Besatzungskinder

josef

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#1
Am 27. September findet in Wien eine "Internationale wissenschaftliche Konferenz" zum Thema "Besatzungskinder in Österreich und Deutschland" statt. Dazu ein ORF-Bericht:
„Soldatenkinder“: Tabuthema seit 65 Jahren
Die Mutter Österreicherin, der Vater Angehöriger einer Besatzungstruppe: Historiker erforschen das Schicksal der „Soldatenkinder“. Viele schämten sich wegen ihrer Herkunft, wie Anna E., die 1945 infolge einer Vergewaltigung zur Welt kam.

Anna E. litt ihr Leben lang unter dieser „Schande“. Ihre eigene Familie wie auch die Nachbarn ließen sie von Beginn an spüren, dass sie „nicht dazugehörte“ und „nicht willkommen“ war. „Wir sind ja nicht nur obligatorisches Strandgut eines Krieges, sondern Kinder, die ein Verlangen danach haben, ihrem Vater ein Gesicht und eine Geschichte geben zu können“, sagt Brigitte Rupp, Tochter eines britischen Besatzungssoldaten.

Als „Kinder des Feindes“ immer diskriminiert
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in Österreich und Deutschland so genannte Besatzungskinder auf die Welt: als Folge freiwilliger sexueller Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und Besatzungsangehörigen, aber auch als Folge von Vergewaltigungen. Sie galten als „Kinder des Feindes“, obwohl die Väter de jure keine Feinde mehr waren, und waren - gemeinsam mit ihren Müttern - meist unterschiedlichen Formen von Diskriminierung ausgesetzt.

„Gerade Kinder sowjetischer und ‚farbiger‘ französischer Besatzungsangehöriger oder schwarzer GIs bildeten eine Angriffsfläche für rassische, ideologische und moralische Vorurteile, was zum Teil auch eine Folge der NS-Propaganda darstellte“, sagt Barbara Stelzl-Marx, stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung und Leiterin der Internationalen Konferenz „Besatzungskinder in Österreich und Deutschland“, die am 27. September 2012 in Wien stattfindet, und an der Historiker, Sozialwissenschafter und Zeitzeugen teilnehmen.

Stelzl-Marx: „Eine vaterlose Generation“
Vor allem in der sowjetischen Besatzungszone seien Beziehungen zwischen Soldaten und einheimischen Frauen unter keinem guten Stern gestanden. „Stalins Politik erlaubte es den Soldaten nicht, österreichische Frauen zu heiraten oder sie und das Kind mit in die Heimat zu nehmen. Im Gegenteil: Wurde eine solche Beziehung bekannt, drohte die Versetzung“, so Stelzl-Marx. Durch den Kalten Krieg sei es dann kaum möglich gewesen, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Die meist jungen Mütter blieben ohne Geld in einer wirtschaftlich prekären Situation zurück. Die Kinder wuchsen ohne leiblichen Vater auf, „eine vaterlose Generation“, wie es die Historikerin bezeichnet.

Anders sei die Situation in der britischen, französischen oder amerikanischen Besatzungszone gewesen. Als das Fraternisierungsverbot im Oktober 1945 aufgehoben wurde, wanderten einige einheimische Frauen als „war brides“ mit ihren Ehemännern in die USA aus. Einige britische Soldaten ließen sich in Österreich nieder und gründeten hier eine Familie.

Besonders schwer hätten es jedoch die Kinder afroamerikanischer Soldaten gehabt. „Diesen Kindern hat man angesehen, dass sie anders waren. Sie hatten keine Möglichkeit, sich zu verstecken“, sagt Stelzl-Marx. Zusammen mit den Kindern von sowjetischen Soldaten seien sie den schlimmsten Diskriminierungen ausgesetzt gewesen.

20.000 Kinder wurden an den Rand gedrängt
Nach Angaben der einzelnen Bundesländer wurden zwischen 1946 und 1953 etwa 8.000 „Soldatenkinder“, wie ein zeitgenössicher Ausdruck lautete, geboren. Die Gesamtzahl dürfte aber österreichweit bei mindestens 20.000 liegen, denn viele Mütter gaben bei der Geburt den Vater als „unbekannt“ an. Für Deutschland geht man von mindestens 100.000 Kindern von Besatzungssoldaten aus.

Trotz ihrer großen Zahl waren und sind die Betroffenen quasi „unsichtbar“. „Viele wurden an den Rand der Gesellschaft und Familie gedrängt, sie wuchsen bei Pflege- oder Großeltern auf und waren von einer merkwürdigen Mischung aus Tabuisierung und mysteriösen Anspielungen Außenstehender umgeben. Viele schämen sich jetzt noch, über ihre Abstammung zu sprechen, oder stoßen auf eine Mauer des Schweigens“ (Barbara Stelzl-Marx). Bis heute gibt es weder in Österreich noch in Deutschland eine staatliche Einrichtung, die sich der Anliegen der Betroffenen annimmt.

Umgeben von Lügen und Tabuisierungen
Bei einem großen Teil der Besatzungskinder sind die Folgen der negativen individual-psychischen und psychosozialen Erfahrungen bis heute bemerkbar. Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx: „Auch die gesellschaftliche Ächtung - oder die Angst davor - ist im näheren Umfeld nach wie vor spürbar. Gleichzeitig sind viele der Betroffenen von Tabuisierungen, Verheimlichungen und Lügen umgeben. Dies ist besonders schmerzhaft, wenn wenig bis nichts vom Vater bekannt ist.“

Die Suche nach dem Vater ist für viele der Betroffenen Zeit ihres Lebens ein Thema. „Hast Du Dir je Gedanken gemacht, was mit mir - Deiner Tochter - geschehen wird? Hast Du Dir je Sorgen gemacht, ob ich wenigstens einen guten Stiefvater bekäme? Ich vermute fast, dass ich - Deine Tochter - für Dich mehr als tot bin, nämlich gar nie existiert habe.“ Das schrieb Brigitte Rupp, Tochter eines britischen Besatzungssoldaten, in einem Brief an ihren unbekannten Vater.

Konferenz soll „Mauer des Schweigens“ einreißen
Die Konferenz „Besatzungskinder in Österreich und Deutschland“ findet am 27. September 2012 ab 9.00 Uhr in der Diplomatischen Akademie in Wien statt. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung beim Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung ist jedoch erforderlich.

Bei dieser Konferenz wird erstmals ein Überblick über die Situation der Besatzungskinder in den unterschiedlichen Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands gegeben, ihre Sozialisations- und Lebensbedingungen sowie ihre weiteren Biografien. Die Rolle der (Nachkriegs-)Gesellschaften wird dabei ebenso berücksichtigt wie jene der (ehemaligen) Besatzungsmächte. Vor kurzem ist das Buch „Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945-1955“ von Barbara Stelzl-Marx bei Böhlau/Oldenbourg erschienen, bei dem das Konferenzthema ausführlich behandelt wird.

Das Ziel der Konferenz sei nicht nur, „diese Mauer des Schweigens einzureißen“, sondern auch der Generation der Besatzungskinder eine Stimme zu geben und sich gegenseitig bei der Suche nach den eigenen Wurzeln zu unterstützen. Immer wieder würden Besatzungskinder mit dem Wunsch an das Institut herantreten, ihre Väter zu finden, so Stelzl-Marx.


Reinhard Linke, noe.ORF.at
Quelle: http://noe.orf.at/news/stories/2551623/
 
W

wolfgang

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#2
Ich kann mir nicht vorstellen,daß Kinder,die durch eine Vergewaltigung entstanden sind - und daß auch wissen - scharf darauf sind,ihren "Erzeuger" kennenzulernen.
 
#3
Aber ich würde gerne meinen Erzeuger kennenlernen, der am 04.05.1945 ins Berchtesgadener Land einmarschierte und dann 1947 und 1948 mich und meinen Bruder zeugte (ohne Gewaltanwendung) und dann auf Einwendungen bei seiner Constabler-Dienststelle durch meines Großvaters (Oberst i.G.) unverzüglich (innerhalb von 14 Tagen), noch vor Geburt meines Bruders in die USA zurückversetzt wurde und meine Großeltern jeden Kontakt von Ihm zu meiner Mutter unterbanden. So konnte er das Versprechen, uns in die Staaten zu holen - nie von ihm verwirklicht werden! Es war halt Krieg und meine Großeltern waren so erzogen - ich kann heute keinem böse sein!

mfg Fred
 

josef

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#4
Studie über Schicksal von Besatzungskindern

Besatzungskinder

Das Grazer Ludwig-Boltzmann-Institut untersucht, wie Besatzungskinder mit ihrem Schicksal fertig geworden sind. Viele Kinder entstanden in freiwilligen Beziehungen, andere durch Vergewaltigung. Es werden noch Teilnehmer gesucht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Österreich und Deutschland sogenannte Besatzungskinder geboren. Es gibt nur wenige Themen in der Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen, die so tabuisiert sind, wie das Schicksal der Besatzungskinder. Nicht selten haben die Kinder die Wahrheit über ihren Vater erst sehr spät erfahren, viele wissen heute noch immer nicht, wer ihr Vater war.

Vater „unbekannt“
Selbst ihre Zahl kann nur geschätzt werden: „Laut Angaben der einzelnen Bundesländer wurden zwischen 1946 bis 1953 rund 8.000 Soldatenkinder geboren. Die Gesamtzahl dürfte allerdings bei mindestens 20.000 liegen. Schließlich gaben viele Mütter bei der Geburt den Vater als ‚unbekannt‘ an“, schilderte die österreichische Projektleiterin Stelzl-Marx. Die Studie erfolgt in Kooperation mit der Universität Leipzig.

Eheschließungen waren ausgeschlossen
Speziell Kinder sowjetischer Besatzungssoldaten wuchsen als eine „vaterlose Generation“ auf, so Stelzl-Marx: „Gemäß Stalins Politik war die Eheschließung zwischen Rotarmisten und Österreicherinnen ausgeschlossen. Die meisten Armeeangehörigen wurden sogar zurück in die UdSSR versetzt, sobald eine derartige Liaison publik wurde“, so die Grazer Historikerin, die sich seit rund einem Jahrzehnt mit der Thematik beschäftigt.

Wahrnehmungen aus Kindheit
Fest steht auch, dass viele dieser Kinder - gemeinsam mit ihren Müttern - unterschiedlichen Formen der Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt waren: „Speziell Kinder ‚farbiger’ französischer Besatzungsangehöriger oder ‚schwarzer‘ GI bildeten eine Angriffsfläche für rassistische, ideologische und moralische Vorurteile“, so die Historikerin. "Wir wollen herausfinden, wie die eigene Kindheit wahrgenommen wurde, wie das aktuelle psychisches Befinden der Betroffenen ist und in wie ferne das eine mit dem anderen zusammenhängt.“

Mehr Öffentlichkeit für Betroffene
Vielfach wuchsen die Kinder bei Großeltern, anderen Verwandten, Pflege- oder Zieheltern oder in Heimen auf, weil die Mütter, die keine Unterhaltszahlungen bekamen, alleine für sich und ihr Kind sorgen mussten - oder weil der spätere Stiefvater die Kinder ablehnte. Im familiären Alltag stießen die Kinder oftmals auf eine „Mauer des Schweigens“, die Ergebnisse sollen den Betroffenen „mehr Öffentlichkeit“ geben.

Anmeldung für Studie:
Die Befragung erfolgt in schriftlicher Form, die Auswertung der Daten wird anonymisiert. Betroffene, die teilnehmen möchten, können sich am LBI für Kriegsfolgenforschung in Graz melden:


Link: Ludwig-Boltzmann-Institut Graz
http://steiermark.orf.at/news/stories/2608466/
 

josef

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#5


Schwierige Suche nach Identität
Hunderttausende Menschen kamen als „Besatzungskinder“ von einheimischen Frauen und alliierten Soldaten in Österreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt. Ihre Lebensbedingungen waren oft von wirtschaftlicher Not und Stigmatisierung geprägt - vor allem aber von einem schwierigen Verhältnis zu ihren Wurzeln und ihrer Identität. Erst langsam wurde die Tabuisierung überwunden und das Verhältnis zu Müttern und die Suche nach den Vätern thematisiert und aufgearbeitet.

Kindheit mit doppeltem Stigma
In Österreich und Deutschland sind nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausende Kinder von alliierten Soldaten und einheimischen Frauen zur Welt gekommen - nach Liebesbeziehungen, kurzen Affären und „Versorgungspartnerschaften“, aber auch nach Vergewaltigungen.

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Die Nachkriegsgesellschaften in Österreich und Deutschland taten sich oft schwer mit den „Besatzungskindern“. In ihrem familiären und sozialen Umfeld litten diese Kinder vielfach unter einem doppelten Stigma: Sie waren unehelich geboren und zugleich Nachwuchs der ehemaligen Feinde.

Suche nach den Wurzeln
Zudem lernten die meisten Kinder ihre leiblichen Väter nie kennen oder wurden von ihnen verlassen. Viele Betroffene sind bis heute auf der Suche nach ihren Wurzeln. Im ungebrochenen Interesse von „Besatzungskindern“ und „Besatzungsenkeln“ an der Identität ihrer Väter und Großväter spiegeln sich die Aktualität und gesellschaftliche Relevanz des Themas wider. Eine Konferenz an der Universität Leipzig widmete sich Ende Juni den zwischen 1945 und 1955 geborenen „Besatzungskindern“.

Wirtschaftliche Not und Stigmatisierung

Die Lebensbedingungen von „Besatzungskindern“ waren oft von wirtschaftlicher Not, Vaterlosigkeit und Stigmatisierung geprägt. Viele Kinder wuchsen bei Großeltern, Pflegeeltern oder in Heimen auf, wenn die Mütter für ihre Kinder nicht sorgen konnten oder die späteren Partner der Mütter die Kinder ablehnten. Unterhaltszahlungen bekamen die Mütter von den leiblichen Vätern meist nicht.

Die Kinder stießen häufig auf eine „Mauer des Schweigens“ in ihrem Umfeld, wie Betroffene sowie Forscher und Forscherinnen bei der Konferenz in Leipzig berichten. Kinder afroamerikanischer, nordafrikanischer und zentralasiatischer Soldaten waren außerdem in vielen Fällen mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert.

Familiengründung nicht ganz ausgeschlossen
Der Großteil der „Besatzungskinder“ wurde von alleinstehenden Müttern aufgezogen, doch waren ab 1946 auch Hochzeiten zwischen britischen oder amerikanischen Soldaten und einheimischen Frauen möglich. Manche Frauen zogen als „war brides“ in die Herkunftsländer der Männer. In der französischen Armee waren Beziehungen zu deutschen Frauen zu keiner Zeit verboten. Hingegen galten Eheschließungen zwischen sowjetischen Soldaten und einheimischen Frauen de facto als ausgeschlossen.

Kind als „Kriegsschadensfall“
„Besatzungskinder“, die in Folge sexueller Gewalt zur Welt kamen, lebten in einem besonderen Spannungsfeld. Es sind Berichte von Vergewaltigungen durch Soldaten aller vier Besatzungsmächte überliefert. Doch allein beim Einmarsch der Roten Armee im Osten Deutschlands wurden Schätzungen zufolge bis zu 1,9 Millionen Frauen vergewaltigt. Kindern, die in der Folge auf die Welt kamen, fehlte meist jegliche Kenntnis über ihre biologische Herkunft.

Winfried Behlau, der als Sohn eines sowjetischen Soldaten und einer deutschen Mutter nach einer Vergewaltigung zur Welt kam, galt für die Behörden in den Nachkriegsjahren als „Kriegsschadensfall“. Jahrzehntelang glaubte er, seine Geschichte sei ein Einzelfall. Heute macht sein offener Umgang mit seiner Lebensgeschichte anderen „Besatzungskindern“ Mut. Das Sprechen über seine Kindheitserfahrungen helfe ihm, mit den psychosozialen Belastungen umzugehen, so Behlau.

Im geteilten Deutschland unterschied sich der Umgang mit den „Besatzungskindern“ entsprechend der politischen Lage während des Kalten Krieges. Dennoch: Sowohl im Osten als auch im Westen fand keine öffentliche Auseinandersetzung mit der Thematik statt.

Psychosoziale Folgen für Mütter und Kinder
Überlebende sexualisierter Gewalt während oder nach Kriegen litten mitunter noch jahrzehntelang an den psychosozialen Folgen. Betroffene Frauen versuchten häufig, die Gräueltaten zu verdrängen. Dabei waren die Kinder für sie oft eine lebende Erinnerung an die traumatischen Erlebnisse.

Die Beziehungen zu ihren Müttern beschreiben diese Kinder oft als distanziert und konfliktbeladen. „Die Liebe, die ich von meinen Großeltern erfahren habe, sollte ich eigentlich von meiner Mutter bekommen“, wird ein „Besatzungskind“ bei der Konferenz in Leipzig zitiert. Die Kinder erfuhren oft erst spät oder nur durch Dritte, kein „Kind der Liebe“ zu sein. „Meine Mutter war wie eine Fremde für mich. Sie war nicht fähig, Gefühle zu zeigen“, berichtete eine Betroffene.

Im Vergleich zur gleichaltrigen Allgemeinbevölkerung weisen „Besatzungskinder“ heute ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen auf, darunter somatoforme Störungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen, wie Forschungen unter der Leitung von Heide Glaesmer an der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig zeigen.

Nur Spuren des Vaters
„Besatzungskinder“ beschäftigt oft die Frage nach den Wurzeln - die Frage nach dem Vater. Wenn keine oder nur wenige Informationen über die Beziehung zwischen den leiblichen Eltern verfügbar sind und die Mutter nicht mehr befragt werden kann, sind die Chancen einer erfolgreichen Recherche nach der Identität des Vaters gering.

Zita L. wurde im Jahr 1947 in einer Liebesbeziehung zwischen einer österreichischen Frau namens Antonia und einem britischen Besatzungssoldaten geboren. Die wenigen Informationen über den leiblichen Vater sind auf einer Parfümschachtel und auf der Hinterseite eines Fotos vermerkt: „To Toni, from Ian“ und „In Love“. Die Parfumschachtel wurde, so die Erzählung, der Mutter als Abschiedsgeschenk übergeben. Das Foto zeigt den Vater mit einem weiteren Soldaten und einem Kind, als er 1944 in Griechenland stationiert war.

Eine Parfumflasche als Spur zum Vater


Privatsammlung Zita L.
Ein vergilbtes Foto als einziges Bild des Vaters

„Befreiungskinder“ statt „Besatzungskinder“
Eleonore Dupuis kam 1946 in Folge einer Liebesbeziehung zwischen ihrer österreichischen Mutter und einem sowjetischen Soldaten in Niederösterreich zur Welt. Auch sie sucht bis heute nach ihrem leiblichen Vater: Sie lernte Russisch, trat in russischen TV-Shows auf, erzählte ihre Lebensgeschichte russischen Zeitungen und schrieb ihre Autobiografie „Befreiungskind“, die ins Russische übersetzt wurde. Mit Hilfe ihrer Kontakte unterstützt sie andere „Besatzungskinder“ bei der „Suche nach den Wurzeln“.

„Lieber würde ich den Begriff ‚Befreiungskinder‘ verwenden. Doch viele Leute wollen davon nichts hören, und ‚Besatzungskinder‘ hat sich eingebürgert“, so Dupuis. An den Diskussionen über die richtige Bezeichnung für die Nachkommen alliierter Soldaten und einheimischer Frauen beteiligen sich auch die Betroffenen selbst.

Viele sprechen von sich weder als „Besatzungskinder“ noch „Befreiungskinder“ - vor allem dann, wenn die biologische, väterliche Herkunft nicht zu jenen biografischen Eckdaten zählt, die Betroffene für sich selbst als prägend und identitätsstiftend ansehen.

Netzwerke unterstützen Betroffene
Nachdem „Besatzungskinder“ in Deutschland und Österreich jahrzehntelang aus dem kollektiven Gedächtnis der Nachkriegszeit verdrängt waren und kaum Beachtung fanden, erschienen in den letzten Jahren mehrere Studien zur Thematik. Im Jahr 2012 widmete sich in Wien erstmals eine von Barbara Stelzl-Marx vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung gemeinsam mit Silke Satjukow von der Universität Magdeburg organisierte Konferenz diesen „Kindern des Krieges“. Wissenschaftliche Studien und Veranstaltungen unterstützen die Netzwerkbildung zwischen „Besatzungskindern“.

Unterstützung bei der Vatersuche leisten die Plattformen GI Trace, Abgängig-vermisst, Russenkinder e.V. und Herzen ohne Grenzen. Eines dieser Netzwerke sind auch die Distelblüten, wie sich die Gruppe der „Russenkinder“ in Deutschland selbst nennt. Gemeinsam pflegen sie einen Austausch über ihre Kindheitserfahrungen und die Suche nach den leiblichen Vätern. Das Netzwerk hilft den Betroffenen außerdem, eine Gesprächsbasis in ihren eigenen Familien aufzubauen. In Eigenregie gelingt manchmal eine erfolgreiche Recherche nach dem leiblichen Vater und ein Treffen mit zuvor unbekannten Familienangehörigen.

Die Autorinnen und der Autor
Das von der EU geförderte Horizon-2020–Forschungsnetzwerk „Children Born of War: Past-Present-Future“ (Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahme 642571) untersucht seit 2015 die Lebens- und Sozialisationsbedingungen von „Kindern des Krieges“. Die Autorinnen Sophie Roupetz (Uni Leipzig), Lisa Haberkern (Schlesische Universität in Katowice) und der Autor Lukas Schretter (LBI Kriegsfolgenforschung, Graz) forschen im Rahmen des Netzwerks.

Links:
Sophie Roupetz, Lukas Schretter, Lisa Haberkern, für ORF.at
Publiziert am 29.07.2018
Von der Tabuisierung zur Anerkennung
 

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#6
BESATZUNGSZEIT
Frankreichs „Kinder des Staates“
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„Kinder des Staates“ hat Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg Kinder in den besetzten Gebieten genannt, deren Väter Soldaten der französischen Armee waren. Im Gegensatz zu den anderen Besatzungsmächten beanspruchte Frankreich diese Kinder für sich – aus bevölkerungspolitischen Gründen.
Online seit heute, 11.55 Uhr
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Bis an das Wochenbett kamen die „Rechercheoffiziere“, wenn den französischen Militärbehörden in Deutschland zu Ohren gekommen war, dass ein Kind eines Soldaten der französischen Armee auf die Welt gekommen war. Ziel war es, die Mütter dazu zu bringen, das Kind dem französischen Staat zu überlassen, erklärt der Historiker Rainer Gries von der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien.

„Teilweise gingen sie mit Drohungen vor, häufiger waren es aber falsche Versprechungen, indem man behauptete, das Kind würde dem Vater übergeben werden. Man sagte den Müttern, sie würden den Kindern etwas Gutes tun, weil man in Frankreich sehr gut für sie sorgen würde.“ Viele Mütter hatten Angst, ihr Kind nicht versorgen zu können, sagt Gries: „Nach dem Krieg herrschte große Not, die Städte waren zerbombt, das Essen war rationiert, es war sehr schwierig, an Brennstoffe heranzukommen.“

20.000 potenzielle Franzosen
Manche Kinder wurden auch ohne Drohungen oder falsche Versprechungen dem französischen Staat übergeben, denn Druck spürten die Mütter auch von anderer Seite: Sie stießen in der österreichischen und deutschen Bevölkerung auf große Ablehnung. Die Befreiung wurde als Niederlage empfunden und den Frauen wurde vorgeworfen, sich mit dem Feind eingelassen zu haben. Frauen, die Beziehungen mit französischen Soldaten eingingen, wurden auch auf öffentlicher Straße beschimpft oder in Schmähgedichten namentlich genannt, worauf der Historiker Klaus Eisterer von der Universität Innsbruck hinweist.


Dass Frankreich als einzige Besatzungsmacht Interesse an den Soldatenkindern zeigte, hatte bevölkerungspolitische Gründe: Das Land versuchte den Verlusten der beiden Weltkriege etwas entgegenzusetzen. Frankreich verschaffte sich einen Überblick über die Kinder, deren Väter in der französischen Armee dienten, und zählte in Deutschland rund 20.000. Für Österreich ist die Zahl nicht bekannt.

Endstation Kinderheim
In ein paar Tausend Fällen übergab die Mutter das Kind den Militärbehörden, sagt Rainer Gries: „Nach Frankreich kamen nur 1.500, denn die Kinder wurden einem Auswahlverfahren unterworfen.“ Das folgte einem eugenischen Muster – Erbkrankheiten, Syphilis oder Hörbeeinträchtigungen waren beispielsweise Ausschlusskriterien. „Alle Kinder, die Krankheiten hatten, wurden ausgesondert, die waren jetzt plötzlich keine Franzosen mehr. Und dann kam die schärfste Selektion, indem man sie gewogen hat.“ Nur Babys, die schwer genug waren, kamen für eine Adoption in Frankreich in Frage. Das Kindeswohl war für die Entscheidung nicht relevant.

Historischer Verein Nordrach
In diesem französischen Heim in Nordrach im Schwarzwald wurden die Kinder ausgewählt

Kinder, die nicht ausgewählt wurden, wurden deutschen Kinderheimen übergeben, so der Historiker: „Die Heime haben versucht, die Mütter wieder ausfindig zu machen. Das war oft schwierig, weil sie nur spärliche Papiere bekommen haben.“ Nach einem halben oder dreiviertel Jahr waren die Mütter oft nicht mehr bereit, die Kinder zurückzunehmen: „Sie hatten emotional mit den Kindern abgeschlossen oder neue Partner, die das Kind nicht akzeptierten. Manche haben es zurückgenommen, aber das Schicksal der meisten Kinder war es, in einem deutschen Heim aufzuwachsen.“
ORF Sound

Adoption: Weiße Mädchen bevorzugt
Jene rund 1.500 Kinder aber, die ausgewählt wurden, kamen nach Frankreich und wurden zur Adoption freigegeben. Dort kamen die nächsten Hürden: Buben waren schwer zu vermitteln, denn drei Viertel der adoptivwilligen Paare wollten Mädchen, sagt Rainer Gries: „Mädchen machen weniger Ärger, die sind leichter zu handhaben – das war die Vorstellung.“

Auch Rassismus spielte eine große Rolle: Kinder von nordafrikanischen oder schwarzen Soldaten waren unerwünscht, so der Historiker: „Aber die gab es natürlich, denn die französische Armee bestand auch aus Kolonialtruppen.“ Vorarlberg beispielsweise wurde Großteils von marokkanischen Truppen befreit. In Frankreich zur Adoption freigegebene Kinder, die nicht weiß waren, wurden oft nach Nordafrika weitergeschickt.

Österreich: Mit Wissen der Behörden
In Österreich lief die Sache ein wenig anders als in Deutschland, sagt Gries: „Deutschland war ein besetzter Feindstaat für die Franzosen. Österreich galt aufgrund der Moskauer Deklaration sowohl als besetzt als auch als befreit, deshalb ging man in Österreich vorsichtiger vor. Man bemühte sich, die österreichischen Behörden in diesen Prozess einzuschalten und von ihnen eine Zustimmung für die Adoptionen zu erhalten.“ In Deutschland wurden die Behörden nicht miteinbezogen. Dort fiel diesen erst nach ein paar Jahren auf, dass die Kinder fehlten, was zu einer Debatte über das völkerrechtswidrige Vorgehen Frankreichs führte, die in Österreich ausgeblieben ist.

Universum History
Als Hans-Peter Springmann wurde Sébastien Driesbach im deutschen Waldulm geboren und in Frankreich adoptiert

Wie viele Fälle es in Österreich gab, ist nicht erforscht. Fest steht, dass es in der französischen Besatzungszone in Riedenburg in Vorarlberg und in Natters in Tirol Säuglingsheime der französischen Militärbehörden gab. Und das auch aus Österreich Kinder nach Frankreich gebracht und an adoptivwillige Paare vermittelt wurden. In Riedenburg gab es für Frauen, die ein Kind von einem französischen Soldaten erwarteten, sogar die Möglichkeit zu entbinden.

Universum History
Sébastien Driesbach (Szenenausschnitt aus Universum History: „Kinder des Chaos. Die Ausgestoßenen der Nachkriegszeit“)

Der damalige französische Militärgouverneur für Vorarlberg, Henri Jung, betonte zwar im Nachhinein in einem informellen Bericht aus dem Jahr 1971, dass den Müttern dringend angeraten wurde, die Kinder zu behalten. Rainer Gries hält dies für eine nachträgliche Umdeutung – denn die Devise der französischen Politik sei klar gewesen und habe auch für die besetzten Gebiete in Österreich gegolten. Schon dass es die Entbindungsmöglichkeit und die Säuglingsheime gab, verweist auf das Interesse der französischen Militärverwaltung an den Kindern. Vergleichbare Einrichtungen gab es in der britischen, US-amerikanischen oder sowjetischen Besatzungszone nicht.
23.09.2022, Katharina Gruber, ORF-Wissenschaftsredaktion

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#7
„Vom Feind ein Kind“: Zeitzeuginnen erzählen
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Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Österreich mindestens 30.000 sogenannte „Besatzungskinder“ zur Welt gekommen. In Tirol waren es schätzungsweise 2.500. Im Buch der Erziehungswissenschafterin Flavia Guerrini erzählen auch zwei Tirolerinnen ihre Geschichte.
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Sie waren die Folge von Liebesbeziehungen, Affären aber auch Vergewaltigungen. Die Kinder von Besatzungsmitgliedern der Alliierten wurden in Familien oft jahrzehntelang verschwiegen und in der Gesellschaft diskriminiert. Sie galten als „Kinder des Feindes“.

Armut, Ausgrenzung und die Sehnsucht nach dem Vater
Die Lebensbedingungen von Besatzungskindern waren oft geprägt von Armut, Vaterlosigkeit und Stigmatisierung. Viele Kinder wuchsen bei Großeltern, Pflegeeltern oder in Heimen auf. Silvia Kleinschmidt war eine von ihnen, sie wuchs bei ihrer Großmutter auf. Ihre Mutter war zum Zeitpunkt ihrer Geburt erst 17 Jahre alt. Sie lernte den französischen Besatzungssoldaten Auguste Housset bei einer Tanzveranstaltung kennen.

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Silvia Kleinschmidts junge Mutter im Alter von zirka 18 Jahren
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Analoge Fotografien von Marlene Walde, die ihren Vater – den französischen Allierten Joules – und ihre Mutter zeigen
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Der französische Besatzungssoldat Joules mit seiner Tochter Marlene Walde am Arm
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Silvia Kleinschmidts Papa Auguste in seiner Uniform

„Es war eine harte Zeit, mein Großvater war nicht einverstanden mit der Beziehung meiner Mutter und dem französischen Alliierten, obwohl er sie heiraten wollte. Für ihn kam eine Hochzeit mit dem ‚Feind‘, wie ihn mein Papa nannte, nicht in Frage“, erzählt Kleinschmidt. Ihre Mutter habe die heute 74-Jährige nur mehr einmal im Jahr gesehen. „Sie war am Ende fast so etwas wie eine Schwester für mich, weniger eine Mutter – sie war generell eher verschlossen mir gegenüber, ich glaube sie hatte ein gebrochenes Herz, weil sie nicht mit ihrer Liebe zusammen sein konnte“, schildert die Zeitzeugin.

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Silvia Kleinschmidt: "Für meinen Großvater kam eine Hochzeit mit dem „Feind", wie ihn mein Opa nannte, nicht in Frage“

Silvia Kleinschmidts Kindheit war geprägt von Armut: „Wir hatten Eis an den Wänden im Winter, es war feucht, wir hatten keine Heizung – ich erlitt dadurch eine Lungenkrankheit.“ Auch die Schulzeit war für sie schwierig, Kinder von Besatzungskindern seien diskriminert worden, sagt sie. „Bewusst wahrgenommen habe ich das erst ab der dritten Klasse, es gab eine eigene Reihe für die Besatzungskinder und auch die Lehrer haben uns das schon spüren lassen, dass wir ‚anders‘ waren.“

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Marlene Walde: „Ich habe meinen Papa sehr vermisst – bis heute“

Ähnlich erging es auch Marlene Walde, sie wuchs im Tiroler Oberland auf. Die Geschichte der 76-Jährigen unterscheidet sich von jener vieler Besatzungskinder – denn ihre Eltern lebten einige Zeit gemeinsam in Tirol und standen offen zu ihrer Beziehung. Bewusste Erinnerungen an ihren Vater hat sie dennoch nicht, er musste Tirol verlassen als sie noch ein Kleinkind war. „Meine Mama war berufstätig, sie hat in einer Textilfabrik gearbeitet im Schichtbetrieb. Das war manchmal schon schwierig, ich musste viel alleine sein. Aber uns hat es an nichts gefehlt, natürlich haben wir sparen müssen“, so Walde. In ihrer Familie sei immer nett über ihren Papa gesprochen worden und wie nett er mit ihr umgegangen sei, betont die 76-Jährige. „Ich habe meinen Papa immer sehr vermisst und dieses Gefühl dauert bis heute an.“

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Flavia Guerrini: „Wir müssen davon ausgehen, dass viele Menschen nie erfahren werden, wer ihre Väter waren“

Die Suche nach den eigenen Wurzeln
Die Erziehungswissenschafterin Flavia Guerrini forscht zur Geschichte der Besatzungskinder in Österreich. Es ist eine Geschichte, die bis heute nur wenig aufgearbeitet wurde, obwohl es in der Zeit zwischen der Befreiung Österreichs vom Regime der Nationalsozialisten 1945 und dem Abzug der Alliierten 1955 zu vielen „Beziehungen“ zwischen amerikanischen, französischen, britischen oder auch russischen Soldaten und einheimischen Frauen kam.

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Für das Buch „Vom Feind ein Kind“ hat die Erziehungswissenschafterin Flavia Guerrini insgesamt neun Interview mit Zeitzeugen geführt

Für die Recherche ihres Buches „Vom Feind ein Kind“ hat Flavia Guerrini mit neun Zeitzeugen gesprochen. "Eine Dame, die ich interviewt habe, hat beispielsweise erst mit fast 60 Jahren erfahren, wer ihr leiblicher Vater war. Das macht schon sehr viel mit einer Person und lässt einen die eigene Identität hinterfragen oder das Verhältnis zur Familie, oder was man glaubt über seine Herkunft zu wissen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass viele Menschen nie erfahren werden, wer ihre Väter war. Das kann natürlich auch sehr aufwühlend sein, erklärt Guerrini.

Die Wissenschafterin setzt ihre Forschung zur Geschichte der „Besatzungskinder“ fort mit dem Ziel das Thema auch international einzubetten und in einen aktuellen Kontext zu setzen. Denn auch heutzutage würden bei bewaffneten Konflikten Kinder geboren, deren Väter als „Feinde“ gesehen werden.
10.01.2024, Viktoria Gstir, tirol.ORF.at
„Vom Feind ein Kind“: Zeitzeuginnen erzählen
 
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