Die "Schnellschreiber" im Parlament

josef

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Unautorisierte Protokolle veröffentlicht
Das Parlament wird abgehört - gemeint sind allerdings nicht Wanzen aus Agentenfilmen. Insgesamt 17 Stenografinnen und Stenografen verfolgen jede Debatte ganz genau und schreiben mit, was sie hören: Redebeiträge, Beifall und Zwischenrufe. Bisher konnte die Öffentlichkeit das Protokoll der Schnellschreiber erst Wochen nach einer Parlamentssitzung einsehen. Das wird sich allerdings ändern. Künftig sollen die Texte bereits einen Tag nach den Debatten veröffentlicht werden - unautorisiert.

Ein plastisches Bild der Debatte
Während es im Parlament mitunter hitzig zugeht, bleiben sie ruhig und kritzeln das Gesprochene mit: Stenografen und Stenografinnen. 14 Frauen und drei Männer beschäftigt das Hohe Haus, das der Öffentlichkeit alle Reden in schriftlicher Form zugänglich macht. In der Regel dauert das Wochen, künftig soll es aber rascher gehen. Denn das Protokoll soll schon am Tag nach der Debatte veröffentlicht werden - unautorisiert.


Ab der am Mittwoch stattfindenden Nationalratssitzung wird der Stenographische Dienst der Parlamentsdirektion eine vorläufige Niederschrift der Debatte im Internet veröffentlichen. Damit können Interessierte auch die unkorrigierten Reden der Abgeordneten studieren. Das ist neu, bisher war es üblich, zuerst alle Korrekturen sowie Anmerkungen der Politikerinnen und Politiker einzuarbeiten. Erst dann, nach einigen Wochen, wurde das Konvolut aus Reden, Debatten und Anträgen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.


ORF.at/Roland Winkler


Alles, was im Parlament geschieht, wird von Stenografen und Stenografinnen penibel notiert„Freilich bedeutet das nicht, dass Abgeordnete nicht doch noch Änderungen anmerken dürfen“, sagt die Leiterin der Abteilung Stenographische Protokolle im Parlament, Bettina Brixa. Allerdings wird in Zukunft zuerst das vorläufige Protokoll auf der Website des Parlaments publiziert, erst dann folgt die Autorisierung durch die Rednerinnen und Redner. „In vielen Parlamenten in Europa wird es bereits so gehandhabt. Unserer Geschäftsordnung widerspricht diesem Verfahren nicht“, erklärt Brixa im ORF.at-Gespräch.

Stilistische Änderungen nach wie vor erlaubt
Laut Geschäftsordnung des Nationalrats (§ 52) und Bundesrats (§ 65) erhält jede Rednerin bzw. jeder Redner „eine Niederschrift der stenografischen Aufzeichnungen zwecks Vornahme stilistischer Korrekturen“. Im Nachhinein können also holprige Wortmeldungen korrigiert oder konkretisiert werden. „Bei rund zehn Prozent der Reden gibt es Änderungswünsche. Manche wollen statt einem ‚und‘ ein ‚sowie‘, andere lassen eine Relativierung wie ‚glaube ich‘ streichen“, sagt Brixa, die seit 2000 als Stenografin tätig ist.
Die Stenografie ist eine aus einfachen Zeichen gebildete Schrift, um Gesprochenes oder Gedanken in kürzester Zeit und mit möglichst großer Raumersparnis zu Papier zu bringen.
Inhaltlich darf sich an der Rede freilich nichts ändern. Theoretisch wäre es zwar möglich, dass Abgeordnete inhaltliche Änderungen urgieren, wenn ein Stenograf eine Aussage missverstanden und falsch notiert hat, so Brixa. Aber in der Praxis komme es sehr selten vor. „Es sind meistens kleine, stilistische Änderungen, also eher geringfügige Adaptionen“, sagt sie. Bei strittigen Änderungen hat der Parlamentspräsident das letzte Wort. Er entscheidet, ob eine Korrektur zulässig ist oder nicht.

Aufregung über Zusatz und StenogrammDass es mitunter Diskussionsbedarf gibt, zeigt die Vergangenheit. Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider bezeichnete im Jahr 1995 NS-Konzentrationslager in seiner Rede als „Straflager“, die Aufregung war groß. Wenige Stunden später sprach auch die Grüne Gabriela Moser von „sogenannten Straflagern“. Im Protokoll war allerdings noch der Zusatz „gemeint sind KZs“ zu lesen. Die Änderung erfolgte laut „Presse“ nachträglich, die Freiheitlichen drohten mit Klage wegen Urkundenfälschung. Laut Parlamentsdirektion war der Zusatz eine nicht erlaubte Korrektur, die aber durchgerutscht sei.

APA/Kelly Schoebitz


Nach einer Rede des damaligen FPÖ-Chefs Haider benutzte auch die Grün-Mandatarin Moser das Wort „Straflager“
Sieben Jahre später, gleiches Haus, anderer Vorfall: Während einer Rede der FPÖ-Sicherheitssprecherin Helene Partik-Pable rief der Parlamentarier Rudolf Edlinger (SPÖ) „Sieg Heil“ durch den Plenarsaal. Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen. Der Zweite Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn (FPÖ) hatte die Äußerung nicht gehört, aber die Stenografin gefragt, ob dieser Zwischenruf so gefallen sei. Sie nickte zustimmend, Edlinger entschuldigte sich mit dem Hinweis, er sagte: „Jetzt fehlt nur noch ein Sieg Heil.“

Das seien aber schon die größten Aufreger gewesen, sagt Brixa. „Diskussionen sind immer möglich. Aber unsere Korrektur ist sehr gut und das Protokoll, das vorläufig veröffentlicht wird, in einem guten Zustand.“ Damit die Reden am Ende auch lesbar sind, muss die Rhetorik im Parlament kosmetisch korrigiert werden. „Unsere Aufgabe ist es, die gesprochen Sprache in eine schriftliche Form zu übersetzen“, so die Stenografin. Da die Augen aber viel weniger tolerant seien als die Ohren, sei es notwendig, Dialekte und grammatikalische Fehler auszubügeln sowie die Sprache zu glätten.

War es Steirisch oder Kärntnerisch?
Die Stenografinnen und Stenografen müssen also die Dialekte und Akzente der 183 Nationalratsabgeordneten und 61 Bundesräte sowie der Regierungsmitglieder kennen und verstehen. „Es kommt vor, dass man sich fragt, ob das nun Steirisch oder Kärntnerisch war“, sagt Brixa. Besonders bei Zwischenrufen gestaltet sich das oft als schwierig. Die Rufe aus den Rängen müssten nämlich auch der richtigen Person zugeordnet werden. Deshalb lernt man vor jeder Legislaturperiode die Abgeordneten samt Sprachmuster.


Aber auch nonverbale Gesten und Aktionismus, wie das Hochhalten von Schildern, müssen notiert werden. Zwischentöne, so Brixa, seien unumgänglich, um ein plastisches Bild der Parlamentsdebatte zu zeichnen. So werden etwa Gebärden wie „den Kopf wiegend“ oder „auf den Redner deutend“ schriftlich erfasst, aber auch der Applaus einer Fraktion, das Auflachen eines Parlamentariers oder Ordnungsrufe des Nationalratspräsidenten - wie bei einer Fragestunde mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Anfang März.


picturedesk.com/EXPA/Michael Gruber
Sitzungsunterbrechungen werden im Protokoll notiert - auch die Gründe dafür


Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) erteilte gegen SPÖ-Mandatare zwei Ordnungsrufe in nur wenigen Sekunden. In einer kurzen Phase der Debatte hatten sie mehrmals den Bundeskanzler lautstark kritisiert. „Die Sitzung wird um 9.30 Uhr unterbrochen und um 9.36 Uhr wieder aufgenommen“, heißt es in der Niederschrift. Während der Stenograf die Situation im Parlament samt Reden 20 Minuten lang protokolliert hatte - danach wird gewechselt -, wurde eine Audioaufnahme von einer Kollegin in einem Büro transkribiert. Zusammen ergeben sie das Protokoll.

Parlament als Bastion der Schnellschrift
Aus den Lehrplänen ist diese Kunst, mit verkürzten Schriftzeichen ebenso schnell zu schreiben wie zu sprechen, in der Zwischenzeit verschwunden. Computer, Diktiergeräte und Spracherkennung haben den Stenoblock schon abgelöst. Nur das Parlament gilt als Bastion der Schnellschrift - die Parlamentsstenografie gab es in Österreich erstmals 1848. Mit der Einrichtung des Reichsrats wurde die Stenografie ab 1861 fester Bestandteil des Parlamentarismus.


Auch heute sei die Stenografie für das Hohe Haus noch die effizienteste Methode, sagt Brixa. „Wir schauen uns am Markt um, aber schneller als Stenografie geht es noch nicht.“ Selbst Spracherkennungsprogramme hätten noch ihre Mängel, etwa bei Dialekten, die sie noch nicht erkennen. Nur die Kompetenzen eines Stenografen bzw. einer Stenografin im Parlament haben sich gewandelt. „Früher war die Kurzschrift wichtig, heute müssen Stenografen einen schnelle Auffassungsgabe besitzen.“

Um rasch auf Situationen reagieren zu können, benötige man eine gute politische Allgemeinbildung. Komplizierte Sachverhalte bei Untersuchungsausschüssen oder technische Begriffe bei der Gesetzgebung, all das „gehöre zum Job“, so Brixa. „Wenn Abgeordnete während ihrer Rede Wörter verschlucken, mag es in der gesprochenen Sprache nicht auffallen. Aber unvollständige Sätze im Protokoll will niemand lesen.“

Links:
Jürgen Klatzer, ORF.at
Publiziert am11.06.2018
Die Schnellschreiber im Parlament
 
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