Der Marshallplan hat nach dem Zweiten Weltkrieg das wirtschaftliche Überleben Österreichs gesichert

josef

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Marshallplan und US-Besatzung: Dollars, Brot und Good Vibrations
Der Marshallplan hat nach dem Zweiten Weltkrieg das wirtschaftliche Überleben Österreichs gesichert. Nur die Entnazifizierung lief nicht nach Plan

"Friede, Freiheit, Wohlstand" verspricht die Aufschrift auf den Luftballons, die auf der Wiener Frühlingsmesse am 15. März 1951 verteilt wurden.
Foto: Picturedesk.com / Imagno / Votava

Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden angesichts der Corona-Krise vielfach Erinnerungen an die (Nach-) Kriegszeit wach. Um die wirtschaftlich katastrophalen Folgen einzudämmen, will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das nächste mehrjährige EU-Budget zu einem "Marshallplan" für Europa umbauen.

Sie erinnert damit an jenes amerikanische Hilfsprogramm, das nach dem Zweiten Weltkrieg den zerstörten und verelendeten europäischen Ländern wieder auf die Beine half und damit einen enormen Wirtschaftsaufschwung dies- und jenseits des Atlantiks ermöglichte.
Der ursprüngliche Marshallplan war ein Akt der Humanität und wirtschaftlichen Vernunft, mit dem ein völlig anderes Amerika als das heutige eines Donald Trump den Grundstein für das spätere europäische Wirtschaftswunder legte.

Mittel zur Selbsthilfe
Das European Recovery Program war ein US-Hilfsprogramm für 16 westeuropäische Staaten, in denen es nach dem Krieg an praktisch allem fehlte und Hungerkatastrophen drohten. "Die Idee dahinter war, den Menschen die Mittel zur Selbsthilfe zur Verfügung zu stellen", sagt Günter Bischof vom Austrian Marshall Plan Center for European Studies an der Universität New Orleans.

Am 5. Juni 1947 hielt der damalige US-Außenminister George C. Marshall seine berühmte Rede zu diesem Hilfsprogramm, das sich schließlich als "Marshallplan" ins kollektive Gedächtnis einprägte. "Ursprünglich wollten die Europäer 28 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau", so Bischof, der Anfang März an der Universität Graz zu Gast war. "Im Endeffekt haben die Amerikaner von 1948 bis 1952 rund 13 Milliarden zur Verfügung gestellt."

Natürlich war der Marshallplan als damals größtes Auslandshilfsprogramm, in das mehr als ein Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts floss, kein reines altruistisches Projekt. "Auch die Amerikaner haben davon profitiert", sagt Bischof. "Sie konnten sich neue Absatzmärkte und günstige Rohstoffe sichern."

Außerdem wollten sie das Vordringen des Kommunismus nach Westeuropa verhindern. Dass Österreich eine gewisse Sonderstellung unter den 16 unterstützten Staaten eingenommen hat, war seiner geopolitischen Lage unmittelbar am Eisernen Vorhang geschuldet.

Sonderbehandlung
"Um mehr Hilfsgelder zu bekommen, haben die Österreicher auch immer wieder auf diesen Umstand hingewiesen", so der Historiker. "Ins Treffen führten sie auch die vielen russischen Besatzungssoldaten im Land." Tatsächlich waren 1946 an die 150.000 Russen in Österreich stationiert – mehr als amerikanische, britische und französische Soldaten zusammen.

Die Kosten dafür musste das ausgeblutete Österreich tragen. Zudem haben die Sowjets in ihrer Besatzungszone im Osten des Landes die vorhandenen Industrieanlagen systematisch demontiert, weil sie diese als "deutsches Eigentum" zum Ausgleich für entstandene Kriegsschäden für sich beanspruchten.

All diese Argumente für eine Sonderbehandlung Österreichs in Sachen Wiederaufbaufinanzierung haben die amerikanischen Geber offenbar überzeugt, denn mit rund einer Milliarde US-Dollar bekam Österreich mehr Hilfsmittel aus dem Marshall-Topf als etwa Frankreich oder Großbritannien.

Alle Hilfsprogramme zusammengerechnet, hat das bei vielen als "nicht lebensfähig" geltende Österreich nach Kriegsende amerikanische Wirtschaftshilfe im Wert von insgesamt rund 1,7 Milliarden US-Dollar erhalten.

Lebensmittel und Maschinen
Diese Hilfe kam vor allem in Form von Waren, die zu Inlandspreisen an heimische Unternehmen weiterverkauft wurden. Am Anfang waren das Lebensmittel, später auch Maschinen, Werkzeug, Bauteile etc. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Hilfsgüter wurden auf gesperrten Sonderkonten veranlagt, von denen man wiederum Kredite an österreichische Unternehmen vergeben konnte.

Das Programm war ein voller Erfolg – 1962 übergaben die Amerikaner den im sogenannten ERP-Fonds angesammelten Betrag an die Republik Österreich. Seit 2002 wird dieser Fonds, der heute über rund drei Milliarden Euro verfügt, vom Austria Wirtschaftsservice (AWS) verwaltet. Mit dem Geld werden billige, langfristige Kredite für österreichische Unternehmen und Start-ups finanziert. "So lebt der Marshallplan bis heute in diesem Fonds weiter", sagt Bischof.

Erfolglose Entnazifizierung
Weniger erfolgreich waren die amerikanischen Besatzer bei der Entnazifizierung der österreichischen Bevölkerung. "Ursprünglich wollten die Amerikaner in dieser Sache sehr scharf vorgehen", berichtet Bischof. "Aber in Österreich gab es 550.000 ehemalige NSDAP-Mitglieder! Es war einfach zu kompliziert, so viele Menschen zu entnazifizieren."

In der Folge teilte man die Parteimitglieder in "Belastete" und "Minderbelastete" ein. "Schwere Fälle wie SS- und SA-Leute, Nazi-Bürgermeister oder an Endphaseverbrechen Beteiligte wurden in spezielle, von der US-Army eingerichtete Internierungslager gebracht, etwa nach Glasenbach in Salzburg oder Wolfsberg in Kärnten."


Amerikanische Militärpolizisten posieren 1946 vor dem Wiener Parlament.
Foto: AdBIK/Zajcev

Gleichzeitig nahmen auch die zur Verfolgung von NS-Verbrechen eingerichteten Volksgerichte ihre Arbeit auf. Es kam mit nicht ganz 14.000 zu erstaunlich wenigen Schuldsprüchen. 43 Angeklagte wurden zum Tod verurteilt, vollstreckt wurden letztlich 30 Hinrichtungen. "Eigentlich ist die Entnazifizierung in Österreich bereits 1948 zusammengebrochen", so Bischof. "Große Prozesse wie in Frankfurt hat es in Österreich nie gegeben, viele NS-Verbrecher wurden freigesprochen."

Bereits 1946 haben die Amerikaner das Entnazifizierungsproblem an die Regierung Leopold Figl übergeben. "Diese war sehr daran interessiert, für die vielen ‚kleinen‘ Parteimitglieder und Mitläufer Persilscheine auszustellen." Als man nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 die Volksgerichte abschaffte und die Alliierten keinen Einfluss mehr hatten, wurden viele bereits verurteilte Nazis amnestiert.

Besatzer und Befreier
Da sich die amerikanischen Besatzungssoldaten als Befreier eines von Nazi-Deutschland okkupierten Landes sahen, erodierten ihre anfänglichen Vorbehalte gegen die österreichische Bevölkerung bald. Einen Beitrag dazu leistete etwa auch der Essay "A Soldier’s Guide" für Österreich, mit dem die GIs auf ihren Einsatz in Europa vorbereitet wurden. In dem Leitfaden wurde erklärt, dass sich unter den Österreichern zwar viele Täter befunden hätten, der Löwenanteil an Verbrechen jedoch den Deutschen anzulasten sei. Das war zwar ein Irrtum, aber die Bevölkerung profitierte davon.

Auch die vielen Frauen und Mädchen, die Beziehungen zu amerikanischen Soldaten eingegangen waren, haben am Abbau der Vorbehalte maßgeblich mitgeholfen, wie Bischof überzeugt ist. Dass diese von den eigenen Landsleuten als "Ami-Huren" beschimpft und die Kinder aus diesen Beziehungen brutal diskriminiert wurden, ist eine andere Geschichte.
(Doris Griesser, 13.4.2020)
Marshallplan und US-Besatzung: Dollars, Brot und Good Vibrations - derStandard.at
 
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