1936 – Kaspar, Melchior und Balthasar im Keller

Geist

Worte im Dunkel
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#1
Der heutige Artikel widmet sich auf Grundlage einer erhaltenen Kreidebeschriftung in einem Keller der Wiener Innenstadt dem Brauchtum der umherziehenden Heiligen Drei Könige, auch Sternsinger genannt. Im Sommer 2020 entdeckte ich bei einer Kellerbesichtigung diese im Untergrund eher ungewöhnliche Beschriftung an einer Tür, hinter der sich vermutlich einst eine Wohnung befand. Dort waren die wohlbekannten Initialen von Kaspar, Melchior und Balthasar zu lesen, umrahmt von der Jahreszahl 1936: 19 K+M+B 36. Erstgenannter wird heute meist mit C geschrieben.
Interessant sind die Schilderungen in zeitgenössischen Zeitungen, die sozialhistorische Einblicke in das Jahr 1936 erlauben.

Die Sternsinger in den Zeitungen von 1936


Im Salzburger Volksblatt vom 4. Jänner 1936, also exakt heute vor 85 Jahren, wurde der Brauch des Sternsingens schön anschaulich beschrieben:

„Der Tag der Heiligen Drei Könige beschließt das Mysterium der Weihnacht und damit die Zeit der sogenannten Zwölften, im Volke als Rauch-, Los- oder Schicksalsnächte bekannt. Am Vorabend des Dreikönigstages läuten um die Vesperzeit die Glocken zur ‚Heiligendreikönigweihe‘. Mit dem ‚Glütl‘ durchschreitet der Bauer alle Räume und Winkel des Hauses, Stall und Scheune, bis hinauf zum Dachboden, begleitet von der Bäuerin mit brennender Kerze sowie von den Kindern und Ehhalten. An alle Türen schreibt er, gleichsam als Bannzeichen gegen Ungemach, Krankheit und Unglücksfälle die Anfangsbuchstaben der Namen der Heiligen Drei Könige. Die Sternsinger ziehen von Hof zu Hof, voran der Sterntrager mit der Kometenstange, hinterdrein die Heiligen Drei Könige in selbstverfertigten Kostümen mit Flachsbart und Kronen aus Goldpapier. Der fürstliche Kaspar ist der Wortführer. Es sind viele volkstümliche Dreikönigslieder bekannt. Die Sternsinger werden schließlich mit Kletzen, ‚Nudeln‘ und einem Stück Fleisch abgelohnt. Dieser Umgang der Sternsinger stellt eine mildere Form des Herumziehens lärmender Fruchtbarkeitsgeister dar, an die unsere Vorfahren glaubten. Die Umzüge der Sternsinger sind Überreste mittelalterlicher Dreikönigsspiele, wie sie früher in Kirchen und Klöstern zur Darstellung kamen. Die Dreikönigsnacht gilt als die letzte Rauchnacht. Sie dient der Zukunftserforschung wie die Christ-, Thomas- und Silvesternacht. Im Chiemgau und im Berchtesgadener Land erwartet die Jugend mit Bangen das Erscheinen der ‚schönen und schiachen Perchten‘.“[1]

Auch aus dem Osten Österreichs, genauer gesagt aus Wolfsthal, ist ein kurzer Bericht – vermutlich eines Kindes – in einer Zeitung abgedruckt worden, wie der Besuch der Sternsinger in einem Haushalt abgelaufen ist. Wenn auch heutzutage der Besuch der Sternsinger ähnlich abläuft, so liegt der Hauptunterschied doch in der kleinen Gabe, die drei Könige von den besuchten Leuten mitbekamen:

„Am Abend vor dem Dreikönigstag saßen wir im Zimmer und spielten. Plötzlich klopfte jemand an die Tür. Die Mutter öffnete. Da kamen drei Sternsinger herein. Sie hatten lange, bunte Kleider an, jeder hatte einen Bart und eine Krone auf dem Haupt. Einer hatte ein schwarzes Gesicht und trug auf einer Stange einen beleuchteten Stern. Jeder der drei Könige sagte ein Sprüchlein. Dann sangen sie mitsammen ein Lied. Als sie geendet hatten, baten sie um eine kleine Gabe, und unsere Mutter gab ihnen ein Stück Speck. Die dankten dafür, wünschten eine gute Nacht und gingen fort.
Franz Niefergall, Wolfsthal“[2]

Aus Wien ist im Neuigkeits-Weltblatt eine Beobachtung eines Drei-Königs-Zuges in Dornbach nachzulesen. Dabei handelte es sich nicht um die Sternsinger, die von Haus zu Haus zogen, sondern um eine kleine Prozession:

„Gestern habe ich gesehen, daß nicht nur draußen auf dem Lande, sondern auch bei uns in Wien alte christliche Volksbräuche heute noch ebenso stark lebendig sind, wie zu unserer Großväter Zeit. In Dornbach kamen sie mir gestern entgegen, die Heiligen Drei Könige, hoch zu Roß, in malerische Gewänder gehüllt und geleitet von zahlreichem Troß, dem ein Sternträger voranschritt. Dumpfer Trommelschlag und helle Pfeifenklänge mischten sich in die frommen Gesänge der Gefolgschaft der drei Könige und in den Gassen und Straßen, durch die der Mohrenritt zog, gab es ergriffene Zuschauer.
Knaben waren es, stramme Jungen des Dornbacher Neulandbundes, die in wochenlangen Mühen und Proben das Drei-Königs-Spiel erlernten und selbst alle Mittel dazu zur Stelle geschafft hatten und das Spiel dann vor der Dornbacher Pfarrkirche vorführten. Und Erwachsene, sicherlich fast tausend an der Zahl, auf die die einfache Sprache der Kinder den tiefsten Eindruck machte, waren die Zuhörer. Einem Bild aus alter Zeit glich der malerische Zug, der sich von der Dornbacher Pfarrkirche bis Neuwaldegg und von dort wieder zurück zur Kirche im Dunkel der Abendstunden bewegte und dabei den Weg zum Herzen unzähliger Menschen gefunden hat.“[3]


Wiener Kellertür in der Inneren Stadt

Einblick in das Alltagsösterreich von 1936


Zeitungen sind immer gut für das Anstellen direkter Vergleiche, so auch im Falle dieses genau 85 Jahre zurückliegenden Dreikönigstages. In der Kleinen Volks-Zeitung erfahren wir etwa, welche Regelungen die Öffnungszeiten im Handel betrafen:

„Geschäftsstunden am Dreikönigstag. Am Montag, den 6. d. (heilige drei Könige), sind nach den Mitteilungen der zuständigen Körperschaften die Lebensmittelgeschäfte von 8 bis 11 Uhr (Milchverkauf ab 7 Uhr früh), die Fleischhauer und Fleischselcher von 7 bis 11 Uhr, die Bäcker von halb 6 bis 11 Uhr (Frischgebäck), die Friseure von 8 bis 11 Uhr und die Trafiken wie an Sonntagen bis halb 10 Uhr geöffnet.“[4]

Weiters wurde kundgetan, dass am Dreikönigstag für die Benutzung der Straßen- und Stadtbahn der Feiertagspreis gelten würde.[5]

In der Zeitung „Der Tag“ konnte ich einen einleitenden Satz für das Jahr 1936 finden, der genauso gut auf 2021 sowie rückblickend auf 2020 zutrifft, weshalb ich ihn hier wiedergebe:

„Jeglichem Jahr, wenn es nur neu ist, gewähren wir regelmäßig einen Vorschuß von Freundlichkeit und Liebe – und erst bei näherer Bekanntschaft kühlt sich das Verhältnis ein wenig, wenn nicht gänzlich, ab. Dem eben begonnenen Jahr können wir aber den Vorschuß um so ruhiger gewähren, weil es immerhin etwas verspricht, was es auch unbedingt halten wird: eine Reihe schöner Doppelfeiertage nämlich. In diesem Zeichen steht das Jahr 1936, und in diesem werden wir auch, von Mal zu Mal, über die kompakte Arbeitszeit siegen und uns weitere Ausflüge aus dem Wohnort erlauben dürfen. Mit einem Doppelfeiertag fängt es geradezu an: die Heiligen Drei Könige grenzen an einen Sonntag, und so sind der 5. und 6. Jänner doppelrote Tage (Sonntag–Montag). […]“[6]

19 K+M+B 36

Ich wünsche trotz des verlorenen weihnachtlichen „Doppelfeiertages“ 2021 allen meinen Leserinnen und Lesern einen optimistischen Blick in die Zukunft, einen ruhigen Ausklang der Weihnachtsfeiertage und viel Energie im neuen Jahr!

Fußnoten:

[1] Artikel „Der Brauch der Heiligen Drei Könige“, in: Salzburger Volksblatt, 4. Jänner 1936, S. 8, online unter:
ANNO, Salzburger Volksblatt: unabh. Tageszeitung f. Stadt u. Land Salzburg, 1936-01-04, Seite 8 (2. Jänner 2021)

Unter einem Glütl versteht man erhitzte Kräuter und Zweige, die man in einer heißen Pfanne zum Ausräuchern von Hexen und bösen Geistern vor sich her trägt.

Die Ehhalten (auch nur mit einem h geschrieben) waren die Dienstmägde und Knechte eines Hofes.

[2] Rubrik „Mein Erlebnis“, Artikel „Die Sternsinger“, in: Neuigkeits-Weltblatt, 9. Jänner 1936, S. 5, online unter:
ANNO, (Neuigkeits) Welt Blatt, 1936-01-09, Seite 31 (2. Jänner 2021)

[3] Artikel „Gestern habe ich gesehen“, in: Neuigkeits-Weltblatt, 8. Jänner 1936, S. 8, online unter:
ANNO, (Neuigkeits) Welt Blatt, 1936-01-08, Seite 8 (3. Jänner 2021)

Der Neulandbund war ein katholischer Verein vor allem für Schüler, Jugendliche und Studenten, der sich der Erneuerung des Glaubens, der Seelsorge und sozialem Engagement widmete sowie die Eigenverantwortlichkeit des Individuums in einer Gemeinschaft betonte, siehe Diplomarbeit von Gerhard Wagner, Von der Hochschülerschaft Österreichs zur österreichischen Hochschülerschaft. Kontinuitäten und Brüche (Wien 2010), S. 320–332, online unter:
http://othes.univie.ac.at/10332/1/2010-06-10_8103461.pdf (3. Jänner 2021)

[4] Meldung „Geschäftsstunden am Dreikönigstag“, in: Kleine Volks-Zeitung, 4. Jänner 1936, S. 7, online unter:
ANNO, Kleine Volks-Zeitung, 1936-01-04, Seite 7 (3. Jänner 2021)

[5] Meldung „Der Straßenbahnfahrpreis am Feiertag“, in: Der Tag, 5. Jänner 1936, S. 9, online unter:
ANNO, Der Tag, 1936-01-05, Seite 9 (3. Jänner 2021)

[6] Artikel „1936 – das Jahr der Doppelfeiertage“, in: Der Tag, 3. Jänner 1936, S. 7, online unter:
ANNO, Der Tag, 1936-01-03, Seite 7 (3. Jänner 2021)

Interner Link:

Mehr zu den Jahren von 1918 bis zum „Anschluss“:
1918 bis zum „Anschluss“

Link zum Originalbeitrag: 1936 – Kaspar, Melchior und Balthasar im Keller – Worte im Dunkel
 
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