Die "Spanische Grippe" die von 1918 bis 1920 wütete forderte weltweit mehr Tote als der Erste Weltkrieg

josef

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SEUCHEN IM VERGLEICH
Die schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts
Die Spanische Grippe , die von 1918 bis 1920 wütete, forderte weltweit mehr Tote als der Erste Weltkrieg – und hält einige Lektionen für den Umgang mit Covid-19 bereit
Auch wenn wir erst am Anfang der schwersten Pandemie des bisherigen 21 Jahrhunderts stehen, so darf man getrost annehmen, dass die Spanische Grippe vor mehr als hundert Jahren mehr Opfer forderte als Covid-19 etwas mehr als hundert Jahre später. Nach heutigen Schätzungen infizierte sich damals ein Drittel der Menschheit – rund 500 Millionen von 1,5 Milliarden – mit dem Influenzavirus, das von 1918 bis 1920 in mehreren Wellen um die Welt ging. Nach heutigen Schätzungen forderte die Seuche rund 50 Millionen Tote, also deutlich mehr als der Erste Weltkrieg, der bis dahin blutigste Krieg der Menschheit.

Vieles an der aktuellen Pandemie ist anders als vor gut einem Jahrhundert: Medizinisch betrachtet handelt es sich um ein anderes Virus aus einer anderen Virenfamilie. Und während die Spanische Grippe damals auf eine von einem Weltkrieg gebeutelte Menschheit traf, ging es uns im Jahr 2020 vor Covid-19 in vielem – etwa der durchschnittlichen Lebenserwartung – besser als je zuvor. Dazu kommt als weiterer wichtiger Unterschied, dass die Medizin und die Wissenschaft in den vergangenen hundert Jahren enorme Fortschritte gemacht haben.
Etliche Ähnlichkeiten
Dennoch gibt es zwischen den beiden Seuchen einige Gemeinsamkeiten: Bereits 1918 gab es am Beginn der Pandemie Geheimhaltung und fatale Verzögerungen bei den Maßnahmen. Schon damals waren jede Menge Falschnachrichten im Umlauf, und auch Fußballspiele fanden 1918 bereits ohne Publikum statt. Doch auch aus anderen Gründen ließ und lässt sich aus der Geschichte der Spanischen Grippe einiges für unsere heutige Lage und für die Entwicklungen der nächsten Monate und womöglich Jahre lernen.

Wo und wann genau die Spanische Grippe ihren Ausgang nahm, ist etwas weniger klar als bei Covid-19. Vermutet wird, dass die Pandemie im US-Bundesstaat Kansas begann: Anfang1918 hatte ein Landarzt ungewöhnlich aggressive Krankheitsverläufe bei seinen Patienten diagnostiziert. Im März erkrankten in einem nahegelegenen Stützpunkt der US-Armee binnen kürzester Zeit mehr als 1.000 Männer schwer, und etliche von ihnen starben. Im Frühjahr 1918 hatte die Influenza die Vereinigten Staaten fest im Griff.


Das klassische Foto zur Spanischen Grippe: Ein Behelfsspital in Kansas, von wo aus sich die Pandemie global ausbreitete.
Foto: EPA

Das "Spanische" an der Grippe
Mit infizierten Soldaten der US-Armee gelangte das Virus an die Westküste Frankreichs. Und von dort eroberte die Seuche rasch die Frontabschnitte. Zur "Spanischen Grippe" wurde die Epidemie vor allem deshalb, weil im neutralen Spanien als einzigem Land ausführlich über die ungewöhnliche heftige Grippewelle berichtet wurde. Zudem steckte sich im Mai 1918 auch König Alfons XIII. wie tausende andere Spanier an. In den meisten anderen Ländern hingegen wurde die Krankheit kriegsbedingt totgeschwiegen.

Eine der besten Darstellungen der Soanischen Grippe und ihrer Folgen: Laura Spinneys Buch "1918 – Die Welt im Fieber". (Hanser, 2018)
Foto: Hanser

Andere Bezeichnungen der Krankheit waren nationalistisch geprägt, wie die britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney in ihrem exzellenten Buch "1918 – Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte" (Hanser 2018) berichtet: In Polen nannten man die Influenza die "bolschewistische Krankheit", für Brasilianer war es die "deutsche Grippe" und für die Bewohner des Senegals die "brasilianische Grippe". Heute erhalten neue Krankheiten dank der Weltgesundheitsorganisation WHO neutrale Bezeichnungen wie Covid-19, was freilich den US-Präsidenten Trump nicht hinderte, den Erreger als "chinesisches Virus" zu bezeichnen.

Im Sommer 1918 flaute die Pandemie für kurze Zeit ab, um ab Herbst in einer zweiten Welle umso heftiger zuzuschlagen. In den nächsten zwölf Monaten, die im Frühling 1919 noch eine dritte Welle brachten, forderte die Spanische Grippe in Wien offiziell zwar "nur" 4.500 Tote. Unter ihnen waren auch der 28-jährige Maler Egon Schiele und seine schwangere Frau Edith im Oktober 1918. Nimmt man den drastischen Anstieg der Todesfälle durch Sekundärinfektionen wie Lungenentzündungen hinzu, dürften es in Wien rund 9000 Grippeopfer gewesen sein. Österreichweit geht man von rund 21.000 Toten aus.

Sehr viele junge Opfer
Untypisch an der Spanischen Grippe war die Altersverteilung bei der Sterblichkeit. Fast die Hälfte der Pandemieopfer waren – sowie das Ehepaar Schiele – junge Erwachsene, die zwischen 20 und 40 Jahre alt waren. Der Grund dafür ist bis heute nicht ganz klar. Womöglich hatten ältere Personen von eine "Restimmunität" von länger zurückliegenden Grippeepidemien. Covid-19 hingegen stellt vor allem für ältere Menschen ab 70 Jahren eine echte Bedrohung dar, auch wenn die Mortalitätsrate deutliche niedriger sein dürfte als bei der Spanischen Grippe.


Zeitgenössische Grafik zu den Todesfällen in ausgewählten europäischen und US-amerikanischen Städten.
Grafik: PLoS One

In Sachen Sterblichkeit ließe sich aber auch etwas Wichtiges von der Grippepandemie vor gut 100 Jahren lernen: So zeigten epidemiologische Studien , dass sich die Zahl der Opfer – etwa im direkten Städtevergleich zwischen St . Louis und Philadelphia – massiv erhöhte, wenn Maßnahmen zur sozialen Distanzierung et was zu spät und zu inkonsequent ergriffen wurden. Und Massenveranstaltungen am Beginn der Epidemie erwiesen sich damals wie auch 2020 im Nachhinein als viraler Brandbeschleuniger.
(Noch) keine evidenzbasierte Therapie
Auch bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten zeigen sich erstaunliche Parallelen zwischen der Spanischen Grippe und Covid-19, auf die Laura Spinney kürzlich in einem Text für den "Guardian" hinwies: Damals wie heute hatte man es mit einer völlig neuen Krankheit zu tun, was die Mediziner schon 1918 bei den Behandlungsoptionen vor Dilemmata stellte: Damals verschrieb man den Patienten das Malariamittel Chinin, ohne wirklich zu wissen, ob es hilft, heute ist es unter anderem Hydroxychloroquin, ebenfalls ein Mittel unter anderem zur Malaria-Vorbeugung. Seit wenigen Tagen ist diese Medikament in der Schweiz zugelassen –richtige evidenzbasierten Studien, dass dieses Mittel tatsächlich wirkt, gab es bisher nur bedingt.


Noch eine Parallele zwischen der Spanischen Grippe und Covid-19: Mundnasenschutz und dessen Herstellung waren auch schon vor über 100 Jahren angesagt.
Foto: EPA

Was ebenfalls für Covid-19 zu befürchten ist: Die meisten Opfer forderte die Spanische Grippe unter den Ärmsten, sowohl lokal wie auch global. In unseren Breiten litten vor allem die Unterprivilegierten unter der Krankheit, deren Folgen durch die Notlage nach dem Krieg weiter verschlimmert wurden. Allein in Indien, wo zudem auch noch eine Hungersnot herrschte, dürften rund 18 Millionen Menschen an der Influenza-Pandemie gestorben sein, wie Laure Spinney in ihrem Buch schätzt. Besonders hohe Mortalitätsraten gab es bei entlegenen Ethnien wie den Inuit, deren Immunsystem überhaupt nicht auf den Erreger vorbereitet war.

Vergessen und dennoch folgenreich
Erstaunlich ist, wie sehr die Spanische Grippe, die bis 1920 Nachepidemien zeitigte, in den Jahren und Jahrzehnten danach in Vergessenheit geriet. Dazu trug wohl bei, dass sich die Weltwirtschaft für ein paar Jahre von Krieg und Pandemie erholte, ehe ab 1929 mit der Weltwirtschaftskrise die nächste Katastrophe folgte – und wieder zehn Jahre später der Zweite Weltkrieg.

Cambridge University

Erst einige Untersuchungen über die Spanische Grippe zu Beginn des 21. Jahrhunderts und das 100 Jahr-Jubiläum holten die für lange Zeit vergessene und verdrängte Pandemie wieder zurück in das kollektive Gedächtnis. So konnte man erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts das damalige Grippevirus aus Leichen isolieren, die im Permafrost Alaskas konserviert worden waren. Nachfolgende Analysen zeigten 2005, dass der damalige Erreger eine besonders bösartige Variante des Subtyps A / H1N1 darstellte und dem Vogelgrippevirus stark ähnelte.

Neue Studien zeigten auch, dass die lange unterschätzte Katastrophe auch erhebliche soziale und politische Nachwirkungen hatte, auch wenn diese noch immer nicht restlos erforscht sind. Fakt ist, dass in vielen Ländern als Folge die soziale Gesundheitsvorsorge verbessert wurde. Klar ist auch, dass es in den Jahren danach zu einer ersten Krise der Globalisierung kam und nationalistische Bewegungen weiteren Aufwind erhielten. Das ist wohl auch für die Zeit nach Covid-19 zu erwarten.

Es gab nach der Spanischen Grippe aber auch positive politische Auswirkungen: In Indien führten die dramatischen Opferzahlen dazu, dass sich die Unabhängigkeitsbewegung formierte und letztlich durchsetzte, wenn auch erst Jahre später.
(Klaus Taschwer, 7.4.2020)
Dieser Text erschien in CURE, dem Gesundheitsmagazin des STANDARD.

Nachlese
Die Spanische Grippe und die erste Krise der Globalisierung
Die schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts - derStandard.at
 

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#2
Wetteranomalie beeinflusste Verlauf des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe
Kaltes und feuchtes Klima in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 sorgte womöglich für Verschärfung der H1N1-Influenza-Pandemie

Zitat des deutschen General der Kavallerie Georg von der Marwitz: "Unsere Truppen haben's ganz schrecklich schwer. Der Lehmpansch nach dem fortgesetzten Regen ist unergründlich, Mann und Ross sind der Nässe ohne jeglichen Schutz preisgegeben. Dörfer oder irgendwelche Unterstände gibt's eben in breiten Strecken nicht." (1918)
Foto: Archiv

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges herrschte in Europa ungewöhnlich häufig schlechtes Wetter. Das Phänomen – Forscher sprechen von einer regelrechten Klimaanomalie, die so allenfalls einmal pro Jahrhundert auftritt – zeichnete sich vor allem durch heftige Niederschläge und tiefe Temperaturen aus. Während die Truppen in den Schützengräben der Westfront mit feuchtem Klima zurecht kommen mussten, das die Grabenanlagen in schlammige Gräber verwandelte, hatten die österreich-ungarischen Soldaten in den Karpaten mit extremen Minusgraden und einer dafür nicht ausgelegten Ausrüstung zu kämpfen.

Insgesamt beeinflussten gut dokumentierte Starkregen und tiefe Temperaturen in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 den Ausgang vieler wichtiger Gefechte an der Westfront. Vor allem in den Schlachten von Verdun und an der Somme, bei denen mehr als eine Million Soldaten getötet oder verwundet wurden, spielte das Wetter eine entscheidende Rolle. Die unangenehmen Witterungsbedingungen könnten laut einer neuen Studie sogar den Verlauf der Spanischen Grippe verschärft haben, der zwischen 1917 und 1919 bis zu bis 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Höhere Sterblichkeit bei Schlechtwetter
In der im Fachjournal "GeoHealth" veröffentlichten Arbeit analysierten Wissenschafter um Alexander More von der Harvard University einen Eiskern, der einem Gletscher in den europäischen Alpen entnommen wurde, um die Klimabedingungen während der Kriegsjahre zu rekonstruieren. Anschließend verglichen sie die gewonnenen Daten mit historischen Aufzeichnungen über Todesfälle während der Kriegsjahre. Dabei stellten fest, dass die Sterblichkeit in Europa während des Krieges drei Höhepunkt erreichte – und diese Spitzen traten während oder kurz nach Perioden mit kalten Temperaturen und starkem Regen auf.


Insgesamt könnten weltweit etwa 500 Millionen Menschen mit der Spanischen Grippe infiziert worden sein.
Foto: Reuters/LIBRARY OF CONGRESS

Als Ursache der Wetterunbillen identifizierten die Wissenschafter ungewöhnliche Zuströme von Meeresluft aus dem Nordatlantik in den Wintern der Jahre 1915, 1916 und 1918. "Die atmosphärische Zirkulation hat sich verändert und es gab mehrere Jahre lang deutlich mehr Regen und häufiger kaltes Wetter in ganz Europa", sagte More. "Dieser speziellen Fall stellt wohl für dieses Jahrhundert eine einmalige Anomalie dar."

Weiterverbreitung durch daheim gebliebene Ente
Der unaufhörliche Regen und die Kälte wirkten sich nicht nur auf das Kriegsgeschehen aus, auch das Migrationsverhalten der Stockenten, dem tierischen Hauptwirt für H1N1-Grippevirusstämme, wurde davon gelenkt – mit womöglich fatalen Folgen für den Verlauf der Spanischen Grippe. Normalerweise ziehen die Enten West- und Nordeuropas im Herbst nach Nordosten Richtung Russland, doch 1917 und 1918 verzichteten viele wegen des schlechten Wetters auf die Reise. Damit hielten sich die Vögel in ihren angestammten Heimategionen vermutlich mehr als üblich in der Nähe der Soldatenansammungen und Zivilbevölkerung auf. Das könnte es ihnen ermöglicht haben, den besonders virulenten Stamm der H1N1-Influenza auf Umwegen über Gewässer unter den Menschen weiter zu verbreiten.

Durchschnittstemperaturen, Niederschläge und Sterblichkeit zwischen 1914 und 1920.
Foto: GeoHealth/More et al.

Die erste Welle der H1N1-Influenza-Infektion in Europa trat im Frühjahr 1918 auf und stammte laut früheren Untersuchungen höchstwahrscheinlich von alliierten Truppen, die im Herbst und Winter 1917 nach Frankreich kamen. Die neue Studie ergab, dass die tödlichste Welle der Pandemie in Europa im Herbst 1918 begann, unmittelbar nach einer Zeit starker Niederschläge und tiefer Temperaturen. "Ich sage nicht, dass dies die Ursache der Influenza-Pandemie war, aber es trug sicherlich zu Verschärfung bei, ein zusätzlicher Faktor in einer ohnehin bereits explosive Situation", sagte Klimaforscher und Historiker More, der auch als außerordentlicher Professor für Umweltgesundheit an der Long Island University tätig ist.

Wettertheorie
"Es ist ein interessanter Gedanke, dass starke Regenfälle die Ausbreitung des Virus beschleunigt haben könnten", sagte Philip Landrigan vom Global Public Health Program am Boston College, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war. "Eines der Dinge, die wir bei der Covid-19-Pandemie mittlerweile gelernt haben, ist, dass einige Viren in feuchter Luft länger lebensfähig zu sein scheinen als in trockener Luft. Es klingt also durchaus plausibel, dass die Witterungsbedingungen in Europa in den Jahren des Ersten Weltkriegs die Übertragung des Virus beschleunigt haben könnten." (tberg, 26.9.2020)

Studie
Nachlese
Wetteranomalie beeinflusste Verlauf des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe - derStandard.at
 

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#3
Wie die Spanische Grippe "verschwand"
Der Auslöser der Spanischen Grippe, das H1N1-Virus, ist zwar nach wie vor vorhanden, aber es hat seinen Schrecken verloren
Die Historikerin Daniela Angetter-Pfeiffer blickt auf die letzte Pandemie in Europa zurück – und auf ihr Ende.
Rund drei Jahre lang tobte die Spanische Grippe. Zwischen 1918 und 1920 war nach heutiger Schätzung von Expertinnen und Experten rund ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert, jeder 25. Mensch weltweit verstarb daran. Erste umfassende Medienberichte über diese neue, "geheimnisvolle Epidemie", wie sie im "Neuen Wiener Tagblatt" im Mai 1918 bezeichnet wurde, stammten aus Spanien, wo sich König Alfons XIII. infiziert hatte. Damit hatte die Krankheit ihren Namen, wenngleich sie vermutlich ihren Anfang in einem Militärcamp im US-amerikanischen Bundesstaat Kansas genommen hatte.

Vor allem Kinder und jüngere Menschen betroffen
In Österreich trat sie in drei Wellen auf, zunächst im Frühjahr/Sommer 1918 in einer recht glimpflichen Form. Die zweite Welle erreichte Wien im September. Damals war das Virus in einer mutierten Variante weit aggressiver und forderte eine hohe Sterblichkeit. Voll erwischt wurde Österreich, als die Habsburgermonarchie kurz vor dem Zusammenbruch stand. Dazu kam, dass aufgrund der Kriegssituation viele Menschen unterernährt, erschöpft, deprimiert, traumatisiert und schon allein dadurch infektionsanfälliger waren. Ärzte fehlten, weil sie noch im Fronteinsatz standen, und Spitalskapazitäten waren rasch ausgelastet.

Betroffen von einer Ansteckung waren in Österreich vor allem jüngere Menschen im Alter zwischen 15 und 40 Jahren sowie Kinder. Dies erwies sich als äußerst fatal, da gerade ein Großteil dieser Altersgruppe für die Familienversorgung verantwortlich zeichnete. Mediziner vermuteten, dass ältere Personen bereits in früheren Jahren eine Influenza, wie etwa die ab 1889 grassierende Russische Grippe, durchgemacht hatten und somit gegen den Erreger der Spanischen Grippe besser geschützt waren.

1919 und 1920 waren besonders Gebiete rund um Österreich betroffen, in Südtirol wütete die Spanische Grippe genauso wie in Ungarn, wo aus Budapest beispielsweise am 31. Jänner 1920 756 Neuerkrankungen und 39 Todesfälle gemeldet wurden. Aber bereits im Februar schien sich die Lage etwas zu entspannen und man hoffte auf wärmeres Wetter, das die Weiterverbreitung der Epidemie verlangsamen sollte.

Kampf gegen Fake News und Arzneimittelfälscher
In behördlichen Kreisen erregte die Nachricht, dass gewisse Personen aus der Pandemie Kapital zu schlagen versuchten, größtes Missfallen. So wurden nämlich seit dem Wiederauftreten der Pandemie 1920 zum Beispiel in der Zeitung "Pester Lloyd" in hochtönenden Worten sicher wirkende Heilmittel gegen die Spanische Grippe angepriesen und Patientinnen und Patienten bezahlten horrende Summen für die Erfinder und ihre "unübertrefflichen" Mittel, die medizinisch völlig unerprobt waren.

Und auch Arzneimittelfälscher machten gute Geschäfte ebenso wie Aspirin-Händler. Für eine Tablette Aspirin zahlte man in Wien 1918 am Schwarzmarkt eine Krone, etwa so viel wie für eineinhalb Kilo Erdäpfel.


Rotkreuzstation während der Grippepandemie 1918.
Foto: Gemeinfrei

Herdenimmunität machte Spanische Grippe harmloser
Doch weder das wärmere Wetter noch irgendwelche selbst kreierten und gemixten Heilmittel sollten die Spanische Grippe bezwingen. Da es weder Impfungen noch wirksame Medikamente gab, war es letztlich die sich einstellende Herdenimmunität, die half. Die Menschen waren infolge der durchgemachten Erkrankung mit ausreichend Antikörpern geschützt, sodass sich die Viren nicht mehr so rasant weiterverbreiten konnten. Durch die breite Immunität mutierte das Virus zu einer harmloseren Form. Der Preis für die Herdenimmunität war aber hoch. Konservative Schätzungen der WHO gehen von bis zu 50 Millionen Toten aus, bei einer Weltbevölkerung von nur etwa 1,8 Milliarden Menschen.

Wie Untergruppen zeigten, die die Asiatische, die Hongkong- oder die Schweinegrippe im späteren 20. bzw. 21. Jahrhundert ausgelöst haben, ist das Virus nach wie vor vorhanden, aber längst nicht mehr so virulent und mit den heutigen pharmazeutischen Möglichkeiten in vielen Fällen gut therapierbar. Aber auch bei diesen Pandemien zeigte sich, dass so bald eine gewisse Herdenimmunität vorhanden war, die Fallzahlen zurückgingen. Insbesondere war der Verlauf der Hongkong-Grippe, die zwischen 1968 und 1970 ausgebrochen war, ein milderer, da viele Menschen infolge der Asiatischen Grippe, die 1957 grassierte, noch Antikörper hatten und dadurch weniger Infekt anfällig waren.

Außerdem gab es ab 1952 Impfstoffe gegen die Grippe. Insbesondere die Hongkong-Grippe wurde in Österreich zum Anlass genommen, Impfstoffe mit Antigenen von zwei Typ-A- und einem Typ-B-Virus zu entwickeln. Aber eines ist klar, Influenzaviren existieren nach wie vor weltweit, am gefährlichsten dabei ist das Influenza-A-Virus. Die Viren verändern sich ständig, was es schwierig macht, sie zu bekämpfen und jährlich die Produktion eines neuen angepassten Impfstoffs erfordert.
(Daniela Angetter-Pfeiffer, 22.2.2022)

Daniela Angetter-Pfeiffer ist Literaturwissenschafterin und Historikerin. Sie ist am Austrian Centre for Digital Humanism and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig.
Ihr jüngst erschienenes Buch "Pandemie sei Dank!" wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres 2021 in der Kategorie Biologie/Medizin gekürt. Mehr über Pandemien in Österreich und welche gesellschaftlichen Veränderungen sie bewirkt haben, gibt es im Podcast der ÖAW zu hören.

Wie die Spanische Grippe "verschwand"
 
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