Finnland: Atommüllendlager in hunderte Meter tiefen Stollen auf einer kleinen Insel fertiggestellt

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Atomendlager mit verwischten Spuren
1657640910133.png

Mehr als eine Viertelmillion Tonnen radioaktiver Abfälle warten weltweit auf eine – sofern möglich – sichere Endlagerung. Ein großer Teil des Mülls wird noch in Hunderttausenden Jahren eine Gefahr sein. Finnland hat nun auf einer kleinen Insel ein Endlager fertiggestellt. In einem „Labyrinth“, das für die Ewigkeit konzipiert ist, soll der Atommüll verschwinden – laut Plan ohne Spuren.
Online seit heute, 6.02 Uhr
Teilen
Zahlreiche Länder, die Kernkraftwerke betreiben, wie die USA und Russland vielleicht auch noch auf Hinterlassenschaften ihres atomaren Waffenarsenals sitzen, kämpfen mit dem Problem: wohin damit? Die Grundproblematik ist immer dieselbe: Die Endlager müssen gewährleisten können, dass der hochgefährliche Müll nicht irgendwann nach vielen Generationen einmal zur Gefahr wird.

Finnland ist der erste Betreiber von – aktuell insgesamt zwei – AKWs, der ein Endlager tief unter der Erdoberfläche in einer Gesteinsschicht aus den ersten vier Milliarden Jahren der Erdgeschichte fertiggestellt hat. Diese Methode, Atommüll zu lagern, gilt unter Experten als sicherste unter den bisher bekannten. Der britische „Economist“ widmete dem Endlager zuletzt einen ausführlichen Beitrag.

Eine „Höhle“ im Milliarden Jahre alten Fels
Das Lager nennt sich Onkalo („Höhle“) und befindet sich auf der kleinen Insel Olkiluoto an der Westküste des Landes. Die Insel ist nur durch eine sehr schmale Meeresstraße mit dem Festland verbunden. In 500 Meter Tiefe befindet sich das Endlager, in seiner ersten Ausbaustufe laut dem britischen Wirtschaftsmagazin fertiggestellt im Juni.

Reuters/Lehtikuva
Ein Mantel aus Kupfer schützt den gefährlichen Inhalt gegen Umwelteinflüsse

Aktuell gibt es fünf parallel verlaufende Stollen, jeweils an die 350 Meter tief in eine Schicht aus Granit getrieben. Viele weitere könnten, wenn gebraucht, in den kommenden Jahrzehnten gebohrt werden, während alte sukzessive verfüllt und mit Beton verschlossen würden und ihren radioaktiven Inhalt einschließen sollen wie ein Sarkophag. Am Ende könnte ein unterirdisches „Labyrinth“ aus über 100 Tunneln entstehen.
Insgesamt haben bisher 33 Länder Atomkraftwerke in Betrieb genommen, weitere planen das, die Betreiberländer haben unterschiedliche Pläne, die vom Ausstieg bis zum Ausbau reichen. Mit der gegenwärtigen Erdgaskrise hat die Atomwirtschaft wieder Rückenwind. In Deutschland etwa werden Stimmen laut, den Atomausstieg mit Ende des Jahres, der praktisch schon in Stein gemeißelt schien, zu verschieben.

Eine permanent tickende Zeitbombe
Unabhängig davon: Abfall aus AKWs ist hochradioaktiver Abfall, Brennstäbe haben eine Temperatur von mehreren hundert Grad und müssen erst jahrelang in Kühlbecken (Abklingbecken) zwischengelagert werden. Einige Radionuklide haben eine Halbwertszeit von Hunderttausenden Jahren. Es betreiben mittlerweile mehrere Staaten Endlager für hochradioaktiven Müll, etwa in Tiefbohrungen, allen voran die USA und Russland. Onkalo ist das erste realisierte Beispiel für eine Einlagerung in tiefe geologische Formationen.

Schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus dem AKW Olkiluoto werden am gleichnamigen Standort des Endlagers bereits seit längerer Zeit eingebracht. Finnland betreibt aktuell zwei Kernkraftwerke: Neben Olkiluoto noch Loviisa im Südosten des Landes. Ein drittes Bauprojekt, konzipiert mit russischer Beteiligung, wurde schon vor Jahren gestoppt.

Nach 100 Jahren wird „Höhle“ verschlossen
Erste Pläne für den Bau des Endlagers gab es bereits in den 1980er Jahren, 2004 begann der Bau. Die ersten Brennstäbe sollen 2024, spätestens 2025 eingelagert werden. Die Betriebserlaubnis beträgt 100 Jahre, während dieser Zeit sollen an die 3.000 Kanister genannte Behälter mit verbrauchten Brennstäben in der „Höhle“ verschwinden – für die Ewigkeit, wenn sie dann ganz verschlossen wird. Für den Bau des Endlagers sollen nach seinerzeitigen Angaben rund 3,5 Mrd. Euro kalkuliert worden sein. Betreiber ist Posiva, ein Joint Venture der beiden finnischen AKW-Betreiber Teollisuuden Voima und Fortum.

OpenStreetMap
1657640851376.png

Das strahlende Material kommt erst in die Kanister aus Guss, dann in eine Ummantelung aus Kupfer, um Korrosion zu vermeiden. Die Behälter werden verfüllt, dann kommen sie in die Kammern im Fels tief unter der Erde. Alles geschieht vollautomatisiert. Im nächsten Jahr soll ein Probebetrieb starten, berichtete der „Economist“ unter Berufung auf den Betreiber Posiva. Finnland sei in einer Vorreiterrolle, mit dem Endlager Forsmark sei aber etwa der Nachbar Schweden nur wenige Jahre hinterher. Dieses liegt, ähnlich konzipiert, im Fels unter dem Baltischen Meer und soll 2025 in Betrieb gehen.

Alle Spuren sollen verwischt werden
Bei der Einlagerung in tiefe geologische Schichten müssen einige Voraussetzung, vor allem geologischer Natur, erfüllt sein, in Olkiluoto und Forsmark sind sie das auf verschiedene Weise, wie der „Economist“ detailliert ausführte. Wenn ein Tunnel einmal mit speziellem Beton verschlossen sei, dann heiße es: „Gute Nacht, schlaf gut.“ Kein natürliches Ereignis werde – hoffentlich – eine Katastrophe auslösen, kein „Abenteurer“ werde dann „den schlafenden Horror“, der tief unter der Erde liegt, wecken können.
Reuters/Lehtikuva
Testlauf: Die verschlossenen Behälter, Kanister genannt, verschwinden in den Stollen

Nach Ende der Betriebszeit soll das Endlager so verschlossen werden, dass niemand es finden kann, alle Spuren an der Erdoberfläche sollen verschwinden. Der Hintergedanke: Das Lager verschwinden lassen, anstatt es auszuschildern und den Neugierigen einen Anlass nachzuforschen zu geben, wie die britische Zeitung schreibt. Nur der finnische Staat, an den die Verantwortung für die Stollen dann übergeht, wird dann noch wissen, was darin liegt.

Proteste und Probleme
Ganz sicher kann ein Endlager nie sein, darüber herrscht Konsens. Wie lange es hält und wann etwas passieren könnte, darüber gehen die Fragen auseinander. Auch in Finnland war das so. Am Ende, betonte der „Economist“, stand die Bevölkerung zum überwiegenden Teil hinter der „Höhle“. Das habe “50 Jahre Vertrauensbildung“ gebraucht, sagte der Betreiber. Nur ein Grund dafür, „warum Finnland bald ein Atomendlager hat – und wir nicht“, wie der deutsche „Spiegel“ im Jänner schrieb. Andere Gründe sind handfeste wissenschaftliche und folglich Sicherheitsbedenken.

Deutschland kämpft seit Jahrzehnten mit dem Lagerproblem und Protesten gegen Projekte, die zwei bekanntesten darunter wahrscheinlich Gorleben (Stichwort: Castor-Transporte) und Schacht Konrad, beide in Niedersachsen. In den USA wird seit Jahren über Pläne für ein Endlager im Yucca Mountain in der Mojave-Wüste im Bundesstaat Nevada gestritten. Es gibt gravierende Sicherheitsbedenken, Proteste richten sich gegen den Bau, weil Yucca Mountain auf heiligem indigenen Land der Shoshone liegt. Schließlich: Der Berg Atommüll, auf dem die USA mittlerweile sitzen, hätte in einem Endlager dort gar nicht mehr Platz.
12.07.2022, geka, ORF.at

Links:
Finnland: Atomendlager mit verwischten Spuren
 
Oben