Bei Brečlav (Lundenburg): Auf einem rund 600 n. Chr. datierten Knochen wurde die älteste im slawischen Umfeld nachgewiesene Inschrift entdeckt

josef

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Runeninschrift ältestes slawisches Schriftdokument

Auf einem auf rund 600 n. Chr. datierten Knochen haben Archäologen die älteste im slawischen Umfeld nachgewiesene Inschrift entdeckt. Zur Überraschung der Forscher, für die bisher die glagolitische Schrift als erstes Schriftsystem der Slawen galt, handelt es sich bei den eingeritzten Zeichen um germanische Runen.

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Unter Leitung von Jiři Macháček von der Masaryk Universität (MU) in Brünn wurde zwischen 2015 und 2017 bei der südmährischen Stadt Brečlav (Lundenburg) in der Nähe der Mündung der Thaya in die March wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt eine Siedlung mit slawischen Grubenhäusern ausgegraben. Neben dem beschrifteten Tierknochen – eine abgebrochene Rinderrippe – fanden sie dort auch Keramik des Prager Typs, die mit den frühen Slawen in Verbindung gebracht wird. Analysen zeigten, dass der Knochen von einem Rind stammt, das etwa 600 n. Chr. gelebt hat.

Die Studie
„Runes from Lány (Czech Republic) – The oldest inscription among Slavs. A new standard for multidisciplinary analysis of runic bones“, Journal of Archaeological Science, März 2021.

Die Tschechischen Wissenschaftler kontaktierten nach dem Fund den Runen-Experten Robert Nedoma vom Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien. Er identifizierte die Zeichen als Runen im „älteren Futhark“, eine Variante der Runenschrift, die von den germanischsprachigen Bewohnern Mitteleuropas vom zweiten bis zum siebenten Jahrhundert n. Chr. verwendet wurde. Das ältere Futhark besteht aus 24 Runen, von denen sechs der letzten acht auf dem Rippenfragment eingeritzt waren.

Zwei Szenarien
„Es handelt sich um die einzige bisher bekannte authentische Runen-Inschrift auf dem Gebiet von Tschechien bzw. der Slowakei“, sagte Nedoma im Gespräch mit der APA. Und es sei „die älteste jemals bei Slawen entdeckte Inschrift“, so Macháček in einer Aussendung der MU. Bisher galt die glagolitische Schrift als ältestes Schriftsystem der Slawen. Sie wurde im neunten Jahrhundert n. Chr. von den Heiligen Kyrill und Method aus dem Byzantinischen Reich nach Mähren gebracht. Doch wie die Knocheninschrift nun zeigt, sind die Slawen bereits zuvor mit Runen in Berührung gekommen.


Jiři Macháček von der Masaryk Universität

Runen seien ja „etwas zutiefst Germanisches“, die Fundregion sei aber um 600 n. Chr. sicher eine Kontaktzone gewesen. Der germanische Stamm der Langobarden, der vom heutigen Böhmen aus sein Herrschaftsgebiet Richtung Donau ausgedehnt hat, fiel 568 in Oberitalien ein, sollte zu dieser Zeit also schon im heutigen Südmähren weggewesen sein, betonte Nedoma, der zwei Szenarien für möglich hält, wie es zu der Inschrift auf der Rippe gekommen ist: „Entweder ist ein Langobarde nicht mit dem Hauptstamm Richtung Süden gezogen, sondern in der Region geblieben und hat die Runen in den Knochen geritzt, oder sie stammen von nachrückenden Slawen, und einer von ihnen hat diese Runen auf irgendeine Weise gelernt.“

Vermutlich Schreibübung
Letzteres wäre allerdings der einzige Fall von Kenntnis und Gebrauch germanischer Runen durch nichtgermanische Personen in älterer Zeit, betonte Nedoma. Für den Experten wirft der Runenknochen von Brečlav jedenfalls „neues Licht auf die frühmittelalterlichen Kulturkontakte zwischen Germanen und Slawen in Südmähren und Niederösterreich“.

Die Wissenschaftler vermuten, dass ursprünglich auf der unversehrten Rinderrippe auch die der Runen-Reihe vorangehenden Schriftzeichen des älteren Futhark eingeritzt waren und eine vollständige Zeichenreihe beabsichtigt war. Daher gehen sie am ehesten von einer Schreibübung aus, wollen aber magische Zwecke nicht ganz ausschließen.
19.02.2021, red, science.ORF.at/Agenturen

Runeninschrift ältestes slawisches Schriftdokument
 
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