China: Hausfrau stellte mehr als 200 erfundene Artikel über russische Geschichte in die chinesischen Ausgabe der Online-Enzyklopädie

josef

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MEISTERHAFTE FÄLSCHUNG
Chinesische Hausfrau erfand aus Langeweile hunderte Wikipedia-Artikel zu russischer Geschichte
Schwindel flog erst jetzt auf – nach drei Jahren. Zum Teil wurden die Behauptungen auch in anderssprachige Ausgaben der Online-Enzyklopädie übernommen

Eine meisterhafte Fälschung fliegt auf.
Foto: SASCHA STEINBACH / REUTERS

Es ist die unbestritten ausführlichste Darstellung jener drei Tartarenaufstände, die Russland im 17. Jahrhundert von Grund auf verändern sollten. In einem Artikel in der chinesischen Wikipedia gab es bis vor kurzem wirklich jedes noch so kleine Detail zu diesem Konflikt nachzulesen, der Eintrag erreichte zuletzt die Länge eines mittellangen Romans. Das Problem dabei: All das ist frei erfunden, es entspringt der reichhaltigen Fantasie einer chinesischen Hausfrau.

Umfassende Fälschungen
Doch es geht hier nicht um einen einzelnen Artikel, sondern um den wohl größten Schwindel in der Geschichte der Wikipedia. Wie sich nun herausstellt, hat die unter dem Namen Zhemao auftretende Autorin nämlich seit dem Jahr 2019 mehr als 200 erfundene Artikel über russische Geschichte in der chinesischen Ausgabe der Online-Enzyklopädie untergebracht.

Dabei ist sie äußerst geschickt vorgegangen. So gab sie sich als Wissenschafterin mit einem Doktortitel der Moskauer Lomonossow-Universität aus, die einen russischen Ehemann habe und die Tochter eines chinesischen Diplomaten sei. Zusätzlich erschuf sie ein Netz an fiktionalen Personen – also sogenannte "Sockenpuppen" –, die vor anderen Wikipedia-Autoren für sie bürgten. Einer davon behauptete gar, sie bereits persönlich getroffen zu haben, in Wirklichkeit steckte dahinter aber natürlich Zhemao selbst.

Geschicktes Vorgehen
Ihre Artikel erwiesen sich wiederum als geradezu meisterhafte Fälschungen. Geschickt vermischte sie historische Fakten mit Fiktion, hatte auch für jede Erfindung einen Quellenhinweis in einem schwer überprüfbaren Werk parat – wo sich in der Realität natürlich nichts davon befand.

Vor allem aber führte ihr Ideenreichtum dazu, dass das Netz aus erfundenen Artikeln immer größer wurde und die Beiträge sich natürlich allesamt gegenseitig referenzierten – womit die Glaubwürdigkeit weiter stieg. Für Uneingeweihte wirkten die Artikel so von äußerst hoher Qualität, wie "Vice" berichtet.

Aufgeflogen
Dass sie jetzt aufgeflogen ist, ist der chinesischen Schriftstellerin Yifan zu verdanken. Diese war in ihren Recherchen über einen Wikipedia-Eintrag gestolpert, in dem mit großer Detailverliebtheit von einer Silbermine in Kaschin berichtet wird, die angeblich im 14. und 15. Jahrhundert dem Fürstentum Twer zu großem Reichtum verholfen haben soll. Selbst die Beschaffenheit des Bodens und der Aufbau der Mine wurden dabei genau beschrieben.

Doch als Yifan die Quellenhinweise von russischen Kontakten überprüfen ließ, stellte sich heraus, dass die referenzierten Bücher keine entsprechenden Passagen enthielten – oder es sie gleich gar nicht gab. Infolgedessen machte sich eine Gruppe von Freiwilligen daran, die Artikel von Zhemao einer genauen Prüfung zu unterziehen – und fand das wahre Ausmaß des Betruges. Dabei zeigte sich auch, dass das Problem nicht mehr auf eine einzelne Variante der Wikipedia beschränkt war. Längst hatten nämlich andere Ausführungen einzelne Beiträge oder zumindest ausgewählte Behauptungen übernommen.

Ein simples Motiv
Mittlerweile wurden sämtliche Konten von Zhemao gesperrt. Doch nicht nur das, die Fälscherin hat sich sogar selbst zu Wort gemeldet. In einem Schreiben an die Wikipedia-Community entschuldigte sie sich für ihre Aktivitäten. Aktivitäten, für die sie eine recht simple Erklärung hatte: Sie sei oft alleine und habe keine Freunde. Die Langeweile sei es, die sie zu ihren Wikipedia-Fälschungen getrieben habe.
(apo, 15.7.2022)
Chinesische Hausfrau erfand aus Langeweile hunderte Wikipedia-Artikel zu russischer Geschichte
 
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