1945 – Termine della prigionia del IMI

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Das Deutsche Reich und Italien bildeten im Zweiten Weltkrieg die Achsenmächte, die den Kontinent in einen West- und einen Ostteil trennten. Der Ausdruck „Achse Berlin-Rom“ fand das erste Mal am 1. November 1936 durch Benito Mussolini Erwähnung*, nachdem er und Adolf Hitler am 25. Oktober Freundschaftsverträge unterzeichnet hatten. Noch im gleichen Jahr kämpften deutsche und italienische Einheiten im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite des faschistischen General Franco. Nach dem von Hitler provozierten Ausbruch des Zweiten Weltkriegs standen die Achsenmächte erneut Seite an Seite gegen jene Gegner, denen sie ohne Not den Krieg erklärt hatten.

Beteiligten sich die Italiener am Krieg Deutschlands gegen Frankreich, Großbritannien und später die Sowjetunion, so eilten die Deutschen ihrem Bündnispartner an anderen Stellen zu Hilfe – etwa ab 1940 in Griechenland und Afrika, wo italienische Truppen in teils peinliche Debakel gegen scheinbar unterlegene Gegner schlitterten. Auf diese Weise band die militärische Unfähigkeit Italiens deutsche Truppen an Kriegsschauplätzen, die für Hitler von untergeordneter Wichtigkeit waren und verzögerten so die Pläne, die dieser zur Welteroberung geschmiedet hatte. Nicht zuletzt deshalb begann der Feldzug gegen die Sowjetunion über ein Monat später als er ursprünglich geplant war.

1943 endete jedoch die traute politisch-militärische Zweisamkeit. Mussolinis Absetzung und Verhaftung im Sommer hatte drei wichtige Folgen:
  1. Anfang September schloss das offizielle Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten, sodass diese hier nun ihre Stützpunkte einrichten konnten.
  2. Der von einem deutschen Kommando befreite Mussolini rief Mitte September in der Nordhälfte des Landes die Sozialrepublik Italien mit eigener Regierung aus, die unter seiner, vielmehr jedoch unter deutscher Führung stand. Die Grenze zwischen dem offiziellen Italien und Mussolinis Sozialrepublik verlief anfangs zwischen Rom und Neapel ostwärts. Mit Vorrücken der Alliierten verlagerte sich diese Grenze stetig weiter nordwärts.
  3. In weiterer Folge erklärte das amtliche Italien (nicht die Sozialrepublik) am 13. Oktober 1943 Deutschland den Krieg unter Verweis auf die Brutalität Deutschlands gegen das italienische Volk.
Deutschland reagierte ab September auf diese Ereignisse, indem es die italienischen Soldaten in seinem Machtbereich vor die Entscheidung stellte, weiter an seiner Seite zu kämpfen oder in Kriegsgefangenschaft zu gehen.

„Italienische Soldaten, die sich nicht zur Fortführung des Kampfes auf deutscher Seite zur Verfügung stellen, sind zu entwaffnen und gelten als Kriegsgefangene […] sind aus den übernommenen Kriegsgefangenen alle Fachkräfte für die Rüstungswirtschaft auszusondern und dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz zur Verfügung zu stellen […] Alle übrigen Kriegsgefangenen stehen dann […] als Arbeitskräfte für den Bau des Ostwalls zur Verfügung […]“**

600.000 bis 650.000 Mann entschieden sich gegen den Kampf und für die Gefangenschaft. Ab 20. September 1943 wurden sie auf Befehl Hitlers als „Italienische Militärinternierte“ (IMI) bezeichnet, um ihnen als Soldaten eines ehemaligen Verbündeten einen gesonderten Namen zu verleihen. Ursprünglich sollte keine Diskriminierung damit verbunden sein. Andererseits fielen die IMI durch diese Bezeichnung nicht unter die Regeln der Genfer Konvention.

„Auf Befehl des Führers sind die italienischen Kriegsgefangenen ab sofort als ‚italienische Militärinternierte‘ zu bezeichnen.“**

Die Behandlung der IMI war dementsprechend schlecht, denn unter deutschen Soldaten und Lageraufsehern galten sie nach der oben dargestellten Entwicklung im Sommer und Herbst 1943 als Verräter. Zwar waren die meisten von ihnen in Kriegsgefangenenlagern und nicht in Konzentrationslagern interniert worden, dennoch war die Sterblichkeit extrem hoch. Die IMI wurden zur Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion oder beispielsweise zum Bau der Flaktürme herangezogen. Etwa 50.000 von ihnen überlebten ihre Gefangenschaft nicht. Sie starben vor allem in den ersten Monaten zwischen Herbst 1943 und Sommer 1944.

Erst ab Juli/August 1944 besserten sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der IMI, nachdem Mussolini vorgeschlagen hatte, die Arbeitskraft seiner gefangenen Landsleute bestmöglich in den Dienst Deutschlands zu stellen, wofür ihre gute Behandlung und Versorgung eine Grundvoraussetzung darstellte.

„Das Arbeitskräftepotential der italienischen Internierten sollte voll für den deutschen Produktionsprozeß ausgenutzt werden. Um das zu erreichen, muß ihre materielle Stellung verbessert werden.“***

In der Folge stellte man die IMI wieder vor eine Wahl:
  1. Entweder sie sollten in ein privates Arbeitsverhältnis wechseln und galten damit als Zivilarbeiter, die weiterhin für Deutschland arbeiten mussten oder
  2. sie verweigerten den Wechsel in den Zivilarbeiterstatus und blieben weiterhin interniert.
Man kann in Mussolinis Haut schlüpfen, indem man sich vorstellt, für die eigenen Landsleute, die bis vor kurzem noch für den Bündnispartner gekämpft hatten, Bedingungen gegen Misshandlungen durch eben diesen „Partner“ auszuverhandeln, damit diese weiter für ihn Zwangsarbeit unter dem beschönigenden Begriff „Zivilarbeit“ verrichten durften. Dass Mussolinis Ansehen und Rückhalt in der Bevölkerung seit 1943 einem kontinuierlichen Niedergang unterlag und er auf der Flucht zu Kriegsende in Mailand erschossen, anschließend zur Ansicht kopfüber aufgehängt wurde, verwundert da nicht mehr.

Nur etwa 30 Prozent der Betroffenen machten von dem Angebot Gebrauch, in den gezwungenen Zivilarbeiterstatus zu wechseln. Der Arbeitskräftebedarf in der deutschen Wirtschaft war aber extrem hoch, weshalb alle IMI mit Anfang September 1944 automatisch ohne weitere Wahlmöglichkeit in das Zivilarbeiterverhältnis überführt wurden. Sie wurden dadurch besser behandelt, mussten aber weiter für Deutschland arbeiten. Auch an ihrer Unterbringung änderte das neue Arbeitsverhältnis nichts: Die meisten von ihnen blieben bis Kriegsende in Lagern interniert. So betrachteten sie sich wohl bis Kriegsende nicht als „freie“ Arbeiter, sondern als IMI.

Am 5. Mai 1945 wurde Linz befreit. Ein italienischer Zwangsarbeiter verewigte den Moment

Sehr viele Beschriftungen, die in unterirdischen Gefilden wie etwa Luftschutzstollen oder Bunkerbauwerken zu finden sind, stammen oft von Italienern oder Sowjetbürgern. Daraus lässt sich ableiten, dass sie zur Errichtung dieser Bauten herangezogen worden waren. Während Russen meist „nur“ Namen oder Orte, wie etwa „Krim“ in den nassen Beton oder auf Ziegel ritzten, hinterließen Italiener oft Namen, Daten, Parolen oder Aussagen wie etwa jene, die ich hier zeige. Sie wurde mit einem Bleistift auf einen Ziegel geschrieben.

Die Beschriftung in etwas deutlicher lesbarer Form

In einem Linzer Luftschutzstollen verewigte ein Italiener am Tage seiner Befreiung vor 75 Jahren, dem 5. Mai 1945, als die Amerikaner Linz einnahmen, in nüchternen Worten die freudvolle Botschaft:

„5. maggio 1945 Termine della prigionia del IMI“

Übersetzung: „5. Mai 1945 Ende der Gefangenschaft der IMI“

Leider hinterließ der Verfasser keine weiteren Informationen wie etwa seinen Namen. Die Botschaft selbst als Ausdruck der Befreiung, die viele Italiener nicht mehr erlebten und über Monate ersehnt wurde, ist zwar schnörkellos und einfach, aber dennoch ein kraftvolles Zeichen des viel zu späten Siegs der Gerechtigkeit über den Nationalsozialismus. Um die in Wahrheit globale Tragweite des Moments auszudrücken, waren nicht mehr als zwei Zeilen notwendig. Drei Tage danach war der Krieg in Europa vorbei und damit die Gefangenschaft und Zwangsarbeit von Millionen Menschen.

Mein herzlicher Dank für die gemeinsame Begehung des Stollens geht an Erhard Fritsch und Josef Weichenberger vom Landesverein für Höhlenkunde in Oberösterreich!


Fußnoten:

* Claudia Prinz, Die Achse Berlin-Rom, online unter: LeMO – Lebendiges Museum online, NS-Regime, Außenpolitik,
Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Kapitel: NS-Regime (30. April 2020)

** Zitiert nach: Christian Tomuschat, Rechtsgutachten „Leistungsberechtigung der Italienischen Militärinternierten nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘?“, (Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2001), S. 2, online unter:
http://www.berliner-geschichtswerkstatt.de/zwangsarbeit/imi/imi-tomuschat-gutachten.pdf (1. Mai 2020)

*** Zitiert nach: Christian Tomuschat, Rechtsgutachten „Leistungsberechtigung der Italienischen Militärinternierten nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘?“, (Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2001), S. 3, online unter:
http://www.berliner-geschichtswerkstatt.de/zwangsarbeit/imi/imi-tomuschat-gutachten.pdf (1. Mai 2020)


Zum Weiterlesen:

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Italienische Militärinternierte, online unter:
Deutschland und Italien als Bündnispartner 1936-1943 (1. Mai 2020)

Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen und Geschichte, Zwangsarbeit, Ereignisse und Themen, 8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten, online unter:
8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten • Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (1. Mai 2020)

Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende – Worte im Dunkel
Mehr zur Zwangsarbeit in Österreich zwischen 1939 und 1945:
1939 bis Kriegsende – Worte im Dunkel

Link zum Originalbeitrag: 1945 – Termine della prigionia del IMI – Worte im Dunkel
 
Oben