Argentinien: Mögliches Versteck für Nazi-Flüchtlinge gefunden

josef

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#1
Ausgrabungen in Argentinien: Mögliches NS-Versteck

Argentinische Archäologen haben im Urwald einen Baukomplex gefunden, der möglicherweise geflüchteten Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg als Versteck dienen sollte.

Münzen und Porzellan aus Deutschland
In den drei Gebäuden in der nordostargentinischen Provinz Misiones seien deutsche Münzen aus den Jahren 1938 bis 1941 und Meißner Porzellan gefunden worden, sagte Daniel Schavelzon, Leiter des Archäologenteams der Zeitung „Clarin“. Die Forscher der Universität Buenos Aires vermuten, dass der Bau dazu gedacht war, Nazis als Zuflucht zu dienen.

Die Datierung des Baus auf Anfang der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts und die deutschen Fundstücke seien kein zwingender Beweis für ein Nazi-Projekt, räumte Schavelzon ein. Es gebe aber keine andere Erklärung für einen so kostspieligen Bau in einem damals unzugänglichen Ort und mit Materialien, die nicht der lokalen Architektur entsprächen.

Nie benutzt
Der Bau im heutigen Naturpark Teyu Cuare, 1.000 Kilometer nördlich von Buenos Aires, wurde den Angaben zufolge nie benutzt - möglicherweise, weil es in den Nachkriegsjahren für flüchtige Kriegsverbrecher relativ einfach gewesen sei, in Argentinien im normalen Stadtleben unterzutauchen, sagte Schavelzon. Nach Angaben der staatlichen Kommission zur Aufklärung von Nazi-Aktivitäten (CEANA) flüchteten mindestens 180 Kriegsverbrecher nach Argentinien. Zu den prominentesten zählten Adolf Eichmann, Erich Priebke und Josef Mengele.
http://www.orf.at/#/stories/2270147/
 

josef

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#2
Liste mit Namen von 12.000 Nazis in Argentinien aufgetaucht
Viele der NS-Sympathisanten unterhielten Konten bei der Schweizerischen Kreditanstalt
Buenos Aires – Dutzende Kriegsverbrecher des nationalsozialistischen Regimes, darunter etwa Josef Mengele und der für die Deportation von Juden in die Vernichtungslager der Nazis zuständige Adolf Eichmann, haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien abgesetzt und lebten dort teilweise unter falscher Identität. Die Anzahl der NS-Sympathisanten, die in dem südamerikanischen Land lebten, ist freilich deutlich höher: Nun ist in Argentinien eine Liste mit den Namen von 12.000 Nazis aufgetaucht, die dort ab den 1930er Jahren gelebt haben sollen. Ein argentinischer Ermittler sei in einem alten Lagerhaus in Buenos Aires auf die Liste mit Sympathisanten des Hitler-Regimes gestoßen, teilte das Simon-Wiesenthal-Zentrum mit.
Ein Großteil der Nazi-Sympathisanten, die einer Gruppierung namens "Unión Alemana de Gremios" angehörten, zahlte den Angaben zufolge Geld auf eines oder mehrere Konten bei der Schweizerischen Kreditanstalt ein, der heutigen Großbank Crédit Suisse mit Sitz in Zürich. "Wir glauben, dass sich auf diesen lange ruhenden Konten Geld befand, das den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gestohlen worden war", hieß es. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum bat die Bank demnach schriftlich um einen Zugang zu ihren Archiven.

Ein Teil der in Buenos Aires aufgetauchten Liste von NS-Sympathisanten.
Foto: Simon Wiesenthal Center

Vernichtung von Beweisen
Viele der Menschen auf der Liste hatten nach Einschätzung des Zentrums Kontakt zu Unternehmen mit Verbindungen zum NS-Regime, "die während des Zweiten Weltkriegs von den USA und Großbritannien auf die Schwarze Liste gesetzt worden waren". Argentinische Nazi-Gruppierungen hätten versucht, die Beweise durch Verbrennung von Akten zu vernichten, teilte das Zentrum mit.

Die Crédit Suisse verwies auf eine Untersuchungskommission, die zwischen 1997 und 1999 zu Schweizer Konten von mutmaßlichen Holocaust-Opfern ermittelte. Die Bank kündigte aber an, sie werde der "Angelegenheit nochmals nachgehen".

Rolle der Schweizer Banken im Zweiten Weltkrieg
Dass Schweizer Banken im Zweiten Weltkrieg die Drehscheibe der finanziellen Operationen des "Dritten Reiches" waren, ist schon länger bekannt. Die Geldinstitute ermöglichten dem deutschen Naziregime die Devisenbeschaffung und partizipierten an der Finanzierung von Einfuhren für die Kriegsanstrengungen Hitlers. Seit dem Beginn des Krieges hätten Deutschland wie auch die Schweizer Banken begriffen, dass es ihren reziproken Interessen diente, die Geschäftsbeziehungen zu schützen, wurde unter anderem im 2002 veröffentlichten sogenannten Bergier-Bericht festgestellt.
Deutschland konnte sich ausländische Devisen verschaffen, indem es in der Schweiz Raubgold verkaufte. Der Reichsbank gelang es, sich in der Schweiz 1,9 Milliarden Franken zu verschaffen, indem sie Edelmetalle verkaufte und Clearing-Geschäfte tätigte. Die Schweizer Banken fungierten während des Krieges auch als Finanzintermediäre. Sie trugen dazu bei, die Lieferungen von Rohstoffen oder lebenswichtigen Gütern wie Kakao oder Sardinen zu finanzieren, welche aus Ländern wie Portugal, der Türkei oder Spanien kamen.
Die Großbanken verdienten dabei viel Geld, indem sie die Schweizer Lieferungen von Kriegsmaterial an das "Dritte Reich" finanzierten. Die Waffenverkäufe hatten einen erheblichen Anteil am Geschäftsvolumen und brachten wichtige Kommissionen. Die Banken gewährten auch den Schweizer Rüstungsunternehmen Kautionen, in einigen Fällen auch der deutschen Armee. In einigen Banken – unter anderem in der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) und im Schweizerischen Bankverein (SBV) – hegte man starke Vorbehalte, mit jüdischen Financiers zusammenzuarbeiten. Die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) hatte ein NSDAP-Mitglied eingestellt, das ihre Interessen in Deutschland vertrat.
(red, APA, 5.3.2020)

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#3
Eichmann und Co in Argentinien bzw. generell in Südamerika: Wie erwünscht waren die Nazis?
Ein Gespräch mit dem israelischen Historiker Raanan Rein über Nazis in Argentinien, über ihre Fluchthelfer, Peróns Politik und den Einfluss der Nazis auf ihre Gastländer

Mit diesem Dokument reiste Adolf Eichmann unter falschem Namen 1950 in Buenos Aires ein. Warum wurde gerade diese Stadt zu einem beliebten Fluchtziel für Nazis nach 1945?
Cezaro De Luca / EPA / picturedesk
Etliche der schlimmsten NS-Verbrecher fanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Südamerika Zuflucht. Und nur wenige von ihnen – wie Adolf Eichmann oder Erich Priebke – wurden dort aufgespürt und zur Rechenschaft gezogen. Neben den bekannten Namen konnten sich aber auch etliche hochrangige österreichische Nazis dorthin absetzen. Zu ihnen gehörten Oswald Menghin, der nach dem "Anschluss" 1938 Unterrichtsminister war, oder Hans Fischböck, der als Handels- und Finanzminister für "Arisierungen" verantwortlich war und diese auch in den besetzten Niederlanden umsetzte.

Den Nachkriegskarrieren deutscher und österreichischer Nazis in Südamerika war Ende vergangener Woche ein internationales Symposion in Wien gewidmet. Den Hauptvortrag der zweitägigen Veranstaltung, die vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und dem Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI) organisiert wurde, hielt der israelische Historiker Raanan Rein (Universität Tel Aviv), einer der international führenden Experten für die Geschichte Lateinamerikas.


Raanan Rein über die Nazi-Einwanderung nach Argentinien: "Es liegt eine gewisse Scheinheiligkeit darin, das den argentinischen Behörden in die Schuhe zu schieben.
"Foto: Erez Kagnovitz

STANDARD: Warum flüchteten so viele gesuchte Nationalsozialisten ab 1945 bevorzugt nach Südamerika und dort zumeist nach Argentinien?

Rein: Es ging diesen Verbrechern zum einen darum, sich so weit wie möglich von den Schauplätzen ihrer Untaten zu entfernen. Zum anderen bevorzugten sie augenscheinlich Länder, in denen es bereits eine größere deutschsprachige Zuwanderergruppen gab, an die man sich anschließen konnte. Die war unmittelbar nach 1945 beispielsweise in Australien im Vergleich zu Argentinien viel kleiner.

STANDARD: Buenos Aires galt quasi als die erste Adresse für NS-Täter. Wie sehr trug auch Argentinien selbst mit dazu bei?

Rein: Es liegt eine gewisse Scheinheiligkeit darin, das den argentinischen Behörden in die Schuhe zu schieben. Denn es waren auch viele andere Akteure daran beteiligt: Kirchenvertreter in Rom unterstützten Nazis und ihre Kollaborateure dabei, nach Südamerika und Argentinien zu entkommen. Auch das Internationale Rote Kreuz in der Schweiz half mit, entsprechende Reisedokumente auszustellen. Dazu kommt auch die Rolle etwa der US-Geheimdienste. Ich will damit aber in keiner Weise entschuldigen, dass besonders viele Nazis über Buenos Aires nach Südamerika kamen.

STANDARD: Weiß man, wie viele NS-Verbrecher nach Argentinien gelangten?

Rein: Nehmen wir die sehr spezifische Kategorie der NS-Kriegsverbrecher her, dann geht die Forschung heute von 50 bis 60 Personen aus, die in Argentinien landeten. Das ist eine ziemlich große Zahl, und jeder Einzelne ist einer zu viel. Aber 50 bis 60 ist – verglichen mit den Zahlen, die von Simon Wiesenthal und anderen genannt wurden – eher wenig. Da war ja oft von hunderten oder gar tausenden NS-Kriegsverbrechern in Argentinien die Rede. Was wir auch nicht vergessen dürften: Nicht wenige zogen in andere Länder weiter, wie Josef Mengele oder Klaus Barbie.

STANDARD: Was ist dran am Vorwurf, dass die 1945 neu gewählte argentinische Regierung von Juan Domingo Perón die Einwanderung von Nazis unterstützt habe?

Rein: Die Annahme, dass Perón von diesen 50 bis 60 Kriegsverbrechern gewusst habe, ist in meinen Augen lächerlich. Diese Unterstellung, dass NS-Verbrecher in Argentinien besondere Verbindungen zu Regierungskreisen hatten, lässt sich nur in den seltensten Fällen durch Dokumente erhärten und ist viel eher eine Verschwörungstheorie. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einwanderung nach Argentinien immer schon ziemlich chaotisch war. Während des Zweiten Weltkriegs etwa nahm Argentinien nach Palästina die meisten jüdischen Zuwanderer auf, obwohl es – wie in vielen anderen Ländern – ein Dekret gab, das jüdische Zuwanderung eigentlich untersagte.

STANDARD: Aber Perón hatte doch Interesse an Zuwanderern aus Europa und im Speziellen aus Deutschland?

Rein: Ja, aber vor allem deshalb, weil er mit ihnen das Land modernisieren wollte. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch die USA und die Sowjetunion nach 1945 viele deutsche und österreichische Wissenschafter und Techniker mit NS-Vergangenheit "übernahmen" – wie beispielsweise die Raketenforscher um Wernher von Braun. Argentinien war zu diesem Zeitpunkt technisch und wissenschaftlich weniger entwickelt als die USA. Deshalb war in Argentinien quasi jeder willkommen, der nur halbwegs qualifiziert war.

STANDARD: Aber warum hat gerade Argentinien so einen schlechten Ruf, wenn es um Nazis geht?

Rein: Das hat meines Erachtens vor allem politische Gründe. Innenpolitisch wurde diese Anschuldigung dafür genützt, um peronistische Politiker wie Carlos Menem oder Ernesto Kirchner zu diskreditieren, um sie von ihren Gegnern mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Außenpolitisch trugen die USA schon früh dazu bei, dass Argentinien dieses Image bekam: Als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, sollten ihnen alle lateinamerikanischen Länder folgen. Argentinien weigerte sich bis März 1945 – und so wurde dem Land und auch Perón von den USA unterstellt, nazifreundlich zu sein, obwohl Perón erst 1946 die Regierung übernahm.

STANDARD: Perón verlor 1955 die Macht. Ändert sich dann etwas am Umgang mit den Nazis in Argentinien?

Rein: Es änderte sich zunächst rein gar nichts. Zum Thema wurden sie erst nach der Entführung Eichmanns im Jahr 1960. Zu dieser Zeit änderten sich allerdings auch noch andere Dinge: Es kam zu einer Zunahme gewalttätiger antisemitischer Übergriffe in Argentinien. Als Rache für Eichmanns Tod entführte eine nationalistische Bewegung namens Tacuara beispielsweise die jüdische Studentin namens Graciela Sirota und tätowierte ihr ein Hakenkreuz auf die Brust. Die jüdische Community, eine der größten und bestintegrierten weltweit, fürchtete damals, dass es zu einem weiteren Holocaust, nun eben in Argentinien, kommen könnte. Meine Schwiegereltern verließen auch aus diesem Grund Argentinien und zogen nach Israel.

STANDARD: Welchen längerfristigen Einfluss hatten die Nazis in Argentinien? Es gibt ja auch die Behauptung, dass die argentinischen Militärs während der Diktatur bei ihren Foltermethoden auf Nazis zurückgegriffen hätten.

Rein: Das unterschlägt, dass Argentinien selbst eine eigene beklagenswerte Tradition hatte, politische Gegner und Gegnerinnen zu foltern, die auf die Zeit lange vor Hitler zurückging. Diese Zusammenarbeit zwischen den emigrierten Nazis und dem Militär oder der Geheimpolizei war meines Erachtens in weniger entwickelten südamerikanischen Ländern wie Bolivien größer. Es gab aber auch bestimmte Bereiche in Argentinien, wo frühere NS-Wissenschafter und -Ingenieure wichtig wurden, wie im Flugzeugbau oder in der Kernforschung im Fall von Ronald Richter.
(Klaus Taschwer, 4.4.2022)

Raanan Rein (61) ist Professor an der Universität Tel Aviv, an der er auch Vizepräsident war. Der renommierte Historiker und Politikwissenschafter ist Autor und Herausgeber von mehr als 40 Büchern zur Geschichte Lateinamerikas und Spaniens, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde.

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Eichmann und Co in Südamerika: Wie erwünscht waren die Nazis?
 

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#4
EICHMANNS ARBEITSKOLLEGE
Hans Fischböck: Der NS-Bonze, der nie belangt wurde
Der Organisator der "Arisierungen" war der wohl ranghöchste Nazi Österreichs, der nach 1945 unbehelligt davonkam. Eine neue Arbeit rekonstruiert, wie ihm das gelang
Im Jänner 1966 wurde es noch einmal etwas eng für Hans Fischböck. "Nazijäger" Simon Wiesenthal hatte ein paar Monate zuvor die Spur des hochrangigen NS-Bürokraten aus Österreich aufgenommen und im Oktober 1965 herausgefunden, dass sich der Organisator der "Arisierungen" in der deutschen Stadt Essen aufhielt. Der niederländische Journalist Jules Huf, ein Mitarbeiter von Wiesenthals Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes, konnte Fischböck vor Weihnachten sogar ein Interview abringen, das nach Veröffentlichung nicht nur in den Niederlanden hohe Wellen schlug.

Das niederländische Institut für Kriegsdokumentation (NIOD) ließ umgehend feststellen, ob eine Auslieferung Fischböcks möglich sei. Auch andere internationale Stellen zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern wurden aktiv und prüften die Faktenlage. Wenige Tage später erfuhr das Innenministerium, dass der wintersportbegeisterte 70-Jährige als Zuseher zum Hahnenkamm-Rennen nach Kitzbühel anreisen wollte, das am 21. Jänner 1966 stattfand.


Hans Fischböck 1965 bei einem Winterurlaub in Kitzbühel. Ein Jahr später wurde es für ihn dort kurz etwas ungemütlich.
United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington D.C.

Hektisch verhängten die österreichischen Behörden ein Einreiseverbot. Fischböck, der bereits in Tirol war, bekam davon Wind, reiste umgehend wieder aus und verabschiedete sich nach Spanien, das unter Diktator Franco ein beliebter Unterschlupf für Nazis war. Damit war er seinen Verfolgern ein letztes Mal entkommen.

Erstaunliche Forschungslücke
Wie aber war es möglich, dass dieser führende NS-Bürokrat, der 1945 auf der ersten österreichischen Kriegsverbrecherliste aufschien, sich immer wieder der Verfolgung entziehen konnte? Zwar sind in den vergangenen Jahren einige Fakten zu Fischböcks Leben nach 1945 bekannt geworden. Dennoch fehlte bis vor kurzem eine Biografie des bürgerlich-katholischen NS-Bonzen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil unter den belasteten österreichischen Nationalsozialisten, die nie belangt wurden, Fischböck der ranghöchste war.

Diese einigermaßen erstaunliche Forschungslücke hat nun die Historikerin Jutta Fuchshuber (Uni Wien) gemeinsam mit ihrem Kollegen Andreas Schrabauer zumindest teilweise geschlossen. Erschienen ist ihr Artikel im druckfrischen Sammelband Nazi and Nazi Sympathizers in Latin America after 1945 (Brill), der von der österreichischen Forscherin Linda Erker (DÖW) gemeinsam mit ihrem israelischen Kollegen und Lateinamerika-Spezialisten Raanan Rein herausgegeben wurde und in dem sich noch viele weitere neue Erkenntnisse über das Untertauchen von österreichischen und deutschen Nationalsozialisten in Südamerika finden.

Wesentlich erleichtert wurden die Recherchen von Fuchshuber und Schrabauer, weil Matías Juan Fischböck, der in Argentinien lebende Enkel, vor einigen Jahren zahlreiche Dokumente aus dem Familienbesitz dem United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington, D.C., übergab, wo diese für Forschungszwecke zugänglich sind. Trotz dieses Materials sind noch weitere Fragen zu Fischböcks Untertauchen offen, weshalb Fuchshuber und Schrabauer in einem vom Zukunftsfonds, der MA 7 der Stadt Wien und der Österreichischen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt an diesem skandalträchtigen Fall weiterrecherchieren.

Bürgerlicher Nazi-Karrierist
Der 1895 geborene Hans Fischböck stammte aus einer Wiener Anwaltsfamilie und studierte hier Jus – so wie einige seiner späteren Nazi-Freunde, zu denen unter anderem Arthur Seyß-Inquart und Otto Wächter zählten. So wie Wächter und Seyß-Inquart war Fischböck Mitglied des Deutschen Klubs, in dem bürgerliche "Austro-Nazis" ab 1930 auf den "Anschluss" Österreichs hinarbeiteten. Zur Belohnung wurde Fischböck im März 1938 Minister für Handel und Verkehr (später für Wirtschaft und Arbeit sowie für Finanzen) und als solcher zur führenden Kraft bei der systematischen Zwangsenteignung ("Arisierung") jüdischen Eigentums, die Vorbildcharakter für ähnliche Maßnahmen im Deutsche Reich hatte.


Die "Anschlussregierung" am 18. März 1938 bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin. Hans Fischböck (erste Reihe, Zweiter von links) neben Arthur Seyß-Inquart. Halb von Fischböck verdeckt: Ernst Kaltenbrunner.
Narodowe Archiwum Cyfrowe

Der NSDAP und der SS trat Fischböck erst 1940 bei; in diesem Jahr war er auch kurz im heute ukrainischen Charkiw tätig. Wenig später wechselte er mit seinem Freund Seyß-Inquart vom Osten in den Westen, konkret: in die von den Deutschen überfallenen Niederlande. Hier war er ab 1940 unter Seyß-Inquart Generalkommissar und organisierte die finanzielle und ökonomische Unterwerfung sowie die "Entjudung" der Wirtschaft. Im Frühjahr 1942 wurde er zudem Staatssekretär und Reichskommissar für die Preisbildung und 1944 zum stellvertretenden Leiter des Planungs- und Rohstoffamtes im Rüstungsministerium. Er war damit auch mitverantwortlich für die Zwangswirtschaft, die hunderttausende Menschen das Leben kostete.

Untertauchen in Bayern
In den Wirren des Kriegsendes konnte Fischböck in Bayern untertauchen und entging so der Inhaftierung durch die Alliierten. Spätestens nach Veröffentlichung der ersten österreichischen Kriegsverbrecherliste Ende 1945 wurde die Suche nach ihm intensiviert – ohne Erfolg. Fischböck lebte in den nächsten Jahren mit seiner späteren zweiten Frau unter falschem Namen unbehelligt bei München. Sein enger Freund Seyß-Inquart wurde währenddessen 1946 beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ähnlich erging es dem Österreicher Hanns Rauter 1948 in den Niederlanden. Rauter war dort unter Seyß-Inquart Polizeichef gewesen.

Die Todesstrafe hätte Fischböck vermutlich nicht gedroht, gewiss aber eine längere Haftstrafe, die viele seiner unmittelbaren Weggefährten antreten mussten. Rund um 1950 dürfte es dann der Spruchkammer in München, der deutschen Entnazifizierungsbehörde, gelungen sein, Fischböcks wahre Identität zu ermitteln und seine Adresse nach Österreich weiterzuleiten. Der aber dürfte davon Wind bekommen haben, wie Fuchshuber und Schrabauer vermuten, denn Anfang 1951 setzte er sich unter dem falschen Namen Jacob Schramm über die "Rattenlinie" nach Argentinien ab – als der letzte bekannte ranghohe Nazi.

Eichmanns Arbeitskollege
Unterstützt wurde er dabei vom katholischen Priester Krunoslav Draganović, der neben dem österreichischen Theologen Alois Hudal der wichtigste Fluchthelfer von NS-Verbrechern war. Als seine letzte Adresse in Europa gab Fischböck "Via Lomellini 6 in Genua" an – so wie zuvor Klaus Barbie und Adolf Eichmann. Und so wie Eichmann und einige österreichische Nazis arbeitete Fischböck in Argentinien für die Firma Capri, die vom deutsch-argentinischen SS-Hauptsturmbannführer Carlos Fuldner gegründet worden war. Als Eichmann ab Mitte der 1950er-Jahre seine Interviews mit Willem Sassen aufnahm, notierte er am Transkript neben dem Namen Fischböck "Er lebt noch!!!".


Fischböck in seinem Büro der Firma Capri in Buenos Aires. Einen Stock darüber lag das Büro Eichmanns.
United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington D.C.

Hans Fischböck, der sich mittlerweile Juan Fischböck nannte, ging es auch nach der Pleite von Capri 1955 gut: Er war mit einschlägigen deutsch-argentinischen Nazi-Kreisen bestens vernetzt, arbeitete als Berater für eine Firma eines anderen Ex-SSlers, für die er auch immer wieder nach Europa reiste, 1960 auch gleich zweimal nach Wien, um mit Verantwortlichen der Creditanstalt zu verhandeln, der Nachfolgerin jener Bank, für die er in der Zwischenkriegszeit gearbeitet hatte. Im Innenministerium war das sehr wohl bekannt, wie Fuchshuber und Schrabauer belegen können; das zog damals aber keinerlei Konsequenzen nach sich. Die äußerst großzügige NS-Pardonierung, die 1957 im österreichischen Parlament beschlossen wurde, hätte eine etwaige Bestrafung in Österreich wohl verunmöglicht – anders als in den Niederlanden.


Fischböcks argentinischer Reisepass, mit dem er allem Anschein nach problemlos verschiedenste Länder Europas besuchen konnte.
United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington D.C.

Rückkehr nach Deutschland
Anfang der 1960er-Jahre kehrte Fischböck als argentinischer Staatsbürger ohne seine Familie nach Deutschland zurück. Er arbeitete in Essen für das Büro des deutschen Architekten und Ingenieurs Wilhelm Silberkuhl, der sich nach 1945 ebenfalls nach Argentinien abgesetzt hatte. Urlaub machte er regelmäßig – und bis zum Jänner 1966 – völlig unbehelligt in Kitzbühel. Die Flucht nach Spanien Anfang 1966 bewahrte ihn auch dieses Mal vor weiterer Verfolgung. Im argentinischen Konsulat in Barcelona ließ er seelenruhig seinen Reisepass verlängern und begab sich für einige Monate nach Mallorca.

Als sich der Wirbel wieder gelegt hatte, kehrte er im April 1967 wieder nach Deutschland zurück, wo der ehemals führende NS-Bürokrat und Organisator der "Arisierungen" drei Monate später etwas überraschend starb – ohne je für seine Verbrechen belangt worden zu sein.
(Klaus Taschwer, 26.5.2024)

Weiterlesen:
Wie Adolf Eichmann in Argentinien wirklich aufgespürt wurde (2021)

Literaturhinweis:
1716753340296.png
Linda Erker und Raanan Rein, "Nazis and Nazi Sympathizers in Latin America after 1945".
€ 130,– / 293 Seiten. Brill, Leiden/Boston 2024.
Hans Fischböck: Der NS-Bonze, der nie belangt wurde
 
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