Die 1861 eingerichteten Bundesländer als Verwaltungseinheiten spielten auch in den Geburtsstunden der Ersten und Zweiten Republik eine große Rolle

josef

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AM BEISPIEL VON SALZBURG & OBERÖSTERREICH
Die Neuerfindung der Bundesländer

Dass in der heimischen Politik mit den Landeshauptleuten im Boot vieles geht, ohne sie nichts, hat gewachsene Gründe. In den Geburtsstunden der Ersten und Zweiten Republik spielten starke Landeshauptleute eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Politlandschaft. Doch die Wurzeln für die Rolle der Landeshauptleute reichen tiefer, wie der Blick auf den ersten Salzburger Landeshauptmann zeigt. Mit dem „Februarpatent“ 1861 wurden die Landesverwaltung neu aufgestellt, Bundesländer wie Salzburg und auch Oberösterreich als Verwaltungseinheiten neu eingerichtet; ab 1867 kamen die Bezirke dazu. Obwohl ursprünglich anders gedacht, wurden die Länder gerade in den November-Tagen 1918 die entscheidenden Träger der Realpolitik.
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In der Ahnengalerie der Landeshauptleute, die im Salzburger Chiemseehof ausgestellt sind, fällt der erste unter ihnen besonders auf – und man könnte sagen, auch irgendwie aus der Reihe. Es ist Joseph Freiherr von Weiß, jener Adelige, der unter Kaiser Franz Joseph I. im Gefolge des „Februarpatents“ von 1861, das ja den gesamten Umbau des Reiches regeln wollte, zum Landeshauptmann bestimmt wurde.

Ein Landeshauptmann hatte neben dem Landespräsidenten, einem Beamten der Wiener Zentralstellen, damals nicht annähernd die Befugnisse, die einem Landeshauptmann heute zukommen. Mit den Umgestaltungen der Verfassung und im Zuges des Ausgleichs von 1867 wurden Landesführung und -verwaltung in der Monarchie getrennt – und immer noch wurde der Zugriff des Zentralstaates, der dem Kaiser am Herzen lag, gesichert. Dennoch begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine gerade auch politische Länderidentität zu wachsen.

Blickt man auf den Zusammenbruch der Monarchie, dann waren es in den Umbruchswochen im Herbst/Winter 1918 die Länder, die die Staatsgewalt ausübten. „Das war insoweit erstaunlich“, wie der Leiter des Instituts für Förderalismus an der Universität Innsbruck, Peter Bußjäger, jüngst in der „Wiener Zeitung“ schrieb, „als die so bezeichnete ‚autonome Landesverwaltung‘ noch im Ausklang der Monarchie rechtlich schwach war“.


Salzburger Landesarchiv / Land Salzburg
Joseph Freiherr von Weiß: der erste Salzburger Landeshauptmann war Oberösterreicher. Und half entscheidend mit, ein starkes Salzburg zu formen

Die Übernahme föderaler Strukturen als Revolution 1918
Die Übernahme insbesondere der vormals „staatlichen“ Bezirkshauptmannschaften und der Statthaltereien durch die Länder sei aus föderalistischer Perspektive der eigentlich revolutionäre Akt in den November-Tagen 1918 gewesen. Das „Gesetz vom 14. November 1918 über die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern“, sollte ja nach dem Willen des Verfassungsjuristen Hans Kelsen die Landesverwaltungen unter die Anordnungsbefugnis des Zentralstaates nehmen.

Allerdings, so musste Kelsen rasch einsehen, hatte diese Anordnung genau den gegenteiligen Effekt und brachte den Ländern in den folgenden Verhandlungen mit der Staatsregierung eine zunächst günstige Ausgangsposition. Die Parlamentarier, so auch Hellwig Valentin im Band „Die umkämpfte Republik“ (Stefan Karner, Hg.), hätten einfach nicht festgesetzt, welche Verantwortung den neuen Landeshauptleuten gegenüber der Republik zukam – „so wurden die Länder die ‚eigentlichen Republiken‘“.
Wie entscheidend historisch gewachsene Strukturen gerade im Herbst 2018 waren, ist für den Historiker Dieter A. Binder evident: „Die normative Kraft des Faktischen bestimmte den Handlungsspielraum der Länder und Landstriche. Grenzziehungs- und/oder Versorgungsfragen bestimmten wesentlich nachhaltiger den regionalen Diskurs der Staatswerdung als sublime Diskussionen des Föderalismus, der in feierlichen Beitrittserklärungen der meisten Länder zum neuen Staat unterstrichen wurde.“

Sammlung Rauch / Interfoto / picturedesk.com
Das österreichische Kaiserreich im Jahr 1838

Neue Rolle der Landeshauptleute
Der österreichische Bundesstaatenkompromiss war letztlich Ausdruck der Realpolitik, wie sie Österreich auch in der ganzen Geschichte der Ersten und Zweiten Republik prägen sollte. Es brachte einen Bundesrat, der freilich nicht die Gesetzgebung des Nationalrates auf den Kopf stellen sollte. Und er brachte als Kompromiss zwischen Christsozialen und Sozialdemokraten das eigene Bundesland Wien.

Der Begriff Landeshauptmann bzw. mittlerweile auch Landeshauptfrau verdankt sich in seinem heutigen Bedeutungsumfang dem 10. November 1920, also dem Tag des Inkrafttretens der österreichischen Bundesverfassung. Den Landeshauptleuten wird in ihrem jeweiligen Bundesland eine besondere Stellung eingeräumt: als Vorsitzender der vom Landtag gewählten Landesregierung und formales Oberhaupt des Landes – und gleichzeitig als Bundesorgan in der mittelbaren Bundesverwaltung dem jeweiligen Bundesminister gegenüber verantwortlich und daher vom Bundespräsidenten angelobt. Somit kann man heute sagen, dass der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau der oder die wichtigste Vertreter bzw. Vertreterin der Staatsgewalt auf Landesebene ist.

Der Weg zur neuen Landesverwaltung
1861 wurde von Kaiser Franz Joseph eine neue Verfassung erlassen, das „Februarpatent“. Sie sollte auch die Verwaltung der Kronländer neu regeln. Dort führte nun jeweils ein Landeshauptmann den Vorsitz in Landtag und Regierung („Landesausschuss“). Erster Landeshauptmann in „Österreich ob der Enns“ wurde der langjährige Abt des Stifts Schlägl, Dominik Lebschy. Erster Landeshauptmann im „Kronland Salzburg“ wurde der gebürtige Zeller Joseph Weiß.

Weichenstellungen unter Franz Joseph
Das war im Neoabsolutismus eines Franz Joseph I. freilich anders – doch die Saat für die spätere Verbindung von Landeshauptmann und Landesinteressen war gesät. Die Bestellung von Weiß 1861 war jedenfalls mehr als ein symbolischer Akt. Salzburg, das Erzbistum, das 1804 säkularisiert zum Kaiserreich kam, kurz französisch war und dann an Bayern fiel, war ja mit dem Wiener Kongress in einer Kompaktform endgültig Österreich zugeschlagen worden (ohne Rupertiwinkel und Flachgau links der Salzach). Verwaltet wurde Salzburg zunächst aber von Österreich ob der Enns aus.

1861 durfte in Salzburg jedenfalls erstmals ein eigener Landtag gewählt werden. Freilich fand das unter anderen Vorzeichen statt als ein Landtagswahlkampf, wie man ihn heute kennt: Bürgerkomitees auf Gemeindeebene organisierten zunächst Wahlbesprechungen, dann Vorwahlen und schließlich die Wahl von Abgeordneten.

Der Eifer der Märkte und Gemeinden
Während Landgemeinden und Märkte ihren jeweiligen Vertreter für den Landtag mit Eifer ermittelten, sei das Interesse in der Landeshauptstadt gering gewesen, wie die „Salzburger Zeitung“ vom 16. März 1861 berichtet. Politische Parteien gab es noch keine. „Man manifestierte nur einzig und allein das aufrechte Streben, für die Wohlfahrt des Landes wirken und tätig sein zu wollen.“

Weiß, weder Salzburger Hocharistokrat noch kirchlicher Würdenträger, war als Präsident des Salzburger Landesgerichts der ranghöchste Beamte im frisch gewählten Landtag. Gerade seine Herkunft aus dem niederen Adel und aus dem Mühlviertler Ort Bad Zell waren von Vorteil, soll doch der Kaiser Vorbehalte gegen einen Vertreter der Salzburger Hocharistokratie gehabt haben.

Salzburger Landesarchiv / Land Salzburg
Bild vom ersten Salzburger Landtag aus dem Jahr 1864

Politische Erfahrung brachte Weiß mit sich, war er doch von Mai 1848 bis zum 17. April 1849 für seinen Heimatwahlkreis Grein an der Donau als fraktionsloser Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung gewesen. In seiner neuen Funktion als Landeshauptmann hatte er den Auftrag, eine eigene Landesverwaltung aufzubauen – und glaubt man den Quellen, dann gelang ihm das in seiner Amtszeit von 1861 bis 1872 auf der Grundlage einstimmiger Beschlüsse in dem 26 Köpfe umfassenden Landtag.

In seiner Amtszeit wurden 1867 auch die Bezirkshauptmannschaften Lungau, Pinzgau, Pongau und Flachgau eingerichtet (Hallein, also der Bezirk Tennengau, wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts eingerichtet). Die „cisleithanische Verfassung Altösterreichs von 1867“ verlangte, dass jedes Land in politische Bezirke eingeteilt werden sollte. Die Hauptmänner des Bezirks wurden freilich vom Innenminister, also von Wien aus, bestellt.

Salzburg verändert die Wirtschaft in Oberösterreich
Die Hereinnahme Salzburgs in das Österreichische Kaiserreich hatte freilich weitreichende Folgen für ein Bundesland, mit dem Salzburg in der ersten Hälfte eng verbunden war: Oberösterreich bzw. Österreich ob der Enns, wie es damals genannt wurde, stand gerade in der Zeit nach dem Wiener Kongress vor riesigen Umbrüchen.
Die traditionelle Salzindustrie zwischen Hallstatt und Ebensee stand durch Hungersnöte im Schatten der Napoleonischen Kriege vor großen Umbrüchen. Mit dem Hinzukommen Salzburgs änderte sich die gesamte Preisstruktur für Salz durch die Ausweitung des Angebots. Da man damals die Sudpfannen noch nicht mit Kohle, sondern mit Salz befeuerte (Kohle kam erst über die Bahnverbindung 1877 ins Kammergut), stand man auch vor dem Problem eines übergroßen Holzverbrauches.


Burger, Wilhelm / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Wie Instagram um 1870: Bad Ischl und das ganze Kammergut änderten ihre Wirtschaftsstruktur im 19. Jahrhundert. Salzburg als neuer Teil Österreichs beschleunigte diesen Prozess

Die Abhängigkeit der Region von einer ressourcenintensiven Industrie und fallenden Preisen begann erst, sich zu ändern, als man ab dem Jahr 1820 in Bad Ischl nach Ideen des Salinenphysikers Josef Götz Salzbäder anbot. Diese Bäder und die zunehmende auch internationale Bekanntheit der Gegend im Herzen Österreichs (durch die Napoleonischen Kriege und den Wiener Kongress) brachten die Entwicklung des Tourismus, von dem letztlich die zwei Bundesländer Oberösterreich und Salzburg heute noch profitieren – und die auch eine starke gemeinsame Zusammenarbeit, etwa über die Plattform des heutigen Salzkammergut-Tourismus, pflegen.

Franz Neumayr / picturedesk.com
Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer bei ihrem ersten offiziellen Zusammentreffen als Landeshauptleute ihres Bundeslandes im Salzburger Chiemseehof 2017. Einst waren ihre Bundesländer eins. Ein Oberösterreicher legte dann den Grundstein für die Verwaltung Salzburgs.

Gifpeltreffen in Bad Zell
Wenn nun der erste Salzburger Landeshauptmann am Sonntag in seiner Heimatgemeinde Bad Zell im östlichen Mühlviertel mit einer Gedenktafelenthüllung gefeiert wird, stellen sich die Spitzen beider Länder, Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer und Oberösterreichs Thomas Stelzer zu einem kleinen Regionalgipfeltreffen ein. Die Pandemie hat beiden Ländern ohnedies gezeigt, wie viel überregionale Kooperation zur Erhaltung der Tourismuslandschaft vonnöten ist. Eine Pandemie kennt keine Landes- und Seengrenze, wie man 2020 schon am Fall von St. Wolfgang gesehen hat.

Dass jetzt Salzburg einen Oberösterreicher im Mühlviertel feiert, ist nicht zuletzt auf den umtriebigen Chef des Salzburger Landtourismus, Leo Bauernberger, zurückzuführen, der im Chiemseehof beim Anblick des Bildes von Joseph von Weiß an seine eigene Herkunft aus Bad Zell stieß. „Der Brückenschlag zwischen Oberösterreich und dem Salzburger Land ist mir eine Herzensangelegenheit – nicht nur weil ich selbst meine Wurzeln im Mühlviertel habe“, sagt Bauernberger im Vorfeld gegenüber ORF.at. Die Zusammenarbeit der Länder funktioniere auf allen Ebenen hervorragend – „auch im Tourismus, wo wir gemeinsam viele grenzüberschreitende Projekte voranbringen“.

Die Geschichte von Joseph Freiherr von Weiß stehe für ihn, so Bauernberger, somit auch sinnbildlich für die eng verflochtenen Beziehungen und die gemeinsame Strahlkraft zweier Bundesländer – in der Vergangenheit ebenso wie in der Zukunft: „Deshalb freut es mich besonders, dass mit ihm nun ein ganz großer Sohn beider Regionen und ein historischer Brückenbauer zwischen Oberösterreich und dem Salzburger Land seine verdiente Ehrung erfährt.“
19.09.2021, Gerald Heidegger, ORF.at

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Beispiel Salzburg & Oberösterreich: Die Neuerfindung der Bundesländer
 

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