Analyse von 500 Jahren Hochwassergeschichte

josef

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VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT
Historischer Vergleich: Hochwässer werden mehr und verändern sich
Analyse von 500 Jahren Hochwassergeschichte belegt die Auswirkungen des Klimawandels: Die letzten 30 Jahre waren eine der flutreichsten Perioden in Europa

Das Wiener Donauhochwasser zwischen 26. Februar und 10. März 1830 wirkt auf diesem Bild weniger dramatisch. Tatsächlich aber starben an den Folgen, zu denen eine schwere Choleraepidemie zählte, über 2.000 Menschen.
Illustr.: TU Wien

In den letzten Jahren konnten mehrere Studien bestätigen, was allein die Beobachtung schon anzudeuten scheint: Der Wandel des Weltklimas wirkt sich deutlich auf die Häufigkeit von Extremwetterereignissen und hier insbesondere auf Überschwemmungen aus. So konnte 2017 eine internationale Untersuchung, die von einem Österreicher geleitet wurde, erstmals einen klaren Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Hochwassern in Europa nachweisen. Im Vorjahr berichteten Wissenschafter im Fachjournal "Nature", dass Hochwasserereignisse in Mittel- und Nordwesteuropa künftig häufiger auftreten werden, während Überschwemmungen in Südeuropa dagegen zurückgehen sollen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt nun ein Blick in die nähere und fernere Vergangenheit Europas, den ein internationales Forscherteam um den Hochwasserexperten Günter Blöschl von der TU Wien geworfen hat. Die Wissenschafter analysierten ebenfalls im Fachjournal "Nature" die vergangenen 500 Jahre Überschwemmungsgeschichte und kamen dabei zu dem Schluss: Die letzten drei Jahrzehnte zählten zu den hochwasserreichsten Perioden in Europa. Und: Die Veränderungen bei den Flusshochwässern stehen in engem Zusammenhang mit der Klimaerwärmung.

Jährlich Milliardenschäden
Überflutungen sorgen rund um den Globus für gewaltige Schäden: Weltweit schätzt man die jährlichen Zerstörungen durch Flusshochwasser auf über 100 Milliarden US-Dollar – Tendenz steigend. Freilich hat es Überflutungen immer schon gegeben, bisher ließ sich allerdings nicht einwandfrei sagen, wie ungewöhnlich die Flutkatastrophen der vergangenen Jahre sind, verglichen mit den vorangegangenen Jahrhunderten. Dieser Frage widmete sich die Studie, an der insgesamt 34 Forschungsgruppen beteiligt waren. Das Ergebnis war ziemlich eindeutig: Die jüngsten Jahrzehnte gehören zu den hochwasserreichsten Perioden in Europa in den letzten 500 Jahren, und die Überschwemmungen verhalten sich heute grundsätzlich anders als früher.

Selbst im Vergleich zu hochwasserreichen Perioden in der Vergangenheit sind die Hochwässer nun vielerorts größer, die Hochwassersaisonen haben sich verschoben und der Zusammenhang der Hochwässer mit der Lufttemperatur hat sich umgekehrt: Früher kam es in Kältephasen zu Überschwemmungen – heute ist es gerade die Klimaerwärmung, die Hochwässer verursacht.


Drastisch dagegen die Flutdarstellung aus dem 17. Jahrhundert in England: Bei dem Hochwasser des Bristolkanals im Jahr 1607 wurden Mensch und Tier gleichermaßen hinweggeschwemmt.
Illustr.: TU Wien

Suche in historischen Daten
"Aus unseren bisherigen Forschungen wussten wir bereits, wie der Klimawandel die Hochwässer Europas in den letzten 50 Jahren beeinflusst hat", sagt Alberto Viglione vom Politecnico di Torino, einer der Hauptautoren der Publikation. "Für Zukunftsprognosen ist es aber auch wichtig zu verstehen, ob es sich um eine völlig neue Situation handelt oder ob es bloß eine Wiederholung etwas bereits Dagewesenen ist. Um das zu beurteilen, reichte die Datenlage bisher nicht aus. Wir haben das ausführlich untersucht und können nun klar sagen: Ja, die Hochwässer unterscheiden sich derzeit markant von denen der letzten Jahrhunderte."

Für die Analyse wurden zehntausende historische Dokumente mit zeitgenössischen Hochwasserberichten aus dem Zeitraum von 1500 bis 2016 ausgewertet. Dabei arbeitete das Team der TU Wien mit geschichtswissenschaftlichen Forschungsteams aus ganz Europa zusammen. "Die besondere Herausforderung dieser Studie bestand darin, die ganz unterschiedlichen Texte der verschiedenen Jahrhunderte und verschiedenen Kulturregionen vergleichbar zu machen", erklärt Andrea Kiss von der TU Wien, selbst Historikerin und auch eine der Hauptautorinnen. "Wir haben das in mühsamer Kleinarbeit dadurch geschafft, dass wir alle Texte in den jeweiligen historischen Kontext eingeordnet haben."

Flusshochwässer einst und jetzt
Bei der Auswertung der Daten wurden neun hochwasserreiche Perioden in bestimmten Regionen Europas identifiziert: 1500-1520 (West- und Mitteleuropa), 1560-1580 (West- und Mitteleuropa), 1590-1640 (Iberische Halbinsel, Südfrankreich), 1630-1660 (West- und Mitteleuropa, Norditalien), 1750-1800 (im Großteil Europas), 1840-1880 (West- und Südeuropa), 1860-1900 (Ost- und Mitteleuropa), 1910-1940 (Skandinavien) und 1990-2016 (West- und Mitteleuropa). Dabei waren die Hochwässer speziell in West-, Mittel- und Südeuropa im Zeitraum 1750-1800 am stärksten.


Als die Neva 1824 in St. Petersburg über die Ufer trat, wurde auch der Platz vor dem Bolschoi-Theater meterhoch überschwemmt.
Illustr.: State Russian Museum, St. Petersburg

"Das scheint der Beobachtung zu widersprechen, dass heute ein wärmeres Klima in manchen Teilen Europas, etwa im Nordwesten, generell zu größeren Hochwässern führt", sagt Blöschl. "Unsere Studie zeigt somit erstmals, dass sich die zugrundeliegenden Mechanismen gewandelt haben: Während in den letzten Jahrhunderten die Hochwässer vermehrt unter kühlen Bedingungen aufgetreten sind, ist jetzt das Gegenteil der Fall. Die hydrologischen Bedingungen sind jetzt ganz anders als in der Vergangenheit."

Klimawandel und andere Einflussgrößen
Auch der Zeitpunkt der Hochwässer innerhalb des Jahres hat sich verschoben. In früheren Hochwasserperioden traten 41 Prozent der mitteleuropäischen Überschwemmungen im Sommer auf, verglichen mit 55 Prozent heute. Diese Verschiebungen hängen mit der Veränderung von Niederschlag, Verdunstung und Schneeschmelze zusammen und sind ein wichtiges Indiz, mit dem man die Rolle des Klimawandels von anderen Einflussgrößen unterscheiden kann – etwa von der Abholzung der Wälder und der Verbauung der Flüsse.

Video: Visualisierung der Überschwemmungen in Europa der vergangenen 500 Jahre.
TU Wien
Diese Erkenntnisse waren nur möglich, weil erstmals auf Basis schriftlicher Aufzeichnungen das genaue Datum fast aller Hochwasserereignisse erhoben wurde. Bisher musste man sich bei der zeitlichen Einordnung auf andere, viel ungenauere Befunde verlassen – etwa auf Seesedimente. Die Studie ist weltweit die erste Studie, die historische Hochwasserperioden für einen ganzen Kontinent in diesem Detailgrad ausgewertet hat.

Spürbare Auswirkungen und bessere Prognosen
Gerade weil sich die auslösenden Mechanismen im Lauf der Zeit verschieben, ist es wichtig, die Abflussvorgänge des Wassertropfens vom Niederschlag durch die Landschaft bis hin zu den Flüssen im Detail nachzuvollziehen. Blöschl plädiert dafür, solche prozessbasierten Instrumente zur Bewertung des zukünftigen Hochwasserrisikos in allen Ländern Europas miteinzubeziehen. "Wir müssen alles tun, um den Klimawandel zu bremsen. Aber ganz unabhängig davon werden wir seine Auswirkungen in den nächsten Jahrzehnten weiter spüren", meint Blöschl. "In Österreich haben wir zum Glück schon viele Detailstudien zum zukünftigen Hochwasserrisiko gemacht. Wir kennen den Einfluss des Klimawandels ziemlich genau. Obwohl Schäden nicht vollständig vermieden werden können, sind wir in Österreich generell beim Hochwassermanagement schon sehr gut aufgestellt."
(tberg, red, 23.7.2020)

Abstract
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Nachlese
Historischer Vergleich: Hochwässer werden mehr und verändern sich - derStandard.at
 
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