Aufgrund von Hochwasser abgesiedelte Dörfer (Eizendorf & Co.)

wolfsgeist

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#1
Vor kurzem bin ich an dem, nach dem Jahrhunderthochwasser 2002, abgesiedelten Eizendorf (Bezirk Perg/OÖ) vorbeigekommen. Das Dorf gab es 800 Jahr lang; mittlerweile sind dort unter anderem große Schotterteiche.
Auf den Satellitenbildern ist die Absiedelung gut zu erkennen; oben 2017, unten von 2000 von vor dem Hochwasser (© Google Earth Pro - Desktopvariante).

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Nur mehr ein einziges Gehöft ist vorhanden (Kühberger - dazu auch ein Zeitungsbericht).

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wolfsgeist

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#3
Vor der Gedenkstätte stand bis vor einigen Jahren noch ein weiteres Haus (ersichtlich auf den Satellitenbildern), das aber mittlerweile auch abgerissen wurde.

Edit: An dieser Stelle war das Feuerwehrhaus, welches 2020 abgerissen wurde (Bericht).

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josef

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#5
HOCHWASSER-AUSSIEDLER
Und dann ging ihr Haus ein letztes Mal unter
Familie Schlager hat im oberösterreichischen Machland erlebt, was Hochwasserbetroffenen im Süden bevorstehen könnte. Sie hat ihr Zuhause für immer verlassen und neu angefangen


Land unter
Bis zum ersten Stock stand Eizendorf 2002 unter Wasser. Der Vierkanter im Zentrum (rechts neben den vier Silos) war das Elternhaus von Maria Schlager. Sohn Hubert und seine Frau Regina bauten von dort aus ihr Transportunternehmen auf (im Bild die rot gedeckte Halle).
privat / Schlager
Den Beginn der Hofgeschichte markiert ein Feuer, das Ende besiegelte das Wasser: Der stattliche Bauernhof, auf dem Maria Schlager in Eizendorf Nr. 28 aufgewachsen ist, war 1911 abgebrannt, wurde von ihrem Großvater neu aufgebaut – und 2006 wieder dem Erdboden gleichgemacht. Dazwischen lag ein knappes Jahrhundert Leben neben und mit der Donau, die einen Kilometer entfernt durch das oberösterreichische Machland fließt. In guten Zeiten schaute sie nur kurz im Dorf vorbei, die Keller waren öfters nass, in schlechten Jahren hinterließ sie Verwüstung und Chaos.

1954 war ein "schlimmes" Jahr, 1991 auch, erinnert sich die 75-Jährige: "Da war’s drinnen im Haus, ein bissl überm Fenster. Es hieß, höher als 1954 wird es nie wieder werden." 1965, 1975, 1981, 1985 und 1996 gab es "normale" Hochwasser, die "nur bis zum Hauseck" reichten. Für die Jahre 1909 bis 1940 berichten Chroniken für das flache Ufergebiet des Machlands über acht Hochwasser.

Die Donau kommt! Wir räumen!
Dann kam das Jahrhunderthochwasser 2002, zuerst im März als Winterhochwasser und im August als Flutkatastrophe in zwei Wellen über Deutschland, Tschechien und Österreich. Hierzulande starben damals neun Menschen, der Sachschaden belief sich auf nationaler Ebene auf rund drei Milliarden Euro. Ein sogenanntes 100-jährliches Hochwasser tritt statistisch im Durchschnitt einmal in hundert Jahren auf.

Eizendorf stand so tief unter Wasser wie noch nie zuvor. "Drei Meter waren es bei uns", erzählt Schwiegertochter Regina. Zum ersten Mal erreichten die Fluten sogar die ersten Stockwerke der hochwassergeprüften Häuser. Nur das "Grünsteidl", so der traditionelle Hofname, blieb im Obergeschoß trocken. Marias Großvater hatte den Neubau vor achtzig Jahren bewusst ein bisschen aufgesockelt. Die paar Zentimeter machten jetzt den entscheidenden Unterschied.


Aussiedlerfamilie Schlager
Maria Schlager (Mitte) ist auf dem Hof aufgewachsen, ihr Sohn Hubert und Schwiegertochter Regina haben den von Vater Hubert sen. aufgebauten Transportbetrieb stetig erweitert und liefern heute auch den STANDARD aus.
Vio Wakolbinger

"Wir hatten eigentlich Glück, dass wir an der Donau gelebt haben", sagt Hubert Schlager, der 55-jährige Sohn, mit Blick auf die Unwetter im heurigen Sommer: "Wir konnten uns darauf einstellen. Uns wurde gesagt: Das geht sich nicht aus. Das Wasser kommt sicher ins Haus. Wir haben noch was retten können. Das ist ein Riesenunterschied zu dem, was die Menschen in Kärnten und in der Südsteiermark erlebt haben, wenn das Wasser einfach durchfährt und der Hang abrutscht."

Seine Frau Regina kam ohne direkte Hochwassererfahrung in die Familie: "Das Erste, was ich gelernt habe, war, dass man die Zille immer im ersten Stock anbindet", erzählt die 50-Jährige. Dort war sie sicher und immer einsatzbereit. Alle im Ort wussten, was zu tun war, wenn es hieß: "Die Donau kommt! Wir räumen!" Die Töchter Gloria und Pia, sechs und vier Jahre alt, wurden zur Oma nach Grein gebracht, Verwandte kamen helfen. Tiere gab es auf dem Hof schon keine mehr. Dafür Lkws und eine Halle der von Hubert senior gegründeten und von den Jungen gerade erweiterten Transportfirma (die, wie sich beim Besuch bei der Familie herausstellte, auch den STANDARD ausliefert). Die Lastwagen wurden umgeparkt, Reifen auf höhere Ablagen gehievt.

In der Schublade der Abbauplan für die Stube
Im Haus – seit 1995 saniert und renoviert, Küche, Bad, Vorhaus, Türen und Fußbodenheizung, alles neu – wurde die Räumungsmaschinerie in Gang gesetzt: "Wir hatten genaue Pläne für die Stube, wo alle Schrauben zum Abbauen waren", erinnert sich Maria Schlager. So viel wie möglich sollte nach oben gebracht werden.

Am Abend Lageplanerstellung. "Irgendwer geht jetzt einmal schlafen." Regina und Hubert übernahmen die erste Hochwasserwacht. "Wir sind mit Taschenlampen ausgerückt, und dann haben wir es beim Nachbarn schon plätschern gehört", schildert das Unternehmerpaar die Anspannung: "Es war schiach", sagt Regina. Diesmal stieg das Wasser nämlich nicht langsam vom Keller hinauf. Es kam schnell und von oben ins Haus. Was ist dann zu tun? Türen und Tore öffnen, damit es sie nicht gewaltsam aufdrückt.


Zillenfahrt durch das Katastrophengebiet
Die Zille musste immer im ersten Stock des Hauses gelagert und angebunden werden, nur dort war sie im Notfall sicher und einsatzbereit. Im Bild eine Fahrt im Sommer 2002 auf den Hof der Schlagers zu.
privat / Schlager

Am nächsten Tag strahlender Sonnenschein. Der Regen hatte aufgehört. "Und du schaust plötzlich den Lkw-Reifen zu, wie sie aus der Halle schwimmen." Das Wasser stieg noch immer, bis klar war: "Wir müssen das Haus verlassen." Sie packten das Wichtigste, Pässe, Dokumente.


Bleiben oder gehen?
Am 15. August, nach einer Nacht und einem Tag, durfte die Dorfgemeinschaft zurück in ihre Häuser. Alles voller Dreck. Sofort putzen, sonst wird alles bretthart. "Die Hilfsbereitschaft war enorm", bedanken sich die Schlagers noch heute bei allen Helfenden. Die Bevölkerung von Saxen hat über Wochen im Feuerwehrhaus für alle gekocht und die Wäsche der Hochwasserfamilien abgeholt und gewaschen. Fremde Menschen kamen in Bussen aus Tirol mit Putzfetzen und Kübeln.


Das Haus Eizendorf 28 und die Nachbarn, wie es bis 2002 war.
So sahen die unmittelbare Dorfnachbarschaft und der Hof der Familie Schlager (in der Mitte, die vier Silos hier im Hintergrund) bis zum Sommer 2002 aus. Hochwassererfahrung hatten sie alle paar Jahre. Das im Hintergrund gelagerte Holz schwamm danach ebenso durch die Gegend wie die schweren LKW-Reifen, die in der Lagerhalle der Schlagers eigentlich höher gelagert worden waren, es war nicht hoch genug. Das Wasser stieg höher.
privat / Schlager

Aber der Haussockel des Großvaters und die Hochwasserversicherung, die der Seniorchef nach dem Hochwasser 1991 abgeschlossen hatte, genügten nicht, um dem Wasser langfristig standzuhalten. "Wollt ihr dableiben oder wegziehen?", fragte die Landespolitik in diesem verheerenden Sommer die Eizendorferinnen und Eizendorfer. Denn die Donau würde wiederkommen. Unweigerlich. "Bei uns fiel die Entscheidung, weil wir gesehen haben: Es wird immer höher", erklärt Hubert Schlager. 250 Hauseigentümer in den Hochwassergebieten des Machlands, darunter Eizendorf, das zur Gemeinde Saxen gehört, gingen damals weg – alle bis auf den im Vorjahr verstorbenen Wirt z’Eizendorf und seine Frau.

Sie nahmen das Absiedelungsangebot an und machten sich freiwillig auf die Suche nach einem neuen Zuhause. Als Entschädigung erhielten sie 80 Prozent des gutachterlich ermittelten Zeitwerts ihrer Häuser. Binnen fünf Jahren mussten sie diese verlassen und schleifen. Eine eigene Gedenkstätte erinnert an die Absiedelungsaktion. Ein Betonwürfel symbolisiert jeweils ein verlassenes und danach ausgelöschtes Haus in Eizendorf, Froschau und Saxendorf.


Das Memorial von Eizendorf
64 Betonwürfel erinnern an 64 abgesiedelte Häuser in Eizendorf. Auf einer gläsernen Infotafel stehen die Namen aller Menschen, die damals in Eizendorf, Froschau und Saxendorf gewohnt und die Ortschaften für immer verlassen haben.
nim

Eigentlich wollten sie und ihre ehemaligen Nachbarn "wieder ein Dorf gründen", berichten die Schlagers, "aber die Idee ist gestorben worden". Es scheiterte an einem Stück Wald, das hätte weichen müssen. "Und dann fährst du durch die Gegend und schaust. Wo willst du hin?", erzählt Regina. Irgendwann haben sie einen Platz und einen verkaufswilligen Grundeigentümer gefunden. 2006 sind sie eingezogen. Ihr Anwesen steht auf einem Hügel. Die Donau in sicherer Entfernung am Horizont.

Tipps wollen die Schlagers anderen Hochwasserbetroffenen keine geben, aber Hubert sagt: "Ich habe es uns als Familie nicht schlechter machen dürfen. Es muss so sein, dass du nicht ewig am Alten hängst. Es muss uns wieder wo hinziehen."


Neuanfang auf einem Hügel
Von ihrem neuen Zuhause auf einem Hügel – der Grundriss steht übrigens in zwei Gemeinden, in Saxen und ein Teil des Gemüsegartens liegt in Klam – sieht Familie Schlager die Donau am Horizont, verdeckt hinter einer Baumreihe.
Vio Wakolbinger

Maria Schlager wollte den Abriss des Elternhauses nicht mitansehen. Ihre Cousine geht noch täglich ins verschwundene Dorf. Die landwirtschaftlichen Flächen sind – bis auf den Wald – verpachtet. Wer die verwaiste Landschaft zwischen Maisfeldern und Schilfgras lesen kann, weiß, dass dort, wo Obstbäume stehen, früher Häuser waren.

Im neuen Haus haben Maria und ihr 2017 verstorbener Mann in ihrem Bereich die meisten Möbel von früher wieder aufgebaut. Die Juniorfamilie wollte einen bewussten Neuanfang – "auch wenn’s wehtat". Mittlerweile ist es das Zuhause für vier Generationen geworden.

Ihr früheres Heim hat die Pensionistin, als ein Krippenbauer einen Kurs für die Aussiedlerinnen anbot, detailgetreu nachgebaut. "Die Silos waren vorher Chipsdosen", verrät sie. Das Modell des Hofs steht heute als Erinnerung im Eingangsbereich in einem Granitbrunnen. Die Häuser ihrer früheren Nachbarn haben sie am Rand dazumalen lassen.

Am Tisch ankommen
Die Schlagers sind "daheim". Das Haus habe, sagt Regina, "wieder Seele". Das brauchte aber seine Zeit. "Zwei-, dreimal bin ich falsch gefahren", lacht sie. Das Gefühl des Angekommenseins beschreibt sie so: "Als jeder seinen Platz am Tisch hatte und es wieder eine Sitzordnung gab." Wo das alte Haus war – "das ist der Ursprung der Familie" –, ist heute ein Schotterteich. Die ältere Tochter fährt ab und zu schwimmen hin.

Das nächste Jahrhundertwasser kam im Sommer 2013 über Eizendorf. Da waren die Schlagers nicht ganz sieben Jahre weg.
(Lisa Nimmervoll, 22.9.2023)

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