Atomausstieg in Deutschland

josef

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#1
Atomausstieg geht in letzte Runde
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Beim deutschen Atomausstieg ist die Zielgerade in Sicht. Am Silvesterabend gingen wie geplant drei der letzten sechs Atomkraftwerke des Landes vom Netz. In genau einem Jahr sollen dann noch die verbleibenden Reaktoren folgen. Atomkraftgegner und Umweltschutzorganisationen feiern die Abschaltungen. Doch nicht überall wird der deutsche Weg als der richtige angesehen.
Für die Atomkraftwerke in Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Grohnde (Niedersachsen) ging mit dem Silvestertag ihr Arbeitsleben zu Ende. Die beiden Kraftwerke wurden ebenso wie der Block C im bayrischen AKW Gundremmingen in der Nacht vor dem Jahreswechsel vom Netz genommen. Jetzt werden die Reaktoren Stück für Stück rückgebaut – ein aufwendiger Prozess, der noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird.

Mit der Abschaltung der drei Reaktoren speisen künftig nur noch drei AKWs in Deutschland elektrische Energie ins Stromnetz ein. Doch auch für die Kraftwerke, die noch in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen in Betrieb sind, ist das Ende in Sicht. In einem Jahr soll auch in den AKWs Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 der Betrieb eingestellt werden. Weiter betrieben werden dürfen nur noch zwei Anlagen, die Brennstoff und Brennelemente für den Export herstellen. Der deutsche Atomausstieg soll dann als offiziell beendet gelten.

Reuters/Morris Macmatzen
Das AKW Grohnde war eines der letzten sechs aktiven AKWs in Deutschland

Bereits am Donnerstag feierten Aktivistinnen und Aktivisten die Abschaltung des AKW Brokdorf. Mitglieder der NGO .ausgestrahlt projizierten Schriftzüge wie „Schluss! Endlich!“ und „Gemeinsam gewonnen“ auf die Reaktorkuppel. Gegen das AKW Brokdorf hatte es seit dessen Bau in den 1980ern starken Widerstand von Atomkraftgegnern gegeben. Es war 1986 – genau im Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – ans Netz gegangen.

Fukushima als Beschleuniger
Ihren Anfang nahm die politische Abkehr von der Atomenergie in Deutschland unter der ersten SPD-Grünen-Regierung Anfang der Nullerjahre. Zwar bemühte sich die Nachfolgeregierung aus Union und FDP anfangs um eine Laufzeitverlängerung für die deutschen AKWs. Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 zementierte die deutschen Ausstiegspläne aber endgültig ein.

„Der Atomausstieg ist unumkehrbar“, stellte nun die neue deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) fest. Die Abkehr von der Atomkraft schreite planmäßig voran – und „das ist auch gut so“.

Die Angst der Kritiker
Allerdings teilen nicht alle in Deutschland diese Meinung. Erst vor Kurzem sprachen sich mehrere Konzernchefs dafür aus, die Laufzeit der bestehenden AKWs zu verlängern. Ein Hauptargument derer, die in Deutschland – noch – nicht auf die Atomkraft verzichten wollen: In Kombination mit dem Kohleausstieg bis 2038 steuere Deutschlands Stromnetz auf einen eklatanten Versorgungsengpass zu.

Andere, wie etwa die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, verweisen hingegen darauf, dass Deutschland keine Gefahr drohe – einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energie, der Netze und der Speicher vorausgesetzt.

In einer aktuellen Analyse geht das DIW davon aus, dass es auch nach dem vollendeten Atomausstieg „ausreichende Kapazitäten“ geben werde, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Wenn das deutsche Stromsystem „rasch auf erneuerbare Energieträger in Verbindung mit Speichern und Flexibilitätsoptionen“ umsteige, sei die Versorgungssicherheit mittelfristig nicht gefährdet, schreiben sie.

Umkämpfte Materie in EU
Auf EU-Ebene ist der Kampf um die Zukunft der Kernkraft freilich noch lange nicht entschieden. Während ein Teil der Mitgliedsstaaten – wie auch Österreich – deren Nutzung entschieden ablehnt, wollen andere Länder wie Frankreich und Polen daran festhalten und auch neue Atomkraftwerke bauen. Die EU-Kommission wird voraussichtlich Atomkraft als klimafreundliche Energieform einstufen.

Die neue Einstufung wäre Teil der von der Kommission geplanten neuen Taxonomie für nachhaltige Energieformen. Dabei geht es auch um die mögliche Bewertung von Gas als eine nachhaltige Übergangstechnologie, was ebenfalls auf Kritik stößt.

Vor dem AKW in Grohnden demonstrierte denn am Donnerstag auch Greenpeace unter dem Slogan „Für ein atomstromfreies Europa“ gegen die Pläne der EU-Kommission, die Atomenergie und auch Energie aus Erdgas als nachhaltig einstufen könnte. Das sei „völlig unverständlich“, hieß es von der NGO.
01.01.2022, red, ORF.at/Agenturen

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Deutschland: Atomausstieg geht in letzte Runde
 

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#2
WEGEN ERDGASKRISE
Europa mitten in neuem AKW-Streit
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Europa verstrickt sich derzeit in eine neue Atomkraftdebatte. Nachdem es zuletzt um die Streitfrage „grüner“ Strom aus dem AKW ging, ist diesmal die Angst vor einem russischen Erdgaslieferstopp samt Energiekrise die Triebfeder. Vor allem in Deutschland ist das Thema Atomausstieg wie geplant oder doch erst später brisant. Von außen machen mehrere EU-Partner Druck.

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Die Angst vor einer Energiekrise im Winter, sollte Russland seine Erdgaslieferungen nach Europa als Retourkutsche für die westlichen Sanktionen zur Gänze einstellen, ist derzeit praktisch allgegenwärtig. Rufe, die Laufzeiten von Kraftwerken zu verlängern, sogar bereits stillgelegte Meiler wieder in Betrieb zu nehmen, werden lauter, aktuell vor allem in Deutschland.

Deutschland hatte 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft zur Stromerzeugung beschlossen, aktuell sind noch drei Kraftwerke in Betrieb (Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg). Sie sollen bzw. sollten eigentlich Ende dieses Jahres heruntergefahren werden, „spätestens“, wie es aktuell noch beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) heißt. Die deutsche Presse war am Freitag voll mit dem Thema.

Ein „Sonderszenario“ mit Blick auf den Winter
„Schlägt jetzt die Stunde der Stimmungsmacher gegen den Atomausstieg?“, fragte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und stellte fest: „Deutschlands Kernkraftwerke müssen wohl länger am Netz bleiben als geplant.“ Selbst der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließe eine Verschiebung des Ausstiigs nicht mehr aus, schrieb der „Spiegel“ am Freitag. Ein „Stresstest“ für die Energieversorgung „könnte ein ‚Sonderszenario‘ erfordern“, wurde Habeck aus einem Interview mit dem Sender RTL zitiert. Das Ergebnis des Tests werde in den nächsten Wochen erwartet.

APA/AFP/Thomas Kienzle
Das AWK Neckarwestheim: Nachdenken über Weiterbetrieb im „Sonderszenario“ Erdgaskrise
Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) schloss einen kurzfristigen Weiterbetrieb von „Isar 2“ zuletzt nicht aus. Sollte der laufende Stresstest zur Energiesicherheit ergeben, „dass Bayern tatsächlich ein ernsthaftes Strom- bzw. Netzproblem haben könnte, dann werden wir diese Situation und die dann bestehenden Optionen bewerten“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Unverständnis für Ausstiegspläne bei EU-Partnern
Der Ausstiegsplan beschäftigt aber nicht nur Deutschland, sondern auch mehrere EU-Partner. Weshalb? Berlin bitte „andere EU-Staaten um Solidarität beim Gassparen“, wolle gleichzeitig aber an den Plänen, die AKWs stillzulegen, festhalten. „In einigen Partnerländern sorgt das für Unmut. Nun wächst der Druck auf die Bundesregierung, den Atomausstieg zu verschieben“, schrieb gleichfalls der „Spiegel“ am Freitag. Kritik komme etwa aus Frankreich, Ungarn, Rumänien und der Slowakei.

Aus deren Sicht könnte ein Weiterbetrieb der deutschen AKWs erheblich dazu beitragen, Gas zu sparen, da in der Bundesrepublik zuletzt noch immer etwa 15 Prozent des Stroms von Gaskraftwerken erzeugt wurden. Sollte Russland seine Gaslieferungen in die EU komplett einstellen, wären dann mehr Reserven für das Heizen von Haushalten und für die Industrie verfügbar.

„Wenn Deutschland Gas sparen möchte, dann möge es doch bitte seine Atomkraftwerke weiterlaufen lassen – beziehungsweise die drei, die letztes Jahr abgeschaltet wurden, die könnten ja wieder ans Netz gehen“, hatte etwa der slowakische Wirtschaftsminister Richard Sulik am Dienstag am Rande von EU-Beratungen in Brüssel erklärt. Kritisch hatte sich auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban geäußert – samt Befürchtung, seinem Land würde im Krisenfall zugesagtes Erdgas „weggenommen“. Budapest stimmte dem EU-Notfallplan nicht zu.

Belgien verschob Ausstieg um zehn Jahre
Belgien hatte seinen für 2025 geplanten Atomausstieg schon relativ bald nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar auf Eis gelegt, zuletzt wurden die Pläne konkretisiert. Zwei Reaktoren sollen nun bis 2036 am Netz bleiben, einige vorerher heruntergefahren werden. Aktuell betreibt das Land sieben Reaktoren in zwei AKWs, Doel und Tihange, beide bereits stark in die Jahre gekommen.

„Stuttgarter Erklärung“ und skurrile Vorschläge
Eine unorthodoxe bis skurrile Idee kam zuletzt aus Polen. „Wenn die Deutschen ihre Kernenergie nicht selbst nutzen wollen, sollten sie sie verpachten“, forderte die Parlamentsabgeordnete Paulina Matysiak von der linksgerichteten Partei Razem (dt.: Gemeinsam) nach einem Besuch in Berlin. Die polnische Regierung solle der deutschen Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag machen. Deutsche AKWs sollten weiterlaufen „zum Wohle der Sicherheit Europas und des Klimas“, schrieb Razem-Parteichef Adrian Zandberg auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Schon Anfang Juli hatten sich zehn EU-Energieminister, darunter auch der französische, in einem Gastkommentar für das deutsche „Handelsblatt“ für den Ausbau der Atomenergie in der Union ausgesprochen – Stichworte: „Taxonomie“ und „grüner“ Strom aus dem AKW. In Deutschland deponierten diese Woche 20 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von verschiedenen Universitäten einen offenen Brief, genannt „Stuttgarter Erklärung“, beim Bundestag. Einleitend heißt es darin: „Mit einseitiger Ausrichtung auf Sonne, Wind und Erdgas wurde Deutschland in Energienot manövriert.“ Es folgt ein Plädoyer für Atomkraft als dritte „Klimaschutzsäule“ neben Sonne und Wind.

Eine „Scheindebatte“ oder doch mehr?
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich Mitte der Woche erneut für den Weiterbetrieb der verbliebenen drei AKWs bis 2024 ausgesprochen. „Es muss in jedem Fall eine Stromlücke verhindert werden“, sagte er in Berlin. Er sei „in der jetzigen Situation offen für die Nutzung der Kernenergie“. Inwieweit das auch bereits stillgelegte Kraftwerke einschließen könne, könne er „nicht beurteilen“. Bei den drei noch in Betrieb befindlichen „brauchen wir aber diese Diskussion“.

Grafik: APA/ORF.at
CDU- und Oppositionschef Friedrich Merz forderte die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP auf, umgehend neue Brennstäbe anzuschaffen. Die SPD steht einer Laufzeitverlängerung wie die Grünen auch skeptisch gegenüber. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will vor einer Entscheidung die Ergebnisse des laufenden „Stresstests“ abwarten.

Für den Koalitionspartner Grüne nannte die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, die gesamten Differenzen am Freitag eine „Scheindebatte“ – obwohl selbst sie zuletzt einen (kurzen) „Streckbetrieb“ über das Jahresende hinaus im Notfall nicht ausgeschlossen hatte. „Es bleibt beim Atomausstieg.“ Das sei so „in der Koalition vereinbart“.

„Wichtigster Maßstab ist und bleibt Sicherheit“
Eine Frage, die in der aktuellen Debatte etwas unter den Tisch fällt, griff der Präsident des BASE, Wolfram König, auf: die nach der Sicherheit in die Jahre gekommener Atommeiler. Er sieht eine Laufzeitverlängerung für die drei letzten deutschen AKWs in Betrieb sowie einen Wiedereinstieg in die Atomkraft skeptisch.

„Längere Laufzeiten, Streckbetrieb oder Wiedereinstieg – wie viel mehr Atomkraft darf es denn wohl sein?“, fragte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „In der momentanen Debatte fehlt ein zentraler Aspekt: Wichtigster Maßstab im Umgang mit der Hochrisikotechnologie Atomkraft ist und bleibt die Sicherheit.“
29.07.2022, geka, ORF.at/Agenturen

Wegen Erdgaskrise: Europa mitten in neuem AKW-Streit
 

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#3
AUSSTIEG „UNUMKEHRBAR“
Tage der letzten deutschen AKWs gezählt
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In Deutschland sollen diese Woche die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen – und die Entscheidung soll endgültig sein. Die Laufzeit war Ende des Vorjahres wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges verlängert worden. Nun soll endgültig Schluss sein, wie es am Montag hieß. Was bleibt: der Rückbau als teure Mammutaufgabe.
Online seit gestern, 23.30 Uhr
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Mit Samstag, dem 15. April, soll die Betriebszeit der AKWs Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen enden. Der Atomausstieg sei „unumkehrbar“, betonte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen).

Die letzten drei von ursprünglich 17 deutschen AKWs, die dann vom Netz genommen werden, würden „früher oder später in den Rückbau gehen“, sagte Habeck den Zeitungen der deutschen Funke-Mediengruppe (Montag-Ausgaben). Ein Neubau von Kernkraftwerken habe sich immer als ökonomisches Fiasko dargestellt – ob in Frankreich, Großbritannien oder Finnland.

„Energieversorgungssicherheit wurde gewährleistet“
„Es gibt auch kein Interesse von deutschen Betreibern, neue Atomkraftwerke zu bauen. Unser Energiesystem wird sich anders aufbauen: Wir werden bis 2030 zu 80 Prozent erneuerbare Energien haben“, so Habeck. Die Frage, ob er die Sicherheit der Energieversorgung nach dem Atomausstieg garantieren könne, bejahte er.

APA/Marijan Murat
Block zwei des Kernkraftwerks Neckarwestheim

„Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein“, sagte Habeck. „Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien.“

Schwieriger Abschied auch von der Kohle
Zuletzt hatte Deutschland allerdings noch viel Energie mit Steinkohle erzeugt und wegen der Erdgaskrise letztes Jahr alte Standorte reaktiviert. Neben dem Atomausstieg plant Berlin auch den Kohleausstieg bis spätestens 2038. Der Atomausstieg war bereits 2011 beschlossen worden, der Ausstieg aus Braun- und Steinkohle zur Stromerzeugung 2019.

Die letzten drei deutschen AKWs hätten laut ursprünglichem Zeitplan eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise beschloss die „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Grünen aber, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.

Deutliche Mehrheit gegen Abschaltung
Über den Ausstieg gehen nicht nur in der deutschen Politik, sondern auch in der Öffentlichkeit die Meinungen auseinander. Fast zwei Drittel der Deutschen sprachen sich zuletzt in einer Umfrage gegen die Abschaltung der letzten AKWs aus. Knapp ein Drittel (32 Prozent) befürworteten einen befristeten Weiterbetrieb, 33 Prozent eine unbefristete Laufzeitverlängerung. Nur 26 Prozent halten die Abschaltung zum aktuellen Zeitpunkt für richtig.

Nur die Anhänger der Grünen sind mit 56 Prozent mehrheitlich für die Abschaltung. Bei den Wählern der anderen beiden Koalitionsparteien überwiegt dagegen die Ablehnung. Von den SPD-Anhängern sind nur 31 Prozent dafür, die Nutzung der Atomkraft zum jetzigen Zeitpunkt zu beenden. Bei den FDP-Wählern sind es sogar nur zwölf Prozent. Auch unter den Anhängern der Linkspartei sind nur 37 Prozent für eine Abschaltung. Bei der CDU/CSU sind es 16 Prozent, bei der AfD sogar nur sechs Prozent.

Rückbau als Großaufgabe
Die bereits abgeschalteten deutschen AKWs wurden in mehreren Wellen stillgelegt, einige befinden sich (noch) in unterschiedlichen Stadien des Rückbaus, nachdem sich Kernkraftwerke nicht einfach vom Netz nehmen und abreißen lassen. Für das AKW Emsland im niedersächsischen Lingen etwa rechnet der Betreiber RWE mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase einschließlich Nachbetrieb, wie es am Osterwochenende hieß.

Reuters/Stephane Nitschke
Das AKW Emsland soll in „erster Phase“ bis 2037 rückgebaut werden

„Entsprechend unserer heutigen Planung gehen wir davon aus, dass die Anlage im Jahre 2037 nachweislich frei von jedweder Radioaktivität sein wird und somit aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes entlassen werden kann“, so ein Sprecher des deutschen Energiekonzerns. „Im Anschluss erfolgt der konventionelle Anlagenrückbau“ – sprich der Abriss des Anlagenkomplexes.

Nicht einfach Abriss
Nach Angaben des deutschen Kerntechnik-Branchenverbandes KernD dauert die allein die Nachbetriebsphase in der Regel vier bis fünf Jahre. In dieser Phase werden die Brennelemente aus der Anlage in das Standortzwischenlager gebracht und Anlagenteile abgebaut. Erst danach beginnt die eigentliche Stilllegungsphase.

Die Kosten für Nachbetrieb und Rückbau eines Kernkraftwerks schwanken laut RWE je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlagen zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro. Beton, Glas, Schrott und Kunststoff bildeten mit rund 90 Prozent den überwiegenden Teil der Abfälle beim Rückbau. Was davon recycelt werden könne, werde recycelt.
11.04.2023, red, ORF.at/Agenturen

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Ausstieg „unumkehrbar“: Tage der letzten deutschen AKWs gezählt
 

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#4
AUS FÜR AKWS IN DEUTSCHLAND
Rückbau jahrzehntelanges Mammutprojekt
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Die drei letzten von ursprünglich 35 Reaktoren in Deutschland sollen am Samstag endgültig abgeschalten werden. Das Thema Atomkraft ist damit aber noch nicht zu Ende. Der Rückbau der Atomkraftwerke dauert Jahrzehnte und verschlingt Milliarden. Auch die Frage der Endlagerung der radioaktiven Abfälle ist nach wie vor ungeklärt.
Online seit heute, 6.05 Uhr
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In Deutschland herrscht keine Einigkeit über den Atomausstieg, der bereits 2011 von der CDU/CSU-FDP-Regierung beschlossen worden war. Fast zwei Drittel der Deutschen sprachen sich zuletzt in einer Umfrage gegen die Abschaltung der letzten AKWs aus. Noch bis zuletzt kritisierten die deutsche Wirtschaft und die FDP, Teil der „Ampelkoalition“ mit SPD und Grünen, den deutschen Atomausstieg. FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete die AKW-Abschaltung als „dramatischen Irrtum“.

Für den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist der Ausstieg aber „unumkehrbar“. Am Samstag werden die AKWs Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen eingestellt. Die FDP will die AKWs noch in Reserve halten. Habeck will dort aber „früher oder später in den Rückbau gehen“.

AP/Michael Probst
Das AKW Neckarwestheim 2 wird am Samstag abgeschaltet

Mindestens sechs Jahrzehnte für Rückbau und Lagerung
Zunächst geht es nach der Trennung der Kraftwerke vom Netz um eine weitere Kühlung der Reaktoren. In den Tagen nach der Abschaltung müssen pro Kraftwerk 193 Brennelemente aus dem Reaktorkern in wassergefüllte Lagerbecken gebracht werden. Für den Rückbau der Anlagen sind jeweils eigene Genehmigungen notwendig.

Das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) rechnen noch mit mindestens 60 Jahren, die „für den Rückbau und die langzeitsichere Lagerung der Hinterlassenschaften“ benötigt werden.

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Atomkraftwerke in Deutschland, Stand 13.4.2023
Umweltbundesamt/OpenStreetMap

Größtes Abrissprojekt in AKW Greifswald
Wie aufwendig und langwierig der Rückbau eines AKWs ist, zeigt das Beispiel des Kernkraftwerks Greifswald bei der deutschen Gemeinde Lubmin, wo seit fast drei Jahrzehnten laut dem zuständigen Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN) das größte AKW-Abrissprojekt in Europa vorangetrieben wird. Diese Anlage wurde bereits 1990 abgeschaltet, 1995 wurde der Rückbau genehmigt.

Nach Angaben des deutschen Kerntechnik-Branchenverbandes KernD dauert allein die Nachbetriebsphase in der Regel vier bis fünf Jahre. In dieser Phase werden die Brennelemente aus der Anlage in das Standortzwischenlager gebracht und Anlagenteile abgebaut. Erst danach beginnt die eigentliche Stilllegungsphase.

Reuters/Thomas Peter
Das AKW Greifswald wird seit fast drei Jahrzehnten rückgebaut

Enormer Aufwand, hohe Kosten
Vor dem Abbau des Kraftwerks muss das gesamte Inventar aus dem Kontrollbereich – von Möbeln bis zu technischer Ausstattung – sowie auch der Reaktordruckbehälter in kleine Stücke zerteilt werden, radioaktive Kontamination an der Oberfläche entfernt und dann die verbleibende Radioaktivität gemessen werden. Je nach Strahlendosis wird der Müll unterschiedlichen Bereichen zugeordnet, vom Recycling bis zum Endlager. Die EWN rechnet damit, dass im AKW Greifswald insgesamt 1,8 Mio. Tonnen abgebaut und eingeteilt werden müssen.

Der Aufwand sei enorm, sagte Jörg Meyer, verantwortlich für den Rückbau im AKW Greifswald, gegenüber dem Magazin „Spektrum der Wissenschaft“. Allein die Mitarbeitende müssen mehrfach die Kleidung wechseln und aufwendige Sicherheitsprozeduren durchlaufen. Die Kosten betragen je nach Reaktorblock mindestens eine Milliarde Euro pro Block. Die Baustelle in Greifswald wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Einige Reaktordruckbehälter sind so stark verstrahlt, dass sie erst in rund 40 Jahren bearbeitet werden können, berichtet das Wissenschaftsmagazin.

Endlagerung nach wie vor ungeklärt
Völlig offen ist auch noch die Frage der Endlagerung hoch radioaktiven Mülls, der über Hunderttausende Jahre strahlt. Bisher gibt es weltweit kein Endlager dafür. Nur die Schweiz und Finnland haben konkrete Pläne, wo eines entstehen könnte.

In Deutschland soll nun bis Anfang der 2030er Jahre ein Standort dafür gefunden und bis 2050 betriebsbereit gemacht werden. Gesetzlich ist in Deutschland geregelt, dass der radioaktive Müll unterirdisch für mindestens eine Million Jahre sicher gelagert werden muss, aber jederzeit auch wieder an die Oberfläche zu holen sein soll.

AP/Michael Probst
Ein mit hoch radioaktivem Müll beladener Container wird für den Transport verladen

Hunderttausende Tonnen radioaktiver Abfall
Hoch radioaktiver Abfall wird derzeit in Hunderten Behältern (Castoren) auf ehemaligen AKW-Geländen und im niedersächsischen Salzstock Gorleben zwischengelagert. Die Menge dieses gefährlichsten Abfalls wird vermutlich auf 27.000 Kubikmeter steigen. Zudem müssten laut BASE-Präsident Wolfram König rund 600.000 Kubikmeter an „schwach- und mittel radioaktiven Abfällen sicher entsorgt werden“.

Während für den Rückbau der Kraftwerke die Konzerne und letztlich indirekt die Konsumenten und Konsumentinnen aufkommen, ist die Frage der Finanzierung der Entsorgung geklärt. Bereits 2017 überwiesen die Atomkonzerne wie Eon, RWE und EnBW insgesamt rund 24 Mrd. Euro, um die Kosten für Zwischen- und Endlagerung zu finanzieren.
14.04.2023, red, ORF.at/Agenturen

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Aus für AKWs in Deutschland: Rückbau jahrzehntelanges Mammutprojekt
 

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#5
Wie Italien nach Tschernobyl auf die Schnelle den Atomausstieg schaffte
Nach der ukrainischen Reaktorkatastrophe und einer Volksabstimmung hat Italien alle seine Atomkraftwerke vom Netz genommen. Aber eine echte Erfolgsstory ist der Ausstieg nicht
Nach dem Schock der AKW-Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 taten die Italiener das, was in anderen europäischen Ländern von vielen besorgten Bürgern gefordert, aber dann von ihren Regierungen doch nicht getan wurde: Sie stiegen aus der Atomenergie aus, radikal. 1987 wurde ein Referendum, das den Verzicht auf die Kernenergie forderte, von fast 90 Prozent der Bevölkerung gutgeheißen. Die vier in Betrieb stehenden Atomkraftwerke wurden in den darauffolgenden Jahren eines nach dem anderen abgeschaltet. Projekte für weitere Meiler wurden gestoppt – bis heute.


Energie aus Erdgas statt aus AKWs – Italiens Stromwirtschaft ist noch immer nicht nachhaltig.
Foto: REUTERS/Albert Gea

Italien hatte ab 1963 auf Atomstrom gesetzt, 1990 wurde der letzte Meiler vom Netz genommen. Der Anteil des Atomstroms lag aber nie über fünf Prozent – und so ist die Situation, in der sich das Land nach dem Ausstieg befand, vergleichbar mit jener in Deutschland heute. Zu Versorgungsengpässen kam es in Italien wegen des kleinen Anteils an Atomstrom nicht – dank Importen aus den Nachbarländern Schweiz, Frankreich und Slowenien konnte die Stromlücke problemlos geschlossen werden. Weil aber in allen drei Ländern – insbesondere in Frankreich – Atomkraftwerke stehen, importierte und importiert Italien bis heute Atomstrom.

"Doppelbödig"
Von Gegnern des Ausstiegs wurde dies immer als "doppelbödig" bezeichnet – die gleiche Situation könnte sich auch für Deutschland ergeben. Um weniger abhängig von Stromimporten zu werden, hat Italien nach dem Atomausstieg noch stärker auf thermische Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen gesetzt, besonders auf Erdgas. Heute wird in Italien jede zweite Kilowattstunde Strom in Gaskraftwerken produziert. Bis zur Invasion Russlands in die Ukraine stammte der größte Teil des dafür benötigten Rohstoffs aus Russland. Mit fatalen Folgen: Wegen des hohen Anteils der Gaskraftwerke an der Stromproduktion explodierte letztes Jahr nicht nur der Gas-, sondern auch der Strompreis.

Daneben steht Italien vor einem weiteren Problem: Die Entsorgung der stillgelegten Atomkraftwerke und des von ihnen produzierten Atommülls ist – mehr als 30 Jahre nach dem Atomausstieg – weiterhin nicht gelöst. Der Rückbau der alten Meiler, der Milliardenkosten verursacht, ist erst etwa zu 30 Prozent erfolgt; die Suche nach einem Endlager für die radioaktiven Abfälle hat bisher zu überhaupt keinen zählbaren Resultaten geführt. Wo immer Rom ein Endlager bauen wollte – es kam jedes Mal zu meist sehr militanten Protesten der Anwohner und von Umweltverbänden.

Ungelöste Probleme
Trotz der ungelösten Probleme hat es in Italien immer wieder Versuche für einen Wiedereinstieg in die Atomenergie gegeben. So verabschiedete die vierte Regierung von Silvio Berlusconi 2010 ein Dekret, das den Bau von nicht weniger als zehn neuen Atomkraftwerken vorsah. Doch dann kam im März 2011 die Reaktorkatastrophe in Fukushima – und mit ihr, wenige Monate später, ein zweites Referendum. Das Resultat: 94 Prozent der Stimmberechtigten erteilten Berlusconis Atomplänen eine Abfuhr.

Im Wahlkampf 2022 unternahm Lega-Chef Matteo Salvini angesichts der hohen Gas- und Strompreise einen neuen Anlauf, den Italienerinnen und Italienern die Atomkraft schmackhaft zu machen – ebenfalls erfolglos: Die Rechtsregierung von Giorgia Meloni, der Salvini als Infrastrukturminister angehört, hat das Anliegen in die Schublade gelegt.

Italien setzt nun vielmehr auf den Ausbau erneuerbarer Energien – und hat dafür mehr als 70 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zur Verfügung. Derzeit beträgt der Anteil der Alternativenergie (Wasserkraft, Solarenergie, Geothermie, Windenergie, Biomasse) am Strommix lediglich 33 Prozent. Laut dem nationalen Aufbau- und Resilienzplan soll er bis 2030 auf 70 Prozent steigen.
(Dominik Straub, 14.4.2023)
Wie Italien nach Tschernobyl auf die Schnelle den Atomausstieg schaffte
 

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#6
Atomkraftwerk Isar 2 in wenigen Stunden abgeschaltet
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Samstagabend wird um ca. 23.45 Uhr das Atomkraftwerk Isar 2 bei Landshut in Niederbayern für immer abgeschaltet. Es war für Stadt und Land Salzburg mit einer Entfernung von 109 Kilometern in Luftlinie die nächstgelegene Anlage dieser Art.
Online seit heute, 12.06 Uhr
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An klaren Tagen auf höheren Bergen von Salzburg und im grenznahen Oberbayern konnte man die Dampffahne aus dem riesigen Kühlturm von Isar 2 in der Ferne oft am Horizont sehen – besonders in Herbst und Winter, wenn die Kondensation durch die Kälte stärker ist.

Seit die Anlage vor 35 Jahren in Betrieb genommen wurde, hat das Kraftwerk laut Betreiberfirma PreussenElektra etwa 404 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Es habe keinen Störfall gegeben, betont das Unternehmen.

Einer der stärksten Reaktoren weltweit
Die Dampfturbinen und Generatoren des Blocks Isar 2 hatten bei Volllast-Betrieb eine Brutto-Gesamtleistung von 1.485 Megawatt (MW) und eine elektrische Nettoleistung von 1.410 MW. Es war der leistungsstärkste deutsche Reaktor und zehntstärkste weltweit. Bei einer thermischen Leistung von 3.950 MW lag der Wirkungsgrad damit bei etwa 35 Prozent, die in Strom umgewandelt werden konnten. 65 Prozent der Kernspaltungswärme mussten weggekühlt werden. Das Reaktorgebäude ist in Stahlbetonbauweise ausgeführt und hat eine Wandstärke von mehr als einem Meter.
Aktuelle Fotos wenige Tage vor der Abschaltung – von Ostermontag, 10. April 2023:

Fotostrecke mit 7 Bildern
Flugbild: Gerald Lehner
Der in der Nacht auf Sonntag nun stillgelegte Block 2 ist der kugelförmige Bau – ein Druckwasser-Reaktor für die Erzeugung von überhitztem Dampf. Rechts davon die Turbinen- und Generatorenhalle. Höhe des Kühlturmes rechts hinten: 165 Meter. Linker Bildrand: Schon 2011 stillgelegter Block 1 – ein Siedewasser-Reaktor, der nach anderem Prinzip funktionierte, fast baugleich wie Zwentendorf in Österreich

Flugbild: Gerald Lehner

Flugbild: Gerald Lehner

Flugbild: Gerald Lehner

Flugbild: Gerald Lehner

Flugbild: Gerald Lehner
Die Anlage läuft schon seit Wochen mit deutlich geringerer Leistung, deshalb ist auch die Dampffahne des Kühlturmes relativ klein. Sie war früher oft riesig

Reaktor 1 war baugleich mit Zwentendorf
Der benachbarte Block Isar 1 – baugleich wie die nie in Betrieb genommene Anlage von Zwentendorf (Niederösterreich) – wurde von PreussenElektra schon 2011 abgeschaltet. Er befindet sich seit 2017 im Rückbau. Der Rückbau für Isar 2 ist bei der Aufsichtsbehörde im bayerischen Umweltministerium beantragt worden. Mit der Genehmigung rechnen die Betreiber im Laufe des Jahres 2023. Die Arbeiten sollen 2024 beginnen. PreussenElektra hat für den Rückbau beider Anlagen insgesamt etwa 2,2 Milliarden Euro veranschlagt.

Noch ein paar Stunden Dampf
Laut Werksleitung wird am Samstag ab etwa 23.30 Uhr keine Einspeisung in das Stromnetz mehr erfolgen und etwa eine Viertelstunde später der Reaktor abgeschaltet. Weitere neun Stunden später soll dann am Sonntagmorgen über dem Kühlturm auch kein Dampf mehr zu sehen sein. Bis von der gesamten Anlage nichts mehr da ist, dürfte es bis zu 15 Jahre dauern.

Hier einige Archivbilder aus den letzten Jahren, als Isar 2 noch mit Volllast in Betrieb war. Entsprechend waren auch die Dampffahne und damit die Kühlleistung des riesigen Turmes:

Fotostrecke
Flugbild: Gerald Lehner
Flugbild: Gerald Lehner
Flugbild: Gerald Lehner
Flugbild: Gerald Lehner
Die Dampffahne von Isar 2 war besonders in den kalten Jahreszeiten oft über mehr als hundert Kilometer weit zu sehen – bei entsprechender Seehöhe der Beobachter – auf den Bergen oder in der Luft
Flugbild: Gerald Lehner
Die Dampffahne von Isar 2 war besonders in den kalten Jahreszeiten oft über mehr als hundert Kilometer weit zu sehen – bei entsprechender Seehöhe der Beobachter
Flugbild: Gerald Lehner
Die Dampffahne von Isar 2 war oft über mehr als hundert Kilometer weit zu sehen
Flugbild: Gerald Lehne
rRechts im Vordergrund das Stadtzentrum von Landshut, der alten Regierungsstadt Bayerns

Politische Debatten
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnet den Atomausstieg zum jetzigen Zeitpunkt inmitten einer wirtschaftlich gefährlichen Energiekrise als schweren Fehler. Bei einem Besuch in Isar 2 am Donnerstag forderte er eine Verlängerung der Laufzeiten für die letzten drei AKW – neben Isar 2 noch Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg – sowie eine Reaktivierung weiterer Anlagen bis zum Ende dieses Jahrzehnts.

Zustimmung findet Söder bei seinem Koalitionspartner, den Freien Wählern. Auch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber kritisierte kürzlich das Abschalten der AKW, insbesondere mit Blick auf die Energiekrise und den kommenden Winter.

Dagegen sieht Ludwig Hartmann, Vorsitzender der Grünen im bayerischen Landtag, den Freistaat gut aufgestellt „für ein Morgen ohne Atomstrom“. Die Energieversorgung der Zukunft werde auf erneuerbaren Energien aufbauen.
15.04.2023, Gerald Lehner - salzburg.ORF.at/Agenturen

Atomkraftwerk Isar 2 in wenigen Stunden abgeschaltet
 

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#7
GEGEN "DUNKELFLAUTE"
Was nach dem Stilllegen der deutschen Atomkraftwerke passieren muss
Erneuerbare Energie ist nicht immer verfügbar. Wie die Gefahr von Engpässen in der Stromversorgung nach dem deutschen Atomausstieg gebannt werden kann
Erneuerbare Energie trägt die Hoffnungen der künftigen Stromversorgung der Welt. Doch einige Nachteile nähren Zweifel, ob ein vollständiger Ausstieg aus fossiler Stromversorgung gelingen kann.

Insbesondere ist es die wechselnde Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie, die einen großskaligen Umstieg fraglich erscheinen lässt. Bis 2030 sollen in der EU 42 Prozent der gesamten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Der Anteil an Erneuerbaren bei der elektrischen Energie wird prozentuell erheblich schneller steigen müssen, um etwa Strom für eine mögliche neue Wasserstoffwirtschaft zu liefern, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen liefern soll.


Das deutsche Kernkraftwerk Isar 2 wenige Tage vor seiner Abschaltung.
Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Doch wie weit lässt sich dieser Anteil erhöhen? Kritiker warnen davor, sich rein auf erneuerbare Energiequellen zu verlassen. Es fehle an Speichern für Zeiten geringerer Verfügbarkeit und an der Infrastruktur, um Spitzen bei der Produktion zu nutzen.

Geht es auch ohne Kernkraft?
Dementsprechend kontroversiell wird der nun umgesetzte deutsche Atomausstieg diskutiert. Während Frankreich weiterhin auf Atomkraft setzt und andere Länder wie Tschechien einen Ausbau ihrer Kernenergiekapazitäten mittels Minireaktoren planen, fehlt diese Komponente nun in Deutschland, die zuletzt sechs Prozent des deutschen Elektrizitätsbedarfs deckte.

Eine Gruppe von Fachleuten hat versucht, die Folgen dieses Schritts für Deutschland einzuordnen und ein Bild der künftigen deutschen Energieversorgung zu zeichnen. Ihr Fazit lautet, dass neben flexiblen Back-up-Kraftwerken und einem Ausbau von Speichermöglichkeiten auch eine stärkere Vernetzung der europäischen Stromversorgung eine wesentliche Rolle spielen muss.

"In einer zu großen Teilen auf wetterabhängigen Erzeugungstechnologien basierenden Stromerzeugung ist die Dunkelflaute ein ernst zu nehmendes Phänomen", sagt Patrick Jochem, Leiter der Abteilung für Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Insbesondere in den Wintermonaten sei das ein Problem, wenn die Nachfrage nach Strom hoch sei und die vergleichsweise zuverlässige Stromerzeugung durch Sonnenenergie in geringeren Maßen zur Verfügung stehe.

Um dem Problem zu begegnen, gibt es verschiedene Strategien, sagt sein Forscherkollege Jan Wohland, Klimaphysiker an der Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich. Vermutlich werde es eine Kombination verschiedener Zugänge geben. "Back-up-Kraftwerke sind dabei eine Option", sagt Wohland.


Der Bau von Stromleitungen ist oft ähnlich umstritten wie Kraftwerksprojekte. Fürs Klima wäre eine stärkere Vernetzung der europäischen Stromnetze die günstigere Lösung.
Foto: imago stock&people

Voraussetzungen für Back-up-Kraftwerke
Für die benötigten Kraftwerke gibt es klare Voraussetzungen, sagt Jochem: "Zum Back-up eignen sich am besten diejenigen Kraftwerke, die schnell in Betrieb gehen und zügig hoch- und runtergeregelt werden können." Am besten seien hierzu Gaskraftwerke geeignet. "Dementsprechend ertüchtigte Kohlekraftwerke funktionieren ebenfalls und theoretisch auch Kernkraftwerke, obwohl diese aus wirtschaftlichen Gründen für einen möglichst konstanten Betrieb ausgelegt sind."

Meist geht es dabei um kurzfristige Engpässe. "In unseren Energieszenarien ist die Residuallast – also die Last, die nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann – in der Regel durch kleinere, kurzzeitige Abweichungen von wenigen Minuten bis Stunden gekennzeichnet", sagt Jochem. "Für länger andauernde, ertragsschwache Situationen, sogenannte Dunkelflauten, werden jedoch Technologien benötigt, die auch über einen längeren Zeitraum Energie bereitstellen können."

Wohland erklärt, dass nicht alle Kraftwerkstypen dafür gleich geeignet sind. "Je nach Dauer der ertragsschwachen Situation kommen unterschiedliche Kraftwerke infrage, wobei Gaskraftwerke generell besser geeignet sind als Kohlekraftwerke, welche wiederum besser geeignet sind als Atomkraftwerke", sagt der Experte.

Für das Überbrücken von Dunkelflauten sei Kernkraft also relativ ungeeignet, sagt Jochem: "Durch die geringen Volllaststunden und hohen Anforderungen an eine flexible Betriebsführung scheiden aus heutiger Sicht Kern- und Kohlekraftwerke als Back-up-Kapazitäten aus."

An Gaskraftwerken führt laut den Experten allerdings kein Weg vorbei – wobei das nicht bedeutet, dass diese mit fossiler Energie betrieben werden müssen. Es könnten Kraftwerke sein, "die auch mit erneuerbar erzeugtem Methan oder Wasserstoff betrieben werden können", wie Jochem betont.

Doch Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der Technischen Universität Dortmund, warnt diesbezüglich vor zu großen Hoffnungen: "Die Bereitstellung des grünen Wasserstoffs in den benötigten Mengen und mit der notwendigen Versorgungssicherheit und erträglichen Kosten benötigt einen etablierten Weltmarkt." Hiervon ist man heute technisch und wirtschaftlich noch weit entfernt.

"Lokale, sprich deutsche Überschüsse aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff umzuwandeln wird hierzu keinesfalls ausreichen", warnt Rehtanz. Die Alternative sei bis auf weiteres das Abscheiden und Speichern von CO2 durch Carbon Capture and Storage, um die Emissionen auf null zu drücken. Ohne Umstellung auf Gaskraftwerke sei jedenfalls auch ein völliger Ausstieg aus Kohle nicht denkbar.

Reduktion der Kraftwerke durch Kooperation
Wie viele Kraftwerke es benötigen wird, ist dabei noch nicht ganz klar. Das wird davon abhängen, wie "intelligent" und vernetzt unsere europäische Stromversorgung der Zukunft sein wird.

"Es gibt Szenarien, bei denen 40 Gigawatt ausreichend sind", sagt Jochem. "Diese Szenarien zeichnen sich insbesondere durch eine hohe nachfrageseitige Flexibilität und hohe Verfügbarkeit von Speichern sowie von flexibler nachhaltiger Stromerzeugung wie beispielsweise Geothermie und Biogaskraftwerken aus." In anderen Szenarien würden weiterhin Back-up-Kapazitäten von bis zu 90 Gigawatt benötigt.


Das Gaskraftwerk im steirischen Mellach. Gaskraftwerke werden auch künftig eine Rolle als Reserve für Zeiten mit geringer Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen dienen.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

"Hierfür wird es auch wichtig sein, das System auf allen Ebenen mit einer entsprechenden IT-Infrastruktur zu ergänzen, um alle Flexibilitäten der Nachfrage – von Industrie, sonstigem Gewerbe und Dienstleistungssektoren und privaten Haushalten – sowie des Angebots – konventionelle Erzeugung aber auch Speichertechnologien – effizient in das System zu integrieren", sagt Jochem.

Neue Ausbauziele für Back-up-Kraftwerke in Deutschland
Deutschland bereitet sich jedenfalls vor. Um Flauten zu vermeiden, definierte die deutsche Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres erstmals Ausbauziele für Back-up-Kraftwerke, die im Notfall einspringen sollen, wenn Photovoltaik und Wind zu wenig Strom liefern. Diese seien bereits auf einen künftigen Betrieb mit erneuerbarer Energie ausgelegt, sagt Jochem.

"Regulatorisch wird an Gaskraftwerke bereits die Anforderung einer H2-Readiness gestellt. In Verbindung mit den sektoralen Emissionsminderungszielen des Klimaschutzgesetzes ergibt sich dadurch ein treibender Faktor für den Wasserstoffeinsatz im Stromsektor", berichtet der Experte. Biogas und Biomethan werden für solche Gaskraftwerke eher keine Rolle spielen, ist Jochem überzeugt.

Limitierend für diesen Zugang wird jedenfalls die Energiebilanz der gesamten Kette zwischen Wasserstofferzeugung und Rückverstromung in Gaskraftwerken sein. Elektrische Energie direkt zu verwenden ist in der Regel effizienter, als sie Umwandlungsschritten zu unterziehen.

Speicher halten die Fachleute weiterhin für wichtig, allerdings müsse man die Anforderungen für langfristige Schwankungen im Auge haben. Batterien seien als Langzeitspeicher aus wirtschaftlicher Sicht ungeeignet und nur für kurzfristige Speicherung interessant. Geeignet sind hierfür Pumpspeicherkraftwerke.

Doch nicht alle Schwankungen müssen über Speicher oder Gaskraftwerke kompensiert werden. Im europäischen Stromnetz gebe es gute Möglichkeiten, Schwankungen auszugleichen, sagt Jochem: "In unseren Ergebnissen sehen wir bisher auf europäischer Ebene einen guten natürlichen Ausgleichsmechanismus. Erleben wir im Norden eine Flaute, sind die Windturbinen im Süden oft gut ausgelastet. Bewölkung in einer Region ist oft mit Sonne in einer anderen verbunden."

Die Vernetzung des europäischen Stromnetzes sei also entscheidend. Bei Verbindungen zwischen den Ländern gebe es noch Potenzial, das man ausschöpfen müsse.
(Reinhard Kleindl, 17.4.2023)

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EU einigt sich auf neues Ziel für erneuerbare Energien
Der Verbrauch fossiler Brennstoffe in der Stromerzeugung geht erstmals zurück

Was nach dem Stilllegen der deutschen Atomkraftwerke passieren muss
 
#9
Nein, wird es nicht. Warum auch, die paar Prozent Atomstrom habens eh schon lang nicht mehr rausgerissen, und die Stromwirtschaft hat sich schon lang drauf eingestellt. Die quasi nicht regelbare Grundlastversorgung, die Kernkraftwerke zur Verfügung stellen, passen auch heute schon nicht mehr in das Konzept. Und diejenigen die behaupten dass Kernkraft sauberer und CO2-Freier sei, die vergessen die gigantische Sauerei bei der Uranherstellung, dazu muss man nur mal schaun was Frankreich seit den Fünfzigern im eigenen Land angerichtet hat:
Mit dem Geigerzähler unterwegs - Das Erbe der französischen Uranminen
Hörenswert. Französischer Atomstrom ist ja auch nur deshalb so billig, weil er zum Großteil vom Steuerzahler finanziert wird, das erscheint natürlich nicht auf der Stromrechnung. Die Kosten die in der Zukunft auf uns alle zukommen werden, lassen sich eh nicht ausrechnen.
Übrigens: Ein Reaktor mit 1GW enthält etwa 2 Tonnen angereichertes Uran, das aus etwa 200 To Natururan gewonnen wird. Da in heute betriebenen Uranminen im Durchschnitt nur ca. 2g pro Tonne Gestein enthalten sind, brauchts für diese 200 Tonnen 1mio To. abgebautes Gestein. Plus die Energie für die Anreicherung. Und dann hat man eine Füllung für einen aus heutiger Sicht durchschnittlichen, relativ kleinen Reaktor.
Dazu kommt, dass momentan als Hauptgeschäftspartner für Brennstäbe Russland zur Verfügung steht. Kein guter Handelspartner.
Das Problem das wir jetzt haben sind Leute wie z.B. Söder und andere Bremser vor ihm, die es erfolgreich jahrelang verhindert haben, dass Beschlüsse z.B. zur Stromdurchleitung von N. nach S. umgesetzt werden. Hätte man vor 40 Jahren bereits mit der Wasserstoffwirtschaft begonnen wie es einige wichtige Ingenieure damals schon dringend empfohlen, und die Machbarkeit mit Beispielen auch rechnerisch belegt haben, hätten wir jetzt die ganze Diskussion nicht nötig, bräuchten nicht die Brechstange die wir jetzt überall ansetzen müssen, und wären auch von den fossilen Brennstoffen schon lang weg.

Das ist übrigens nicht nur meine Meinung, ich hab da ein paar Spezln aus der Energietechnik neben mir.
Gruß
Albert
 
#10
Der Krux an der ganzen Sache ist nun der, dass (egal mit welchem Verfahren) die Herstellung von Wasserstoff sehr energieintensiv ist, und daher tatsächlich nur mit "grüner" Energie nicht das Klima belastet. Die Entwicklung beider Technologiezweige hätte also Hand in Hand, soll heißen, mit den gleichen Mitteln und in gleicher Geschwindigkeit vor sich gehen müssen.

Und das, mit Verlaub, ist mit dem weltweiten Lobby-System noch nicht mal heute möglich, wo diese Strukturen ja schön langsam aufgebrochen werden, bzw. sich die Firmen und deren Lobbyisten "grünere" Betätigungsfelder suchen, bevor das sprichwörtliche Schiff sinkt. Wie hätte das vor 40 Jahren geschehen oder in die Wege geleitet werden sollen?

Gruß,
Martin
 
#11

Varga

Mann aus den Bergen
Mitarbeiter
#12
Soeben gehört:
Deutschland kauft Atomstrom in Frankreich, und erwägt die Wiederinbetriebnahme von Braunkohlekraftwerken.

Gruss
Varga
 
#13
Soeben gehört:
Deutschland kauft Atomstrom in Frankreich, und erwägt die Wiederinbetriebnahme von Braunkohlekraftwerken.

Gruss
Varga
Stand Ende 2022 erzeugt Deutschland ja ein Drittel seines Stroms aus Braunkohle.
Und jene Kraftwerke, die bisher "stillgelegt" wurden stehen ja zum Teil für den Notfall bereit, sind also keineswegs außer Betrieb.
Weiß allerdings nicht, ob es mit den Reaktoren nicht ähnlich aussieht.

Das wird noch ein weiter Weg...
 
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