitung“ meldete einen „grandiosen Fußballsieg in Turin“ und gab mit einem „Gschnaslexikon“ Aufschluss über die Gepflogenheiten auf dem Faschingsfest im Künstlerhaus. Allein das „Linzer Volksblatt“ berichtete schon am 12. Februar über die Schießereien im Hotel Schiff und verkündete bereits das Standrecht für Oberösterreich.

Im Visier der Politik
Der Rundfunk füllte die Informationslücke schon vor 90 Jahren aus. Erst im Frühjahr 1933 waren der Großsender Bisamberg und der provisorische Sender Vorarlberg in Betrieb genommen worden. Danach folgte der rasche Aufbau der Sender der Radio-Verkehrs AG (RAVAG), der Vorgängerin des ORF.

Die große Hürde für deren Unabhängigkeit stellte der Ständestaat dar: „Der autoritäre Kurs bemächtigte sich des Instruments Rundfunk und begann es für seine Zwecke zu nutzen“, so der publizistische Pionier Viktor Ergert in „50 Jahre Rundfunk in Österreich Band I (1924–1945)“. Als einziger Rundfunksender sei die RAVAG mit ihrem christlichsozialen Präsidenten Anton Rintelen, der enge Kontakte zur Heimwehrbewegung pflegte, prädestiniert für eine Machtdemonstration gewesen.

Ein Generalstreik in Frankreich war auf dem Titelblatt der letzten Ausgabe am 12. Februar. Danach erschien das Blatt als Exilzeitung.
ÖNB/ANNO
Auch die „Krone“ berichtete am 12. noch nicht. Thema waren Fußball und Fasching.
ÖNB/ANNO
Nur das „Linzer Volksblatt“ berichtete bereits am 12. von den Kämpfen. Es war näher am Hotel Schiff dran.
ÖNB/ANNO

Blick nach Berlin
Zu dem Zeitpunkt hatte die Regierung schon eine eigene Nachrichtenstelle eingerichtet, ebenso wie eigene RAVAG-Sendungen wie „Zeitfunk“, in der Reden und Kundgebungen übertragen wurden. „Mit der Ausschaltung des Parteienwesens darf und muß auch der Rundfunk vom Staate zu seinen Zwecken in erhöhtem Maße herangezogen werden“, so zitiert Ergert den damaligen Justizminister Kurt Schuschnigg. Die RAVAG sollte das meinungsbildende Instrument der austrofaschistischen Regierung sein.

Die Verantwortlichen hätten sich nicht an Amerika orientiert, wo der Rundfunk vor allem der Reklame und Unterhaltung diente, so der Historiker Maximilian Brockhaus zu ORF Topos. Man blickte stattdessen auf das Deutsche Reich. Die Aufgabe der RAVAG sollte sein, „zu bilden und zu belehren, zu unterhalten und im Ausland für das geistige und kulturelle Niveau des heutigen Österreich und seiner Bewohner Propaganda zu machen“, wie der RAVAG-Jahresbericht auswies.

Dienst am Volk
Nachrichten politischen Charakters unterlagen der Kontrolle der Regierung und beschränkten sich auf Meldungen der im Schatten des Staates stehenden Amtlichen Nachrichtenstelle, so Brockhaus. Rudolf Henz, damals Direktor der wissenschaftlichen Abteilung der RAVAG, schrieb 1933 in der Programmzeitung „Radio Wien“, in diesen Zeiten des politischen Umbruchs müsse der Rundfunk dringend auf neue Bahnen gedrängt werden.
Reine Unterhaltung, „zeitferne Kunst und lebensfremde Bildungsarbeit“, die das Programm geprägt hatten, würden den Umständen nicht mehr gerecht. Der Rundfunk habe einen Dienst am Volk zu verrichten, vorgegeben und angeleitet durch eine eindeutige politische Linie „von den Vorkämpfern des Vaterlandes“.

Sprachrohr, „das überall hindrang“
„Immer wieder, in Intervallen von wenigen Minuten, meldete sich Radio Wien und meldete was vorging, forderte die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren, sich durch keinerlei wilde Gerüchte irreleiten zu lassen, und spendete Trost allen jenen, die in den Stunden der Not kleinmütig geworden waren.“

„Die Männer der Regierung, vom Bundeskanzler angefangen, traten vors Mikrophon, auf diese Weise den Rundfunk zu ihrem Sprachrohr an die Bevölkerung zu machen, das einzige, das es durch lange Stunden gab, das überall hindrang, auch in die von den Truppen abgesperrten Häuser“, berichtete atemlos die zweite Programmzeitschrift, „Radiowelt“. Die Ausgaben der „Radiowelt“ und der RAVAG-eigenen „Radio Wien“ werden vom Dokumentationsarchiv Funk in Wien gehütet. Die Einrichtung ist ein gemeinnütziger Verein, der mit Unterstützung des ORF die Zeugnisse der heimischen Mediengeschichte digitalisiert, archiviert und aufbereitet.

Technische Herausforderungen
Über die Februar-Kämpfe wurde umfangreich berichtet, wie Christoph Hubner vom Dokumentationsarchiv Funk herausfand. Allein im Februar 1934 widmeten sich – zusätzlich zu aktuellen Nachrichten – 13 von 23 Ausgaben der RAVAG-Sendungen „Zeitfunk“ und „Stunde des Heimatdienstes“ dem Aufstand.

Schon zu Beginn der Februar-Kämpfe war der Strom teils großflächig ausgefallen, die RAVAG aber sendete weiter. Man schickte Techniker zu den Sendern des Rosenhügels, des Stubenrings und zum dritten Wiener Reservesender, um im möglichen Falle eines Überfalls auf den Sender Bisamberg weiterhin senden zu können.

An die Hörerinnen und Hörer ging die Aufforderung hinaus, „sich entweder der alten Batterieempfänger oder der Detektorapparate zu bedienen und diese Mitteilung, wie alle Radionachrichten, den ihnen bekannten Besitzern von Netzanschlußgeräten mitzuteilen. Überall wurden die alten Detektorapparate hervorgeholt oder bei den Radiohändlern gekauft, denn es gab wohl kein Haus, dessen Bewohner nicht fieberhaft den Rundfunknachrichten lauschten“, so berichtete „Radio Wien“.

Appelle im Minutentakt
Die Programme wurden umgestellt, teils weil Beteiligte sich den Weg durch die Kämpfe nicht bahnen konnten, teils wegen der Nachrichtenlage. „So wußte jeder bereits in den Nachmittagsstunden des 11. Februar, daß der Bahnverkehr ungestört sei, war jeder von der Verkündung des Standrechtes wegen Verbrechens des Aufruhrs in den meisten Bundesländern verständigt und kannte auch die Folgen dieser Verfügung für das öffentliche Leben“, so der Tätigkeitsbericht.

Zudem wurde verkündet, dass Kinder nicht mehr in die Schulen zu gehen haben, und es ergingen Aufrufe an die Eisenbahner und Mitglieder der vaterländischen Verbände, sich an den Regierungsaktionen zu beteiligen. Frauen und Kinder von Schutzbündlern wurden aufgerufen, Waffen abzugeben. Abends folgten Nachrichten, die den Willen der Regierung zum Niederschlagen der Revolte betonten, und zudem der Beschluss zur Auflösung der Sozialdemokratischen Partei.

Überstunden in der RAVAG
„Bis 2 Uhr morgens gab es keinen Augenblick der Pause. Der ruhige gleichmäßige Gang der Sendungen, Bericht auf Bericht, unterbrochen von Programmdarbietungen, gab allen Hörern die Gewißheit, daß nur eine bewaffnete Parteitruppe sich gegen den österreichischen Staat erhoben hatte, während die gesamte Bevölkerung ohne Unterschied mit aller Kraft danach bestrebt war, das Leben in geordneten Bahnen weiterzuführen.“
Auch die RAVAG versuchte, ein Gefühl der Normalität zu transportieren, etwa indem man eine Schallplattenaufzeichnung des „Barbier von Sevilla“ sendete.

In den Folgetagen begann die Belegschaft der RAVAG zwei Stunden früher als gewöhnlich mit dem Programm und beendete es erst um 2.00 Uhr früh. Nach und nach war eine Beruhigung der Lage erkennbar, die Straßenbahner nahmen wieder ihre Arbeit auf, in der RAVAG wurden Gerüchte über eine Vergiftung des Wiener Hochquellwassers zerstreut.

„Folgen dieser unglückseligen Taten“
Am Abend des 14. Februar wurde eine Rede Dollfuß’ zu den aktuellen Ereignissen gesendet. Darin erklärte er, die Regierung sei gezwungen gewesen, „die gesetzlichen Bestimmungen des Standrechts in Anwendung zu bringen“. Zwei Todesurteile seien bereits vollstreckt worden. Die Regierung wolle den „Verhetzten und Irregeleiteten“ die Gelegenheit zur Umkehr geben: Wer sich stelle, könne mit Pardon rechnen.
Am nächsten Tag wiederholte die RAVAG Dollfuß’ Appell, die Waffen abzugeben, zehnmal. „Tagelang spiegelten sich noch im österreichischen Sendedienst die Probleme wider, die in diesen schicksalsschweren Tagen aufgeworfen worden waren, standen noch viele Sendung in unmittelbarem Zusammenhang mit den Folgen dieser unglückseligen Taten“, so die Zeitschrift „Radio Wien“.

Versammlung um das Empfangsgerät
Wie viele Österreicherinnen und Österreicher tatsächlich auch durch den Rundfunk erreicht wurden, sei schwer zu sagen, so Hubner vom Dokumentationsarchiv Funk. Einen Monat nach den Kämpfen wurden bei der Volkszählung 6.760.044 Personen registriert, und es seien 527.295 „Rundspruchteilnehmer“ gewesen, die auch die mindestens zwei Schilling Teilnehmergebühr bezahlt hatten, so Hubner.

Im Haushalt hätten dann freilich mehrere Leute Radio gehört. Zudem habe es Geräte in Geschäften, Schulen und Gaststätten gegeben. Man könne wohl davon ausgehen, dass „in diesen dramatischen Stunden etliche Personen ihre Geräte nutzten und man auch Freunde, Verwandte, oder Nachbarn hinzuholte oder zumindest mit den Informationen aus dem Radio versorgte“, so Hubner.

„Aufholbedarf“ in der Debatte
90 Jahre später muss niemand mehr nach Nachrichtenquellen suchen, sie sind gleichsam überall. Der Rundfunk kann sich heute auf Redaktionsstatute und Gesetze beziehen, um seine Unabhängigkeit zu verteidigen. Die Debatte über die Februar-Kämpfe hingegen schwelt weiter.
Seitens der Wissenschaft sei die Epoche umfangreich aufgearbeitet worden, so Historiker Brockhaus. Doch wie man anhand jüngster Debatten, etwa über das Dollfuß-Museum, erkenne, „gibt es aber insbesondere um die Dimension der Erinnerung an das ‚Kapitel Dollfuß-Schuschnigg‘ noch Aufholbedarf“.
12.02.2024, Caecilia Smekal, für ORF Topos

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#20
1934
Bürgerkrieg und NS-Putschversuch von 90 Jahren: Was sind das für Fahrzeuge auf den Bildern?
Der blutige Schrecken geht 1934 um in Österreich: Bürgerkrieg im Februar, Putschversuch im Juli. Doch was sind das für Fahrzeuge auf den Bildern? Wir gingen der Frage nach

25. Juli 1934: ein Škoda-Panzerwagen PA-II, genannt "Schildkröte", vor dem Bundeskanzleramt.
Picturedesk/ ÖNB-Bildarchiv

Das Jahr 1934 spielt bekanntlich in der österreichischen Geschichte immer noch eine besondere Rolle. Weniger der eher jämmerliche Naziputsch am 25. Juli – tragisch genug mit Todesopfern wie dem damaligen Bundeskanzler Dollfuß –, sondern vor allem die Kämpfe vom 12. bis 15. Februar zwischen der geballten Staatsmacht und der mächtigen Sozialdemokratie, zwischen Heimwehr(en) und Schutzbund.

Es war der einzige große Auftritt von Bundesheer, Polizei, Gendarmerie und leider auch der paramilitärischen Heimwehren: der Aufmarsch einer militärisch schwachen Ersten Republik ausgerechnet gegen die sozialdemokratischen Landsleute in den Gemeindebauten von Wien, in den Industriezentren von Linz, Graz und der Obersteiermark.

Vier Jahre später, im März 1938, war davon nichts mehr zu sehen. Das damalige Regime wollte sich der Opposition entledigen, doch wir maßen uns hier nicht an, geschichtliche Hintergründe neu zu deuten, dafür gibt es Historiker mit großer Fachkompetenz.


Februar 1934: 1210 Wien, Abtransport gefangener Schutzbündler nach den Februarkämpfen durch das Bundesheer aus der Sammelstelle des Polizeikommissariats Floridsdorf. Aus Mangel an Transportkapazität wurden auch Postbusse requiriert.
Picturedesk / Archiv Seemann / Brandstaetter

Unser Thema heißt die Mobilität der damals eingesetzten Einheiten bei diesen Kämpfen, ob Bundesheer oder Polizei, die auf beiden Seiten zu schweren Verlusten führten. Mobil war, das zeigen zahlreiche Bilder aus jenen Tagen, natürlich nur die Exekutive, die Sozialdemokraten verteidigten ihre Bastionen in den Häusern, doch die Kriegserfahrungen aus dem Weltkrieg kamen ihnen hier zugute.

Wetterleuchten
Schon zwei Jahre vorher, 1931/32, rechneten die bewaffneten heimischen Kräfte mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Im Februar 1932 fand in der Steiermark bei Straßgang nahe Graz ein scharfes Schießen mit Feldhaubitzen statt, vergleichbar mit den im Februar 1934 eingesetzten Geschützen. Die "Zielvorgabe" entsprach der späteren Kanonade vom Vienna-Fußballstadion mit Zielrichtung Karl-Marx-Hof. Die Geschütze des Bundesheeres waren noch Restbestände der k. u. k. Armee aus dem Krieg, leicht modernisiert, von der Planung her vorwiegend für bespannten Vortrieb vorgesehen.

Steyr zeichnete sich aber besonders in den 1930er-Jahren durch die Entwicklung geländegängiger Fahrzeuge aus. Aus dieser Entwicklung stammte auch das Modell ADG, welches sich, wie sich zeigen sollte, gut als Zugfahrzeug für die Artillerie eignete.


Sozialistischer Februaraufstand 1934: Militär im Steyr M 640 auf dem Wiener Rathausplatz vorgefahren.
Picturedesk / ullstein

Hier kurz die technischen Daten zum Steyr M 640: Sechszylinder-Reihenmotor, 3915 cm³, 65 PS, sieben Vorwärts-, drei Rückwärtsgänge, Antrieb auf den vier Hinterrädern, 70 km/h Spitze, 300 km Reichweite, 16 Plätze.

Mannschaftstransportwagen
Der Transport der Bundesheer-Einheiten zu den Einsatzplätzen erfolgte meist mit Lastwagen, die in größerer Anzahl vorhanden waren. Drei Typen der für das Militär bestimmten Nutzfahrzeuge, intern Schnelllaster bezeichnet, stammen alle aus heimischer Produktion – von Austro-Fiat, Saurer sowie Gräf & Stift.

Eines zeichnet die eingesetzten Lastwagen aus: Das Fahrerhaus ist offen, bei Regen nur durch eine Plane abgedeckt, ähnlich wie Jahre später bei den US-amerikanischen GMC-Lkws im Zweiten Weltkrieg.


Februar 1934 in Wien: Austro-Fiat AFL bei der Verteilung von Waffen an das Bundesheer.
Picturedesk / ÖNB-Bildarchiv

Die Version AFN von Austro-Fiat verfügte über einen Vierzylinder-Reihenmotor mit 1900 cm³, 36 PS, Höchstgeschwindigkeit 70 km/h, Verbrauch um die 18 Liter auf 100 km, Nutzlast 1000 kg.

Die Variante Saurer hatte ebenfalls einen Vierzylinder-Reihenmotor, aber mit 4710 cm³, 65 PS Leistung, Antrieb hinten, vier Gänge vorwärts, Top-Speed 69 km/h, Verbrauch 22 Liter auf 100 km.

Fotos zeigen, wie diese Fahrzeuge nicht nur Soldaten, sondern auch Ausrüstung an die Einsatzorte transportierten. Vom Nutzfahrzeug AFN wurde unter der Bezeichnung AFL ein kleiner Lastwagen mit 1,25 Tonnen Nutzlast und 27 PS entwickelt und ab 1931 auch an das Bundesheer geliefert.


Mannschaftstransporter der Wiener Polizei in den 1930er-Jahren.
Polizeimuseum

In dem Zusammenhang spielt der sogenannte Juliputsch eine Rolle. Die NS-Verschwörer, als Soldaten des Bundesheers verkleidet, benützten für die Fahrt zum Bundeskanzleramt auch so ein Fahrzeug. Es überlebte den Zweiten Weltkrieg, landete in einer Sammlung und wurde vor Jahren angeblich an das Heeresgeschichtliche Museum in Wien verkauft, noch mit dem originalen Kennzeichen von 1934, ist aber derzeit unauffindbar.

Die Ereignisse im Februar 1934 bedeuteten nicht nur für das Bundesheer, sondern auch für die Wiener Polizei eine verzwickte Angelegenheit. Eine "Star"-Rolle spielten damals die drei Radpanzer der Marke Škoda. Ursprünglich von Škoda für die tschechische Armee entwickelt, fielen sie dort bei den Tests durch. Zwölf Einheiten wurden gebaut, drei Exemplare kaufte Österreich für Wien.


Škodas "Schildkröte" entstand nach Ende des Ersten Weltkriegs. 1923 begann die Produktion, zwölf Exemplare waren bestellt, allerdings wurden sie niemals bei der tschechoslowakischen Armee in Dienst genommen. Vielmehr gingen drei an die Wiener und die restlichen neun an die tschechoslowakische Polizei.
Polizeimusum

"Schildkröte" war der nicht gerade elegante Spitzname, Kenndaten: acht Tonnen Gewicht, sechs Meter lang, von einem 70 PS starken Vierzylindermotor angetrieben, maximal 70 km/h schnell. Bewaffnung: vier wassergekühlte Maschinengewehre, zwei vorne, zwei hinten. Das gepanzerte Einsatzfahrzeug war konzipiert für fünf Mann Besatzung, je ein Fahrer für den Vortrieb und die Rückwärtsfahrt.


Der 30-sitzige Mannschaftstransportwagen auf Saurer-Basis, genannt "Überfallkommando", stand bei der Wiener Polizei seit 1928 im Einsatz.
Polizeimuseum

Auf einem 30-sitzigen Mannschaftswagen, Fahrgestell Saurer, bekannt unter dem Begriff "Überfallkommando", rückte die Polizei an, aber zusätzlich wurden Postbusse requiriert, da Mangel an Transportkapazität bestand. Auch die zehnsitzige Variante des "Überfallkommandos" kam zum Einsatz. Nicht zu vergessen die Beiwagenmaschinen der Marke Indian, aber auch BMW R 47 und Puch 500.


Polizeimotorräder und -beiwagen der Typen BMW und Puch in den 1930er-Jahren.
Polizeimuseum

Der Abtransport gefangener Schutzbündler erfolgte teilweise in beschlagnahmten privaten Lkws, wie ein Foto mit der Aufschrift Schinken Import zeigt. Stefan Zweig beschrieb jene Tage in Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers: "In der Stadtmitte war von den Kämpfen nichts zu spüren, undenkbar, dass wenige Kilometer entfernt Menschen starben."

Beim NS-Putsch am 25. Juli 1934 verkleideten sich ehemalige Bundesheerangehörige als Soldaten und fuhren von der Bundesturnhalle in der Wiener Siebensterngasse im siebenten Bezirk in Richtung Ballhausplatz. Bei Bauarbeiten wurde dort vor einigen Jahren ein vergessenes Waffenlager entdeckt – mit verrosteten Gewehren, Maschinengewehren, Stahlhelmen.


Ein Austro-Fiat AFL, der bis heute überlebt hat und unter anderem bei zeitgeschichtlichen Verfilmungen gefragt ist
.Moviecars – Gerhard Schindler.

1965 sendete der ORF unter dem Titel An der schönen blauen Donau im Rahmen einer fiktiven Handlung mit Attila Hörbiger und Tochter Christiane in den Hauptrollen eine Rekonstruktion jener Stunden.

Die Verschwörer im Film benutzten einen Steyr 640, mit Sechszylinder-Reihenmotor, 2259 cm³, zehn Sitzplätzen, Schubvorgelege-Getriebe mit vier Vorwärtsgängen, Spitze 70 km/h. Gebaut wurde der Typ ab 1937, einige Exemplare "schafften" es dann sogar bis Stalingrad im Rahmen der Wiener 44. Division.

90 Jahre Geschichte, in der unglaubliches Leid passierte: Das ist scheinbar lange her, doch jene Tage sollten nie in Vergessenheit geraten.
(Peter Urbanek, 25.7.2024)
NS-Putschversuch von 90 Jahren: Was sind das für Fahrzeuge auf den Bildern?
 
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