Eisschneider

josef

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#1
Die "Eisschneider" vom Zeller See
Vor der Erfindung von maschinellen Aggregaten zur künstlichen Kühlung bei der längerfristigen Lagerung von Lebensmittel, Getränken usw. in großen Mengen wie sie z.B. bei Fleischhauern, Lebensmittellagern, Gaststätten und auch im industriellen Umfeld wie Schlachthöfen, Bierbrauereien usw., benötigte man für diese Zwecke große Mengen von Natureis.

Das Natureis wurde in den Wintermonaten aus der Eisdecke von zugefrorenen Teichen, Flüssen und Seen gewonnen. Diese witterungsabhängige saisonale Arbeit wurde von "Eisschneidern" durchgeführt, die mit Sägen und Hacken die benötigten Eisblöcke aus der Eisdecke der Gewässer herausbrachen bzw. sägten. Das so gewonnene Eis wurde in entsprechend isolierten Eishäusern zwischengelagert bzw. bei entsprechend tiefen Temperaturen in die "Eiskeller" bzw. "Eisgruben" der Auftraggeber gebracht.

Dazu fand ich einen Artikel in den SN, wo berichtet wird, dass am "Zeller See" im Pinzgau bis ca. 1950 Natureis von den Eisschneidern gewonnen wurde. Große Mengen des Eises wurde sogar per Bahn nach München geliefert, wo hauptsächlich die dortigen Großbrauereien als Abnehmer fungierten.

Textauszug des SN-Artikels:
Der Zeller See als Eislieferant

Früher war das Eis ein Wirtschaftsfaktor und ein wichtiger Veranstaltungsort. Im 19. Jahrhundert erlebte das Eisschneiden einen großen Aufschwung. Blöcke wurden mit langen Sägen aus dem Eis geschnitten und für die Kühlung in Brauereien oder Gasthäusern verwendet. 1884 war das Eis 60 Zentimeter dick. Rund 450 Arbeiter waren in diesem Jahr beim Eisschneiden beschäftigt, davon über 100 aus Bayern. Denn ein Großteil des Eises wurde mit der Bahn an die Brauereien in München geliefert. 1900 Waggons voller Eis gingen in diesem Winter nach Deutschland. 1899 errichteten die Zeller einen eigenen Gleisanschluss zur Eisverladung. In den 1950er-Jahren wurde das Eisschneiden aufgegeben. Kunsteis hatte sich überall durchgesetzt.
Chronik / Panorma aus Salzburg

In einer Bildchronik von Zell am See fand ich dazu auch einige historische Fotos: (Quelle: http://rrym.org/00zell/Zell_am_See/alt/Chronik.htm )
 

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josef

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#2
Auch in Wien gab es Eisschneider:

Dazu ein Textauszug eines Berichtes über die Eisgewinnung am "Kaiserwasser" in Wien 22. - Donaustadt:
Auf dem Areal des UniCredit Centers Am Kaiserwasser befanden sich einst Eishäuser und ein zugehöriger Eisverladeplatz. Ab den 1870er Jahren übten Eisschneider und -schläger an dieser Stelle der Alten Donau ihr anstrengendes und gefährliches Handwerk aus. Sobald die Gewässer im Winter eine ausreichend dicke Eisdecke aufwiesen, wurde mit dem Schneiden von Eisplatten und -blöcken begonnen. Danach flößten die Arbeiter das Eis über Eiskanäle zum Fischerstrand. Ein Teil wurde sofort an Gastwirte und Metzgereien der Umgebung geliefert, den Rest lagerte man für den weiteren Verkauf in den Eishäusern ein.

Bis 1917 führten die Wiener Eiswerke die Tradition der Natureisgewinnung an der Donau fort. Eine der ehemaligen Schiffmüllerhütten diente den Eisarbeitern als Wärmestube und Kantine. Im Jahr 1923 wurden die Eishallen am Kaiserwasser abgetragen. Der Natureisabbau an der Alten Donau wurde eingestellt.
Text- und Bildquelle: http://ba-kw.bankaustria-projekte.at/uploads/5101_0565_folder_a5red.pdf
 

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josef

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#3
Wenn der Zeller-See dann im Frühjahr eisfrei war, übersiedelten die mehr als 140 Arbeiter an den Fuß der 1.600 Meter hohen Südostwand des Birnhorns in Leogang:

Pinzgauer Lawinenschnee für Münchner Bier
Generationen von Biertrinkern in Bayern verdankten vor mehr als 100 Jahren ihre Gaumenfreuden auch den Schneemassen des Salzburger Pinzgaues. Vom Birnhorn (2.600 Meter) bei Leogang wurde der von der Natur zu Eis umgewandelte Lawinenschnee tonnenweise mit der Eisenbahn nach München verfrachtet. Zu den großen Brauereien für die Kellerkühlung im Sommer.
Online seit heute, 15.00 Uhr
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„Diese heute fast vergessene Eisförderung im 19. Jahrhundert war abenteuerlich. Das sieht man auch auf den alten Fotos, die noch existieren. Das Eisfeld am Fuß der Birnhorn-Südostwand wurde zuerst der Länge nach geschlitzt. Dann folgten Sprengungen mit Dynamit. Das Eis wurde zu Blöcken zerkleinert und über eine hölzerne Rutsche weiter ins Tal gebracht.“

So erzählt der Lokalhistoriker Alois Schwaiger aus Leogang, eigentlich ein promovierter Physiker. Er erforscht im Ruhestand nun die Ortsgeschichte und hat auch die dicke und sehr lesenswerte Chronik der Mitterpinzgauer Gemeinde in Buchform verfasst.

Fotostrecke mit historischen Bildern
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)
Leoganger Ortschronik – Münchner „Illustrierte Zeitung“ (1897)

Bayerische Bierkeller als treue Kunden
Die großen Brauereien in München brauchten im 19. Jahrhundert das Pinzgauer Eis dringend für die Kühlung ihrer Bierkeller. Der unterirdische Abschmelzprozess dauerte dort auch in heißen Sommern erstaunlich lang. Positives Ergebnis solcher Bemühungen waren Tausende Fässer kühles Bier bis in den Herbst: „Wenn Eis in großen Blöcken ohne Sonnenlicht und ohne Zustrom von warmer Luft gestapelt wird, dann dauert es relativ lang, bis es zerfließt und verschwindet. Und die Lufttemperatur bleibt bis zum letzten Block immer knapp über dem Gefrierpunkt, also ideal für die Bierkühlung.“

So las man damals in der Münchner „Illustrierten Zeitung“ am 18. November 1897:
„Es wurden auch die Gletscher des Arlbergs, des Glocknergebietes und des Feuersteins bei Gossensaß besichtigt, Pläne für deren Ausbeutung entworfen und wieder verworfen, bis sich endlich das durch Lawinen gebildete und vergletscherte Schneefeld beim Birnhorn als das für die Ausbeutung am meisten geeigneten Objekt darbot.
Dieses Schneefeld liegt in einer trichterförmigen Einsenkung an den steilen Hängen, erreicht hier die Höhe eines großen Kirchturms und fällt mit einer Neigung von 25 und bis zu 30 Grad ab. Das Innere des Schneefeldes wird von einem Bach durchflossen und bildet eine wunderbare, mächtige Eishöhle. Die gewaltige Ausdehnung ist geeignet, Tausende von Waggons Eis abzugeben.
Die Ausbeutung wird in der Weise bewirkt, dass man in das Eis Stollen in einer Höhe von zwei bis neun Meter und einer Tiefe von zwei bis 15 Meter treibt. Das an die Felsen fest angefrorene Eis wurde mittels Dynamit gesprengt … Die Beförderung der Eiswaggons durch die Dampfeisenbahn geschieht so rasch, dass das Eis, das Montags am Birnhorn gewonnen wurde, schon Mittwochs in München ist.“
Eis aus Lawinenschnee als Goldgrube
Dazu wurde im 19. Jahrhundert auch viel Eis aus dem Zeller See herausgeschnitten und mit der Bahn nach München gebracht. Wenn der See dann im Frühjahr eisfrei war, übersiedelten die mehr als 140 Arbeiter an den Fuß der 1.600 Meter hohen Südostwand des Birnhorns in Leogang.
„Damals existierte da oben beim so genannten Birnbachloch dieser viele Meter dicke Gletscher, der dann im Sommer noch den Nachschub für München garantierte“, sagt Lokalhistoriker Schwaiger: „Die Holzrutsche war mehr als 1.600 Meter lang. Das Eis wurde dann an deren Ende auf Pferdefuhrwerke verladen. Diese brachten es bis zur Eisenbahn. Dafür wurde damals eine eigene Haltestelle eingerichtet, die noch bis weit ins 20. Jahrhundert in Betrieb war – neben dem eigentlichen Bahnhof Leogang. Sie hat Leogang-Steinberge geheißen.“

Bau der Eisenbahn war Schlüsselfaktor
Generell war es nur der damals neuen Eisenbahn mit ihren leistungsfähigen Dampfloks zu verdanken, dass der Eisverkauf nach München überhaupt ins Rollen kam. Die im Reich der Habsburger als „Gisela-Bahn“ bekannte Strecke durch weite Teile des Salzburger Berglandes wurde 1875 fertiggestellt – zu Ehren der Erzherzogin Gisela. Die Route ist bis heute eine der wichtigsten Verbindungen innerhalb Österreichs – von Salzburg über Bischofshofen, Schwarzach, Zell am See, Saalfelden, Leogang und Kitzbühel bis Wörgl. Von dort ging es mit dem Leoganger Eis über Kufstein und Rosenheim in die bayerische Hauptstadt. Diese perfekte Verkehrslage der Leoganger war der entscheidende Wettbewerbsvorteil gegenüber Dörfern in den Hohen Tauern oder Zillertaler Alpen, die noch viel größere Gletscher, aber keinen so nahen Bahnanschluss hatten.

Es gab noch keine Kühlschränke
Warum überhaupt Eis aus altem Lawinenschnee zur Kühlung von Bier? Es gab damals noch keine Kühlschränke, keine Kühlkammern wie heute. Der deutsche Techniker Carl von Linde meldete erst 1873 seine Kältemaschine zum Patent an. Und erst um 1900 wurde die Bierkühlung in München auf die bis heute in ähnlicher Form funktionierenden Linde-Systeme umgestellt. Damit musste sich dann auch die Eisarbeiter in Leogang und beim Zeller See neue Jobs suchen.
Flugbild: Gerald Lehner
Februar 2021, das Birnhorn mit der zweithöchsten Felswand der Ostalpen. Nur die Ostwand auf dem Watzmann ist höher. Links im Nebel Leogang mit dem Verlauf der Eisenbahn ins Tiroler Unterland
Flugbild: Gerald Lehner
Februar 2021: Oberster Teil der Birnhorn-Südostwand, wo schon damals die Lawinen als Nachschub für die Leoganger Eismänner ins Tal donnerten

Pionier-Fotos wie aus dem Yukon Territory
Wer die alten Schwarzweiß-Fotos von 1897 betrachtet, könnte Ähnlichkeiten der Pinzgauer Eismänner mit den Abenteurern und Goldsuchern am Yukon in der fernen Arktis Amerikas entdecken. Auch diese rangen – genau in diesen Jahren der Pionierzeit – einer unerbittlichen Wildnis ein wenig Ertrag für das bessere Leben ab.


Gerald Lehner
Der promovierte und pensionierte Physiker, Metallurgie- und Aluminium-Experte Alois Schwaiger aus Leogang, der die Geschichte dieser Arbeiter erforschte

Stoff für Abenteuerfilm
Die abenteuerliche Eisgewinnung am Fuß der Birnhorn-Südostwand geriet dann im 20. Jahrhundert komplett in Vergessenheit. Bis der ehrenamtliche Lokalhistoriker Schwaiger alte Zeitungsberichte in Archiven ausgrub und für die Ortschronik der Mitterpinzgauer Gemeinde auswertete: „Da wäre schon auch genug Stoff und Landschaft für einen Abenteuerfilm, wenn man ein spannendes Drehbuch drumherum basteln würde – vielleicht auch mit einer jungen, resoluten und tatkräftigen Wirtin neben den alpinen Pionieren“, schmunzelt der Heimatforscher.

In Südtirol bis in die 1950er
Die Literaturwissenschafterin Monika Damisch aus Bozen (Südtirol/Alto Adige) hat uns dazu geschrieben, dass dort so genannte „Eiskästen“ in Privathaushalten noch bis in die späten 1950er-Jahre in Betrieb waren: „Die Eisblöcke konnte man in Ledertaschen vom Biergroßhändler holen. Es hieß, sie stammten aus Gletschergebieten in der Ortlergruppe. Ich hab’ als Kind immer über die Eisblöcke geleckt und versucht, die Zunge festfrieren zu lassen, kein leichtes Unterfangen im sommerlich heißen Bozen.“
09.03.2021, Gerald Lehner - ORF Radio Salzburg, salzburg.ORF.at
Pinzgauer Lawinenschnee für Münchner Bier
 
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