Ankerbrotwerke Wien 10. Favoriten

Stoffi

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#22
"Industrie" - Ausstellung in der Galerie Ostlicht

Industrie
24. Januar - 30. März 2013
Eröffnung:
Mittwoch, 23. Januar 2013, 19 Uhr

Öffnungszeiten:
Galerie: Mi–Sa 12–18 Uhr und nach Vereinbarung
Bibliothek: Mi–Fr 12–18 Uhr und nach Vereinbarung

Die Galerie OstLicht befindet sich auf dem ehemaligen Areal der Ankerbrotfabrik und damit an einem lange Zeit industriell genutzten Ort, dessen ursprüngliche Bestimmung sich heute gewandelt hat.
Mit der Ausstellung „Industrie“ erinnert OstLicht an die Geschichte des eigenen Standortes und zeigt eine Auseinandersetzung mit Aspekten industrieller Produktion, die anhand von fünfzehn zeitgenössischen Kunstpositionen erfahrbar werden.

Auf welche Weise industrielle Produktion vor sich geht bleibt meistens unsichtbar – für die, die nicht darin arbeiten sind Fabriken unzugängliche Orte. Die Herstellung von Gütern ist auch deshalb aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, nachdem zahlreiche Werke in den letzten Jahrzehnten in Österreich geschlossen und die Fertigung in andere Länder verlagert wurde. Ehemalige industrielle Betriebsanlagen verfallen oder werden umgewidmet.

Die KünstlerInnen in der Ausstellung gehen unter anderem folgenden Fragen nach: Wie zeigt sich Fabriksarbeit heute und wie hat sie sich verändert? Auf welche Weise findet diese in verschiedenen geographischen Regionen statt? Wie schreibt sich die Arbeit an Maschinen in den Körper der Arbeitenden und deren Bewegungsabläufe ein? Welche Auswirkungen hat industrielle Produktion auf Landschaft und Umwelt? Wie stellen sich Räume dar, aus denen die Arbeit verschwunden ist?

Elisabeth Czihak zeigt in ihrer Serie „Ankerbrotfabrik“ (2009) Räume, die ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Zu sehen sind leergeräumte Hallen vor ihrer Umwidmung, in denen nur noch Relikte wie Maschinen, Mehlhaufen und Warnschilder an die frühere Lebensmittelproduktion erinnern.
Anatoliy Babiychuk setzt sich in „Bergwerk“ (2008-2010) mit dem Leben seines Vaters auseinander, der 40 Jahre als Bergarbeiter in einem ukrainischen Braunkohlebergwerk gearbeitet hat, und thematisiert zugleich die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der heutigen Ukraine.
Carla Bobadilla erkundet in „Industrie Fotografie“(2007) die Arbeitssituation in verschiedenen Industriebetrieben in den österreichischen Bundesländern, wie etwa Bösendorfer, Funder Max, Staud, Trumer Pils oder Wienerberger.
Wie Spielfiguren im großen „Theater“ Industrie wirken die vielen ArbeiterInnen, die Edward Burtynsky in „Manufacturing China“ zeigt. In mehreren chinesischen Provinzen konnte er die schier endlosen Produktionshallen fotografieren, in denen tausende ArbeiterInnen Mobiltelefone, Schuhe oder Textilien herstellen.
Michael Goldgruber thematisiert die industrielle Nutzung, Kontrolle und Ausbeutung der Natur. In „Underground Power Control“ (2011) zeigt er das Kraftwerk Kopswerk 2 in Vorarlberg, ein hochmodernes Pumpspeicherkraftwerk, dessen sterile Atmosphäre verbirgt, in welchem Ausmaß hier Naturkräfte beherrscht werden.
Birgit Graschopf belichtet ihre Arbeit „Schichten“ (2012) direkt auf die Wand der Galerie: Zu sehen sind einige Ankerbrotfabrik-ArbeiterInnen. In verschiedenen Ebenen übereinander gelagert wird ihr Bewegungsablauf während der Backwarenproduktion sichtbar, den sie in ständiger Wiederholung durchführen.
„Die Arbeiter verlassen die Fabrik“ der Brüder Lumière war der erste vorgeführte Film in der Geschichte. Auf ihn bezieht sich Katharina Gruzei mit ihrem Kurzfilm „Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik“ (2012).
Der Schauplatz ist die Linzer Tabakfabrik, deren Betrieb 2009 eingestellt wurde.
Cornelia Hauer zeigt mit „Gschichten aus der Vöslauer Kammgarn-Fabrik. Ehemalige ArbeiterInnen erzählen“ (2012) eine Textcollage aus Interviews mit pensionierten Beschäftigten des Textilwerks. Die Arbeit im Akkord, die Einbeziehung von ArbeitsmigrantInnen sowie der Konkurs der Fabrik werden dabei besprochen.
Die Abhängigkeit unserer Gesellschaft vom Erdöl untersucht Ernst Logar in „Invisible Oil“ (2008). Dem Künstler gelang es, Zugang zu nicht öffentlichen Orten der Nordsee-Erdölindustrie zu erlangen. Dabei entstanden Fotografien, Korrespondenzen mit Erdölfirmen und Skulpturen, die er aus angeschwemmtem Plastikabfall hergestellt hat.
Walter Niedermayr zeigt in seinem Diptychon „Raumfolgen 235/2007“ zwei verschiedene Ansichten desselben Raums, eines Tiroler Industriebetriebs, der Gasmotoren und Blockheizkraftwerke herstellt.
In Markus Oberndorfers Arbeit „Traces“ (2006) geht es um die veränderte Funktion heute verlassener Industrieanlagen. Leerstehende Fabriken, Industriegebäude oder Lagerhallen verkommen zu „Nicht-Orten“, entwickeln aber ein neues Eigenleben, werden zum Unterschlupf für Obdachlose, zur Leinwand für Graffiti-Sprayer oder zu Schauplätzen geheimer Übergaben.
Sascha Reichstein hinterfragt in „Daily Production“ Tradition und Erneuerung, kulturelle Eigenheiten im Zeitalter der globalen Ökonomie. Ihre Fotografien zeigen, wie auf Sri Lanka Lederhosen für Europa hergestellt werden, während in Vorarlberg bestickte Stoffe für Nigeria produziert werden.
Thomas Ruff durchforstete für „Maschinen“ (2003-2004) das Bildarchiv einer Werkzeug- und Maschinenfabrik. Aus etwa dreitausend Glasnegativen, Vorlagen für Verkaufsbroschüren, wählte Ruff einen kleinen Teil aus und unterzog ihn einer digitalen und piktoralen Transformation: Gescannt und in neuer Farbgebung freigestellt, wurden aus den kleinen Negativplatten großformatige Bilder.
Margherita Spiluttini dokumentiert in ihrer Serie „Nach der Natur“ (1991-2003) „alpine Hybridgebilde zwischen Natur und Kultur“. Es sind Fotos von Zementwerken, Steinbrüchen oder dem Erzberg, die zeigen, wie menschliche Eingriffe die Landschaft prägen.
Max Wegscheidler hat Mitte der 1990er Jahre eineinhalb Jahre als Leiharbeiter bei Philips gearbeitet. Nach langer Zeit, in der er sich das Vertrauen seiner Arbeitskollegen erarbeiten musste, konnte er schließlich eine eindringliche Porträtserie realisieren.
 

josef

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#23
Ankerbrotfabrik als Kulturareal

Nach sechs Jahren: Brotfabrik als Kulturareal

Die ehemalige Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten eröffnet am Dienstag nach sechs Jahren Bauzeit als Kulturareal mit 22 Mietern. Laut Betreiber ist das alte Fabriksgelände nun ein Ort für „Creative Industries“ und soziale Projekte.

„Creative industries suchen Flächen, die günstig und in einem rudimentären Zustand sind, damit sie diese dann selbst ausbauen können. Dafür gab es in Wien bisher kaum ein Angebot“, sagt Investor Walter Asmus von der „Loft City GmbH & Co KG“ gegenüber wien.ORF.at. Gemeinsam mit seinen Partnern hat er Anfang 2009 die stillgelegten historischen Teile der Brotfabrik erworben und mit den Sanierungsarbeiten begonnen.

Loft-Einheiten werden als Rohflächen verkauft
Das neue Kulturareal ist dabei in unmittelbarer Nachbarschaft zur noch bestehenden Produktion der Ankerbrot AG entstanden - mehr dazu in Ankerbrot sichert Standort Favoriten. Auf rund 17.000 Quadratmetern finden sich in zwölf Objekten multifunktionale Hallen, Ateliers, Galerien, Schauräume, Büros, Lofts und Gastronomieeinrichtungen, die sich um zwei Innenhöfe der alten Anlage gruppieren.

„Wir haben das Industrieareal aufgekauft, eine neue Infrastruktur mit Aufzügen, Stiegenhäusern und Garagen geschaffen sowie für die Versorgungs- und Erschließungsstruktur gesorgt“, sagt Asmus. Die Loft-Einheiten werden ausschließlich als Rohflächen verkauft. „Damit refinanziert sich das Projekt, wir brauchen keine Förderungen“, sagt der Investor. Die Kosten für das Projekt betragen bisher rund 27 Million Euro. „Wir sind noch nicht ganz fertig“, sagt Asmus, der unter anderem noch die Renovierung des Getreidespeichers plant.

75 Prozent der Flächen an Eigentümer vergeben
Laut Betreiber beginnt der Quadratmeterpreis bei 1.000 Euro. „Der Preis hängt von der Wertigkeit ab, in welchem Stock und in welchem Objekt sich beispielsweise ein Atelier befindet“, sagt Asmus. Für eines der vier Skylofts mit rund 300 Quadratmetern und einem Kaufpreis von einer Million Euro muss man schon tiefer in die Tasche greifen.

Derzeit haben 75 Prozent der zur Verfügung stehenden Flächen auf dem gewerblich gewidmeten Gelände bereits neue Eigentümer gefunden, berichtet Asmus. Einer der ersten „Neunutzer“ war Galerist Ernst Hilger, der hier seit 2009 seine „HilgerBROTKunsthalle“ betreibt.

Galerie OstLicht und Caritas-Projekte
Es folgten im Laufe der Jahre mit der Galerie OstLicht, die sich auf 800 Quadratmetern mit Sammlungsraum, Bibliothek, Bar und natürlich Ausstellungsfläche eingerichtet hat, mit der Agentur Anzenberger oder dem Verein Superar weitere Institutionen.

Unter anderem sind hier mehrere Caritas-Projekte verortet, die zum Teil ebenfalls Kunstbezug haben. Eine soziale Komponente hat sich jedoch ebenfalls etabliert, so werken im „Objekt 19“ in magdas Kantine neben Küchenprofis auch Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung. Unterrichtet wird auf der Medienakademie „Deutsche Pop“, die seit Anfang Oktober 2011 ihren Lehrbetrieb in Favoriten hat. Derzeit sind es 22 Residents, die das an der Absberggasse 27 gelegene Areal zählt.

Kunst dominiert in der Expedithalle
2013 gastierten etwa zum ersten Mal die Wiener Festwochen mit der Uraufführung „Die Kinder von Wien“ in der Expedithalle nahe dem neuen Hauptbahnhof. Die Halle gilt den Projektbetreibern als Aushängeschild, in der unter anderem auch die Neue Oper Wien oder Claudia Bosses theatercombinat zugegen waren.

Für das erste Halbjahr 2015 stehen beispielsweise mit der Tanzperformance „Squatting Project“ von DANS.Kias (Saskia Hölbling) im Juni und der Opernuraufführung „Gilgamesch“ vom Sirene Operntheater Ende Mai weitere Projekte an.
Text u. Fotos: http://wien.orf.at/news/stories/2710159/
 

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josef

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#24
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Ankerbrot zieht nach Simmering
Die Wiener Großbäckerei Ankerbrot wird ihre Produktion samt Verwaltung und rund 450 Beschäftigten in drei bis fünf Jahren von Favoriten nach Simmering verlagern. Der Standort im zehnten Wiener Bezirk (Absberggasse) wurde verkauft.
Das Unternehmen hatte die Liegenschaft in Favoriten erst Anfang 2013 nach jahrelangen Verhandlungen wieder zurückgekauft. Dem Rückkauf war ein zäher Rechtsstreit vorausgegangen. Der Produktionsstandort war nach dem Ausgleich des Unternehmens 2003 an ein Bankenkonsortium gefallen.

Die ASC (Anker Snack & Coffee) Liegenschaftsverwaltungs GmbH, die ab einer 2005 getroffenen Vereinbarung der Gläubigerbanken Eigentumsgesellschaft der Ankerbrot-Liegenschaften war, hatte nach Ablauf des Pachtvertrags mit Ende 2008 zwei Räumungsklagen eingebracht. Letztlich gelang es Anker aber, den traditionsreichen Produktionsstandort wieder ihr Eigen nennen zu können. Das Unternehmen produziert dort schon seit mehr als 125 Jahren.

APA/Herbert Pfarrhofer
Die Produktion soll in drei bis fünf Jahren verlagert werden

Umzug in drei bis fünf Jahren
Mit dem Käufer in Favoriten sei eine flexible Vereinbarung getroffen worden, die es Anker ermögliche, den Standort so lange fortzuführen, bis die neue Produktionsstätte in Simmering in vollem Umfang in Betrieb genommen werden könne, so Ankerbrot-Geschäftsführer Walter Karger laut Aussendung. „Wir gehen davon aus, dass wir noch drei bis fünf Jahre in der Absberggasse bleiben werden.“
Wie viel in den neuen Standort investiert wird, gab das Unternehmen auf Nachfrage nicht bekannt. Zu den Gründen der Umsiedelung hieß es, dass man nach den modernsten und ökologischsten Standards produzieren wolle, was im derzeitigen Werk nicht möglich sei.

Wirtschaftliche Situation verbessert
Ankerbrot beschäftigt in seinen rund 110 Bäckereifilialen 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2018 setzte die Bäckerei samt der niederösterreichischen Großbäckerei Linauer & Wagner, die ihr seit dem Vorjahr voll gehört, 113,6 Mio. Euro um. 2016 belief sich der Umsatz von Anker auf 71,9 Mio. Euro. Das Unternehmen kämpfte lange mit Verlusten. In den letzten Jahren habe sich die wirtschaftliche Situation stetig verbessert, hieß es auf APA-Anfrage.

APA/Herbert Pfarrhofer
Der neue Standort liegt in Simmering

Mehrere Firmen verließen Wien in letzten Jahren
Bei der Vermittlung des neuen Standortes hat die Wirtschaftsagentur Wien geholfen, der künftige Standort von Ankerbrot liegt im neu geschaffenen Business District Ost. Man freue sich, dass Ankerbrot in Wien bleibe. In den vergangenen Jahren haben mehrere Firmen die Bundeshauptstadt verlassen.
Der Getränkeabfüller Coca-Cola-Hellenic verlagerte seine Erfrischungsgetränke-Produktion im Jahr 2013 nach mehr als 55 Jahren vom 10. Wiener Gemeindebezirk nach Edelstal (Burgenland). Den neuen Schwedenbomben-Eigentümer Heidi Chocolat zog es 2015 nach knapp 80 Jahren mit der Produktion von Wien-Landstraße nach Wiener Neudorf (NÖ). Auch der Sekt- und Spirituosenhersteller Schlumberger errichtet in Müllendorf im Burgenland seinen neuen Produktionsstandort und wird von Wien abziehen.
red, wien.ORF.at/Agenturen
Wirtschaft: Ankerbrot zieht nach Simmering
 

josef

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#25
Verhärteter Blick: Historiker forschen zur Arisierung der Ankerbrotfabrik
Georg Berger war damals Generaldirektor. Sein Sohn, der bekannte Unternehmensberater Roland Berger, verklärte ihn zu einem NS-Opfer
Ein monumentaler Schriftzug, der zu einer Fehlannahme verleitet: "1938" ist in knallroten Ziffern auf dem imposanten Zwölf-Bogen-Plakat zu lesen, darunter der Schriftzug "Ankerbrot". Verherrlichte die berühmte Wiener Großbäckerei damit einst den "Anschluss"? Nein, denn tatsächlich entstand dieses Plakat bereits Ende 1937 zum bevorstehenden Jahreswechsel.
Der Entwurf stammte von Julius Klinger, einem Virtuosen auf dem Gebiet der Plakatkunst. Neben Joseph Binder gehörte er zu den bedeutendsten österreichischen Grafikdesignern der Zwischenkriegszeit. Es ist dies das letzte bekannte Sujet Klingers, der, seiner jüdischen Herkunft wegen, später gemeinsam mit seiner Ehefrau deportiert und umgebracht werden sollte.


Keine Verherrlichung des "Anschlusses", sondern ein Plakat zum bevorstehenden Jahreswechsel: Der letzte bekannte Entwurf des bedeutenden Grafikdesigners Julius Klinger, der 1942 deportiert und ermordet wurde
Foto: Wien Bibliothek

Sein einstiger Auftraggeber war als strategisch wichtiges Versorgungsunternehmen schneller unter NS-Verwaltung gestellt gewesen als andere: "Die Ankerbrotfabrik A.-G. hat ab 15. März 1938 eine rein arische Leitung und beschäftigt 1600 arische Mitarbeiter", informierte man wenige Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten über Annoncen in zahlreichen Tageszeitungen.

Prompte Arisierung
Der Übernahme der Fabrik folgte der formale, in diesem Fall aufgrund mehrerer Aktionäre langwierige Arisierungsprozess, mit dem sich derzeit deutsche Historiker beschäftigen. Ihr Auftraggeber ist Roland Berger, Deutschlands bekanntester Unternehmensberater. Anlass gaben Recherchen der deutschen Tageszeitung Handelsblatt, die Berger einer öffentlich zelebrierten Beschönigung der Vita seines Vaters überführten, die teils in krassem Gegensatz zu den historischen Fakten standen.
Über Jahre hatte er ihn sukzessive zum Nazi-Opfer stilisiert. Von 2003 an notierten die Medien bereitwillig die gereichten Happen aus dem Leben Georg Bergers, den sein Sohn Roland stets als moralisches Vorbild zu bezeichnen pflegt. Vom Widerstand gegen die NS-Diktatur war die Rede, von einem Austritt aus der NSDAP aus religiösen Gründen noch vor dem Krieg, ebenso von einem Aufenthalt im KZ Dachau.

Diese genannten Punkte stimmen nachweislich nicht, wie die im Oktober 2019 im Handelsblatt veröffentlichten Recherchen belegten.


Eine historische Aufnahme des Fabrikgeländes in Wien-Favoriten. Bis zur Jahrtausendwende wurde in der Absberggasse noch Brot gebacken, dann wurde der Standort aufgelassen. Seit 2009 haben sich dort Ateliers, Galerien und diverse Institutionen aus der Kunstszene angesiedelt.
Foto: Ankerbrot Holding

In Wahrheit war Georg Berger nicht nur ein hoher Funktionär in der Hitlerjugend, sondern auch ein Profiteur des NS-Regimes. Ein Fall bewusster Geschichtsklitterung oder doch nur ein dilettantischer Versuch privater Vergangenheitsbewältigung? "Oft sind Dinge und Lebensgeschichten ja nicht nur schwarz oder weiß, sondern grau", erklärte der damit konfrontierte und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Unternehmens- und Politikberater. Ein "ungewollt tragischer Selbstbetrug", gestand er ein.

Tragischer Selbstbetrug
Roland Berger sei "nun einmal Laie auf dem Gebiet", erläuterte Michael Wolffsohn, "ein Laie, der seinen Papa verehrt hat". Die teils falschen Angaben bezeichnet er als "Sprachholper" eines "Nichthistorikers". Wie weit Bergers Verklärung ging, wird derzeit von zwei Historikern unter der Leitung Wolffsohns erforscht. Dem Vernehmen nach soll das Gutachten im Februar vorliegen. Und es soll jedenfalls frei zugänglich veröffentlicht werden, darauf haben die Historiker im Vorfeld bestanden.

Zu den durchforsteten Aktenbeständen gehören auch solche in Schweizer und vor allem österreichischen Archiven, die detaillierten Aufschluss über die Arisierung der Ankerbrotfabrik geben. Denn Anfang 1941 übernahm Georg Berger deren Generaldirektion. Am 18. Jänner des Jahres verlautbarte das Amtsgericht Wien die Bestellung zum Vorstandsmitglied. Die Umstände seiner Berufung liegen bis heute im Dunkeln.


"Essen Sie Brot mit dem Anker": eine Werbung mit dem geschützten Markenzeichen des Ankers und dem integrierten Monogramm der Firmengründer, der Brüder Heinrich und Fritz (Friedrich) Mendl. Nach dem "Anschluss" wurde das Monogramm auf ABF (Ankerbrotfabrik) geändert.
Foto: Ankerbrot Holding

Auf der Website des Unternehmens sucht man Informationen zu diesem Kapitel der Firmengeschichte überhaupt vergeblich. Nach einem Absatz zum Jahr 1920, der 2000 Mitarbeiter und 100 Filialen vermerkt, folgt unter 1945 nur ein kurzer Abriss: "Die Mitglieder der jüdischen Gründerfamilie Mendl haben Österreich verlassen", neben der Arisierung werden durch Luftangriffe bedingte Unterbrechungen der Produktion und Bombenschäden erwähnt, weiters ein Notprogramm zur Versorgung der Wiener Bevölkerung nach Ende des Krieges und die Rückkehr der einstigen Eigentümerfamilie.

Etwas detaillierter hat sich Christian Rapp, seit 2018 wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte Niederösterreich, mit der Firmengeschichte beschäftigt: im Auftrag des Unternehmens anlässlich des 120-jährigen Gründungsjubiläums 2011. Im selben Jahr erschien die Publikation im Brandstätter-Verlag. Sie gibt einen guten Überblick und führt im Kapitel zur NS-Zeit auch die grundlegenden Fakten an.

Firmengeschichte mit Lücken
Ergänzend geben zeitgenössische Zeitungsberichte Aufschluss, etwa auch über die symbolische Relevanz, die das NS-Regime der von den Brüdern Heinrich und Friedrich Mendl 1891 in Favoriten gegründeten Fabrik beimaß.

Konkret schon zum Zeitpunkt des Wahlkampfauftaktes zur Volksabstimmung, mit deren Vorbereitung Gauleiter Josef Bürckel beauftragt worden war. Denn die erste Massenkundgebung am 24. März 1938 war ursprünglich in der Wagenhalle der Ankerbrotfabrik geplant, wurde dann jedoch "aus verkehrstechnischen Gründen in die Mitte der Stadt" verlegt, wie der Völkische Beobachter berichtete: In das mit Hakenkreuzbanner und Leitspruch ("Ein Volk, ein Reich, ein Führer") festlich geschmückte Konzerthaus, wo bis vor kurzem noch "brillantbehangene Juden und würdelose Snobs, die in geheucheltem Verzücken der ohrenquälerischen Musik rassefremder Neutöner frenetischen Beifall zollten" und nun, unter "minutenlangem Beifall und begeisterten ‚Sieg Heil‘-Rufen", Bürckel in den Saal einzog.


Bereits wenige Tage nach dem "Anschluss" im März 1938 wurde die Fabrik unter NS-Verwaltung gestellt und dazu in den Tageszeitungen inseriert. Das Kürzel NSBO stand für die "Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation" – "die Zusammenfassung der politischen Soldaten des Führers in den Werkstätten und Betrieben des Volkes".
Foto: „Das kleine Blatt“

Noch bevor alle "nichtarischen" Genossen des Anker-Verwaltungsrates "ausgeschieden" wurden, waren die meisten Mitglieder der jüdischen Eigentümerfamilie ins Ausland geflohen, teils über die Schweiz nach Schweden, Neuseeland, Australien und in die USA. Die in der Wallmodengasse im 19. Bezirk gelegene Villa der Mendls, zu der ein etwa 40.000 Quadratmeter großes Grundstück mit zahlreichen Nebengebäuden gehörte, wurde prompt in Beschlag genommen.

Eine "Judenvilla" für Berger
Der Verwalter der Familie trug das Hauptgebäude der Gemeinde Wien an, die das Erdgeschoß und teilweise Räumlichkeiten im Obergeschoß "zum Zwecke der Weitervermietung an Herrn Staatskommissär Dr. Otto Wächter" übernahm. Der Wiener war ein frühes, in den Juli-Putsch 1934 involviertes NSDAP-Mitglied. Fortan lebte er dort mit seiner Familie für 230 Reichsmark Miete pro Monat.

Auch als die Stationen der weiteren Karriere die Wächters zuerst nach Krakau und 1942 nach Lemberg führten, behielt die Familie des NS-Gouverneurs den idyllischen Wohnsitz in Wien. Zeitweise vermieteten sie die Räumlichkeiten weiter. In dieser Zeit verschwanden nahezu sämtliches Mobiliar, Teppiche, Luxusgegenstände und Kunstwerke aus dem Besitz der Mendls, wie erst 2016 bekannt wurde.

Damals erschien im Amalthea-Verlag die deutsche Fassung von Villa Mendl: Leben und Schicksal der Anker-Erbin Bettina Mendl, verehelichte McDuff. Autorin war deren Tochter Phyllis McDuff, die über die Nachkriegsjahre und den Kampf um das Familienerbe bilanzierte.

Der Name Georg Berger scheint dort nicht auf. Vielleicht auch deshalb, weil seine Regentschaft als Generaldirektor der Ankerbrotfabrik nur einige Monate währte. In der Lesart seines Sohnes sei das "ein klassischer Saniererjob" gewesen, er sollte das Werk "entschulden, die Verluste minimieren und die Eigentumsverhältnisse ordnen". Eigentumsverhältnisse? Das Unternehmen war längst arisiert. Für ihn und seine Familie fand sich ebenfalls ein repräsentables Heim. Das Anwesen lag in der Sternwartestraße 75 im Cottageviertel. Die Villa hatte einem jüdischen Ehepaar gehört und war von den Behörden beschlagnahmt worden. Während zuerst Heinrich und später auch seine Ehefrau Laura im britischen Exil verstarben, lernte ein Dreikäsehoch auf dem zugefrorenen Teich in deren ehemaligem Garten das Schlittschuhlaufen.


Die Nachfahren der jüdischen Firmengründer Heinrich und Fritz (Friedrich) Mendl flohen zeitgerecht ins Ausland. In die Villa in der Wallmodengasse (19. Bezirk) mit großzügiger Gartenanlage zog bereits im Juni 1938 der NS-Staatskommissär Otto Wächter ein. Die historische Aufnahme zeigt Fritz Mendls Ehefrau (und Nichte) Emilie mit zwei ihrer fünf Kinder.
Foto: Archiv Phyllis McDuff

Dies gehört zu einer der Erinnerungen, die Roland Berger Journalisten erzählte. Zu den weniger idyllischen Sequenzen gehörten jene, die er als Schikanen gegen seinen von der Gestapo verfolgten Vater empfand. Etwa die mehrmaligen Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Lebensmitteln. Und diese Vorfälle gab es tatsächlich und aus gutem Grund.

Gestapo zu Besuch
Den zugehörigen Volksgerichtsakt aus dem Jahr 1943 fanden die Handelsblatt-Kollegen im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Nach mehreren Anzeigen war es schon im Frühjahr 1942 zu Ermittlungen gekommen. So hatte sich ein Verkaufsleiter von Ankerbrot, der zum Kriegsdienst eingezogen worden war, über den Generaldirektor beschwert, der in seiner "Judenvilla" in Saus und Braus lebte.

Eine Rolle spielten dabei auch die aufwendigen Umbauten des Hauses, die stattliche 80.000 RM verschlangen. Vater Berger bezahlte nur ein Zehntel, den Rest sein Dienstgeber: Allein für 22 der damit betrauten Mitarbeiter waren einem Protokoll zufolge 3724 Arbeitsstunden angefallen.

Theoretisch hätte ein solches Projekt mitten im Krieg der Genehmigung mehrerer Behörden bedurft. Praktisch hatte Georg Berger dies umgangen, indem er die Umbauten als "geringfügig" deklariert hatte. Die NS-Beamten vermuteten eine bewusste Täuschung und damit ein Kriegswirtschaftsverbrechen. Am Ende des eingeleiteten Verfahrens sah die NSDAP ihr Ansehen durch sein Verhalten als geschädigt und musste Vater Berger den Vorstand der Ankerbrot AG im Juli 1942 verlassen.

Im Zuge der Ermittlungen hatte sich zusätzlich der Verdacht des Hortens von Lebensmitteln erhärtet, wovon Beschlagnahmen zeugten. Allein im Juni 1942 fand die Gestapo 18 in einem Weinregal gelagerte mit Butterschmalz gefüllte Flaschen, weiters 300 Flaschen Sekt und Wein, 30 Kilogramm Zucker und deren 50 an Bienenhonig.

Klingers tragisches Schicksal
Just in diesem Zeitraum hatte der 66-jährige Julius Klinger, der mit seiner Ehefrau Emilie längst in eine der Sammelwohnungen gepfercht worden war, von der bevorstehenden "Umsiedlung" erfahren.

Das Ehepaar wurde am 2. Juni 1942 zusammen mit 997 anderen Personen in die Nähe von Minsk deportiert. Die schrecklichen Details wurden erst 2015 mit der Veröffentlichung des Totenbuches von Maly Trostinec bekannt, wie in einem Beitrag des Historikers und Mitarbeiters der Österreichischen Nationalbibliothek Christian Maryška nachzulesen ist. Demnach habe dieser Transport "bereits am Freitag, 5. Juni 1942 den Bahnhof Minsk erreicht", "entladen" wurde er jedoch erst fünf Tage später.
Bis zum nachfolgenden Dienstag waren die Wagons versperrt geblieben, die Insassen hatten weder Essen noch Trinken bekommen. Direkt nach ihrer "Entladung" und Ankunft im Lager wurden sie am 9. Juni ermordet. So ist es schwarz auf weiß belegt, kein Grau, das eine Interpretation zuließe.
(Olga Kronsteiner, ALBUM, 26.1.2020)
Verhärteter Blick: Historiker forschen zur Arisierung der Ankerbrotfabrik - derStandard.at
 
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