ein Grazer Tabuthema - das Lager Liebenau

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#1
sowas darf nicht verschwiegen werden!

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Im ehemaligen NS-Lager im Grazer Bezirk Liebenau könnten wesentlich mehr ungarische Juden begraben liegen als bisher angenommen - unter anderem auch unter einem erst 1992 errichteten Kindergarten. Luftaufnahmen geben neue Hinweise
Graz - Es waren die seltsamen Geschichten seiner Patienten, die den praktischen Arzt Rainer Possert hellhörig gemacht hatten. Als Kinder im südlichen Grazer Bezirk Liebenau hätten sie nach dem Krieg oft mit Menschenknochen gespielt und seien in unterirdische Gänge gekrochen. Von NS-Massengräbern und Leichengeruch sei die Rede gewesen. Possert begann zu recherchieren und stieß auf Arbeiten der jungen Historikerin Barbara Stelzl-Marx, die 2013 erstmals das NS-Lager Liebenau dokumentiert hatte.

7000 bis 8000 ungarische Juden wurden 1945 durch die Steiermark nach Graz getrieben, wo sie kurzfristig in das Lager Liebenau gesperrt wurden, ehe sie ihren Marsch nach Auschwitz fortsetzen sollten. Vielen von ihnen starben an Erschöpfung, Unterernährung. Sie wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt.

Rund 60 Leichen wurden nach dem Krieg exhumiert, 1947 wurden zwei Lagerleiter zum Tode verurteilt. Seither verschwand das Liebenauer Lager aus dem kollektiven Bewusstsein. "Niemand hatte ein Interesse, dieses schwarze Grazer Kapitel aufzuarbeiten. Auch von der Stadtregierung wird bis heute eine Mauer des Schweigens errichtet", sagt Possert.

"Mit Leichen aufgefüllt"

Der Arzt recherchierte auf eigene Faust, holte sich junge Historiker zu Rate und organisierte in den vergangenen Monaten Luftaufnahmen. Aufgrund des neuen Datenmaterials sei nicht auszuschließen, sagt Possert, dass hier mitten im Grazer Wohngebiet, womöglich auch unter dem Kindergarten, weitere hunderte Leichen verscharrt lägen. Die Luftaufnahmen aus dem Jahr 1945 belegten, dass Bombentrichter, von denen bisher nichts bekannt war, binnen kürzester Zeit - zu einem Zeitpunkt, als die ungarischen Juden hier vor Ort inhaftiert waren - "mit Leichen aufgefüllt" worden seien.

"Es wäre ein Leichtes, das nachzuprüfen, aber niemand in der Stadt zeigt irgendein Interesse daran", sagt Possert. Vielmehr habe er den Eindruck dass aktiv "vertuscht" werde. Denn bei der Errichtung des Kindergartens seien während der Grabungsarbeiten zwei Leichen geborgen worden. Danach sei das Areal zubetoniert worden. Possert: "Es existieren im Stadtarchiv keinerlei Dokumente mehr darüber."

"Ort des Grauens"

In der Nähe des Kindergartens steht das letzte noch aus dieser Zeit stammende Haus, die mögliche NS-Kommandozentrale des Lagers. Es gibt auch hier keine historischen Dokumente, sagt Possert. Heute sind Sozialwohnungen und ein Jugendzentrum untergebracht, früher war ein "Konsum" eingerichtet und der Kindergarten. Der Keller blieb weitgehend unberührt und wurde historisch nie aufgearbeitet. Possert hat - nach langen Anfragen - von der zuständigen KP-Wohnungsstadträtin Elke Kahr die Erlaubnis erhalten, den Keller zu inspizieren.

Possert im STANDARD-Gespräch: "Ein Ort des Grauens, es existiert noch eine Art Verhörzelle, Verließtüren, irgendwann nach dem Krieg dürfte ein Teil als Selchkammer verwendet worden sein. Und ein paar Meter weiter oben gab es einen Kindergarten."

Warum das Lager Liebenau "nach wie vor ein Grazer Tabuthema" sei, liegt für Possert auf der Hand: Das Herzstück der damaligen Grazer Industrie, die Puchwerke, hatte von den hier inhaftierten Zwangsarbeitern - ein ebenfalls nicht aufgearbeitetes Thema - profitiert. Es habe zudem zahlreiche Mittäter gegeben, die viellicht heute noch lebten. Und schließlich: Ein verdrängtes NS-Lager mache sich für die "Stadt der Menschenrechte" nicht wirklich gut, meint Possert.

(Walter Müller, DER STANDARD, 30.4.2014)
 

josef

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#3
Ich hatte bisher immer geglaubt Auschwitz war zu diesem Zeitpunkt bereits befreit?
Anscheinend reiht sich "derStandard" nun auch in die Reihe der schlecht recherchierten Beiträge der "08/15 Printmedien" ein...:schlecht:
7000 bis 8000 ungarische Juden wurden 1945 durch die Steiermark nach Graz getrieben, wo sie kurzfristig in das Lager Liebenau gesperrt wurden, ehe sie ihren Marsch nach Auschwitz fortsetzen sollten. Vielen von ihnen starben an Erschöpfung, Unterernährung. Sie wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt.
Die Lager der unter unmenschlichen Bedingungen beim Bau der Reichsschutzstellung (Südostwall) eingesetzten ungarischen Juden wurden Mitte/Ende März 1945 (Anmerkung -> Befreiung von Ausschwitz am 27.01.1945) geräumt. Ein Teil der Häftlinge wurde in Graz gesammelt -> Lager Liebenau und Wetzelsdorf und sie mussten ab den 04.04.1945 nach Oberösterreich ins KZ Mauthausen und weiter ins Nebenlager Gunskirchen marschieren...

Neben den zahlreichen Toten beim Südostwallbau säumten weitere hunderte Opfer den Leidensweg des "Todesmarsches" von der Reichsgrenze zu Ungarn über Graz nach Oberösterreich!

Link zum Todesmarsch und zur Gedenkstätte des Massakers am Präbichl...

lg
josef
 
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siebzehn

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#4
Es gibt zum Thema "Lager Liebenau" seit Ende 2012 ein Buch:


Quelle: http://www.amazon.de/Lager-Graz-Liebenau-NS-Zeit-Zwangsarbeiter-Nachkriegsjustiz/dp/3701102546


Aber:
Dieses Buch ist eine Art Auftragsarbeit für die Energie Steiermark um Argumente gegen den Murkraftwerksbau zu entkräften. [1] Zusätzlich ist ein nicht geringer Teil des damaligen Lager-Areals heute von einem städtischen Kindergarten [2], einer öffentlichen Sportanlage[3] und der Freizeitanlage der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten[4] überbaut.

Es gibt hier leider zuviele, die Interessen daran hätten, dass auf dem Areal nichts mehr existiert und/oder gefunden wird.

Ich habe das Buch zuhause, aber noch nicht gelesen. Auf den ersten Blick wirkt es sehr gut auf mich. Es geht darin um den Lagerort, den Südostwall, Todesmarsch, Exhumierungen 1947 am Lagergelände und den Prozess gg Verantwortliche.

lg siebzehn
 
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#5
Danke für eure Antworten!

auch ich dachte das zumindest der Standard ned nur Blödsinn schreibt....


aber wenigstens hab ich jetzt wieder ein bisschen was um mich weiter zu informieren!
 

josef

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#6
Weitere Artikel im Standard

In 2 weiteren Artikeln im Standard wurde der Verbringungsort der Gefangenen nun richtiggestellt (-> Mauthausen statt Ausschwitz):
"Da wurde von der Stadt einiges verheimlicht"

Luftaufnahmen zeigen Bombentrichter, die 1945 aufgefüllt wurden
Graz - "Das muss aufgeklärt werden, ich will nicht, dass hier etwas vertuscht wird", sagt die Grazer Vizebürgermeisterin Martina Schröck (SP). Dass neuen Dokumenten zufolge mitten in Graz im Bereich des ehemaligen NS-Lagers im Bezirk Liebenau womöglich noch hunderte jüdische Opfer, darunter auch einige unter einem städtischen Kindergarten, verscharrt liegen, habe sie "in diesem Ausmaß nicht gewusst".

Der in Liebenau tätige Grazer Arzt Rainer Possert hatte, nachdem er von Patienten immer wieder Hinweise auf Knochenfunde und Details über das ehemalige NS-Lager erhalten hatte, seit Jahren eigene Recherchen angestellt - da vonseiten der Stadt, wie er im Standard-Gespräch kritisierte, "niemand ein Interesse hatte, dieses schwarze Kapitel der Stadt aufzuarbeiten".

Luftaufnahmen vorgelegt
Possert konnte jetzt Luftaufnahmen aus dem April 1945 vorlegen, als tausende ungarische Juden, die nach Mauthausen getrieben wurden, in dem Grazer Lager haltmachten. Die Aufnahmen zeigen zahlreiche Bombentrichter, die in dieser Zeit aufgefüllt wurden. Possert und die mit ihm arbeitenden Historiker gehen davon aus, dass auf dem Areal Hunderte Opfer verscharrt sein dürften. Zumal man aus den wenigen vorliegenden Dokumenten wisse, dass es auch in Graz zu Massakern gekommen sei.

"Seit ich jetzt diese Luftaufnahmen gesehen habe, verfestigt sich schon die Meinung, dass da von der Stadt einiges verheimlicht wurde", sagt der Liebenauer Bezirksvorsteher Karl Christian Kvas. Er bestätigt, dass wichtige Bauakten zum Kindergarten, wo beim Aushub zwei Leichen gefunden worden waren, fehlten. "Ich hatte diese Dimension der Geschichte nicht geahnt", sagt Kvas. Er werde in der nächsten Bezirkszeitung an die Bezirksbewohner die Bitte richten, dass sich Zeitzeugen melden sollten, um ihre Erinnerungen und Erlebnisse zu protokollieren. Bürgermeister Siegfried Nagl (VP) war nicht erreichbar.

(Walter Müller, DER STANDARD 02.05.2014)
http://derstandard.at/1397522337959/Da-wurde-von-der-Stadt-einiges-verheimlicht

...und weiter:
Vertuschte Grazer NS-Geschichte: Tiefe Gräben

Es mehren sich die Hinweise, dass die Stadtregierungen der vergangenen Jahrzehnte bewusst ein schwarzes Kapitel der Stadtgeschichte ausgeblendet haben

Die Politiker von Graz tragen den Titel "Stadt der Menschenrechte" seit Jahren stolz vor sich her. Hinter der Fassade der politischen Anständigkeit tun sich aber tiefe Gräben auf. Es mehren sich die Hinweise, dass die Stadtregierungen der vergangenen Jahrzehnte bewusst ein schwarzes Kapitel der Stadtgeschichte ausgeblendet haben. Ob rote, schwarze oder blaue Bürgermeister: Sie wollten mit dem Holocaust vor der eigenen Haustüre offenbar nichts zu tun haben.

Im Vorjahr hatte eine junge Historikerin in einer Publikation erstmals Hinweise auf das NS-Lager im Grazer Bezirk Liebenau geliefert. Tausende ungarische Juden waren hier inhaftiert, ehe sie auf den Todesmarsch nach Mauthausen weitergetrieben wurden. Ein Grazer Arzt, der seit Jahren zahlreichen Hinweisen aus der Bevölkerung nachgeht - und dabei immer wieder das Desinteresse der Stadtpolitiker beklagt -, hat jetzt Dokumente von historischen Luftaufnahmen vorgelegt, die Massengräber vermuten lassen. Einige Opfer könnten noch unter einem Kindergarten verscharrt liegen.

Bevor die Stadtregierung nicht endlich erklärt, warum über Liebenau seit Jahrzehnten ein Mantel des Schweigens liegt, und solange sie nicht offizielle Untersuchungen zur Aufklärung in die Wege leitet, sollte die europäische Auszeichnung der "Stadt der Menschrechte" jedenfalls in eine Schublade der Stadt weggesperrt werden.

(Walter Müller, DER STANDARD)
http://derstandard.at/1397522342435/Vertuschte-Grazer-NS-Geschichte-Tiefe-Graeben
 

josef

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#9
Der Tod im NS-Lager mitten in Graz

Der Tod im NS-Lager mitten in Graz

Zeitgeschichte. Die Nationalsozialisten unterhielten vor genau 70 Jahren in Graz-Liebenau ein Sammellager für den Abtransport von Häftlingen nach Mauthausen.

24.04.2015 | 18:27 | von Ronald Posch (Die Presse)

April 2015. Es ist Frühling in Graz. Die Menschen zieht es nach draußen, viele betreiben Sport. Eine der beliebtesten Freizeitstrecken ist die Murpromenade. Die Grazer laufen, skaten oder fahren mit dem Rad der Mur entlang in den Süden der Stadt in Richtung Liebenau, vorbei an der Seifenfabrik, kleinen Schrebergärten, Tennisplätzen und dem Puchsteg, unweit des Liebenauer Stadions.

April 1945. Der Zweite Weltkrieg ist in Europa beinahe durchgestanden. Der Nationalsozialismus zeigt sich in den letzten Wochen des Krieges noch einmal wirklich gewalttätig. Fanatische Nazis treiben nahe dem heutigen Stadion Liebenau Zwangsarbeiter – zumeist ungarische Juden, die zuvor Schanzarbeiten verrichten mussten – in ein Lager zusammen, genau dort, wo heute Schrebergärten und Tennisplätze sind.

Die Häftlinge traten vom Lager Graz-Liebenau ihre letzte Reise an: zum KZ-Mauthausen. „Von Liebenau aus ging der Marsch los, der zu einem Todesmarsch wurde. Das Lagerpersonal richtete aber Kranke, Schwache und Transportunfähige direkt vor Ort hin“, sagt Helmut Konrad, Professor für Zeitgeschichte an der Uni Graz und Plenumsteilnehmer an der vom Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolgen-Forschung organisierten Konferenz „Das Lager Graz-Liebenau“ am 28. April im Glockenspielhaus Graz.

Liebenauer Lager lang unerforscht

Das Sammellager blieb lange Zeit unerforscht, auch weil die NS-Vergangenheit des Ortes rasch nach dem Krieg verdrängt wurde. Erst Rainer Possert, ein Arzt, der in Liebenau praktiziert, leistete auf private Initiative wertvolle Erinnerungsarbeit und holte auch das LBI ins Boot.

Die ersten Häftlinge verloren bereits im Norden von Graz, in Andritz, ihr Leben. Viele weitere sollten folgen, dramatisch viele am Präbichl, in der Nähe von Eisenerz. Insgesamt starben etwa 23.000 Menschen – das ist eineinhalbmal das ausverkaufte Liebenauer Stadion – durch diese Ereignisse. „Bewohner der Steiermark und Niederösterreichs – von wo aus ebenfalls Häftlinge in Richtung Mauthausen marschierten – sahen zum ersten Mal ausgemergelte Menschen, die brutal durchs Land getrieben wurden“, sagt Konrad. Viele Österreicher zeigten erstaunlich viel Nächstenliebe. Sie steckten den Gefangenen etwa Brot zu. Sie versteckten einige auch. Den meisten Österreichern zeigte sich erstmals das NS-Schreckensbild. Die Leute sahen das Sterben und das Dahinmorden. Vielen öffnete erst das die Augen.

„Eine Geschichte der Schande“

Dennoch herrschte in den letzten Apriltagen 1945 eine extreme Ambivalenz. „Natürlich gab es Menschen, die weiße Fahnen hinaushängten. Natürlich gab es Nächstenliebe. Natürlich gab es Menschen, die das Dritte Reich untergehen sehen wollten“, sagt Konrad. Aber gleichzeitig hielten Nationalsozialisten das NS-System am Laufen: Sie töteten, sie exekutierten, sie lynchten. Karl Renner bildete eine demokratische Regierung, aber gleichzeitig funktionierte Mauthausen noch als Konzentrationslager. Das alles passierte zur selben Zeit. Historiker nennen das „die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“.

Die britischen Besatzer in der Steiermark verurteilten 1947 vier Lageraufseher von Liebenau. Zwei von ihnen wurden hingerichtet. Zu weiteren Anklagen kam es nicht. Der Entnazifizierungsversuch der Briten scheiterte, genauso wie eine nachhaltige Vergangenheitsbewältigung: „Die ganze Entnazifizierung in Österreich ist eine Geschichte der Schande“, sagt Konrad.

LEXIKON

Todesmärsche. Die Nationalsozialisten trieben kurz vor dem Kriegsende tausende Zwangsarbeiter zusammen, um sie in Konzentrationslager zu bringen. Die meisten Gefangenen marschierten in Österreich zum KZ Mauthausen. Bereits der Weg dorthin war oft tödlich. Die Bezeichnung Todesmärsche kam aber erst nach dem Krieg auf.

Die Endzeitverbrechen wurden in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkrieges begangen. Die Endphase bezeichnet den Zeitraum zwischen Januar 1945 und dem örtlich unterschiedlichen Ende der Kriegshandlungen. Graz war während der ersten Maiwoche des Jahres 1945 noch ganz klares nationalsozialistisches Herrschaftsgebiet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)
Quelle: http://diepresse.com/home/science/4...n-in-Graz?_vl_backlink=/home/science/index.do
 

josef

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#10
Ein weiterer "Standard"-Artikel

Konflikt um Suche nach Spuren jüdischer Naziopfer in Graz

Laut einem Arzt könnten im Wohnbezirk Liebenau die Überreste hunderter jüdischer Gefangener des dortigen ehemaligen NS-Lagers verscharrt sein

Graz – Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der steirischen Landeshauptstadt, das jahrzehntelang verschwiegen und erst in den vergangenen Jahren historisch aufgearbeitet wurde, gibt nach wie vor ungelöste Rätsel auf: Es ist nicht auszuschließen, dass im ehemaligen NS-Lager im Wohnbezirk Liebenau womöglich nach wie vor in verfüllten Bombentrichtern und Gruben hunderte jüdische Opfer verscharrt sind. Es ist denkbar, dass auch das Areal eines städtischen Kindergartens betroffen ist.

Seit mehr als einem Jahr drängt der im Bezirk ordinierende Arzt Rainer Possert gemeinsam mit dem Sozialmedizinischen Zentrum Liebenau offizielle Stellen der Stadt, diese historische Last ein für alle Mal aufzuklären. Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx hatte 2013 erstmals das NS-Lager Liebenau dokumentiert. Historisch gesichert ist, dass auch 7.000 bis 8.000 ungarische Juden am Ende des Krieges 1945 von Ungarn kommend in Graz haltgemacht hatten, ehe sie in Todesmärschen nach Mauthausen getrieben wurden.

Viele von ihnen starben in Graz an Erschöpfung, Unterernährung, Krankheit, viele wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt. Rund 60 Leichen wurden nach dem Krieg exhumiert.

Private Recherchen
Possert hat, sensibilisiert durch zahlreiche Schilderungen von Patienten und Bewohnern des Viertels, weitere private Recherchen unternommen, um den Vermutungen nachzugehen, dass noch immer in alten Bombentrichtern menschliche Überreste liegen könnten.

Vor wenigen Monaten hat der Arzt auch ein hochspezialisiertes Vermessungsbüro engagiert, das altes Bildmaterial neu berechnete. "Jetzt liegen aktuelle, bis auf den Meter genaue Messungen vor", sagt Possert. Durch die neuen Karten seien die ehemaligen Bombentrichter und Gruben genauestens lokalisierbar. Zudem lägen jetzt neue Bilder von US-Flugaufklärern aus dem Jahr 1945 vor, auf denen Marschkolonnen von Gefangenen zu sehen sind. Possert: "Mir geht es einfach darum, ob hier noch Menschen vergraben sind oder nicht. Damit auch die Bewohner Gewissheit haben."

Einen ersten Hinweis in diese Richtung hatte es rund um den Kindergarten des Viertels gegeben. Hier seien, sagt Possert, bei Aushubarbeiten Knochen gefunden, das Areal sei aber sofort zubetoniert worden. Der Bauakt, der dies dokumentieren sollte, ist verschwunden. Das bestätigt die für die Baubehörde zuständige KPÖ-Stadträtin Elke Kahr: "Wir haben hundertmal im Amt angerufen und uns die Akte durchgesehen: Der Teil ist nicht mehr vorhanden. Ich will und kann aber nicht unterstellen, dass jemand den Akt bewusst verschwinden hat lassen. Wir wissen es einfach nicht."

Stadt plädiert für Gedenkort
Zwar will Kahr so wie Possert und mittlerweile auch die Stadtregierung, dass hier ein Gedenkort eingerichtet wird – ansonsten aber geht sie auf Distanz zu dem engagierten Mediziner. Denn auch wenn es Hinweise gebe, dass noch Opfer verscharrt wären: "Wir können jetzt doch nicht alles umgraben." Das Areal betreffe auch Wohnungen von bedürftigen Menschen, "die sonst kein Zuhause haben". Auch der Wunsch, das fragliche Areal quasi unter Denkmalsschutz zu stellen, sei nicht realisierbar. Dann nämlich dürfe kein Häuslbauer mehr etwas an seinem Haus oder Garten verändern, wendet Kahr ein.

Possert will seinen Teil der Recherchen am Dienstag öffentlich machen: bei der von der Stadt Graz aus Anlass der 70-Jahr-Wiederkehr besagter NS-Verbrechen mitorganisierten wissenschaftlichen Konferenz "Das Lager Liebenau: Zwangsarbeiter – Totenmärsche – Erinnerung".

(Walter Müller, DER STANDARD, 27.4.2015)
http://derstandard.at/2000014885436/Konflikt-um-Suche-nach-Spuren-juedischer-Naziopfer-in-Graz

Auf dieser von einem US-Piloten gemachten historischen Luftaufnahme von 1945 ist eine Kolonne jüdischer Gefangener aus Graz auf dem Todesmarsch ins KZ Mauthausen zu sehen. Bildquelle-vorgenannter Standard-Artikel/foto: possert/ luftbilddatenbank dr. carls
 

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#11
Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll, aber das ist ein Ende April/Anfang Mai Thema.

2009: In den Baracken http://www.falter.at/falter/2009/12/07/in-den-baracken/

2012-04-16: Das Lager Liebenau http://ftp.vc-graz.ac.at/pub/landsa...ruenanger/SMZ Liebenau_Das Lager Liebenau.pdf

2013-04-29: Gedenkveranstaltung: Das Lager V http://www.gat.st/date/gedenkveranstaltung-das-lager-v
2013-04-30: Gedenken für Opfer des NS-Lagers Liebenau http://steiermark.orf.at/news/stories/2582284/
2013-05-03: Das Lager V und der Massenmord an ungarischen Juden in Graz http://cba.fro.at/109677

2014-04-29: Neue Details eines Grazer Tabuthemas http://derstandard.at/1397522020065/Neue-Details-eines-Grazer-Tabuthemas
2014-04-30: Menschenknochen als Kinderspielzeuge https://wirwollenkeinenkrieg.wordpr...5-durch-die-steiermark-nach-graz-getrieben-w/
2014-05-02: "Da wurde von der Stadt einiges verheimlicht" http://derstandard.at/1397522337959/Da-wurde-von-der-Stadt-einiges-verheimlicht
2014-05-02: Vertuschte Grazer NS-Geschichte: Tiefe Gräben http://derstandard.at/1397522342435/Vertuschte-Grazer-NS-Geschichte-Tiefe-Graeben

2015-04-27: Konflikt um Suche nach Spuren jüdischer Naziopfer in Graz http://derstandard.at/2000014885436/Konflikt-um-Suche-nach-Spuren-juedischer-Naziopfer-in-Graz


Seit Jahren kommt Dr. Rainer Possert nicht auf die Idee, einfach eine Schaufel in die Hand zu nehmen, in einem der Gärten an einer der, auf "neu aufgetauchten" Luftbildern erkennbaren Stellen, zu graben. Das macht aber nur, wer auch wirklich glaubt, etwas zu finden. Wenn es aber nur um Medienpräsenz im Frühjahr geht...
Die Medien nehmen das Thema dankbar auf.


Lager V in Graz Liebenau und der Puchsteg http://mika.hanblog.net/?p=131
Das „Lager V“ in Liebenau war 1945 eine Station der ungarischen Juden auf ihren Todesmärschen ins KZ http://austria-forum.org/af/Wissens...r_Steiermark/Das_letzte_Kapitel_des_Holocaust
 

josef

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#12
Gedenken an die dunkle Seite von Graz

NS-Lager: Gedenken an die dunkle Seite von Graz

Stadtregierung überlässt Nachforschungen im Bezirk Liebenau privatem Engagement
Graz – Eigentlich wäre es wohl Aufgabe der öffentlichen Hand, der Politik, sich um diese gleichwohl sensible wie gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe der Gedenkkultur zu kümmern. Es ist aber "ein Privater" , der Grazer Arzt Rainer Possert, der sich seit Jahren um die Aufklärung eines der dunkelsten Kapitel der Grazer Geschichte bemüht und regelmäßig, so wie diesen Samstag, eine große Gedenkfeier für die Opfer organisiert.

Es geht um das bis vor wenigen Jahren weitgehend unbekannte ehemalige NS-Lager im Stadtbezirk Liebenau, auf dessen Areal womöglich nach wie vor in verfüllten Bombentrichtern jüdische Opfer verscharrt sind.

Tausende ungarische Jüdinnen und Juden wurden in den späten Kriegstagen auf Todesmärschen nach Mauthausen getrieben, sie machten hier im Liebenauer Lager Halt. Viele starben an Erschöpfung oder Unterernährung, viele wurden ermordet und im Lager verscharrt. Seit langem drängt Possert die offiziellen Stellen der Stadt, endlich Klarheit zu schaffen und Nachforschungen einzuleiten, ob hier im Wohngebiet in der NS-Zeit tatsächlich Massengräber angelegt wurden. Patienten hatten ihm immer wieder von Funden menschlicher Überreste erzählt.

Als Bodenfundstätte im Flächenwidmungsplan
Der Arzt hat – gemeinsam mit dem von ihm mitbegründeten Sozialmedizinischen Zentrum Liebenau – in der Folge Privatforschungen angestellt, Gutachter engagiert, hochspezielle Luftaufnahmen organisiert und fast auf den Zentimeter genau die alten Bombentrichter rekonstruiert. Zumindest das Bundesdenkmalamt hat sich von Posserts Vorarbeiten jetzt beeindruckt gezeigt. Das ganze Gebiet wurde mittlerweile als "Bodenfundstätte" im Flächenwidmungsplan eingetragen.

Das bedeutet, dass auch Fundstücke aus der NS-Zeit gemeldet werden müssen. Für die noch immer bestehende ehemalige NS-Kommandozentrale mitten im Wohngebiet läuft mittlerweile eine Denkmalschutzverfahren, das in erster Instanz aber vom Bauamt beansprucht worden sei, sagt Possert.

Gedenktafel mit hebräischer Inschrift
Da die Stadt nicht nur bei den Nachforschungen, sondern auch im Gedenkdienst säumig sei, habe das Sozialmedizinische Zentrum Liebenau von sich aus auch heuer eine Gedenkfeier plus Fertigung einer Gedenktafel organisiert. Im Vorfeld des Gedenkens besuchte auch die israelische Botschafterin die Stätte des ehemaligen Lagers und regte an, die Gedenktafel an der Kommandantur auch in Hebräisch zu erfassen. Bei der Enthüllung der Tafel reden Vertreter des Mauthausenkomitees, ein Mitglied der Kultusgemeinde ebenso, Paul Gulda wird die Feier mit einem Konzert in der nahen Graz-Süd abschließen. Die Stadtregierung lässt sich vertreten.

(Walter Müller, 9.4.2016)
http://derstandard.at/2000034478961/NS-Lager-Gedenken-an-die-dunkle-Seite-von-Graz
 

josef

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#13
Historiker fordern Baupause bei Murkraftwerk
Nach dem Auftauchen von Funden aus der NS-Zeit fordern Grazer Zeithistoriker jetzt, die Bauarbeiten zum Grazer Murkraftwerk zu unterbrechen. Die Energie Steiermark dagegen versichert, mit den Funden sensibel umzugehen.

Fast wöchentlich werden neue Argumente gegen das Grazer Murkraftwerk vorgebracht. Nun melden sich auch die Zeithistoriker der Universtität Graz zu Wort. Anlass dazu geben Funde von baulichen Strukturen aus der NS-Zeit, mit denen nun sensibel umzugehen sei, wie es heißt.

Kostbares Forschungsmaterial vermutet
Denn dort, wo derzeit gebaut wird, stand vor rund 70 Jahren ein Zwangsarbeiterlager. Das Lager Liebenau war in der NS-Zeit das größte Arbeitslager im Stadtgebiet mit bis zu 5.000 Personen, die dort untergebracht waren. Nach dem Krieg befand sich auf dem Areal ein Flüchtlingslager. Bis zur genauen Klärung und Zuordnung des jüngsten Fundes fordern mehr als ein Dutzend Grazer Historiker daher, die Bauarbeiten zu unterbrechen, „um den Verlust von kostbarem Material für die historische Forschung zu vermeiden“, sagt Zeithistoriker Stefan Benedik vom Institut für Geschichte gegenüber der APA.

„Besser, zweimal zu schauen“
Es gehe den Zeithistorikern nicht darum, eine Aussage für oder gegen den Kraftwerksbau zu machen, betonte Helmut Konrad, Professor für Zeitgeschichte. Sehr wohl werde „höchste historische Sensibilität“ eingefordert. „Es ist besser, zweimal zu schauen, als einmal zu wenig“, sagte der Zeithistoriker. Mit Baumaschinen über die Überreste von schweren nationalsozialistischen Verbrechen hinwegzupflügen, widerspreche dagegen der moralischen Verpflichtung der Stadt, heißt es in einer Aussendung.

Zusammenarbeit mit Bundesdenkmalamt
Die Energie Steiermark reagierte am Donnerstag auf den Vorstoß der Zeithistoriker und bestätigte, dass man mit den Funden sehr sensibel umgebe. „Sollte während der laufenden Arbeiten ein Fund gemacht werden, muss an dieser Stelle punktuell sofort gestoppt werden, um eine entsprechende Dokumentation und Vermessung zu ermöglichen. Das ist in den vergangenen Tagen umfassend geschehen.“ Sämtliche Schritte seien mit Experten und dem Bundesdenkmalamt abgestimmt.

Noch keine menschlichen Funde
Menschliche Funde seien bislang nicht entdeckt worden. Entdeckt habe man bisher ein NS-Abzeichen, diverse Metallteile und einen Stiegenabgang. Alle Funde sollen dokumentiert und nach ihrer Analyse gesammelt der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Zeithistorikerin Barbara Stelzl-Marx, die mit der Begleitung der Baustelle bis 2019 beauftragt wurde und sich bereits vor Jahren intensiv mit der Aufarbeitung dieses Kapitels in der Grazer Geschichte befasst hat, bestätigt die Angaben der Energie Steiermark, dass ein Archäologen-Team unter der Leitung von Gerald Fuchs die Arbeiten ständig begleite, wenn an sensiblen Stellen gegraben werde.

Publiziert am 09.03.2017
http://steiermark.orf.at/news/stories/2830112/
 

josef

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#14
Gut erhaltener LS-Deckungsgraben am ehemaligen Lagergelände entdeckt:
NS-Luftschutzgang bei Bauarbeiten entdeckt
Bei den Bauarbeiten für ein Jugendzentrum in Graz sind Arbeiter auf einen zeitgeschichtliches Relikt gestoßen: Sie entdeckten einen gut erhaltenen Luftschutzgang des einstigen Zwangsarbeitslagers Liebenau.

Das Lager Liebenau im Süden von Graz war in der NS-Zeit das größte Zwangsarbeiterlager im Grazer Stadtgebiet mit bis zu 5.000 dort untergebrachten Personen; der Komplex war zudem eine Station der ungarischen Juden auf den Todesmärschen vom „Südostwallbau“ im Grenzraum zu Ungarn - mindestens 35 von ihnen wurden dort erschossen. Nach dem Krieg befand sich auf dem Gelände ein Flüchtlingslager. Heute ist das Areal zum größten Teil verbaut.


ORF

Funde von baulichen Strukturen im Umfeld der Baustelle des Murkraftwerkes versetzen schon Anfang März Zeithistoriker in Beunruhigung - mehr dazu in
Historiker fordern Baupause bei Murkraftwerk (9.3.2017). Beim Bau des geplanten Jugendzentrums Grünanger war daher von Anfang an ein Archäologenteam der Argis (Archäologie Service GmbH) mit dabei.

„Im Gesamtkontext eine Besonderheit“
Nun entdeckten sie im südlichen Teil des Grundstückes auf einer Länge von etwa 30 Metern einen sehr gut erhaltenen betonierten Deckungsgang mit Belüftungsschächten, Schlitzen mit den Rahmen der ehemaligen Luftschutztüren bis hin zu den Wandhalterungen für Kerzen zur Beleuchtung: „Dieser Gang ist im Gesamtkontext eine Besonderheit“, hielt Archäologe Gerald Fuchs fest.


ORF

Weiters stießen die Experten noch auf ein betoniertes Becken im Nordostteil der Baustelle - die Experten gehen davon aus, dass es sich um einen Fettabscheider handelt, wie er im Abwassersystem für Lagerküchen vorgesehen war.

Unter Denkmalschutz gestellt
Die Funde wurden provisorisch unter Denkmalschutz gestellt, der endgültige Bescheid werde dieser Tage erwartet. „Denkmalschutz heißt aber nicht, dass hier nicht gebaut werden darf, sondern, dass Relevantes erhalten bleibt und gut gesichert wird“, betonte Bernhard Hebert, der für Archäologie zuständige Leiter im Bundesdenkmalamt Steiermark. Vorerst wurde mit einer Bauverzögerung von „ein paar Wochen“ gerechnet; die Architektin des Bauprojektes sei bereits mit der Umplanung der Kanalisierung bzw. der Verlegung für die Fernwärme beschäftigt.

Publiziert am 16.05.2017
http://steiermark.orf.at/news/stories/2843551/
 

josef

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#15
Der Abgang zum LSDG wurde, wie die "Kleine Zeitung" am 003.2017 berichtet, bereits Ende Februar/Anfang März freigelegt:

Lager Liebenau, eine Spurensuche

Die Baustelle des
Murkraftwerks in Graz ist eines der historisch sensibelsten Areale in Graz. Das ehemalige Lager Liebenau aus der Sicht von drei Wissenschaftlern.

Von Barbara Stelzl-Marx, Eva Steigberger, Gerald Fuchs | 04. März 2017


Stiegenabgang zu einem Bunker: Der Fund war nicht überraschend, die Spuren des Lagers sind unübersehbar
für das Auge des Archäologen © Argis


In den vergangenen Tagen stieß ein Bautrupp bei Grabungen für eine gasleitung auf Mauerteile und eine Treppe. Sie gehören zum ehemaligen Lager Liebenau, einem der größten Zwangsarbeiterlager von Graz während der NS-Zeit. 1940 als „Lager V“ für umgesiedelte Volksdeutsche gegründet, konnten ab Februar 1941 in 190 Holzbaracken rund 5000 Personen untergebracht werden. Die ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen kamen vorwiegend im Steyr-Daimler-Puch-Werk am gegenüberliegenden Murufer zum Einsatz. Nach Kriegsende dienten die Baracken unter der Bezeichnung „Am Grünanger“ als Flüchtlingslager.

Die Funde stellen keine Überraschung dar. Bereits 2011 entstand im Auftrag der Stadt Graz und der Energie Steiermark eine Publikation zum Lager Liebenau, um eine historisch fundierte, möglichst lückenlose und kritische Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Grazer Zeitgeschichte sicherzustellen. Die Estag gab dabei die Zusage, die Ergebnisse der Arbeit bei der Umsetzung des Murkraftwerks mit dem gebotenen Respekt einfließen zu lassen. Im April 2015 folgte eine wissenschaftliche Konferenz, die das Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung mit der Stadt Graz organisierte. Auch das Sozialmedizinische Zentrum um Rainer Possert engagiert sich seit Jahren, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und offene Fragen zu klären.

Besonders brisant sind in diesem Kontext die Todesmärsche ungarischer Juden im April 1945. Rund 6000 dieser jüdischen Zwangsarbeiter machten während ihrer Evakuierung vom Südostwall ins KZ Mauthausen in Liebenau halt. Die Exhumierung von 53 Leichen 1947 zeigte, dass mindestens 34 Zwangsarbeiter erschossen worden waren. Im selben Jahr untersuchte ein britisches Militärgericht diese Kriegsverbrechen und verhängte zwei Todesurteile. 1992 wurden bei Bauarbeiten für den Keller eines Kindergartens weitere Skelette entdeckt.

Um größte Transparenz bei der Aufarbeitung des Lagers im Zusammenhang mit den Arbeiten am Murkraftwerk sicherzustellen, richtete die Energie Steiermark eine Taskforce ein. Dadurch sollen die Erkenntnisse des Bundesdenkmalamts und aller Experten zusammengeführt werden. „Gemeinsam mit der Stadt Graz werden wir nach Abschluss der Bauarbeiten eine Gedenkstätte für die Opfer beim ehemaligen Lagerareal errichten – eine wichtige Geste wider das Vergessen“, so Konzernsprecher Urs Harnik.

Die Autoren
Barbara Stelzl-Marx ist Zeithistorikerin und stellvertretende Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung.
Eva Steigberger ist Archäologin, Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie, Gebietsbetreuung Steiermark.
Gerald Fuchs ist Archäologe und Geschäftsführer der ARGIS Archäologie Service GmbH.


Die Auswertung historischer Luftbilder, die im Zuge der Erforschung der Situation des Lagers im Frühjahr 1945 durch die Privatinitiative von Rainer Possert durchgeführt wurde, ermöglichte die Lokalisierung und damit eine Ausweisung des Lagerareals als archäologische Bodenfundstätte. Das Bundesdenkmalamt entscheidet im Einzelfall im gesetzlichen Rahmen über die weitere Vorgangsweise bei Bodenfunden.

Wegen der Sensibilität des Themas beauftragte die Energie Steiermark zusätzlich die „ARGIS, Archäologie Service GmbH“, die Arbeiten am Baustellengelände zu begleiten. Dabei wird nach den Richtlinien des Bundesdenkmalamts vorgegangen, der archäologische Befund vermessen, dokumentiert und so weit wie möglich im Boden erhalten. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse ist nach Abschluss der Arbeiten geplant.


Grundsätzlich gilt: „Sollte während der laufenden Arbeiten ein Fund gemacht werden, muss an dieser Stelle punktuell sofort gestoppt werden, um eine entsprechende Dokumentation und Vermessung zu ermöglichen. Die Bauarbeiter wurden im Vorfeld entsprechend sensibilisiert und aufgeklärt.

Bei der Verlegung einer Erdgasleitung in der Pichlergasse wurden, nicht ganz überraschend, bauliche Reste angetroffen. Die Spuren des Lagers sind nicht etwa gesucht, sie waren einfach da, unübersehbar für das geschulte Auge eines Archäologen und knapp unter der Grasnarbe: Schmale Betonfundamente einer Baracke, der Verbindungsgang mit einem Stufenabgang zu einem Bunker, tiefe Splittergräben mit betonierten Seitenwänden, ein Fundament für eine Gartenhütte, hergestellt nach Kriegsende aus Betonbrocken und Murnockerln, und weitere Befunde, die noch untersucht werden müssen – die Arbeiten sind im Gange.

Anrainer berichten, dass sie als Kinder noch im Bunker gespielt haben. So weit, so harmlos. Und doch schwebt über allem die unausgesprochene Frage: Liegen hier noch weitere ermordete Insassen des Lagers?

http://www.kleinezeitung.at/steierm...3/Gastbeitrag_Lager-Liebenau-eine-Spurensuche
 

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#16
NS-Lager Liebenau: Fundamente freigelegt
Bei den Bauarbeiten zum Murkraftwerk in Graz hat es neue archäologische Funde gegeben: Erstmals wurden großflächig die Fundamente der Lagerbaracken des NS-Zwangsarbeiterlagers Liebenau freigelegt.

Das Lager Liebenau im Süden von Graz war in der NS-Zeit das größte Zwangsarbeiterlager im Grazer Stadtgebiet mit bis zu 5.000 dort untergebrachten Personen; der Komplex war zudem eine Station der ungarischen Juden auf den Todesmärschen vom „Südostwallbau“ im Grenzraum zu Ungarn - mindestens 35 von ihnen wurden dort erschossen. Nach dem Krieg befand sich auf dem Gelände ein Flüchtlingslager. Heute ist das Areal zum größten Teil verbaut.

Immer mehr Spuren treten zutage
Jahrzehntelang war totgeschwiegen worden, dass es in Graz überhaupt so ein Lager gab, nun aber treten nach und nach die Spuren zutage. Beim Bau des geplanten Jugendzentrums Grünanger war ein gut erhaltener Luftschutzgang des einstigen Zwangsarbeitslagers gefunden worden - mehr dazu in NS-Luftschutzgang bei Bauarbeiten entdeckt (16.5.2017) -, und Funde von baulichen Strukturen im Umfeld der Baustelle des Murkraftwerkes versetzten schon Anfang März Zeithistoriker in Beunruhigung - mehr dazu in Historiker fordern Baupause bei Murkraftwerk (9.3.2017).


ORF

Suche nach den Toten
Die Toten wurden zumeist in Bombentrichtern am Rande des Lagers verscharrt. Für die Archäologen wäre es ein leichtes, die Opfer zu finden, so der Archäologe Gerald Fuchs: „Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis man diese Plätze findet. Die Schätzungen schwanken zwischen einigen Dutzend und einigen Hundert - wie viele wirklich dort liegen, weiß kein Mensch.“


ORF

Die Lage der potentiellen Massengräber ist laut Gutachten bis auf einen halben Meter lokalisierbar. Dass die Toten nicht ganz vergessen wurden, ist nicht zuletzt dem Grazer Mediziner Rainer Possert zu verdanken: „Wir fordern, dass an den Punkten, die klar definiert sind, wo unter Umständen Opfer vergraben sein könnten, dass hier weitere Grabungen stattfinden und Klarheit geschaffen wird, damit man den Toten auch die Ehre erweisen kann.“ Was bisher aber fehlt, ist der politische Wille der Stadtregierung, Klarheit über das Ausmaß des Verbrechens zu schaffen.
Quelle: http://steiermark.orf.at/news/stories/2859592/
 
#17
Der Umgang der schwarz(türkisen)-blauen Stadtregierung mit den Überresten des Lagers ist meiner Meinung nach ein Skandal. Leider für die Medien und die Menschen zu unwichtig, daher auch nur kurz im Gespräch. Hier wird wieder mit allen Mitteln eine "richtige" Gedenkkultur und eine Aufarbeitung unmöglich gemacht. Die Überreste wurden zwar dokumentiert, danach jedoch wieder zugeschüttet. Gärten und Wohnungen sollen errichtet werden. Wenn man es nicht selber sieht - glaubt man es nicht. Ein ewig versprochenes Mahnmal wird verwässert und verschoben und wird, wenn es errichtet wird, ein Minimalkompromiss werden. Man hätte die Möglichkeit gehabt, eine "echte Gedenkstätte" mit aufklärendem Charakter wie z.B. Ebensee, Mauthausen, Rechnitz,... zu schaffen.....man hat es nicht gewollt. Einer Organisation, die sich schon seit Jahren für eine echte Aufarbeitung einsetzt, wurden nun Fördergelder gestrichen. Das ist die Grazer Art mit der Vergangenheit umzugehen! Graz ist Stadt der Menschenrechte...mehr braucht man nicht zu sagen!

http://derstandard.at/2000064371890/NS-Erbe-belastet-Grazer-Politik-Streit-um-Areal-in-Liebenau
 

josef

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#18


Gedenkjahr 2018: Schau über Grazer NS-Lager

2018 ist für Österreich das Jahr des Gedenkes und des Erinnerns. Die Stadt Graz beteiligt sich mit Veranstaltungen, Ausstellungen und Initiativen, darunter eine Schau über das NS-Zwangsarbeiterlager in Graz Liebenau.
Das Lager Liebenau war ein Zwangsarbeiterlager der Nationalsozialisten und im April 1945 auch Station für ungarische Juden auf ihren Todesmärschen in das damalige Konzentrationslager Mauthausen. Jahrzehntelang war das Lager Liebenau im Bereich des Vergessenen, des Verdrängten.

Ab dem 14. November widmet sich eine große Ausstellung im Graz Museum dem Lager Liebenau unter dem Titel: „Das Lager: ein Ort verdichteter Geschichte“.

Aufklärung und Vermittlung
Graz arbeite mit diesem Gedenkjahr seine eigene Rolle im Zusammenhang mit diesen systematisch schrecklichen Ereignissen auf, sagte Kulturstadtrat Günter Riegler (ÖVP): „Ich denke, dass wir gar nicht oft genug und umfassend genug informieren sollen und können, auch unsere Kinder. Insofern möchte ich betonen, dass die Stadt Graz ein großes Interesse hat an Aufklärung, Dokumentation und Vermittlung dessen, was geschehen ist.“

Für viele Menschen war das Lager Endstation eines langen Martyriums, mindestens 34 wurden dort erschossen, sagte Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung in Graz.

Sensationsfund Zwangsarbeiterkartei
Bei Grabungsarbeiten im Vorjahr wurden Mauerteile und eine Treppe freigelegt - mehr dazu in NS-Luftschutzgang bei Bauarbeiten entdeckt (16.5.2017) -, Originaldokumente und Protokolle aus dem Stadtarchiv werden aufgearbeitet: „Ein Sensationsfund ist die Zwangsarbeiterkartei, die ganz wichtige Informationen zu Insassen und Lagerpersonal beinhaltet, auch Informationen zu einem eigenen Lagerbordell, das es gegeben hat“, so Stelzl-Marx. Außerdem gibt es eine Sammelaktion: Das Ludwig-Boltzmann-Institut bittet Zeitzeugen, Erinnerungen an das Lager oder an die Todesmärsche zur Verfügung zu stellen.

Seit Jahren ist die Stadt Graz dabei, negative Bereiche ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten - so auch das ehemalige Zwangsarbeiterlager Liebenau: Für die Zukunft sei auch ein Mahnmal für die Opfer des NS-Regimes geplant, hieß es im Sommer 2017 - mehr dazu in NS-Lager Liebenau: Stadt Graz plant Mahnmal (11.8.2017).

Link:
Publiziert am 10.04.2018
http://steiermark.orf.at/news/stories/2906080/
 

josef

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#19
Das schwierige Gedenken an das NS-Lager Liebenau

Seit Jahren fordert Arzt, dass die Stadt Graz Bombentrichter, in denen man Skelette von NS-Opfern vermutet, untersuche.
Graz – Er ist lästig, geht den Stadtpolitikern mächtig auf die Nerven, aber es ist ein ehrenwertes Anliegen, das ihn antreibt: Der Grazer Arzt Rainer Possert versucht seit Jahren das wohl dunkelste Kapitel der steirischen Landeshauptstadt zu erhellen und die lokale Politik dazu zu bewegen, das Areal eines ehemaligen NS-Gefangenlagers im Wohnbezirk Liebenau wissenschaftlich untersuchen zu lassen, um zu prüfen, ob tatsächlich unter der Erde noch immer unzählige, vor allem ungarisch-jüdische Opfer des Naziterrors verscharrt sind.

Obwohl jüngst Historiker des Bundesdenkmalamtes bei Grabungsarbeiten immer wieder Hinterlassenschaften aus dem Lager gefunden haben, lehnt die Stadt bisher eine lückenlose Untersuchung des Gebietes – wie es etwa im burgenländischen Rechnitz geschah, wo man Leichen jüdischer Zwangsarbeiter unter der Erde vermutete – kategorisch ab.

Unerträglicher Leichengeruch
Den Anstoß für Possert, sich um dieses Stück Grazer Vergangenheit zu kümmern, kam von seinen Patienten, die im Bezirk wohnen. Sie hatten, sagt er, wiederholt von Knochenfunden berichtet. Possert kontaktierte Historiker, ging in Archive, sammelte Aussagen von Zeitzeugen.

Notiz einer Zeugin aus dem Jahr 1947: "Aus einem Bombentrichter am Nordende des Lagers entströmte unerträglicher Leichengeruch ..." Possert engagierte eine Spezialfirma für Luftaufnahmen, auf denen jene zugeschütteten Bombentrichter zu sehen sind, in denen verscharrte Opfer vermutet werden. "Obwohl Archäologenteams die teilweise verschütteten Bunker zur Gänze ausgraben wollten, um nach weiteren Zeugnissen von Opfern oder Tätern zu suchen, haben das die Verantwortlichen der Stadt nicht zugelassen", so Possert.

Das Engagement, die Wahrheit über das Lager herauszufinden, hat Possert nun beruflich ins Trudeln gebracht. Der Arzt, der 1984 mit Kollegen aus der Medizin- und Sozialbranche eine der ersten Praxisgemeinschaften, das SMZ (Sozialmedizinische Zentrum), gegründet hatte, beklagt, man versuche, ihn mit seinem Büro vor die Tür zu setzen.

Fördermittel gestrichen
Posserts Gedenkarbeit für die Opfer des Lagers hatte nämlich Folgen für das SMZ, das gleichzeitig auch als Stadtteilzentrum fungiert. FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio hatte dem Zentrum kurzerhand die Fördermittel gestrichen, weil die Subvention seiner Meinung nach – laut internem SMZ-Gesprächsprotokoll – sinngemäß "nicht für politische Agitation", sondern für die Entwicklung des Stadtviertels sei.

Die Gedenkarbeit im Zusammenhang mit dem ehemaligen Lager sei nicht Aufgabe eines Stadtteilzentrums und habe auch mit "Gesundheitsförderung" nichts zu tun. Possert kam innerhalb seines Zentrums unter Druck. Man trennte sich von ihm. Das SMZ kriegt künftig wieder die üblichen Subventionen.

Hinter diesem durchaus politisch motivierten Vorgehen der Stadt steht im Grunde auch die Stadtentwicklung. Stadtrat Eustacchio ist für den sozialen Wohnbau zuständig, er will auf dem ehemaligen Lagerareal soziale Wohnbauten errichten. Da kommt ihm Possert mit seiner Bemühung, endlich Klarheit zu schaffen, ob hier noch NS-Opfer begraben sind, in die Quere.

Zubetonierte Erinnerung.
Mittlerweile stößt die Stadt aber immer wieder auf Relikte des alten Lagers: Bunker, Straßenanlagen, Artefakte, Bilddokumente wie Graffiti in den Tunnelgängen. Die Fundstellen wurden großteils wieder zubetoniert und versiegelt. Über einem Bunker wurde ein Jugendzentrum errichtet.

"In unmittelbarer Nähe dieses Jugendzentrums befinden sich unter Tennisplätzen weitere nicht fertiggestellte Bunkeranlagen, die von Zeitzeugen als Schottergrube bezeichnet wurden", sagt Possert. Dazu gebe es schriftliche Aufzeichnungen wie diese: "Luksch sah, wie Gefangene große Säcke in eine Schottergrube am Westrand des Lagers trugen, aus denen Schuhe herausragten. Am nächsten Morgen lagen bei einem Schotterhaufen dann immer Kleider."

Die Stadt Graz mit Bürgermeister Siegfried Nagl weiß um die Sensibilität des Themas. Sie finanziert nun großzügig ein historisches Projekt, eine Ausstellung samt Begleitband und die Errichtung eines Kunstwerkes. Nagl will den Eindruck vermitteln, dass die Stadt ohnehin – jetzt im Gedenkjahr – alles unternehme, um die Geschichte aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken.

"Ja eh. Aber die Stadt duckt sich bei der wichtigsten Sache weg. Es bräuchte nur eine Bodenradaruntersuchung oder gezielte Bohrungen bei den bis auf den Zentimeter abgemessenen Bombentrichtern, um an die Wahrheit zu kommen. Damit ein für alle Mal klar ist, ob hier noch Opfer verscharrt sind oder nicht. Aber so müssen dann die künftigen Wohnungsmieter oder Schrebergartenbesitzer im Ungewissen leben, ob ihre Häuser nicht doch auf einem Friedhof gebaut sind", sagt Rainer Possert. (Walter Müller, 14.4.2018)

  • foto: possert
    Relikte wie dieses, ein in die Tunnelgänge gezeichneter Davidstern aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, wurden mittlerweile bei Ausgrabungen auf dem Areal des ehemaligen Lagers freigelegt. Possert fordert eine lückenlose Aufarbeitung der Geschichte des Bezirks Liebenau.
https://derstandard.at/2000077908830/Das-schwierige-Gedenken-an-das-NS-Gefangenlager-Liebenau
 

josef

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#20
GrazMuseum macht „Lager V“ wieder sichtbar
In einer neuen Ausstellung wird die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Graz aufgearbeitet. Im Lager Liebenau („Lager V“) wurden unzählige Menschen getötet - das GrazMuseum macht dieses dunkle Kapitel jetzt wieder sichtbar.
Wo einst Baracken standen, stehen jetzt Wohnhäuser und öffentliche Einrichtungen: Bei Grabungen für das Murkraftwerk stießen Bauarbeiter im Frühjahr 2017 auf Mauerteile und eine Treppe, die zum Lager Liebenau gehörten. 1940 als „Lager V“ gegründet, war es das größte Zwangsarbeiterlager der Nationalsozialisten in Graz - mehr dazu in NS-Luftschutzgang bei Bauarbeiten entdeckt(16.5.2017).

Dunkles Kapitel der Grazer Zeitgeschichte
"Für Jahrzehnte geriet dieses dunkle Kapitel der Grazer Zeitgeschichte in Vergessenheit“, so die Historikerin Barbara Stelzl-Marx - sie leitet das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK), das die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Graz aufarbeitete und die neue Ausstellung der Stadt Graz konzipierte.

Ausstellung im GrazMuseum
Im Gedenkjahr 2018 zeigt das GrazMuseum die erste wissenschaftliche Ausstellung zum Lager Graz-Liebenau von 15. November 2018 bis 8. April 2019

Fünf große Themen
Unter den Schlagworten „verführt, verschleppt, vernichtet, verurteilt, vergessen“ geht es in der Ausstellung um fünf große Themen: Die Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie in der „Stadt der Volkserhebung“, das Lagerleben, die Verbrechen im Zuge der Todesmärsche im April 1945, die Aufarbeitung durch die Nachkriegsjustiz und den lange verschleierten Blick auf diesen „Ort verdichteter Geschichte“, wie es Stelzl-Marx nennt.

„Der manifestierte Vernichtungsgedanke“
Es ist die erste wissenschaftliche Ausstellung zum Lager Graz-Liebenau, das im April 1945 als Station ungarischer Juden auf ihren Evakuierungsmärschen nach Mauthausen diente. „Das Lager Liebenau war für die durchziehenden Kolonnen ungarischer Jüdinnen und Juden im April 1945 ein Ort des Schreckens: Hier zeigte sich die in der NS-Ideologie innewohnende Verachtung für als minderwertig eingestuftes Leben, hier manifestierte sich der Vernichtungsgedanke des Regimes", sagt Stelzl-Marx.


Ludwig Boltzmann Gesellschaft
Todesmarsch Hieflau

Zu sehen sind etwa Bodenfunde wie u.a. ein Trinkbecher oder das Vokabelheft eines Zwangsarbeiters. Im Gedanken an den Todesmarsch wird eine Leihgabe gezeigt: Ein Schuh einer ungarischen Jüdin, die am Todesmarsch auf der steirischen Eisenstraße am Präbichl ermordet wurde. „Ein Kind eines Schusters hat ihn gefunden und wegen der damals kostbaren Nägel mitgenommen - er blieb aber letztlich auf einem Dachboden liegen“.

„Die Pflicht, aktive Erinnerungsarbeit zu leisten“
Die Stadt Graz plant zudem die Errichtung von Informationstafeln, eines Kunstwerkes und einer Dauerausstellung auf dem Areal - mehr dazu in NS-Lager Liebenau: Stadt Graz plant Mahnmal (9.8.2017). Die bisher bekannte Geschichte des Lagers sei ein „sehr dunkles Kapitel“ in der Geschichte der Stadt, so der Grazer Stadtrat Günter Riegler. Die fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Fakten stelle einen wichtigen Teil der historischen und moralischen Verantwortung der Stadt dar: „Mit jedem weiteren Jahr wird es eine immer größere Pflicht, die heranwachsende Generation damit zu konfrontieren, was geschehen ist und aktive Erinnerungsarbeit zu leisten“, so Riegler.

5.000 Menschen in 190 Holzbaracken
Mindestens 34 Personen wurden im Lager Graz-Liebenau erschossen; wie viele Menschen hier insgesamt starben und möglicherweise noch dort begraben liegen, ist aber nach wie vor unklar. In den 190 Holzbaracken konnten etwa 5.000 Personen untergebracht werden. Rund 70 Prozent der Zwangsarbeiter waren männlich, knapp ein Viertel stammte aus der Sowjetunion, die übrigen vorwiegend aus Frankreich, dem „Protektorat Böhmen und Mähren", Italien, Kroatien oder Griechenland. Die überwiegende Mehrheit war zwischen 15 und 30 Jahre alt. Mindestens 67 Kinder kamen hier auf die Welt, weit über 200 Menschen waren jünger als 14 Jahre.


Ludwig Boltzmann Gesellschaft
Modell Lager Liebenau

Die Baracken des Lagers Liebenau beherbergten insgesamt mehrere tausend Menschen, die für die deutsche Kriegswirtschaft – insbesondere bei Steyr-Daimler-Puch – arbeiteten. Kürzlich in Archiven aufgefundene Dokumente liefern neue Einblicke, von Archäologen ausgegrabene Relikte weitere Erkenntnisse. Neben einem vielseitigen Begleitprogramm bietet ein Begleitband komprimierte Hintergrundinformationen und dokumentiert die zentralen Inhalte der Ausstellung.


Ludwig Boltzmann Gesellschaft
Liebenauer Prozess

„Wir verstehen uns als historisches Museum, das gesellschaftliches Bewusstsein formt und somit auch im Sinn politischer Bildung ein Ort ständiger tabufreier Erinnerung an ‚helle’ wie ‚dunkle’ Zeiten sein muss", sagt Otto Hochreiter, Direktor des GrazMuseums und des Stadtarchivs Graz. Die Ausstellung soll auch zeigen, wie die Stadt mit dem sensiblen Thema aus der Vergangenheit umgeht.

Link:
Publiziert am 13.11.2018
GrazMuseum macht „Lager V“ wieder sichtbar
 
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