Klimawandel - Argumente für und gegen Atomkraft

josef

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#1
Sorgen Minireaktoren für das Comeback der Atomkraft?
Neue Miniatomkraftwerke sollen sicherer, günstiger sein und gewaltige Mengen CO2-freien Stroms liefern. Aber viele Experten äußern Bedenken an der Technologie

Könnten so die Atomkraftwerke der Zukunft aussehen?
Foto: Nuscale Power

Was haben Joe Biden, Wladimir Putin, Boris Johnson und Xi Jinping gemeinsam? Sie alle setzen mehr oder weniger auf eine Technologie, die der Atomkraft in den nächsten Jahren wieder zu neuem Auftrieb verhelfen soll: sogenannte Small Modular Reactors (SMR), also kleine modulare Reaktoren. Diese Miniatomkraftwerke sollen sicherer und günstiger sein als normale AKWs und werden als klimafreundliche Stromerzeuger angepriesen.
Sowohl die USA und Großbritannien als auch Russland und China pumpen gerade Milliarden an Dollar in die Technologie. Aber kann sie ihre Versprechen auch halten?

Ruf der Atomkraft verbessern
Das Konzept der SMR ist nicht neu, schon in den 1950er-Jahren wurden erste Anlagen für U-Boote, Kriegsschiffe und Forschungszwecke gebaut. Allerdings geriet die Atomkraft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zunehmend in die Kritik. Nicht zuletzt haben einige Atomunfälle das Vertrauen in die Branche erschüttert. Der weltweite Anteil an Atomstrom ist seitdem immer weiter gesunken.

Neue und technologisch verbesserte SMRs sollen den Ruf der Atomkraft nun wieder verbessern und Kritikerinnen und Kritiker besänftigen. Dutzende Entwürfe und Renderings der Anlagen haben die Entwickler in den vergangenen Jahren präsentiert: Mit gigantischen Betonklötzen und Hochsicherheitszonen ihrer größeren Verwandten haben die Minikraftwerke kaum mehr etwas gemeinsam. Denn anders als herkömmliche Atomkraftwerke sollen SMRs in vergleichsweise kleinen Behältern untergebracht werden, die weniger Kosten verursachen und einfacher zu überwachen sind, so die Versprechen der Entwickler.

Beitrag zur Energiewende?
Laut Befürwortern der Technologie seien diese Anlagen sicherer als normale Atomkraftwerke, da sie durch ihre verminderte Größe auch bei kritischen Störfällen leichter gekühlt werden können. In vielen Fällen reiche dafür ein Wasserbecken um die Reaktoren aus. Zudem sollen sie schneller gebaut werden können und günstiger sein.
Zwar produzieren die Minikraftwerke deutlich weniger Strom als normale Atomkraftwerke, sie sollen dafür aber flexibler zuschaltbar sein und Netzflauten ausgleichen. Auch deshalb preisen die Entwickler die Technologie als Ergänzung zu erneuerbaren Energien an, deren Energieproduktion je nach Wetterlage schwankt. Und weil Atomstrom grundsätzlich CO2-frei sein soll, sehen einige Experten, darunter auch der Weltklimarat IPCC, die Atomkraft als möglichen Beitrag zur Energiewende.

Öffentliche Förderungen
Die Entwickler und Unternehmensgründer sind gut darin, sich die Unterstützung der Regierungen sichern. Rund 60 SMR-Konzepte werden derzeit weltweit entwickelt, die meisten davon mithilfe großzügiger öffentlicher Fördergelder. Schon im vergangenen Jahr ging das erste SMR-Kraftwerk in Russland ans Netz: Die "Akademik Lomonossow" ist ein schwimmendes Kernkraftwerk, das vor allem abgelegene Regionen mit Strom versorgen soll. Aber die Begeisterung war nicht überall groß: Umweltschützer bezeichnen das AKW-Schiff als "schwimmendes Tschernobyl" und bemängeln mögliche Sicherheitsrisiken.


Die Akademik Lomonossow wiegt 21.000 Tonnen und soll bald auch an andere Länder verkauft werden.
Foto: Rosatom

Auch US-Präsident Joe Biden kündigte in seinem Wahlprogramm an, die Forschung und Entwicklung nuklearer Reaktoren voranzutreiben. Das hat bereits die Gründung einiger Atom-Start-ups im Land befeuert. So arbeitet die Firma Nuscale Power an 4,5 Meter breiten und 22 Meter hohen Reaktormodulen, die dann per Schwertransport an den Einsatzort transportiert und dort montiert werden sollen. Schon in den nächsten Jahren könnten die ersten dieser Module ans Netz gehen. Das Start-up Oklo wiederum entwickelt Reaktoren, die gerade so groß sind wie ein Einfamilienhaus und mit recycelten Uranbrennstäben arbeiten sollen.

Und in Großbritannien baut die Firma Rolls-Royce 16 Miniatomkraftwerke, die jeweils rund 440 Megawatt Strom produzieren, rund 2,3 Milliarden Euro kosten und in den nächsten zehn Jahren ans Netz gehen sollen. Mit einem Kraftwerks sollen rund 500.000 Personen mit Strom versorgt werden. Zum Vergleich: Das deutlich größere britische Atomkraftwerk Hinkley Point soll rund 25 Milliarden Euro kosten, aber dafür auch mehr als sechsmal so viel Strom liefern wie jedes Minikraftwerk.

Frage des Atommülls
Allerdings kommt bei den Miniatomkraftwerken wieder viel von der Kritik auf, die schon an herkömmlichen Atomkraftwerken geäußert wurde. Laut Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace gehen von kleinen AKWs ähnliche Risiken aus – etwa die Freisetzung von Radioaktivität, die Atomwaffenentwicklung oder auch das Risiko militärischer Anschläge – wie von großen. Auch wenn einige Reaktoren in der Lage wären, Brennstäbe zu recyceln, ist die Frage, was mit dem Atommüll passieren soll, nach wie vor ungeklärt. Laut der österreichischen Umweltökonomin Sigrid Stagl verursacht Atomstrom durch den Uranabbau zudem erhebliche Umweltschäden, und es kommt immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

Auch einige Nuklearexperten stellen die Versprechen der Entwickler infrage. Laut dem Physiker M. V. Ramada von der Universität British Columbia in Kanada sei es bei Atomkraftwerken bereits in der Vergangenheit häufig zu Kostenüberhängen und Zeitverzögerungen gekommen, sagte er der BBC. Kleinere Atomkraftwerke müssten die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen wie große, weshalb sie nicht unbedingt kostengünstiger seien. Nicht zuletzt sind die Investitionen Spekulationen in die weitere Zukunft: Es könne sein, dass zehn Jahre nach der Fertigstellung der Kraftwerke erneuerbare Energien bereits weit kostengünstiger und wettbewerbsfähiger sind, so der Experte.

Tatsächlich könnten die "wahren Kosten" von Atomstrom, etwa indem die Kosten für die Endlagerung des Atommülls miteinbezogen werden, deutlich über den üblichen Marktpreisen liegen und Atomstrom am Ende kaum wettbewerbsfähig machen.

Polarisierte Meinungen
Es ist davon auszugehen, dass SMR-Kraftwerke – wie schon die Atomkraft selbst – in der Zukunft weiterhin Meinungen polarisieren werden in strikte Befürworterinnen und Gegner der Technologie. Während Österreich das Kapitel Atomkraft seit längerem beendet und auch Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, wäre Kernenergie in Ländern wie Frankreich, den USA, Russland und auch China kaum mehr wegzudenken.

Aber ob die Atomkraft tatsächlich zu einer nachhaltigen Energiewende beitragen kann, bleibt umstritten. Laut Ökonominnen wie Stagl führen Investitionen in die Kernenergie dazu, dass weniger finanzielle Mittel für erneuerbare Energien übrig bleiben und damit deren Entwicklung verlangsamt wird. Politiker wie der britische Premierminister Boris Johnson zeigen sich von den Argumenten aber oft wenig beeindruckt. Denn für sie verspricht die Atomkraft gerade in jetzigen Zeiten drei Dinge zu liefern: Arbeitsplätze, unabhängigen Strom und neues Futter für die Wirtschaft.
(Jakob Pallinger, 17.2.2021)

Zum Thema
Atommüll endlagern oder die Erde damit mit Energie versorgen?
Sorgen Minireaktoren für das Comeback der Atomkraft? - derStandard.at
 

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#2
FÜR & WIDER
Was für Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel spricht – und die Argumente dagegen
Atomenergie ist arm an Treibhausgasemissionen, aber reich an Strahlung. In der Frage, ob sie einen Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung beitragen sollte, scheiden sich die Geister
Frankreich setzt auf Kernkraft.
Foto: Reuters

In Österreich ist Kernkraft verpönt. Aber Frankreich und ein Dutzend weitere EU-Staaten wollen im Kampf gegen den Klimawandel auch auf Atomenergie setzen. Die Vorteile sind evident: Bei Kernkraft fallen kaum Treibhausgasemissionen an. Allerdings kam es in der Vergangenheit nicht erst einmal zu schweren Reaktorunfällen, ganze Landstriche wurden auf lange Zeit unbewohnbar. Atommüll strahlt unter der Erde Jahrtausende vor sich hin. Trotzdem sterben deutlich mehr Menschen an den Folgen von Erderwärmung oder Luftverschmutzung durch andere Energieformen. Die Debatte ist komplex.

Was spricht für Atomenergie? Und was dagegen?

Für: Eines der besten Argumente für die Atomkraft ist absurderweise ausgerechnet der viele radioaktive Müll, den sie über die vergangenen Jahre angehäuft hat. Der Atomkraft lag nämlich eine Art Geburtsfehler inne. Man entwickelte sie, ohne sich um den Abfall zu kümmern, den sie produzieren würde.

Weil sämtliche Alternativen zum ewigen Einbuddeln, wie ins All oder in die Sonne schießen, genauso gefährlich sind, wie sie klingen, erhält eine Idee immer mehr Zuspruch: Wir brauchen Atomkraft, um den Müll wieder loszuwerden.

In neuartigen AKWs mit Kugelhaufen-, Laufwellen- oder Flüssigsalzreaktoren soll radioaktiver Müll erneut als Brennstoff fungieren und so deutlich unschädlicher gemacht werden. Die Halbwertszeit radioaktiver Isotope könne sich so von Millionen auf wenige Hundert Jahre reduzieren, wofür praktikable Lösungen gefunden werden könnten.

Sobald es mit Erneuerbaren möglich und rentabel ist, alle Welt zu versorgen, müsste der Teufelskreis ein Ende nehmen, aber ist es jetzt schon an der Zeit? Alternative Entsorgungsstrategien wie die Idee des französischen Physiknobelpreisträgers Gérard Marou, Atomkerne mit superstarken Laserpulsen zu beschießen, Protonen herauszuschlagen und instabile zu stabilen Isotopen zu machen, scheinen vielversprechend, aber schwer umsetzbar.

Wider: Atommeiler statt Kohlekraftwerk? Das ist schon allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Schnapsidee. Während Photovoltaik und andere erneuerbare Energiequellen nicht nur klimafreundlich, sondern auch wirtschaftlich rentabel sind, verbrennen Kernkraftwerke zwar keine Kohle, dafür aber viel Geld. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat 2019 errechnet, dass ein AKW selbst im günstigsten Fall – also bei hohen Strompreisen und geringen Kapitalkosten – meist ein Verlustgeschäft ist.

In der Praxis kommt es zusätzlich auch häufig zu Bauverzögerungen – und explodierenden Baukosten. Das Kraftwerk Olkiluoto-3 in Finnland etwa verteuerte sich von geschätzten drei Milliarden auf über elf Milliarden Euro. Am Markt würden sich AKWs nie durchsetzen, sagt Reinhold Christian, Geschäftsführer des Forums Wissenschaft und Umwelt. Wer auf Kernkraft setze, setze auf massive staatliche Subventionen. Das Geld ließe sich besser für Energieeffizienz und Erneuerbare einsetzen, betont der Experte.

Kernkraft ist schon ohne Rücksicht auf externe Kosten nicht wirtschaftlich. Würden diese berücksichtigt, würde sich Atomenergie noch weniger rechnen. Externe Kosten werden nicht von AKW-Betreibern getragen. Beispiel: die Lagerung von Atommüll. Bei der Kernspaltung entsteht hochradioaktiver Abfall, der zum Beispiel Plutonium enthält. Das nicht in der Natur vorkommende Element hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Atommüll muss über Jahrtausende sicher unter der Erde verwahrt werden.

Noch dazu sind Kernkraftwerke nicht versicherbar. Kommt es zum Reaktorunfall – wie 1986 in Tschernobyl oder 2011 in Fukushima –, zahlen Steuerzahler fürs Aufräumen.

Kohle statt Atom?
Nicht zu vergessen ist auch der Preis, den Staaten für frühere, teils überhastete Atomausstiege zahlen. Weil dadurch ein späterer Kohleausstieg notwendig wurde, habe das deutsche Atom-Aus durch "höhere Konzentration von Schwefeldioxid, Stickstoffoxid und Feinstaub zu mehr als 1100 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr geführt", rechneten US-Forscher unlängst vor.

Die äußerst geringe Anzahl an Toten pro Terawattstunde Atomstrom wird von Gegnern zwar immer wieder bezweifelt. Glaubt man den besten Nuklearforschern der Welt, wird die Technologie aber immer sicherer.

Die Entscheidung für Atomstrom ist letzten Endes eine gegen Treibhausgase. Hätte die Menschheit bei der Reduktion ihrer Emissionen nicht so herumgeeiert, müsste man die veritablen Risiken, die Atomenergie in sich birgt, vermutlich gar nicht eingehen. So aber schon.

Umweltschäden
Das Hauptargument sind aber die Gefahren durch AKWs, sagt Christian. AKWs sind potenzielle Anschlagsziele. Reaktorunfälle können passieren. Zwischenlager strahlen. Endlager ist erst eines in Sicht. "Für einen fragwürdigen Nutzen für kurze Zeit belasten wir die kommenden Generationen über Jahrtausende", sagt Christian. Semiotiker befassen sich damit, wie man Menschen in zigtausend Jahren beibringt, verstrahlte Gegenden zu meiden. Das muss nicht sein.
(Fabian Sommavilla, Aloysius Widmann, 30.10.2021)
Was für Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel spricht – und die Argumente dagegen
 

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#3
Brauchen wir Kernkraft für die Energiewende? Ein Faktencheck
Während einige Staaten kurz vor dem endgültigen Atom-Aus stehen, ist die Technologie auch wegen ihrer angeblich guten Kohlendioxid-Bilanz international auf dem Vormarsch
Kaum ein Thema spaltet die Gesellschaft so sehr wie – die Spaltung von Atomen. Für die einen ist sie eine notwendige Brückentechnologie, bis uns Erneuerbare weitgehend emissionsfrei mit Energie versorgen können. Für die anderen ist die Kernkraft einfach nur ein gemeingefährliches und teures Projekt, das uns früher oder später auf den Kopf fällt. Aber was ist nun wirklich dran am Klimaretter Atomkraft?

Ist Atomenergie wirklich so CO2-arm, wie behauptet wird?
CO2-frei ist die Atomenergie in ihrer Gesamtheit freilich nicht. Ein Kraftwerk zu errichten verbraucht große Mengen Beton, Stahl und Energie, wodurch natürlich auch Kohlendioxid emittiert wird. Der Abbau dauert aufgrund verstrahlter Bauteile oft genauso lang, wie es brauchte, das AKW aufzustellen, und auch das bindet Ressourcen – ebenso wie der Abbau des Urans, dessen globale Auslieferung aus den großen Abbaugebieten in Australien, Südafrika, Namibia, Russland, Kanada oder den USA und dessen Anreicherung. Auch die Errichtung von Zwischen- und Endlagern für verbrauchte Brennstäbe und anderen verstrahlten Müll sowie der Transport in die entsprechenden Stätten verursacht CO2. Wie viel genau, das weiß noch niemand – denn die Frage der Endlagerung ist nach wie vor ungelöst.

Was hingegen schon stimmt, ist, dass die Atomkraft bei der Energiegewinnung im Gegensatz zur Verbrennung von Öl, Kohle oder Gas gar keine Emissionen ausstößt. Das gilt für erneuerbare Energien freilich auch. Umso wichtiger ist es, sich anzuschauen, wie viel CO2 pro erzeugter Kilowattstunde Strom ausgestoßen wird, und zwar über den gesamten Lebenszyklus einer Energieform. Die Grundaussage aller Studien zu diesem Thema ist klar: Kohle, Gas und Erdöl sind Dreckschleudern. Während für die Gewinnung einer Kilowattstunde Strom aus Kohle das Äquivalent von einem Kilo CO2 freigesetzt wird, rangieren alle erneuerbaren Energien wie auch die Kernenergie meist unter 30 Gramm. So zumindest sagen es die Zahlen des Weltklimarats. Die Windenergie geht daraus meist als Gewinnerin hervor, während Photovoltaik, Wasserkraft, Geothermie und Nuklearenergie je nach Studie, Berechnungsart und Interessengruppe, die die Studie in Auftrag gibt, unterschiedliche Plätze auf dem Stockerl besetzen.


Können wir unseren aktuellen Energiebedarf ohne Atomenergie decken?
Die 445 in Betrieb befindlichen Reaktoren weltweit verfügen über eine kombinierte Leistung von rund 400 Gigawatt. 2020 lieferten sie zusammen etwa 2.553 Terawattstunden Elektrizität, was rund zehn Prozent des globalen Stromverbrauchs entsprach. Zehn Prozent einfach so zu ersetzen wäre erst einmal eine Mammutaufgabe. Schnell geht da wenig.
Könnten erneuerbare Energien heute atomare Energie aber prinzipiell schon ersetzen? Schaut man nicht nur auf Elektrizität, sondern auf den gesamten Energieverbrauch, also auch Heizen, Treibstoffe für Autos oder Flugzeuge sowie die Baubranche, dann dominieren die Fossilen noch deutlicher. Atomenergie und Erneuerbare machten noch 2019 nur einen recht geringen Anteil an den primären Energiequellen der Erde aus. Kohle, Öl und Gas deckten immer noch unfassbare 84,3 Prozent des globalen Energiebedarfs. Lediglich 11,4 Prozent wurden durch Erneuerbare, 4,3 Prozent durch Atomenergie gedeckt.

Schaffen wir auch ohne Atomenergie die Energiewende? Das ist die große Frage.
Foto: REUTERS/Eva Manez

Wird Atomstrom abgeschaltet, wird er auch heute noch oft durch fossile Energie ersetzt. Einige Forscher befürchten, dass der deutsche Atomausstieg Ende 2022 zu einem deutlich verspäteten Kohleausstieg führen wird. Prinzipiell gehen Forschende aber davon aus, dass bei entsprechendem politischem Willen die Welt sogar schon 2050 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern versorgt werden kann.

Die Technische Universität Lappeenranta hat gemeinsam mit der Energy Watch Group errechnet, dass dieser Umstieg aufgrund der fallenden Preise für erneuerbare Energie nicht einmal teurer käme, als bei Öl und Kohle zu bleiben. Einkalkuliert ist eine bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen angewachsene Weltbevölkerung sowie ein jährlich um zwei Prozent wachsender Energiebedarf. In diesem Szenario würde die schnell günstiger werdende Photovoltaik rund 69 Prozent der Energie liefern, 18 Prozent lieferte dann Wind. Der Rest würde sich auf Wasserkraft, Geothermie und Biomasse verteilen. Nuklearenergie würde in diesem Szenario ebenso wenig eine Rolle spielen wie Fossilenergie.

Wie sieht es mit den Kosten aus?
Nuklearenergie sei spottbillig, argumentieren Atomkraftbefürworter häufig. Schließlich steckt in wenigen Gramm angereichertem Uran genug Energie, um einen Haushalt ein ganzes Jahr lang zu versorgen. Doch die Kosten für den Brennstoff machen nur einen Bruchteil dessen aus, was der Strom letztlich kostet. Auch der Bau eines AKWs kostet Geld – und dort kommt es häufig zu jahrelangen Verzögerungen und Kostenexplosionen. Auch die Sicherung kostet Geld, ebenso wie die Endlagerung des Atommülls oder der Rückbau.

Ob es sich Kernkraft unterm Strich doch noch auszahlt, hängt wie bei der CO2-Bilanz davon ab, wen man fragt. Industrieverbände beteuern, dass Atomkraftwerke über Jahrzehnte zuverlässig klimafreundlichen und günstigen Strom liefern. Hoffnungen sehen sie in Atomreaktoren im Kleinformat, die als Ganzes in einer Fabrik produziert und schnell aufgebaut werden können, was Kosten spart. Zumindest auf den ersten Renderings ist von den charakteristischen Kühltürmen keine Spur, sie sehen eher aus wie flache Bürogebäude.

Viele Umwelt-NGOs sehen in Kernkraft hingegen eine Technologie, die nur überlebensfähig ist, wenn der Staat kräftig subventioniert – und indirekt auch das Risiko für einen Reaktorunfall übernimmt. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) hat berechnet, dass neue Atomkraftwerke mittelfristig kaum mit erneuerbaren Energien mithalten können. Vergleichsweise günstiger Strom ist jedoch zu haben, wenn man die Laufzeit bestehender Kraftwerke verlängert.

Und was, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?
Doch selbst die günstigste und sauberste Energie bringt wenig, wenn sie nicht da ist, wann sie gebraucht wird. Verlässt sich ein Land zu sehr auf Wind und Solar, kann das Stromnetz bei Flauten und Wolken schnell ins Strudeln geraten. Ein komplett erneuerbares Stromnetz ist deshalb nur so gut wie seine Speicherkapazitäten. Hier hofft man insbesondere auf Lithium-Akkus, deren Preis in den vergangenen Jahren enorm gefallen ist. Doch derzeit sind weder Netze noch Speicher bereit für den stark schwankenden Wind- und Sonnenstrom.

Viele preisen Atomkraft deshalb als "Brückentechnologie", die so lange eingesetzt werden soll, bis günstige Stromspeicher verfügbar sind. Denn einem Atomkraftwerk sind Wetter und Tageszeit grundsätzlich egal. Aufzupassen gilt es freilich bei Unwetterkatastrophen wie Tsunamis, anderen Überschwemmungen oder auch Erdbeben.

Die Welt scheint uneins, ob Atomenergie eine gute Idee ist
Tatsächlich gibt es mehrere Lager. Obwohl die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) so gut wie alle größeren Staaten umfasst und ihrerseits die friedliche Nutzung der Atomenergie propagiert, produzieren lediglich 32 Staaten Strom in Kernkraftwerken. Vor allem die großen Reaktorunfälle von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima sorgten für ein partielles oder komplettes Umdenken in der Politik mancher Staaten.

In Europa besiegelten nach Fukushima etwa Deutschland, die Schweiz, Belgien und Spanien ihren Ausstieg aus der Atomkraft. Länder wie Italien, Irland oder auch Österreich bekräftigten ihre Ablehnung der Energieform. Ihnen stehen in Europa mit Frankreich oder Großbritannien zumindest in den politischen Eliten zwei mächtige und überzeugte Atomenergiebefürworter gegenüber.

Diese gibt es international zuhauf. In 19 Staaten weltweit wird aktuell an 50 neuen Reaktoren gebaut – allen voran in China, Indien, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bis zu 28 weitere Staaten wollen laut IAEA angeblich in die Atomenergie einsteigen. Während einige also einstampfen und auslaufen lassen, bauen andere aus und fahren hoch. Von einer gemeinsamen Linie, wie sie sich bei den fossilen Brennstoffen zumindest in Ansätzen erahnen lässt, kann bei der Kernenergie also keine Rede sein. Die IAEA korrigierte ihre Prognose kürzlich sogar nach oben. Im Extremfall könnte sich die per Atomspaltung erzeugte Energie bis 2050 sogar verdoppeln.

Wird uns die Fusionsenergie retten?
Der Running Gag unter ihren Kritikern lautet: "Die einzige Konstante in der Kernfusion ist, dass ihr Einsatz stets 30 Jahre entfernt ist." Ihre Befürworter ließen sich davon aber nicht abbringen und forschten weiter, auch wenn die für diesen hochkomplexen Vorgang notwendigen Mittel nicht immer nach Wunsch vorhanden waren. Zu aussichtsreich sind Einsatzmöglichkeiten im Erfolgsfall. 0,015 Prozent eines Liters Meerwasser etwa sind Deuteriumoxid, sogenanntes Schweres Wasser. "Da steckt gleich viel Energie wie in einem Barrel Erdöl drin", erklärt der Fusionsexperte Friedrich Aumayr von der TU Wien im STANDARD-Gespräch. "Und die restlichen 99,985 Prozent des Liters Wasser habe ich noch nicht einmal dafür gebraucht."

Worum geht's? Bei der Kernfusion werden im Gegensatz zur weitverbreiteten Fission keine Atome gespalten, sondern miteinander verschmolzen – oder eben fusioniert. Im Grunde will man jene Prozesse, die sich in der Sonne abspielen, auf der Erde nachahmen. Klingt heiß, ist es auch. Wegen der enormen Dichte der Sonne kann der Prozess dort bei 15 Millionen Grad Celsius ablaufen, auf der Erde braucht es hingegen deutlich mehr als 100 Millionen Grad Celsius. Die Umwandlung von Wasserstoff in Helium unkontrolliert nachzuahmen schafften die USA bereits 1952, als sie die Wasserstoffbombe erfolgreich testeten. Seither setzte ein Schneckenrennen ein, diese enorme Mengen an freigesetzter Energie auch in kontrollierter Form zu nutzen. Eines der größten Forschungsprojekte der Welt, ein Zusammenschluss von 27 Industrienationen, versucht seit 2007 am Iter in Frankreich, dem größten Fusionsreaktor aller Zeiten, den Beweis zu liefern, dass es klappen kann. Dass es klappen wird und dass am Ende deutlich mehr Energie herauskommt, als hineingesteckt wird, davon sind die meisten Wissenschafter überzeugt. Die große Frage bleibt das Wann.
Besonders spannend: "Die Industrie hat etwas früher als erwartet Lunte gerochen", zeigt sich Aumayr erfreut über die dutzenden Firmen weltweit, die ihrerseits versuchen, das neueste Know-how für den großen Durchbruch zu nutzen. "Die größte Leistung der Privaten ist ihre Innovationskraft. Sie schaffen es stets, Dinge kleiner, schlanker und billiger zu machen", zieht Aumayr Vergleiche zu anderen Branchen. Klar seien ihre Zeithorizonte teilweise äußerst optimistisch und auch dazu gedacht, Investorengelder zu lukrieren – immerhin 2,6 Milliarden Dollar in den vergangenen Jahren –, aber es gehe nun merklich viel weiter. "Die haben durchaus clevere Ideen", so Aumayr.

Die Fusionsenergie sei die einzig bekannte Energieform auf der Erde, die wir noch nicht aktiv nutzen, sagt Aumayr. "Wenn es dann aber so weit ist, sollten wir nur noch sie in Kombination mit den Erneuerbaren nutzen", sagt der Physiker. Denn wenn man in geologischen Zeitaltern, also an die nächsten paar tausend Jahre, denkt, seien nur die Erneuerbaren und der Wasserstoff für die Fusionsenergie nicht endlich. Klimaschädliche Emissionen liefert bei Fusionsenergie hauptsächlich nur der Auf- und Abbau der Infrastruktur. Beachten müsste man freilich, ob die zugeführte Energie aus Erneuerbaren kommt.
(Fabian Sommavilla, Philip Pramer, 3.12.2021)
Brauchen wir Kernkraft für die Energiewende? Ein Faktencheck
 

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#4
„MINI-AKWS“
Die Verniedlichung der Atomkraft
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Weltweit laufen derzeit Dutzende Projekte zur Entwicklung von SMRs („Small Modular Reactors“, kleinen Reaktoren). Diese „Mini-AKWs“ sind die neuen Hoffnungsträger von Atomindustrie und -staaten, entsprechend werden sie als flexibler, billiger und sicherer vermarktet als konventionelle Großreaktoren. In den Hintergrund tritt dabei, dass die Grundproblematik der Atomkraft genauso vorhanden ist.
Online seit gestern, 22.55 Uhr
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„Mini-AKW mag nett klingen“, sagt Günter Pauritsch, Leiter des Centers für Energiewirtschaft und Infrastruktur der Österreichischen Energieagentur, im Gespräch mit ORF.at. Der Name täusche aber darüber hinweg, dass es ein Kraftwerk bleibe, von dem dieselben Sicherheitsrisiken ausgingen. Zwar würde im Fall eines Unfalls oder einer Kernschmelze – ob der geringeren Größe der SMRs – weniger nukleares Material freigesetzt. Um aber die Leistung eines großen Kraftwerks zu ersetzen, brauchte es eine Vielzahl an SMR-Anlagen, was wiederum die Gefahren potenzieren würde.

Mehr Reaktoren, so Pauritsch, würden mehr potenzielle Fehlerquellen darstellen und etwaigen Terroranschlägen eine breitere Angriffsfläche bieten. Mini-AKWs seien somit „viel weniger elegant“, als ihr Name suggeriere. Außerdem gab Pauritsch zu bedenken, dass SMRs derzeit in Europa und den USA nur „Konzepte“ seien, Vorhaben also, deren Funktionstüchtigkeit, Sicherheit und wirtschaftliche Rentabilität in den Sternen stünden.

Schwächer, dafür günstiger
Weltweit gibt es derzeit Dutzende Projekte zur Entwicklung der Mini-AKWs. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) definiert SMR-Anlagen als Atomreaktoren mit einer Leistung von maximal 300 Megawatt (MW), in Großkraftwerken kommen Reaktoren im Vergleich auf über 1.000 MW mehr.

SMR haben aber den Vorteil, in Serie gebaut werden zu können, was im Regelfall eine kürzere Bauzeit und geringere Kosten mit sich bringen sollte. Die Anlagen könnten in der Fabrik vormontiert und anschließend an den Standort transportiert werden. Fachleute schätzen, dass eine Anlage mit 300 MW für rund eine Milliarde Euro möglich sein wird.

Reuters/Benoit Tessier
Die Erweiterung des französischen Reaktors Flamanville ist zu einem scheinbar unendlichen Projekt geworden

Milliardengräber Flamanville und Hinkley Point
Konventionelle Atomkraftwerke entwickelten sich in letzter Zeit dagegen oft zum „GAU“, wie auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) schrieb. An dem Reaktorblock Flamanville drei in der Normandie mit einer vorgesehenen Leistung von 1.600 MW baut der französische Energiekonzern EDF bereits seit 2007. Fertig wird der neue Reaktor nach derzeitiger Schätzung frühestens 2023. Die erwarteten Baukosten haben sich in den vergangenen 14 Jahren auf zwölf Milliarden Euro fast vervierfacht. Ähnliche Kostenexplosionen und Verzögerungen gibt es beim Bau des Reaktorblocks „Olkiluoto 3“ in Finnland.

Ganz zu schweigen von dem britischen Atomkraftwerk Hinkley Point C: Londons Regierung gab vor fünf Jahren grünes Licht für den ersten Bau eines Kernkraftwerks in der EU – zu der Großbritannien damals noch gehörte – seit der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011. Die ursprünglich veranschlagten Kosten sind bis jetzt um über vier Milliarden auf bis zu 22,5 Milliarden Pfund (24,56 Mrd. Euro) gestiegen. Klagen Österreichs und anderer Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die von der EU-Kommission gebilligten, milliardenschweren Staatssubventionen für das Großprojekt scheiterten.

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Atomkraftwerke in Europa

Russischer Vorreiter auf See
Finanzielle Gründe für den Bau von Mini-AKWs sind für Pauritsch allerdings auch fragwürdig – er verweist dabei auf den den Berechnungen zugrundeliegenden, umgekehrten Skaleneffekt: Galten große Meiler bisher als wirtschaftlicher, weil man durch den Mengeneffekt Geld sparen könnte, würde jetzt das Gegenteil suggeriert. Plausibel sei das nicht. Ebenso wenig wie die Bezeichnung „kleine“ Reaktoren – den Konzepten zufolge sollen durch SMR immerhin Zweimillionenstädte mit Strom versorgt werden können.

Vorreiter für die SMR sind auf der „Akademik Lomonossow“ zu finden: Das Schiff mit zwei Atomreaktoren an Bord liegt in der Hafenstadt Pewek im Fernen Osten Russlands, wo es seit eineinhalb Jahren für die Stromversorgung der örtlichen Bevölkerung und Wirtschaft sorgt. Der staatliche Betreiber Rosatom plant, 2028 seinen ersten Minireaktor an Land zu bauen. Für Pauritsch hat das allerdings wenig Relevanz: „Wollen wir in Europa wirklich Reaktoren nach russischem Vorbild?“

Endlagerung bleibt ungelöst
Die Bedeutung der Atomkraft schwindet indessen weltweit: Ihr Anteil an der Stromerzeugung beträgt nur noch rund zehn Prozent, bei der gesamten Energieversorgung seien es lediglich drei Prozent. Pauritsch: „Atomkraft ist nicht in der Lage, einen signifikanten Beitrag zu leisten.“ Zudem sei „auch nach 70 Jahren noch ungelöst“, wie und wo der radioaktive Abfall über Jahrhunderte endgelagert werden soll.

Eindrücklich sei das am Beispiel Gorleben zu sehen: Das Bergwerk in Niedersachsen war trotz heftiger Proteste jahrzehntelang als mögliches künftiges Endlager für deutschen hochradioaktiven Atommüll betrachtet und entsprechend erforscht worden. Wegen nicht ausräumbarer Zweifel an der geologischen Eignung wurde es im Vorjahr von der Liste potenzieller Standorte genommen, diesen September erfolgte der Beschluss zur endgültigen Stilllegung.
APA/AFP/Nigel Treblin
Nach jahrzehntelangen Konflikten wird das Kapitel Gorleben bald endgültig geschlossen sein

„Geopolitische und militärische Interessen“
Das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) ließ unlängst ein Gutachten zu SMR erstellen – das Resümee fällt kritisch bis ernüchternd aus. Darin wird auch festgestellt, dass sich am Festhalten an der Atomkraft „eine Vielzahl von Motivlagen, unter anderem industrielle und wirtschaftliche Entwicklung und geopolitischer Einfluss“ vermengen würden.

„Auch im Bereich SMR spielen industrie-und geopolitische Motivlagen sowie militärische Interessen eine Rolle. Die Mehrheit der Länder, die SMR-Entwicklungsaktivitäten verfolgen, unterhalten Kernwaffenprogramme und bauen Atom-U-Boote und/oder verfügen bereits über ein großes kommerzielles Atomprogramm.“ Darauf verwies auch Pauritsch – Länder wie Großbritannien und Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron unlängst eine Milliarde Euro zur Förderung der Atomkraft angekündigt hat, wären dafür Beispiele. Die zivile Nutzung der Atomkraft sei dabei Rechtfertigung für die militärische.

Grüner Mantel
Derzeit schlagkräftigstes Argument der Atombefürworter ist der Klimaschutz: Ein Drittel der Treibhausgasemissionen weltweit kommt aus der Stromproduktion, Nuklearreaktoren stoßen hingegen kein CO2 aus. Ohne Atomstrom, wird argumentiert, könne die EU nicht wie geplant bis 2050 klimaneutral werden. Und ein weiterer Vorteil von Atomstrom wird ins Treffen geführt: AKWs würden, anders als Erneuerbare Energien, verlässlich Strom liefern, auch im dunklen Winter oder an windstillen Tagen.

Für Pauritsch und viele andere Fachleute sind das allerdings kümmerliche Argumente: Von Co2-Neutralität könne keine Rede sein, beim Abbau und Transport des Spaltmaterials, meist Uran, und beim Bau des Kraftwerks würden sehr wohl Klimagase anfallen, ebenso beim Abbruch der Anlage sowie bei der Lagerung des radioaktiven Abfalls. Zudem dauere es viel zu lange, neue Atomkraftwerke zu entwickeln und zu bauen, als dass diese die Abkehr von der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Erdgas beschleunigen könnten.

Spaltkraft innerhalb der EU
Wie groß die Kluft in dieser Frage ist, zeigt sich innerhalb der EU und dem Ringen um die Taxonomie – darin werden Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig eingestuft, wenn sie zu einem von sechs definierten Umweltzielen, wie Klimaschutz oder Kreislaufwirtschaft, beitragen und keinem der Zielbereiche signifikant schaden („Do no significant harm“-Prinzip). Eine Mehrheit der EU-Staaten will die Atomkraft in den Rechtstext aufgenommen wissen, besonders Frankreich übte zuletzt erheblichen Druck aus.

Dagegen stemmen sich unter anderem Deutschland und Österreich: Sie legten kürzlich in Brüssel ein Rechtsgutachten vor, das die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie als „vor den EU-Gerichten anfechtbar“ einstufte. Zumindest vorläufig dürfte das Match aber zugunsten der Atombefürworter ausgehen, wie die eben aus dem Amt geschiedene deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jüngst festhielt: Der Vorschlag zur Aufnahme in die Taxonomie könne nur abgelehnt werden, wenn 20 EU-Mitglieder mit Nein stimmen würden: „Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall.“
05.12.2021, Alice Hohl, Grafik: Sandra Schober, beide ORF.at

Links:
„Mini-AKWs“: Die Verniedlichung der Atomkraft
 

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#5
EU-Kommission will Atomstrom als "grün" einstufen: Latte für Verhinderung liegt hoch
Um die Energiewende zu schaffen und Investitionen in den Green Deal zu genügen, sollen Gas und Atomstrom unter Auflagen als klimafreundlich eingestuft werden. Das sorgt für heftige Proteste
In Sachen Atomkraft beginnt das neue Jahr, wie das alte geendet hat: mit Streit in der EU. Befeuert wurde selbiger von der EU-Kommission, die Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen will. Das geht aus einem Entwurf für einen Rechtsakt der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag öffentlich wurde.

Der Entwurf sieht vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKWs als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen und ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird. Als weitere Bedingung ist vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten, berichtete die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf den Text.

Auch Gas temporär grün
Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt – gerechnet auf den Lebenszyklus der Anlage.

Strom kommt aus der Steckdose. Der Energiebedarf ist gewaltig.
Foto: imago/Hannelore Förster

Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Ob Gas und Atomkraft als Teil der sogenannten Taxonomie als klimafreundlich gelten sollten, ist unter den EU-Staaten jedoch stark umstritten. So sind zum Beispiel Österreich und Deutschland gegen eine Aufnahme von Kernkraft. Für Länder wie Frankreich ist hingegen die Atomenergie eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft.

"Greenwashing"
Scharfe Kritik an dem in der Nacht zum Neujahrstag übermittelten Entwurf kam – wenig überraschend – aus Österreich. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) schäumte: "Die EU-Kommission hat in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht. Allein der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeigt, dass offensichtlich auch die EU-Kommission selbst nicht überzeugt von ihrer Entscheidung ist", so die Ministerin in einer der APA übermittelten Stellungnahme. "Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder." Nach eingehender Prüfung werde man nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Verordnung vorzugehen.


35 Jahre nach Tschernobyl und zehn Jahre nach Fukushima werden die Atommeiler in der EU mehr statt weniger.
Foto: Imago/Kosecki

Ablehnung kam auch von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP): "Wir haben immer betont, dass Atomkraft aus unserer Sicht keine nachhaltige Energieform ist und nicht in der Taxonomie-Verordnung drinnen sein sollte." Das Vorgehen der EU unterstreiche, "dass die Vorschläge in Richtung grüne Ausnahmen bei Schuldenregeln dazu führen könnten, dass damit mehr Atomkraft finanziert wird. Ins selbe Horn stieß auch die Opposition. Das sei das falsche Signal und stehe den Zielen des Green Deal entgegen, warnte der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Günther Sidl. "Kernenergie ist eine Technologie der Vergangenheit. Sie ist nicht sicher, nicht wirtschaftlich und nicht nachhaltig." Es brauche einen globalen Atomausstieg. Er kündigte Einspruch im Umweltausschuss des EU-Parlaments an.

Latte für Verhinderung liegt hoch
Klare Worte auch vom deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne): Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren sei bei "dieser Hochrisikotechnologie falsch". Ein solcher Schritt verstelle den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt, der hoch radioaktive Atommüll werde die EU über Jahrhunderte belasten.

Die EU-Mitgliedsstaaten haben nun bis 12. Jänner Zeit, den Entwurf der EU-Kommission zu kommentieren. Die Latte für eine Verhinderung liegt übrigens hoch: Eine Umsetzung kann nur mittels einer sogenannten verstärkten qualifizierten Mehrheit der Mitgliedsstaaten oder einer Mehrheit im EU-Parlament dagegen verhindert werden. Dazu müssten sich im Rat der EU mindestens 20 Länder zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren – oder im EU-Parlament mindestens 353 Abgeordnete. Das gilt als unwahrscheinlich. Denn neben Österreich und Deutschland haben sich lediglich Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft ausgesprochen. (Luise Ungerboeck, 2.1.2022)
EU-Kommission will Atomstrom als "grün" einstufen: Latte für Verhinderung liegt hoch
 

josef

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#6
Studie: Kleinreaktoren teurer und riskant
Dass die EU unter gewissen Auflagen auch die Atomkraft als „grün“ einstufen will, sorgt für teils harsche Kritik. Eine Wiener Studie hat nun untersucht, ob kleinere Kernkraftwerke eine Lösung sein könnten. Das Ergebnis: Diese Anlagen sollen teurer und auch nicht weniger riskant sein.
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Die von Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky präsentierte Studie des Forums Wissenschaft & Umwelt widmete sich bestehenden Konzepten in Sachen „Mini-Atomkraftwerke“ und förderte dabei zutage, dass diese vor allem auf dem Papier existieren, wie Studienleiter Reinhold Christian im Gespräch mit Journalisten ausführte. Lediglich in Russland sind zwei derartige Reaktoren auf einem Schiff im Einsatz. Darum musste man sich vor allem Projekten widmen, die noch in der Umsetzungsphase sind.

40 Prozent der Leistung von Zwentendorf
Berücksichtigt wurden Anlagen, deren Nennleistung unter 500 Megawatt liegt. Wirklich gering ist dieser Wert aber nicht, wie Christian betonte. Er entspricht rund 40 Prozent der projektierten Leistung des Atomkraftwerks Zwentendorf. Ein Indiz dafür, dass sich die Small Modular Reactors genannten Kraftwerke wirtschaftlich rechnen würden, fanden die Autoren laut eigenen Angaben nicht.

Im Gegenteil: Die Bau-, Betriebs- und Endkosten sind laut Studie im Verhältnis deutlich höher als bei herkömmlichen Reaktoren, unter anderem weil Genehmigungsverfahren und Sicherheitsvorkehrungen von der Dimension her ähnlich, die Energieausbeute aber deutlich geringer ist. Die angestrebten Wettbewerbsvorteile wie Serienproduktion, Modularisierung und kürzere Bauzeiten seien nicht nachzuweisen, wurde versichert.

Angriffe von außen schwerer zu verhindern
Die betreffenden Kraftwerke müssten in großer Zahl produziert werden, um auf vergleichbare Energiemengen zu kommen, heißt es. Viele Reaktoren in Verbrauchernähe zu postieren, wird aber als großes Sicherheitsrisiko gewertet – auch weil Angriffe von außen schwerer zu verhindern sein würden, wie man warnt. Auch die veranschlagten Zeitpläne geben wenig Anlass für Zuversicht. Laut David Reinberger von der Wiener Umweltanwaltschaft würden die Small Modular Reactors nicht wirklich rascher umsetzbar sein. Denn noch seien diese nicht serienreif.
Entwicklungsprozess, Genehmigungs- und Bauphase seien insgesamt mit mindestens 20 Jahren zu veranschlagen. Dazu komme, dass die Uranvorräte laut aktuellen Berechnungen nur mehr für rund 100 Jahre reichen. Würde man den Anteil der Atomenergie insgesamt weiter erhöhen, würden auch die Vorkommen deutlich rascher abgebaut werden. Das führe zu einer relativ kurzen Betriebsdauer der Kraftwerke. Außerdem, so gab Reinberger zu bedenken, bleibe man damit weiter von Ressourcen in anderen Ländern wie etwa Kasachstan abhängig.

Czernohorszky: „Sauteure Retrolösung“
Atomkraftwerke seien in jedem Fall eine „sauteure, hochgefährliche Retrolösung“, zeigte sich Czernohorszky überzeugt. Man zahle für diese einen viel zu hohen Preis. Atomenergie in die Taxonomieverordnung – die festlegt, welche Geldanlagen als klimafreundlich gelten sollen – aufzunehmen, sei ein Kniefall vor der Atomlobby. Gelder würden damit in Richtung Atomkraft gelenkt. Die Studie zeige, dass kleinere Reaktoren hier keine Lösung darstellen würden: „Die Vorteile sehen wir nicht.“ Eine Klage der Republik gegen die EU-Pläne werde von Wien unterstützt, versicherte er.
Umweltanwältin Andrea Schnattinger verwies darauf, dass Atomenergie auch keinesfalls emissionsfrei sei. Der Ausstoß von Treibhausgasen würde jene der erneuerbare Energieträger übersteigen, gab sie zu bedenken. Atomenergie zu unterstützen würde bedeuten, Steuergelder in eine kostspielige, nicht nachhaltige und begrenzt verfügbare Energieform zu investieren – die über Jahrtausende eine Belastung darstelle.
14.01.2022, red, wien.ORF.at/Agenturen

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Studie: Kleinreaktoren teurer und riskant
 

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#7
GRÜNE TECHNOLOGIE?
Atomkraft zieht Gräben quer durch Europa
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Die Bedeutung der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung schwindet, auch in Europa war die Zahl der produzierten Gigawattstunden Atomstrom zuletzt rückläufig. Vieles deutet aber daraufhin, dass der Trend sich wenden könnte – die EU-Kommission bereitet dafür den Weg, indem sie eine Einstufung als klimafreundliche Technologie plant.


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Die Kommission hatte ihren Entwurf zur Taxonomie, der die Einstufung der verschiedenen Energiearten regelt, just am Silvesterabend verschickt. Der Vorschlag aus Brüssel sieht vor, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke als grün klassifiziert werden können, wenn sie neuesten Standards entsprechen und ein konkreter Plan für die radioaktiven Abfälle vorgelegt wird. Auch Kapitaleinbringungen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise als nachhaltig eingestuft werden können.

Die Umsetzung des Vorschlags kann nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU oder 353 Abgeordnete im EU-Parlament vertreten. Das gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Österreich zu wenige Länder gegen eine Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie aussprechen – unter anderem Deutschland, Luxemburg, Dänemark, Spanien und Portugal unter Vorbehalten.

Die EU-Kommission hatte den Staaten eine dreiwöchige Frist für Rückmeldungen gesetzt, in der Nacht auf Samstag lief sie aus. Die Rückmeldung von Deutschland lag am Freitagabend vor, in ihr wurden mehrere Punkt scharf kritisiert. „Schwere Unfälle mit großflächigen, grenzüberschreitenden und langfristigen Gefährdungen von Mensch und Umwelt können nicht ausgeschlossen werden. Atomenergie ist teuer und die Endlagerfrage ist nicht gelöst“, heißt es etwa in der Stellungnahme der Ampel-Regierung.

Gespaltene Lager
So vehement sich Österreich dagegen sperrt, so erleichtert wurde der Entwurf andernorts begrüßt, allen voran in Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hält die Atomenergie für unerlässlich, damit Frankreich und die EU wie geplant bis 2050 klimaneutral werden können. Ende vergangenen Jahres hatte er eine Milliarde Euro für ihren Ausbau angekündigt. Schon jetzt bezieht die Atommacht Frankreich fast 71 Prozent ihres Stroms aus AKWs – der höchste Anteil weltweit.

Grafik zeigt die Atomkraftwerke in der EU
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Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMK

EU-weit stand die Atomkraft laut EU-Kommission 2020 nur für einen Anteil von rund 25 Prozent, wie das EU-Statistikamt Eurostat am Dienstag mitteilte. Demzufolge erzeugten 13 EU-Staaten 683.512 Gigawattstunden (GWh) Atomstrom, im Jahr 2019 waren es noch rund 26 Prozent und 765.337 GWh. Der größte Erzeuger von Kernenergie in der EU war Frankreich (52 Prozent), gefolgt von Deutschland (neun Prozent), Spanien (neun Prozent) und Schweden (sieben Prozent).


Kohlekraftwerk

Bis wann ist eine Energiewende realistisch? - debatte.ORF.at

Aus- und Umsteiger
Die Uneinigkeit der EU-Staaten bezüglich der Taxonomie ist wenig verwunderlich – die Visionen für den künftigen Umgang mit Atomkraft liegen weit auseinander. Deutschland etwa hatte sich im Jahr 2011 nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima zum Ausstieg entschlossen. Mit Anfang 2022 gingen drei der verbliebenen sechs Meiler vom Netz, der Rest folgt Ende dieses Jahres. Eine Verlängerung schließt – wie im Koalitionsvertrag auch festgelegt – die neue Ampelregierung aus.

Auch Spanien, das derzeit noch fünf aktive Kernkraftwerke mit insgesamt sieben Reaktoren betreibt, sieht die Zukunft anderswo: Im Vorjahr löste Windkraft Atomkraft als die führende Energiequelle des Landes ab, bis 2030 soll sich die Anzahl der Windkraftanlagen fast verdoppeln. Schon derzeit decken Erneuerbare knapp die Hälfte des Energiegesamtbedarfs in Spanien ab.


Archivbild des Atomkraftwerks in Gundremmingen, Deutschland
Reuters/Lukas Barth

Gundremmingen in Bayern ist seit Jahresbeginn vom Netz
In mehreren anderen EU-Ländern wird allerdings das Comeback der Atomkraft ausgerufen. Belgien etwa gab im Dezember des Vorjahres bekannt, seine Vorgaben für die 2025 geplante Abschaltung seiner Atomkraftwerke aufzuweichen. Zwar bekräftigte die Regierung das Ziel, die Anlagen Mitte des Jahrzehnts vom Netz zu nehmen. Allerdings sollen zwei Reaktoren weiter Strom produzieren, wenn die Energieversorgung nicht auf anderen Wegen sichergestellt werden kann.

Hoffen auf Minireaktoren
Außerdem sollen 100 Millionen Euro in die Erforschung neuer Technologien gesteckt werden. Belgien will sich dabei vor allem – ebenso wie Frankreich – auf das Konzept Small Modular Reactors (SMR) konzentrieren. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) definiert SMR-Anlagen als Atomreaktoren mit einer Leistung von maximal 300 Megawatt (MW), in Großkraftwerken kommen Reaktoren im Vergleich auf über 1.000 MW mehr. SMR haben aber den Vorteil, in Serie gebaut werden zu können, was im Regelfall eine kürzere Bauzeit und geringere Kosten mit sich bringen sollte.

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Ein Warnschild für Radioaktivität

Auch die Niederlande wollen unter ihrer jüngst angelobten Regierung verstärkt auf Atomkraft setzen. Das Koalitionsabkommen sieht den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken vor. Das bisher einzige AKW Borssele soll länger am Netz bleiben. Das Kabinett des alten und neuen Ministerpräsidenten Mark Rutte begründete das mit dem Kampf gegen den Klimawandel.


Atomkraftwerk bei Dampierre-en-Burly, Frankreich
Reuters/Benoit Tessier

Frankreich will keinen Millimeter von seinem Pro-Atom-Kurs abweichen
Finnland hat bereits nachgerüstet – wenn auch wesentlich später als ursprünglich geplant. Mit zwölf Jahren Verzögerung und einer enormen Kostenexplosion wurde der dritte Atomreaktor im AKW Olkiluoto Ende vergangenen Jahres hochgefahren. Der Betreiber TVO bezeichnete den Schritt als „historisch“: Es ist die erste Inbetriebnahme eines neuen Kernreaktors in Finnland seit 40 Jahren und die erste in Europa seit der Inbetriebnahme des rumänischen Reaktors Cernavoda Block 2 im Jahr 2007. Mit 1.650 Megawatt wird es der leistungsstärkste Reaktor Europas sein und 14 Prozent des finnischen Strombedarfs decken.

Tschechien verlangt nach mehr
Auch Tschechien will unter der neuen liberal-konservativen Regierung die Atomkraft ausbauen. „Wir brauchen dringend Ersatz für die Meiler, die stillgelegt werden müssen“, sagte Ministerpräsident Petr Fiala Anfang des Jahres. Die ältesten Reaktorblöcke am Standort Dukovany in Südmähren sind bereits seit mehr als 35 Jahren am Netz. Das AKW Temelin, nur rund 60 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt, ist besonders umstritten, weil es amerikanische Leit- mit russischer Reaktortechnik kombiniert. Die Pläne der Kommission gehen Prag nicht weit genug: Atomkraft solle nicht nur als Übergangstechnologie eingestuft werden.

Selbst in Italien, das bereits nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 aus der Kernenergie ausgestiegen war, ist die Debatte jetzt wieder auf dem Tisch. Bei einem Referendum 2011 wurde eine Rückkehr zur Atomkraft abgelehnt. Nun aber machen die zuletzt drastisch gestiegenen Preise für Strom und Gas vielen Italienerinnen und Italienern zu schaffen. Die rechte Lega unter Matteo Salvini will daher einen neuen Versuch starten und sammelt Unterschriften für ein Referendum für den Bau neuer AKWs. Auch der Minister für den ökologischen Übergang, Roberto Cingolani, gilt als Verfechter der Atomenergie.

Grafik zur Anzahl der AKW-Neubauten seit 1951
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Grafik: ORF.at; Quelle: DIW Berlin

Polen will Neuland betreten
Polen wiederum beschreitet einen Sonderweg in der EU: Als einziges Land der Union und als eines der ganz wenigen auf der Welt plant es einen Einstieg in die Atomkraft. Frühere Vorhaben wurden nach Tschernobyl ad acta gelegt. Nun aber forciert die nationalkonservative PiS-Regierung einen Richtungswechsel: Spätestens 2026 soll der Bau des ersten Reaktors beginnen, bis 2043 sollen fünf weitere folgen. Die Atomkraftwerke sollen Polen beim Ausstieg aus der Kohle helfen – gegenwärtig gewinnt das Land fast 80 Prozent seiner Energie aus Steinkohle und Braunkohle.

Zwar dürfte den Taxonomieplänen der Kommission nicht viel im Wege stehen, Kritik daran wird aber nicht so schnell verstummen. Im EU-Parlament wurde zuletzt äußerst kontrovers über die Vorlage der Kommission diskutiert, einige Staaten drohen mit Klage – allen voran Österreich. Sollte Brüssel den Entwurf tatsächlich umsetzen, „dann werden wir rechtliche Schritte ergreifen“, sagte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). „Wir haben sehr, sehr starke Argumente.“ Dass diese erhört werden, steht allerdings zu bezweifeln.

22.01.2022, aloh, ORF.at/Agenturen
Grüne Technologie?: Atomkraft zieht Gräben quer durch Europa
 

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#8
KERNKRAFT
Grazer Unternehmen will Energiewende mit Mini-AKWs beschleunigen
Emerald Horizon plant Thoriumreaktoren im Kleinformat, die sicheren Atomstrom liefern sollen. Doch der Weg zum Durchbruch dürfte noch weit sein

Der Bau eines Kernkraftwerks, wie hier der britische Reaktorblock Hinkley Point, dauert. Mit Kleinreaktoren nach dem Bausatzprinzip soll es künftig schneller gehen.
Foto: Reuters/Peter Nicholls

Mit Atomenergie ist Österreich nie so ganz warm geworden, um es vorsichtig auszudrücken. Das Grazer Unternehmen Emerald Horizon hält das nicht davon ab, es nochmals mit der Kernkraft zu probieren. Sie will ein sicheres Konzept für nachhaltige Atomenergie erarbeitet haben.

Statt auf klassische Atomkraftwerke setzen die Steirer auf kleine Reaktoren, die mit dem Element Thorium betrieben werden. Das soll vor allem sicherer, aber auch effizienter als die Kernspaltung mit Uran sein. Statt mit Brennstäben wird der neue Reaktortyp mit einem flüssigen Kern aus Thorium betrieben, der in geschmolzenem Salz gelöst ist.

Nächste Atomkraftgeneration
Eine Kernschmelze wie in Tschernobyl soll dabei nicht möglich sein. Wenn der Kern zu heiß wird, etwa durch ein ausgefallenes Kühlungssystem, dehnt sich das Flüssigsalz aus, und die Kettenreaktion wird verlangsamt. Zwar fällt auch bei Thoriumreaktoren Atommüll an, allerdings in kleinerer Menge – und er soll nur wenige hundert statt hunderttausende Jahre strahlen.

Die Idee ist nicht neu: Schon seit Mitte der vergangenen Jahrhunderts wird versucht, aus Thorium Energie zu gewinnen. In den 1980er-Jahren speiste in Deutschland ein Thoriumreaktor sogar einmal Strom ins Netz ein – doch das Projekt galt schon nach wenigen Jahren als gescheitert.

Nun soll eine neue Generation von Thoriumkraftwerken die Energiewende vorantreiben. Bill Gates will mit seiner Firma Terrapower neuen Kerntechnikverfahren, darunter auch Thoriumreaktoren, zum Durchbruch verhelfen und soll bereits über eine halbe Milliarde Dollar investiert haben.

China und Indien setzen auf Thorium
China hat sein Thoriumprogramm bereits 2011 gestartet und will noch in diesem Jahr einen Versuchsreaktor hochfahren. Spätestens 2030 soll dann ein Kraftwerk ans Netz gehen, das immerhin 370 Megawatt liefert, genug für hunderttausende Haushalte. Indien wiederum will langfristig sämtliche seiner Atomkraftwerke auf Thorium umstellen.

Es sind auch geopolitische Argumente, die den Reaktortyp attraktiv machen. So gibt es in Indien etwa kaum Uran, dafür die größten Thoriumvorkommen der Welt, die laut Angaben der indischen Atomagentur die Stromversorgung Indiens für Jahrhunderte sichern könnten.

Um die Kettenreaktion in Gang zu bringen, muss das Thorium zunächst mit Neutronen beschossen werden, die in der Regel aus zerfallendem Uran kommen. Emerald Horizon plant hingegen, das Thorium-Salz-Gemisch mit Neutronen aus Teilchenbeschleunigern zu beschießen, die derzeit etwa in der Medizintechnik zum Einsatz kommen.

Investorengeld für Demonstrator
Das soll den Reaktor besser steuerbar machen. "Bei klassischen AKWs muss man die Kettenreaktion im Zaum halten, bei Thorium ist es umgekehrt, man muss die Reaktion dauernd anstoßen, damit sie nicht aufhört", sagt Mario Müller, Entwicklungsleiter von Emerald Horizon, der bereits Erfahrung am Kernforschungszentrum Cern gesammelt hat. Der Physiker hat in seiner Jugend selbst gegen Atomkraft demonstriert, inzwischen sei er zu der Erkenntnis gekommen, "dass es ohne Kernkraft nicht gehen wird".

Laut Emerald-Horizon-Gründer Florian Wagner ist der Prototyp bereits finanziert, nun sammelt er Geld von Investoren für einen Demonstrator, der etwa 250 Millionen Euro kosten wird. Danach soll es bald Richtung Marktreife gehen.

Kernkraft im Kleinformat
Der gesamte Reaktor soll Platz in einem Standard-Schiffscontainer finden, in einem weiteren könne die vom Reaktor erzeugte Hitze in Strom, Wasserstoff, Fern- oder Prozesswärme für die Industrie umgewandelt werden. Die Module sollen in einer Fabrik standardisiert in großer Stückzahl produziert werden – das spare Geld gegenüber dem klassischen Anlagenbau, wie er bei Großkraftwerken üblich ist.

Wer Thoriumenergie beziehen will, werde die Container künftig pachten können, wobei nicht für den Reaktor selbst, sondern für den bezogenen Strom bezahlt werden soll – sogenanntes Energy Contracting, das Emerald Horizon schon länger für größere Photovoltaikanlagen anbietet.

Weiter Weg
Der Nuklearexperte Thomas Schulenberg zweifelt daran, dass kleine Thoriumreaktoren bald marktreif sind. Er leitete bis 2019 das Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und forschte dort auch zu Thorium. "Physikalisch macht das alles Sinn", sagt Schulenberg. "Aber der Weg zum fertigen Produkt ist noch weit."

Er erinnert daran, wie viel Manpower und Zeit es braucht, ein traditionelles Kernkraftwerk zu errichten. Bei dem neuen Reaktordesign kommen aber noch viele Unbekannte dazu – denn bis heute gibt es keinen einzigen funktionstüchtigen Prototyp eines Thorium-Flüssigsalzreaktors.

Unbekannter Zeithorizont
Auch die Idee der massenproduzierten Fertigteilreaktoren sei in der Realität wohl schwer umzusetzen, schließlich gibt es in jedem Staat eigene Bestimmungen für die streng regulierte Kernkraftindustrie. Trotzdem will er den Steirern die Motivation nicht nehmen. "Es ist wichtig, dass die Forschung weitergetragen wird", sagt Schulenberg.

Der australische Nuklearexperte Lyndon Edwards sagte der Fachzeitschrift "Nature", dass Thorium eine "sehr nützliche Technologie für in 50 oder 100 Jahren" sei. Doch bis die neuen Kraftwerke eine nennenswerte Menge Energie einspeisen werden, werde es wohl noch Jahrzehnte dauern – weshalb man schon jetzt mit der Erforschung anfangen müsse.

Präsentation im Parlament
Ob und wann den Thoriumreaktoren der Durchbruch gelingt, lässt sich nicht genau sagen. Das deutsche Öko-Institut schätzt, dass es erst 2060 so weit sein könnte. Für die Klimawende kommt die Technologie aber zu spät – schließlich bleiben nur mehr wenige Jahre für eine Trendwende bei den CO2-Emissionen. Dazu kommen einige ungelöste Probleme. Der Atommüll, den die Thoriumreaktoren produzieren, sondert etwa Gammastrahlung ab, weshalb er gekühlt werden müsste.

Florian Wagner sieht hingegen das größte Risiko ganz woanders. "Es nicht zu tun", sagt der Unternehmer. Umweltverschmutzung und Klimakrise würden schon heute täglich Menschenleben fordern. Ob das die traditionell kernkraftkritische österreichische Politik ähnlich sieht, wird sich zeigen. Am Dienstag stellt das Unternehmen sein Projekt im Parlament vor.
(Philip Pramer, 18.10.2022)

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Kann Thorium bei der Energiewende helfen?

Grazer Unternehmen will Energiewende mit Mini-AKWs beschleunigen
 

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#9
Grazer Firma bastelt an Atomkleinkraftwerk
Atomreaktoren „made in Austria“ - kleine Reaktoren in Containergröße
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Die Pläne für Flüssigsalzreaktoren auf Thoriumbasis der Grazer Firma Emerald Horizon könnten sich als möglichen Schritt in Richtung Energieunabhängigkeit entwickeln.

Kleinkraftwerk soll sicherer sein
Denn das Kleinkraftwerk, an dem die Grazer Firma gemeinsam mit slowenischen Forschern arbeitet, soll laut Firmenchef Florian Wagner „sicher“ sein, dass ein GAU oder Super-GAU passiert, sei „vollkommen ausgeschlossen“, wie Wagner im Ö1-Frühjournal am Mittwoch erklärt: „Bei uns handelt es sich nicht um ein kritisches System mit Kettenreaktion, das man andauernd bremsen muss. Bei uns ist es genau umgekehrt. Sobald man ausschaltet, passiert gar nichts.“

Verwendet wird nicht Uran, sondern das dreimal häufiger vorkommende Element Thorium. Das Thorium wird im Reaktor mit Neutronen aus einem Teilchenbeschleuniger beschossen, erst dadurch entsteht Uran 233, das sich spaltet. Durch die Kernspaltung entsteht Hitze und somit Energie.

Prototyp in Containergröße in Arbeit
Die Grazer Firma arbeitet derzeit mit dem slowenischen Jozef-Stefan-Institut und der Bernard-Ingenieurgruppe an einem Prototyp. Ziel sind kleine Reaktormodule in Containergröße. Zehn Firmen und Interessenten sollen 250 Millionen Euro Kapital auftreiben. Der Strahlenschutzexperte und Radiochemieprofessor an der TU-Wien, Georg Steinhauser, meint dazu: „Ein derartiger Reaktor, insbesondere in dem Design, das die Grazer vorgeschlagen haben, ist sicher zu betreiben. Vor allem die Abfallproblematik erachte ich für einen ganz wesentlichen Vorteil.“
ADES

Die Begründung: In herkömmlichen Atomreaktoren entsteht aus Uran 238 Plutonium 239. In Thoriumreaktoren entsteht kaum hochgiftiges und langlebiges Plutonium. Ein massiver Vorteil laut Steinhauser, „weil die Halbwertszeiten von Plutonium so lang sind, dass man sich auf mehr oder weniger eine Million Jahre verpflichtet, ein Endlager zu bauen. Ein Thoriumreaktor erzeugt zwar genauso viel hochradioaktiven Abfall, der kurzfristig strahlt. Allerdings ist das ein Problem, das eher nach 500 bis 1.000 Jahren erledigt ist. Eine Lagerstätte zu finden, die für 500 Jahre sicher ist, halte ich technisch für eine vergleichsweise einfache Übung.“ Laut Steinhauser dürfe man eine „solche Option“ angesichts des Klimawandels daher nicht „einfach links liegen lassen“.

Verkauf in Nachbarländer angedacht
Jedenfalls dürften wegen des Atomsperrgesetzes Thoriumreaktoren in Österreich nicht zur Stromversorgung eingesetzt werden. Die Firma Emerald Horizon hofft, sie in ein paar Jahren in Österreichs Nachbarländern verkaufen zu können, als Energieversorgung etwa für Gemeinden, Firmen und Spitäler und möglichst als Ersatz für die alten Uranreaktoren.
16.11.2022, red, steiermark.ORF.at

Link:
Grazer Firma bastelt an Atomkleinkraftwerk
 

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#10
ENERGIE
Das mögliche Comeback der Atomkraft in Europa – ohne Österreich
Während mehrere Länder neue Reaktoren planen, bleibt Österreich bei seiner ablehnenden Haltung. Laut einer STANDARD-Umfrage finden nur 16 Prozent Atomkraftwerke akzeptabel

Deutschland steigt mit April endgültig aus der Atomenergie aus. Andere Länder planen neue Reaktoren.
Foto: imago/blickwinkel
Politisch war der Abend des 5. November 1978 wohl einer der spannendsten der Zweiten Republik: An jenem Tag hatte die Volksabstimmung über die Nutzung der Atomkraft in Österreich stattgefunden – und das Ergebnis war so knapp, dass der Statistiker Gerhard Bruckmann im Fernsehen alle halben Stunde eine andere Prognose des Ausgangs errechnete. Schließlich entschied ein Überhang von 30.068 Stimmen: Kernkraft ist nichts für Österreich, das damals gerade fertiggestellte AKW Zwentendorf durfte nicht in Betrieb gehen.

Dann passierte auch noch das Reaktorunglück im sowjetischen Tschernobyl – und danach wollte sich kaum noch jemand in Österreich zur Atomkraft bekennen, weder in der Politik noch in der E-Wirtschaft. Bis heute rüttelt niemand am Grundsatz des "atomfreien" Österreichs, der seit 1999 im Verfassungsrang steht.

Lieber Photovoltaik
Und in der Bevölkerung? Da wurde der Atomenergie ebenfalls ab geschworen – ganze Wahlkämpfe, speziell in Niederösterreich, wurden mit Warnungen vor Atomgefahren, vor allem vor solchen durch grenz nahe AKWs in Nachbarländern, geführt. Fragt man heute, welche Energieträger für die künftige Stromproduktion in Österreich Akzeptanz finden, so landet die Atomkraft an letzter Stelle.

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DER STANDARD ließ diese Frage im Dezember durch das Linzer Market-Institut 800 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten vor legen. Photovoltaik landet mit einer Zustimmung von 71 Prozent der Befragten unangefochten auf dem ersten Platz, gefolgt von Windrädern (54 Prozent), Wasserkraftwerken an großen Flüssen (50 Prozent) und Biomasse (37 Prozent).
Ganz am Ende der Skala zeigt sich: 62 Prozent lehnen die Atomenergie nach wie vor kategorisch ab – nur fünf Prozent finden sie auf jeden Fall akzeptabel.

Kernkraft wieder auf Vormarsch
Doch außerhalb von Österreich erlebt die Kernkraft in Europa eine kleine Renaissance. Frankreich, das mit 70 Prozent einen so großen Anteil seines Energiebedarfs wie kein anderes Land der Welt aus Kernenergie abdeckt, setzt weiter voll auf Atomkraft. Ab 2028 sollen sechs neue große Reaktoren entstehen – und man behält sich die Option vor, acht weitere bis 2050 zu bauen.

Polen plant schon seit längerem einen Atomeinstieg. Im Oktober hat die Regierung den Auftrag zum Bau der drei ersten Kernreaktoren an der Ostsee vergeben. 2033 sollen sie in Betrieb gehen – sehr zum Ärger Deutschlands. Dort war man einst stolz auf seine Reaktoren, doch dann wurde zur Jahrtausendwende der Atomausstieg beschlossen, später teilweise zurückgenommen und dann nach Fukushima doch wieder forciert. Vergangenes Jahr wurde die Laufzeit der deutschen AKWs dann ein wohl letztes Mal verlängert. Wegen der Energiekrise sollen die letzten Reaktoren statt bis Jahresende 2022 nun bis höchstens April am Netz bleiben.

Kernkraft ist jetzt "grün"
Auch auf EU-Ebene betrachtet man Atomstrom nicht per se als verwerflich. Seit 1. Jänner gilt die EU-Taxonomieverordnung, welche die benötigten Milliarden für die Klimawende mobilisieren soll und festlegt, welche Investitionen als nachhaltig gelten. Laut ihr ist Atomkraft, wie auch Gas, "grün" – eine Entscheidung, die Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) juristisch kippen lassen will. Bisher vergeblich.

Viele sehen die Kernenergie als Lösung für die Klimakrise – oder zumindest als Brückentechnologie, bis Europa vollständig mit erneuerbaren Energien läuft. Aus den riesigen Kühltürmen strömt immerhin nur Wasserdampf und kein schädliches CO2. Ganz klimaneutral ist allerdings keine Energieform, auch die Kernkraft nicht. Der Weltklimarat schätzte die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Atomenergie auf rund zwölf Gramm, in etwa so viel wie bei Windenergie.

Letztere produziert keinen Atommüll, dafür aber auch keinen Strom bei Flauten. Mehr noch als den geringen CO2-Fußabdruck heben Atomkraftverfechter deshalb hervor, dass Nuklearreaktoren grundlastfähig sind, während die Speicherfrage bei erneuerbaren Energien noch großteils ungelöst ist.

Chaos in Frankreich
Dass man sich auch auf AKWs nicht immer verlassen kann, zeigte der vergangene Sommer: Bei vielen französischen Reaktoren traten technische Probleme auf, dazu führten wegen der Hitzewelle viele Flüsse weniger Wasser, das die Kraftwerke jedoch zur Kühlung brauchen. Zeitweise war mehr als die Hälfte der 56 Reaktoren ausgeschaltet. Die Strompreise explodierten nicht nur, weil russisches Gas, sondern auch französischer Atomstrom fehlte.

Um die europäische Energieversorgung auf emissionsarmen Strom umzustellen, ist der Bau neuer Atomkraftwerke vielleicht ohnehin zu träge und zu teuer. Der dritte Reaktorblock des Kraftwerks Olkiluoto in Finnland wurde etwa 2021 mit 13-jähriger Verspätung fertig, auch der britische Meiler Hinkley Point C verzögerte sich um Jahre und kostete Milliarden mehr als geplant.

Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die Reaktoren bereits existieren und frühzeitig abgeschaltet werden – wie in Deutschland. Dort stellen selbst manche Klima aktivistinnen und -aktivisten den Ausstieg infrage. "Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden", sagte etwa die Klimaaktivistin Greta Thunberg im Oktober, angesprochen auf den deutschen Atomausstieg.

Die Laufzeit bestehender Atomkraftwerke zu verlängern ist zudem eine der günstigsten Arten der Stromgewinnung, wie Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigen. Rund 43 US-Dollar kostet eine Megawattstunde aus einem vorhandenen Kernkraftwerk im Jahr 2040, aus einem neuen hingegen 110 US-Dollar.

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Schrumpfung als Lösung
Eine schnellere Lösung soll eine Technologie bringen, die es eigentlich bereits seit den 1950er-Jahren gibt und die nun Länder wie Großbritannien und Tschechien vorantreiben. Miniaturisierte Kernreaktoren, sogenannte Small Modular Reactors (SMR), treiben schon seit Jahrzehnten U-Boote und Flugzeugträger an. Künftig sollen sie eine Rolle in der zivilen Energieversorgung spielen. Je nach Lesart des Begriffs sind Reaktoren mit einer Leistung unter 300 Megawatt oder Reaktortypen mit bis zu 500 Megawatt gemeint. Das Kraftwerk Temelín hat im Vergleich dazu eine Leistung von über zwei Gigawatt. Die Idee der zivilen Nutzung von Kleinreaktoren ist nicht neu, bereits 1964 gab es im US-amerikanischen Minnesota einen Kernreaktor mit 22 Megawatt Leistung. Nach vier Jahren setzte ihm ein irreparables Leck im Kühlsystem ein Ende.


Ein Durchbruch in einem Kernfusionslabor nährt die Hoffnung auf sichere Atomenergie.
Foto: Lawrence Livermore National Laboratory via Reuters

Vor allem Anhänger des "Ökomodernismus" wie Bill Gates setzen auf SMR – und investieren hunderte Millionen. Bei der Entwicklung von Kleinreaktoren, die statt mit Uran mit dem sichereren Thorium betrieben werden sollen, mischt auch das Grazer Unternehmen Emerald Horizon mit. Die Technologie soll "bald" einsatzbereit sein, heißt es in einer Aussendung des Unternehmens vom Dezember. Forschende bezweifeln das.

Hoffnung auf Fusion
Ein Durchbruch in einem kalifornischen Kernfusionslabor im Dezember machte außerdem Hoffnung auf eine alternative Lösung der Energieprobleme. Bei der Kernfusion werden Wasserstoffatome verschmolzen statt Uranatome gespalten – dabei fällt kein langlebiger Atommüll an, noch ist die Gefahr eines Super-GAUs wie in Tschernobyl gegeben. Einige Forschende datieren den kommerziellen Einsatz der Kernfusion auf die zweite Hälfte des 21., andere erst auf das 22. Jahrhundert. Das CO2-Budget für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels ist hingegen schon in den nächsten Jahren aufgebraucht.

Die Frage nach der baldigen Nutzung der Kernfusion ist also rein hypothetisch – dennoch trifft sie in Österreich auf Skepsis. Nur zwölf Prozent sind unbedingt dafür, diese Technologie künftig für Österreich zu nutzen, vier von zehn Befragten wollen Kernfusion "sicher nicht" in Österreich haben. Die neuartige Technologie wird von Befragten in einen Topf mit der Kernspaltung geworfen.

Nur 16 Prozent für Kernspaltung
Im Fall der konventionellen Atomenergie fragte Market konkret nach: Ob Atomkraftwerke in Österreich gebaut werden sollten, um unser Land von Importen aus Russland oder Katar unabhängig zu machen – oder ob "diese Technologie zu gefährlich und die Frage des Atommülls nicht geklärt ist" und Österreich daher auf Atomkraft verzichten sollte. Die Antworten sind auch hier eindeutig: Nur 16 Prozent können sich mit der Atomkraft anfreunden, 77 Prozent sind dagegen, der Rest weiß bei diesen Alternativen keine Antwort.

Wobei sich zeigt, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auch unterschiedlich stark gegen die Atomkraft positioniert sind. Jeder vierte Mann, aber nur jede elfte Frau befürwortet Kernkraft.Auch jüngere Befragte und Freiheitliche sind eher offen für Atomkraft. Letzteres ist erstaunlich: In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren war es gerade die Freiheitliche Partei, die am klarsten gegen Atomenergie positioniert war – in der SPÖ-FPÖ-Koalition unter Fred Sinowatz (1983-1986) war es die FPÖ, die eine neue Abstimmung über Zwentendorf verhindert hat.

Auffällig ist, dass Österreich eine lebendige Tradition hat, wenn es darum geht, gegen bestimmte Projekte zu sein. Man ist hierzulande gegen Atomkraft, gegen Kernfusion, im Fall konkreter Projekte gegen Wasserkraft, in Bundesländern wie Kärnten sogar gegen den Ausbau der Windkraft. Doch generell ist die Akzeptanz erneuerbarer Energie hoch, auch wenn uns die Windräder im benachbarten Bundesland lieber sind als jene im eigenen.

Entscheidend wird aber die Akzeptanz großer Maßnahmenbündel sein, die tatsächlich wirksam den Klimawandel begrenzen.
(Reinhard Kleindl, Philip Pramer, Conrad Seidl, 6.1.2022)
Das mögliche Comeback der Atomkraft in Europa – ohne Österreich
 

josef

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#11
GESPALTENE MEINUNGEN
Atomkraft – ja oder nein? Nicht immer sind sich Klimaaktivisten einig
In Finnland und Polen befürwortet Fridays for Future die Kernkraft – obwohl die Energieform umstritten ist. Wie sieht das die Klimabewegung hierzulande?

Atomkraft: "Nein danke" oder "Ja bitte"? Die Meinungen zu dieser Frage gehen in der Klimabewegung auseinander.
Foto: Imago / Michael Gstettenbauer

Finnland hat sich hohe Ziele gesteckt. Bereits 2035 will das Land klimaneutral sein. Um das zu erreichen, setzt die finnische Regierung einerseits auf Wälder, die massiv CO2 speichern, andererseits stark auf Atomenergie. Derzeit produzieren vier Reaktoren an zwei Standorten Energie. Ein weiterer Reaktorblock ist gemeinsam mit dem weltweit ersten Endlager für hochradioaktive Abfälle auf der Insel Olkiluoto in Bau. Und das mit breiter Zustimmung der Bevölkerung.

Das mag aus österreichischer Perspektive durchaus überraschen. Immerhin herrscht hierzulande starke Skepsis gegenüber Kernenergie. Nicht so in Finnland. Dort unterstützt sogar die Klimaschutzbewegung Fridays for Future Finnland die Energiegewinnung mit Kernkraftreaktoren. Kernkraft sei zwar nicht die perfekte Weise, Energie zu erzeugen, aber die Emissionen dafür seien niedrig. CO2 stelle eine viel größere Gefahr dar als Atommüll und beschleunige die Erderwärmung. "Daher akzeptieren wir Atomenergie als Teil des Energiemix", heißt es auf ihrer Website.

Auch in Polen sprach sich Fridays for Future im Vorjahr für die Kernkraft aus. In einem Facebook-Posting forderten sie die Europäische Kommission und das Europäische Parlament auf, die Kernenergie als nachhaltige Energiequelle in der damals noch nicht beschlossenen EU-Taxonomie anzuerkennen. Sie stelle ein "notwendiges Element der Lösung" dar. Man sei sich der Nachteile der Technologie bewusst, doch ihr Einsatz sei unerlässlich, um die Klimaneutralität in Europa zu erreichen. Polen plant schon seit längerem einen Atomeinstieg. Im Oktober hat die Regierung den Auftrag zum Bau der drei ersten Kernreaktoren an der Ostsee vergeben. 2033 sollen sie in Betrieb gehen.

Atomkraft als notwendiges Übel
Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hatte in den vergangenen Jahren eine differenzierte Meinung in puncto Kernkraft. Im Jahr 2019 verwies sie in einem Facebook-Beitrag auf den Weltklimarat IPCC, laut dem Kernenergie einen kleinen Beitrag zur Energiewende leisten könne. Sie betonte darin aber, dass sie persönlich gegen Kernenergie sei und diese für "viel zu gefährlich, zu teuer sowie zu zeitaufwendig" halte. Prinzipiell weist die Aktivistin darauf hin, dass es andere Wege für die Zukunft gebe, nämlich die erneuerbaren Energien.

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Für ein Aufhorchen sorgte sie, als sie sich im vergangenen Herbst zur Atomenergie in Deutschland äußerte. Wenn die Atomkraftwerke schon laufen würden, halte es Thunberg für einen Fehler, sie abzuschalten und sich stattdessen Kohle zuzuwenden. Die Debatte sei aber sehr aufgeheizt, sagt sie in einem Fernsehinterview. Die deutsche Bundesregierung hatte kurz zuvor beschlossen, zwei Atomkraftwerke als Notfallreserve beizubehalten und erst kommenden April endgültig stillzulegen.

Die Regierung in Thunbergs Heimatland Schweden rechnet damit, dass irgendwann in den 2040er-Jahren das letzte AKW vom Netz gehen wird. Schweden hat sich zwar 1980 für den Ausstieg aus der Atomenergie entschieden. Allerdings vereinbarten die wichtigsten politischen Parteien 2016, die sechs existierenden Reaktoren am Netz zu belassen. Erst im Vorjahr gab die schwedische Regierung grünes Licht für ein Atommüll-Endlager.

Neubauer: Debatte drängt Erneuerbare in den Hintergrund
In Deutschland spricht sich die FFF-Bewegung grundsätzlich gegen die Atomenergie aus. In einem Beitrag auf ihrer Website betont sie, weiter daran festzuhalten, dass die Zukunft "nicht nuklear ist". Als Grund nennt sie nicht nur die Gefahr von Unfällen, sondern etwa auch den Wasserverbrauch, der für die Erzeugung von Atomstrom nötig sei. Zudem behindere die Atomdebatte den Ausbau erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft. Die Organisation kritisierte außerdem die Entscheidung der EU im Vorjahr, Atomkraft als nachhaltige Investition einzustufen.

Anlässlich der Debatte um die Laufzeitverlängerung bestehender Atomkraftwerke sagte die deutsche FFF-Aktivistin Luisa Neubauer zum Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Im allerschlimmsten Fall wird man die Atomenergie jetzt vielleicht noch nutzen müssen." Sie kritisierte jedoch, dass die erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft in den Hintergrund geraten. Auch in der ZDF-Sendung von Markus Lanz betonte sie, dass die Atomkraft die Energiekrise nicht lösen werde, und warnte davor, von der "extrem gefährlichen Technologie Kohlekraft auf eine andere sehr gefährliche Energie, nämlich Kernkraft, auszuweichen".

Nicht nur Fridays for Future, auch der deutsche Ableger von Extinction Rebellion, der sich mit Mitteln des zivilen Widerstands für Klimaschutzmaßnahmen einsetzt, spricht sich gegen die Kernenergie aus. "Für uns ist die Atomkraft dauerhaft keine Lösung", sagt eine Sprecherin zum STANDARD. Mit den erneuerbaren Energien würden längst Lösungen auf dem Tisch liegen, die man bisher "auf die lange Bank" schiebe.

In Österreich einer Meinung
Ähnlicher Meinung sind Fridays for Future, Letzte Generation und Co in Österreich. Das zeigt ein Rundruf des STANDARD. Die Organisationen blasen in das gleiche kernkraftfreie Horn wie die Mehrheit der Bevölkerung. Sprich, auch sie sind dagegen.

Für die Klimaaktivistin Lena Schilling ist Atomenergie nicht die Lösung. Die Gründerin des Jugendrats, der sich vor allem für Klimathemen einsetzt und auch die Besetzung der Lobau in Wien organisiert hat, ist überzeugt, dass Atomkraftwerke dann Sinn machen, wenn man Zeit hat. "Die haben wir im Kampf gegen die Klimakrise aber nicht", sagt Schilling.


Für Atomkraftwerke hat Österreich nicht genug Zeit, sagt die Klimaaktivistin Lena Schilling.
Foto: Imago / SEPA.Media / Martin Juen

Daher sei Atomkraft keine Option in Österreich. Stattdessen sollten erneuerbare Energien ausgebaut werden. Während Wasserkraft bereits am Limit sei, seien Wind- und Solarkraft sowie Geothermie noch nicht gut ausgebaut. Das liegt laut Schilling vor allem an den Landeshauptleuten, die sich querstellen. Das zeige deren Doppelmoral. "Im Wahlkampf heften sich alle den Klimaschutz auf die Fahnen, aber wenn es dann darum geht, etwas umzusetzen, geschieht nichts", sagt Schilling.

Auch die Letzte Generation schlägt mit ihren Äußerungen in dieselbe Kerbe. Da nicht einmal einfache Forderungen wie Tempo 100 umgesetzt würden, sei die Diskussion rund um Atomkraft ohnehin eine reine Scheindebatte, sagt Florian Wagner, Sprecher der Letzten Generation. Er betont auch, dass laut einer Erhebung der Internationalen Energieagentur (IEA) der Bau von Photovoltaikanlagen aktuell die günstige Variante sei, um Energie zu erzeugen.

Fridays for Future sieht keinen finanziellen Vorteil
Fridays for Future nimmt hierzulande ebenfalls eine andere Position ein als die Aktivistinnen und Aktivisten in Finnland und Polen. Auf Atomenergie zu setzen mache in Europa keinen Sinn. Michael Spiekermann, Pressesprecher von Fridays for Future, sagt: "Die Risiken und Nachteile, die Atomkraft bringt, wiegen für unsere Gesellschaft schwerer als die geringeren CO2-Emissionen im Vergleich zu Kohlekraftwerken."

Der Bau der Kernkraftwerke sei auch teurer. Die Kosten für den Reaktorblock auf der finnischen Insel Olkiluoto hätten sich seit Baubeginn vervierfacht. Allein aus einer reinen Kostenfrage heraus sei ein derartiger Bau keineswegs sinnvoll. Daran könne auch die Taxonomie nichts ändern. "Nur weil Atomkraft als grüne Energie anerkannt wird, werden nicht mehr Staaten Atomkraftwerke bauen", sagt Spiekermann.

Was die Kosten betrifft, kommt auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Rahmen einer Erhebung zu dem Schluss, dass die Investition in ein AKW privatwirtschaftlich stets unrentabel ist – und zwar unabhängig von zukünftigen Strompreisen und Kapitalkosten. Der erwartete Verlust liegt demnach in Milliardenhöhe.

Verfechter betonen Vorteile
Die Atomenergie bleibt bis heute umstritten. Befürworter sehen die Kernenergie als Lösung für die Klimakrise – oder zumindest als Brückentechnologie, bis Europa vollständig mit erneuerbaren Energien läuft. Aus den Kühltürmen strömt immerhin nur Wasserdampf und kein schädliches CO2. Ganz klimaneutral ist allerdings keine Energieform, auch die Kernkraft nicht.

Der Weltklimarat schätzt die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Atomenergie auf rund zwölf Gramm, in etwa so viel wie bei Windenergie. Letztere produziert keinen Atommüll, dafür aber auch keinen Strom bei Windflauten. Mehr noch als den geringen CO2-Fußabdruck heben Atomkraftverfechter deshalb hervor, dass Nuklearreaktoren grundlastfähig sind, während die Speicherfrage bei erneuerbaren Energien noch großteils ungelöst ist.


AKWs stoßen vergleichsweise wenig CO2 aus und sind grundlastfähig. Radioaktiver Atommüll, hoher Wasserverbrauch und lange Bauzeiten bleiben jedoch die Kehrseiten von Atomenergie.
Foto: Imago / Joker

Ungelöstes Atommüllproblem, lange Bauzeit
Doch AKWs haben auch ihre Kehrseiten. Das größte Problem bleibt der Atommüll, der über Jahrtausende hinweg gefährliche radioaktive Strahlung abgibt. Die Suche nach Endlagern gestaltet sich mitunter schwierig. Zudem sind auch AKWs nicht gegen Umwelteinflüsse gefeit. Im vergangenen Sommer traten in Reaktoren in Frankreich technische Probleme auf, denn viele Flüsse führten wegen Hitze und Trockenheit weniger Wasser, das die Kraftwerke zur Kühlung brauchen. Und davon gar nicht so wenig: Im Vergleich zu den anderen Energiequellen verbraucht die Kernenergie "überdurchschnittlich viel Grundwasser und Oberflächengewässer", schreibt das Klimaschutzministerium in einer Studie. Damit werde die Kernkraft anfällig für den Klimawandel, der Grundwassermengen schwinden lässt.

AKWs zu bauen nimmt außerdem viel Zeit in Anspruch. In manchen Fällen kann es Jahrzehnte dauern, bis ein Kraftwerk den Betrieb aufnimmt. Der dritte Reaktorblock des Kraftwerks Olkiluoto in Finnland wurde etwa 2021 mit 13-jähriger Verspätung fertig. Das AKW Rostov-4 in Russland ging 35 Jahre nach dem Baustart ans Netz, heißt es im World Nuclear Report. Bei Windrädern dauert es – abhängig vom Standort und von den Rahmenbedingungen – bis zu fünf Jahre. Um die europäische Energieversorgung auf emissionsarmen Strom umzustellen, ist der Bau neuer Atomkraftwerke deshalb zu träge und zu teuer, so die Kritik.
(Julia Beirer, Florian Koch, 7.3.23)

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#12
WIRTSCHAFT
Salzer: „Müssen über Atomkraftwerke nachdenken“
Um künftig genügend Energie für die Industrie zur Verfügung zu haben, sollte sich Österreich laut dem Präsidenten der Industriellenvereinigung Niederösterreich, Thomas Salzer, „auf eigene Beine stellen“ – Fracking und Atomkraft dürfe man nicht ausschließen.
Online seit gestern, 19.41 Uhr
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Die Autozuliefererbranche sowie die Papier-, Chemie- und Bauindustrie: Sie haben laut dem aktuellen Konjunkturbarometer der Industriellenvereinigung (IV) für das erste Quartal große Sorgen beim Blick in die Zukunft. Die Aufträge gingen zuletzt stark zurück. Die Unternehmen brauchen sehr viel Energie, die wiederum teuer ist. Da hilft auch der Ausblick, dass sich die Nachfrage aus dem Ausland verbessert, nur wenig. Denn die Energiekosten seien hierzulande zwei bis dreimal höher als vor der Energiepreiskrise und deutlich höher als in den USA oder Asien, heißt es im aktuellen Bericht.

Laut der Industriellenvereinigung bringt das Wettbewerbsnachteile, von der Politik werden weitere Maßnahmen gefordert: etwa ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch eine „Autonomie“ in Sachen Gasversorgung und die finanzielle Unterstützung von krisenbelasteten Unternehmen.

Thomas Salzer, Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich, meinte am Dienstagabend im „Niederösterreich heute“-Interview mit Claudia Schubert, man müsse sich in Sachen Energie „langfristig auf eigene Beine stellen“, denn derzeit sei man von Energieimporten abhängig, vor allem beim Strom.

„Wind-, Wasser-, und Solarenergie reichen nicht aus“
„Auch wenn wir jetzt alle Potentiale an Windenergie, Wasserkraft und Solarenergie ausbauen und jeder eine PV-Anlage auf seinem Dach hat, wird das nicht reichen, um in 30 Jahren genügend Energie zur Verfügung zu stellen“, so Salzer. Man müsse schon jetzt überlegen, wie man die Energieversorgung in der Industrie künftig sicherstellen kann, dazu gehöre auch, über das umstrittene Fracking und Atomkraftwerke nachzudenken, betonte der IV-Präsident.

Im Hinblick auf das Fracking – eine umstrittene Methode zur Erdgasgewinnung – meinte Salzer, man müsse die Bedenken „natürlich ernst nehmen“, „aber das Fracking, das man bei uns anwenden will, findet in einer Tiefe von mehreren tausend Metern statt und hat mit dem Fracking, wo wir grausame Bilder aus den USA und Kanada kennen, überhaupt nichts zu tun.“

„Nein zu Atomkraft nicht realistisch“
Auch eine weitere umstrittene Methode zur Energiegewinnung – die Atomkraft – kann sich Salzer in Österreich vorstellen. „Es gibt ganz nahe zu den österreichischen Grenzen Atomkraftwerke und wir werden überlegen müssen, ob das nicht auch für uns eine Option ist.“

Es sei nicht realistisch, in Österreich „Nein“ zur Atomkraft zu sagen, denn man kaufe bereits viel Strom, der aus Atomkraft produziert wird. Zudem müsse man auch die CO2-Reduktion vor Augen haben, so der IV-Präsident. „Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen, muss aber gleichzeitig Kohlekraftwerke wieder hochfahren. Da muss man sich schon überlegen: Wenn wir das Thema CO2 lösen wollen, ist es nicht sinnvoll, dass wir Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen.“

Personalmangel: Mehr Vollzeit und qualifizierte Migranten
Angesprochen auf den Personalmangel in der Industrie sieht Salzer vor allem zwei Lösungsansätze: mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Vollzeit arbeiten, und qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ersteres bedeute laut Salzer aber auch, dass Kinderbetreuung und Ganztagsschulen ausgebaut werden müssen.

„Das Potential ist außerdem, dass wir Menschen, die qualifiziert sind, nach Österreich holen und qualifizierte Menschen, die schon in Österreich sind, nicht abschieben und ihnen die Möglichkeit geben, in ein Zuwanderungsverfahren zu kommen.“
26.04.2023, red, noe.ORF.at
Salzer: „Müssen über Atomkraftwerke nachdenken“
 

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#13
NEUE ALLIANZ GEGRÜNDET
Steht eine Renaissance der Atomkraft bevor?
Der umstrittene EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sieht Atomenergie als Teil der Lösung der Klimakrise. Bei der Klimakonferenz wird er auf Verbündete stoßen
Wopke Hoekstra sorgt weiter für Aufregung. Schon bevor der neue EU-Klimakommissar im Oktober seinen Job angetreten hatte, war der gebürtige Niederländer Zielscheibe zahlreicher Kritiker. Dem Ex-Ölmanager wurde nach seiner Nominierung für den Spitzenposten vorgeworfen, Klimaschutz nicht ernst zu nehmen. Mehr als 30.000 Personen unterzeichneten eine Petition gegen die Ernennung des Christdemokraten. Dennoch wurde er mit 279 zu 173 Stimmen vor rund eineinhalb Monaten zum Klimakommissar der Union ernannt. Er soll der Mann sein, der die EU in Richtung Klimaneutralität steuert.


Isar 2 war eines der letzten drei aktiven Kernkraftwerke in Deutschland. Im April ging es vom Netz.
IMAGO/Christian Ender

Nun hat der Niederländer erklärt, wie jene Energiewende gelingen soll – und wird damit wohl wieder für Debatten sorgen. Sein Vorschlag ist ähnlich umstritten wie der Politiker selbst: Hoekstra nannte Atomkraft als Teil der Lösung in der Klimafrage. "Die Wissenschaft sagt uns, dass wir einfach nicht den Luxus haben, Nuklearenergie aus dem Lösungsmix rauszuhalten", zitierte die Nachrichtenagentur APA Hoekstra am Mittwoch. Das Thema sei in der EU sehr sensibel, legte der Politiker nach. Einige Länder wären in der EU stark für Atomkraft und andere klar dagegen. Er müsse bei der Weltklimakonferenz, die nächste Woche in Dubai startet, die ganze Union vertreten.

Allianz für den Atomstrom
Dort wird Hoekstra jedenfalls auf Verbündete stoßen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass mehrere Länder, angeführt von den Vereinigten Staaten, eine Atomkraftallianz schmieden wollen. Ihr Ziel: Bis 2050 sollen die Atomkraftkapazitäten im Vergleich zu 2020 weltweit verdreifacht werden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg dürfte die Allianz zumindest um Großbritannien, Frankreich, Schweden, Finnland und Südkorea erweitert werden.

"Kernenergie ist zu hundert Prozent Teil der Lösung", kündigte John Kerry, US-Sondergesandter für das Klima an. "Es ist saubere Energie." Die USA, die mit mehr als 90 Reaktoren in der Atomkraft Weltführer sind, wollen die Allianz im Rahmen der Klimakonferenz präsentieren – und damit quasi die Renaissance der umstrittenen Technologie ausrufen.

Der Vorstoß dürfte bei den knapp über 30 kernkraftproduzierenden Staaten für Zustimmung sorgen, wohl aber auch für reichlich Gegenwind. Während Nuklearenergie als emissionsarm gilt, ist die Produktion mit hohen Kosten und möglichen Sicherheitsrisiken verbunden. Darüber hinaus gibt es das nach wie vor ungelöste Problem der Endlagerung.

Viele neue Kraftwerke in Planung
Nichtsdestoweniger sind weltweit zahlreiche neue Kraftwerke in Planung oder werden bereits gebaut. Nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA baut China derzeit etwa 22 neue Reaktoren, Indien acht und die Türkei vier neue Anlagen.

Ein globaler Anstieg der Atomenergie wird in der Klimapolitik häufig diskutiert, ist aus Sicht mancher aber kaum realisierbar. Zu diesem Schluss kommt etwa eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dieses hat 2800 Klimaszenarien unter die Lupe genommen. Das Fazit: "Atomenergie ist kein Klimaretter. Andere Technologien sind rentabler und risikoärmer", so Studienautor Christian von Hirschhausen.

Die EU selbst ist in der Atomfrage gespalten: Rund die Hälfte, 13 der 27 Mitgliedsstaaten, betreiben Kernkraftwerke. Konsens ist nur schwer zu finden, wie eine Abstimmung zur EU-Taxonomie im Vorjahr zeigte: Trotz heftiger Kritik zahlreicher Staaten und NGOs verpasste die EU-Kommission der Atomkraft im Vorjahr ein grünes Label. Dadurch wurde Nuklearenergie als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit eingestuft. Österreich lehnte die Einstufung von Anfang an ab und reichte Klage beim Europäischen Gerichtshof ein.

Ein großer Verbündeter in der EU
Ganz anders sieht es in Frankreich aus. Es war eines jener Länder, welches das grüne Label forcierte. Erst Ende September forderten Frankreich und weitere 20 Staaten erneut eine Erleichterung der Finanzierung von Atomkraft sowie die Gleichstellung mit erneuerbaren Energien. Auch Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher will im Rahmen der Klimakonferenz laut ihrem Ministerium dafür werben, "dass wir es ohne den nuklearen Beitrag nicht schaffen werden".

Das Land will den Ausbau von Kernkraftwerken vorantreiben – und sieht in der Technologie die Lösung in der Klimafrage. Wohl auch deshalb, weil mehr als die Hälfte des in der EU produzierten Atomstroms aus Frankreich stammt. In dem Land selbst werden knapp 70 Prozent des Stroms durch Nuklearenergie erzeugt. Bis 2035 sollen sechs neue Reaktoren errichtet werden.

Ganz anders sieht die Diskussion weiter im Osten aus: In Deutschland gingen im April 2023 nach rund 62 Jahren die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz. Das ursprüngliche Ausstiegsdatum wurde nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine nach hinten verschoben. In Österreich, wo sich die Volksabstimmung gegen die Inbetriebnahme des AKWs Zwentendorf heuer zum 45. Mal jährt, ist die Position noch klarer: Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Technologie ab. "Atomenergie hat als alternative Energiequelle keine Zukunft", wird Karl Nehammer (ÖVP) auf der Homepage des Kanzleramts zitiert.
(Nora Laufer, 23.11.2023)

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#14
Staatenallianz für Ausbau der Atomkraft
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20 Staaten wollen zum Wohle des Klimas die Energieerzeugung aus Atomkraft deutlich in die Höhe schrauben. Bis zum Jahr 2050 sollten die Kapazitäten verdreifacht werden, hieß es in einer am Samstag auf der Weltklimakonferenz veröffentlichten Erklärung, die unter anderem von den USA, Frankreich, Großbritannien sowie dem Gastgeberland Vereinigte Arabische Emirate unterzeichnet wurde.
Online seit heute, 13.17 Uhr (Update: 16.19 Uhr)
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Man halte fest, dass Atomkraft eine Schlüsselrolle dabei spiele, bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen und das 1,5-Grad-Ziel, mit dem die Weltgemeinschaft die schlimmsten Folgen der Erderwärmung verhindern will, im Rahmen des Möglichen zu halten, heißt es in der Erklärung. Andere Länder seien aufgerufen, sich anzuschließen, und Geldgeber, in den Ausbau von Atomkraft zu investieren.

Verlangt wurde von der Staatengruppe, die installierte Leistung der AKWs weltweit bis 2050 zu verdreifachen – verglichen mit dem Stand von 2020. Verbreitet wurde die Erklärung durch den US-Klimabeauftragten John Kerry. Zu den Unterzeichnern zählen auch Belgien, Finnland, Japan, Polen, Schweden und die Ukraine, nicht aber Russland und China, die ebenfalls über eine größere Zahl von Atomkraftwerken verfügen.

Kerry: Atomkraft entscheidend für Klimaneutralität
Kerry verwies auf Aussagen aus der Wissenschaft, wonach Klimaneutralität bis 2050 ohne Atomkraft „nicht erreichbar ist“. In der Erklärung wird auch gefordert, dass internationale Finanzinstitutionen den Ausbau der Atomkraft fördern sollen. Das ist teilweise derzeit in deren Statuten ausgeschlossen.

Es handelt sich um einen freiwilligen Aufruf der Länder, der im Rahmen der offiziellen Verhandlungen auf der COP28 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen keinesfalls bindend ist. Ihr Ziel ist es, alternative Energien zu fossilen Brennstoffen zu fördern und Argumente zu liefern, um das Ende von Öl, Kohle und Gas in einem Abschlussabkommen verhandeln zu können.

Umweltschützer und -schützerinnen würden einen Übergang ohne Atomkraft bevorzugen und weisen auf das Problem der Abfälle und der Sicherheit hin. Masayoshi Iyoda von der Umweltorganisation 350.org verurteilte umgehend die Nutzung einer „gefährlichen“ Energie. „Wir haben bereits billigere, sicherere, demokratischere und schnellere Lösungen für die Klimakrise: erneuerbare Energien und Energieeffizienz.“

Umweltschützer halten dagegen
Reinhard Uhrig, Atomexperte von Global 2000, hielt bereits im Vorfeld der COP fest: „Viele der Behauptungen der Atomindustrie halten einem sachlichen Faktencheck auf Basis von seriösen Quellen wie der Internationalen Energieagentur oder dem Weltbericht der Atomindustrie nicht stand. Auch die Ankündigungen von ‚neuen‘ oder ‚modularen‘ Reaktorkonzepten (SMR und Kernfusion) kommen in der für die Klimakrise relevanten nächsten Dekade zu spät – falls sie überhaupt jemals serienreif werden, denn das ist nach Angaben der Nuclear Energy Agency der Internationalen Energieagentur fraglich.“

Zudem würde nach aktuellen Daten der Internationalen Energieagentur Strom aus Atomkraft mehr als doppelt so viel wie Strom aus modernen Erneuerbaren wie Wind und Solar kosten, „selbst wenn man die Kapazitäts- und Flexibilitätskosten der variablen Einspeisung der Erneuerbaren einberechnet“.

AP/Rafiq Maqbool
US-Vizepräsidentin Kamala Harris sprach am Samstag bei der COP28

120 Staaten wollen Energie aus Erneuerbaren verdreifachen
Fast 120 Staaten unterstützen in Dubai das Ziel, die Energieerzeugung aus Erneuerbaren bis 2030 zu verdreifachen. „Ich rufe alle Staaten dazu auf, so schnell wie möglich an Bord zu kommen“, sagte der Präsident der Weltklimakonferenz aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Sultan Ahmed al-Dschaber.

Neben dem Erneuerbaren-Ziel setzen sich die fast 120 Länder – darunter die EU-Staaten – dafür ein, bis zum Jahr 2030 die Rate der Energieeffizienz von rund zwei Prozent auf mehr als vier Prozent zu steigern. Das bedeutet, dass zur Produktion von Gütern oder Leistungen weniger Energie notwendig werden soll.

„Das Versprechen von über 100 Ländern, den Ausbau von erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und Wasser voranzutreiben und gleichzeitig Energie sparsam zu nutzen, ist zu begrüßen“, reagierte Greenpeace Österreich. Gleichzeitig müsse diese Entscheidung Eingang in das Verhandlungspapier finden, gepaart mit einem Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Energien. „Nur dann kann die Klimakonferenz in Dubai ein Erfolg werden“, sagte Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace.

Umkämpfter Ausstieg aus fossiler Energie
Strittig ist dagegen, ob sich die Staaten im Rahmen der Weltklimakonferenz auf einen weltweiten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas einigen können. Gastgeber Dschaber warb für eine Erklärung, der sich 50 Öl- und Gaskonzerne angeschlossen haben, die nach eigenen Angaben ihre eigenen Aktivitäten bis spätestens 2050 klimaneutral gestalten wollen. Germanwatch bezeichnete das als „Greenwashing in Reinform“. Kritik kam auch von Greenpeace Österreich. „Das Letzte, was die Welt braucht, ist ein weiteres leeres Versprechen der Öl- und Gasindustrie, sich zu bessern.“

Papst-Appell: Zukunft aller hängt von Gegenwart ab
Papst Franziskus hat indessen an die Weltgemeinschaft appelliert, beim Kampf gegen den Klimawandel nationale Egoismen zu überwinden. Wie nie zuvor hänge die Zukunft aller von der Gegenwart ab, „für die wir uns entscheiden“, sagte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in einer Rede, die Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin am Samstag in Dubai vortrug. Franziskus hatte seine Reise dorthin aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen müssen.

Mit dem Bestreben zu produzieren und zu besitzen sei die Umwelt zum Objekt ungezügelter Ausbeutung gemacht worden, kritisierte der Papst. „Das verrückt gewordene Klima klingt nach einem Warnsignal, einen solchen Allmachtswahn zu stoppen.“ Die Welt erlebe „starre, wenn nicht gar unbeugsame Positionen“, die dazu tendierten, die eigenen Gewinne und die der eigenen Unternehmen zu schützen. Der Ausweg sei „der Weg des Miteinanders, der Multilateralismus“.
02.12.2023, red, ORF.at/Agenturen

Weltklimakonferenz
Bei der Conference of the Parties (COP) kommen die EU und die 197 beteiligten Staaten zusammen, die 1992 in Rio de Janeiro die UNO-Rahmenkonvention zum Klimawandel unterzeichnet haben. Die COP findet jährlich in einer anderen Stadt statt, die zweiwöchigen Verhandlungen dienen der Formulierung eines Beschlusstextes.

Links:
Klimawandel - Argumente für und gegen Atomkraft
 

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#15
ENERGIE
Wachsender Strombedarf führt zu Comeback der Atomkraft
2025 dürfte Atomstrom neue Rekorde brechen. Viele Länder wollen mit Atomkraft ihre Klimaziele erreichen – in der Praxis gibt es aber einige Hürden

Frankreich will in den kommenden Jahren 14 neue Reaktoren bauen.
REUTERS/YVES HERMAN

Großbritannien setzt wieder einmal große Hoffnungen in neue Atomkraftwerke. Anfang des Monats sprach die britische Energieministerin Claire Coutinho über den "größten Ausbau nuklearer Energie seit 70 Jahren". Bis 2050 soll die Leistung aus Atomkraft im Land auf 24 Gigawatt vervierfacht werden und 25 Prozent der Stromproduktion des Landes liefern. Gelingen soll das mit einer Kombination aus großen und leistungsstarken Reaktoren, wie beispielsweise Hinkley Point C, und modularen Kernspaltungsreaktoren, die bis zu sechsmal kleiner sind als herkömmliche Reaktoren und deshalb in einer Fabrik vorgefertigt werden können.

Mit diesen Ausbauplänen ist Großbritannien nicht allein. Frankreich sieht Potenzial für 14 neue Reaktoren und will damit auch zunehmend in die Jahre gekommene Reaktoren ersetzen. In China werden derzeit Atomkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 26 Gigawatt gebaut. Bis 2025 sollen dort Atomkraftwerke mit insgesamt 70 Gigawatt Leistung Strom ins Netz einspeisen. Und auch Indien, Südkorea und Japan planen den Ausbau ihrer Atomkraftwerke.

Bis zum kommenden Jahr dürfte die Stromproduktion aus Atomkraft um drei Prozent wachsen und damit einen neuen Produktionsrekord aufstellen, heißt es in einem aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Bis 2026 könnte die Atomstromproduktion dann um weitere 1,6 Prozent wachsen.

Mehr Strom für E-Autos und Wärmepumpen
Der Grund laut IEA: der weltweit steigende Bedarf an Strom im Zuge der Energiewende. Im vergangenen Jahr ist der weltweite Strombedarf etwa um 2,2 Prozent gestiegen. Statt Öl und Gas brauchen E-Autos, Wärmepumpen und Industrien zunehmend mehr Strom.

Zwar steigt weltweit auch die Produktion durch erneuerbare Energien, allen voran Solar und Wind – bis Anfang nächsten Jahres dürften Erneuerbare ungefähr ein Drittel des weltweiten Stroms produzieren. Dennoch sehen viele Länder den Bedarf einer stabilen Stromproduktion durch Atomkraft. Diese soll sicherstellen, dass auch genügend Strom beispielsweise an bewölkten, windstillen Tagen vorhanden ist, wenn erneuerbare Energien tendenziell weniger Strom produzieren, und damit Versorgungslücken ausgleichen.

Gleichzeitig versuchen viele Länder, mit Atomkraft ihre Ziele für die Verringerung ihrer CO2-Emmissionen zu erreichen. In Frankreich und Japan etwa werden einige Reaktoren, die für Wartungsarbeiten abgeschaltet waren, nun wieder ans Netz genommen. Großbritannien will mithilfe von Atomkraft bis 2050 klimaneutral werden. Laut Premierminister Rishi Sunak sei Atomkraft "grün, langfristig billiger" und wichtig, um die Energiesicherheit des Landes sicherzustellen.

Umsetzung schwierig
Allerdings fällt es leichter, große Ankündigungen zu machen, als die Projekte dann tatsächlich umzusetzen. Gerade erst stellte sich heraus, dass Großbritanniens Vorzeige-Atomkraftwerk Hinkley Point C wesentlich teurer wird als gedacht und erst viel später ans Netz gehen kann. Statt den ursprünglich genannten 30 Milliarden Euro dürfte das Atomkraftwerk nun mehr als 53 Milliarden Euro kosten. Außerdem wird es nicht wie geplant schon ab 2027 Strom produzieren, sondern möglicherweise erst ab 2031. Die Bauzeit würde damit rund 14 Jahre betragen. Als Gründe nennt die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF, die für das Projekt beauftragt ist, Inflation, Arbeits- und Rohstoffmangel.


Die Konstruktion des Atomkraftwerks Hinkley Point C im Südwesten Englands wird immer mehr zu einem finanziellen Albtraum.
AFP/EDF ENGERY/HANDOUT

Es war nicht das erste Mal, dass Ankündigungen und Wirklichkeit bei Atomkraft auseinandergingen. Bereits 2008 hatte Großbritanniens damaliger Premierminister Gordon Brown angekündigt, bis 2023 acht neue Reaktoren laufen zu haben. Bis jetzt ist noch kein einziger dieser geplanten Reaktoren ans Netz gegangen. Auch Boris Johnson hatte 2022 bereits eine "Renaissance der Atomkraft" angekündigt: Pro Jahr sollte ein neuer Reaktor ans Netz gehen – ein ebenfalls uneingelöstes Versprechen.

Rechnung für Steuerzahler
Bei Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace stoßen solche Vorhaben daher regelmäßig auf Kritik. "Alle paar Monate macht die Regierung eine grandiose öffentliche Ankündigung über die Zukunft der Atomkraft, in der Hoffnung, dass ein großer Investor dem Hype glaubt und diese Technologie des 20. Jahrhunderts finanziert, aber das funktioniert nicht", sagte Doug Parr, leitender Wissenschafter von Greenpeace UK.

Weil sich aktuelle Bauprojekte häufig verzögern, dürften nicht nur in Großbritannien in die Jahre gekommene Reaktoren, die eigentlich in den nächsten Jahren abgeschaltet werden sollten, noch ein paar Jahre länger als geplant laufen. Das Bauen neuer Atomkraftwerke ist in vielen Fällen noch immer ein extrem risikoreiches, zeit- und ressourcenintensives Unterfangen, das laut Kritikerinnen und Kritikern am Ende meist auf die Steuerzahler und Stromkunden zurückfällt – abgesehen davon, dass auch die Endlagerung abgebrannter Brennstäbe ein nach wie vor ungelöstes Problem darstellt.

Modulare Reaktoren als Hoffnungsträger
Ein Hoffnungsträger für Länder wie Großbritannien für einen schnelleren Ausbau der Atomkraft sind deshalb kleinere modulare Reaktoren. Diese sollen leichter finanzierbar sein als konventionelle Kernreaktoren und theoretisch flexibler an unterschiedlichen Standorten errichtet werden können. Großbritannien könnte dafür künftig einige Regulierungen anpassen, die einen Bau modularer Reaktoren an unterschiedlichen Standorten im Land erleichtern sollen.


Auch China setzt auf kleine modulare Reaktoren, wie hier bei einer Konstruktion im vergangenen Jahr.
IMAGO

Allerdings deuten einige Studien darauf hin, dass auch kleine modulare Reaktoren immer noch ähnlich teuer sind wie konventionelle Reaktoren. Günstiger könnte es nur werden, wenn eine große Anzahl gleicher Reaktoren an einem Standort errichtet wird. Zudem kritisieren einige Expertinnen und Experten, dass kleine Reaktoren ein größeres Risiko darstellen, weil mehr Kernbrennstoffe transportiert werden müssten und mehr radioaktiver Abfall entstehe.

Fokus auf Erneuerbare
Die IEA sieht dennoch viel Potenzial in Atomkraft. Um bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen, müsse sich die Menge an Atomstrom zwischen 2020 und 2050 verdoppeln. Trotzdem würde Atomstrom damit nur rund acht Prozent des globalen Strommixes ausmachen, der vor allem von Erneuerbaren dominiert wäre. Laut IEA verursache die Stromproduktion – vor allem aufgrund von Kohlekraftwerken – derzeit mehr CO2-Emissionen als jeder andere Sektor. Ein Ausbau der Atomkraft – und damit einhergehende fallende CO2-Emissionen – sei daher begrüßenswert.

Optimismus für eine Atomkraftrenaissance halten viele Expertinnen und Experten angesichts der vielen Hürden dennoch für fehl am Platz. Wie sicher beispielsweise kleine modulare Reaktoren seien, müsse erst gezeigt werden. Was die Bauzeiten betrifft, sind erneuerbare Energien Atomkraftwerken jedenfalls in vielen Fällen um einiges voraus: Ein Windpark mit einer Leistung von 50 Megawatt kann laut dem Verein Wind Europe in rund sechs Monaten errichtet werden. An Atomkraftwerken – die dann zwar wesentlich mehr Strom liefern – wird laut Studien im Schnitt circa acht Jahre lang gebaut.
(Jakob Pallinger, 27.1.2024)
Wachsender Strombedarf führt zu Comeback der Atomkraft
 
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