Flugzeugträger aus Eis - nicht realisiertes skurriles britisches Geheimprojekt

josef

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Das skurrile Kriegsprojekt "Habakkuk": Ein Flugzeugträger aus Eis

Die britische Geheimwaffe im Zweiten Weltkrieg, die niemals realisiert wurde
"Seht auf die Völker, schaut hin, staunt und erstarrt! Denn gewiss vollbringt er in euren Tagen ein Werk – würde man euch davon erzählen, ihr glaubtet es nicht." (Habakuk 1,5)

Winston Churchill nimmt ein Bad
Eines Tages gegen Ende des Jahres 1942 stürmte Louis Mountbatten, seines Zeichens Admiral und Kommandeur der britischen kombinierten Land- und Seestreitkräfte, ohne Vorankündigung in die privaten Gemächer des britischen Premierministers Winston Churchill in dessen Landhaus Chequers. Churchill nahm gerade ein heißes Bad, doch Mountbatten ließ sich nicht abhalten, stellte sich vor die dampfende Badewanne, öffnete seine Tasche und entnahm ihr ein kleines Paket.

Mountbatten sagte nur kurz: "Ich habe einen Block von einem neuen Material, den ich gerne in Ihr Bad geben möchte." Und ohne Churchills Antwort abzuwarten, holte er einen merkwürdig gelblichen Klotz aus dem Paket und warf ihn in das staatsmännische Badewasser. Churchill wird verblüfft auf das bräunlich-gelbe Ding gestarrt haben, das plötzlich in seiner Badewanne schwamm und auf den kleinen Wellen tanzte. "Es ist Eis", sagte Mountbatten. "Eis, das nicht schmilzt." Der nackte Churchill betrachtete vermutlich überaus erstaunt den seltsamen Eiswürfel, der da im warmen Wasser vor seinen Augen dahinschaukelte, aber nicht kleiner wurde.

Ob sich diese erste Begegnung Churchills mit dem "Wundereis" tatsächlich so abgespielt hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit belegen, Mountbatten jedenfalls wies in Tischreden später gern darauf hin, dass sich jene Minuten genau so zugetragen hatten. Fest steht jedoch, dass der Premierminister mit Begeisterung auf die imposante Vorstellung reagiert hatte. In einer Notiz vom 7. Dezember 1942 schreibt er: "Ich messe der unmittelbaren Prüfung dieser Ideen größte Wichtigkeit bei".

Geheimprojekt Habakkuk
Mit dieser positiven Beurteilung Churchills fiel der Startschuss zur Entwicklung eines der absurdesten Geheimprojekte in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs: Projekt Habakkuk – die Konstruktion eines riesigen Flugzeugträgers aus unsinkbarem Spezialeis. Die Fehlschreibung des Namens des alttestamentarischen Propheten (im Englischen Habakkuk), der dem Projekt dem Namen gab, zieht sich übrigens durch viele der im Laufe des Unternehmens angefertigten Unterlagen: Habakkuk oder Habbakuk ist dort zu lesen. Der Flugzeugzeugträger sollte die Übermacht der tödlichen deutschen U-Boot-Flotte brechen.

Foto: Public Domain
So oder so ähnlich konnte man sich den Flugzeugträger aus Eis vorstellen.

Das Eis, das Mountbatten Churchill auf eindrucksvolle Weise vorgeführt hatte, trug den Namen Pykrete, ein Verbundstoff, der im wesentlichen aus Wassereis und Sägemehl besteht. Das Material schmilzt aufgrund seiner geringen Wärmeleitfähigkeit sehr viel langsamer als gefrorenes Wasser. Die Eigenschaften von Pykrete ähneln jenem von Beton. Der Verbundstoff ist äußerst widerstandsfähig, hat enorme Druckfestigkeit, kann einfach zu Blöcken geformt und anschließend wie Holz verarbeitet werden.

Unsinkbare Schiffe auf den Weltmeeren – welch eine Vorstellung! Kein Wunder, dass die alliierten Mächte im Jahr 1943 davon träumten, der deutschen Flotte auf derart ungewöhnliche Weise Paroli bieten und eine Wende im Vernichtungskrieg der deutschen Truppen herbeiführen zu können.
Die Idee war geboren. Die HMS Habakkuk sollte über 600 Meter lang und an die 100 Meter breit werden. Zwölf Meter dicke Bordwände aus Eis sollten Platz bieten für etwa 200 Spitfire-Flugzeuge und eine 3000-Mann-Besatzung. Im Inneren würden Hangars entstehen und gewaltige Elektromotoren, die Gefriermaschinen betrieben, für die notwendige Kühlung sorgen. Ein Schiff von gigantischen Ausmaßen, ein Koloss auf dem Meer, wie ihn die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte.


Foto: Public Domain
Konzeptentwurf der HMS Habakkuk.


Foto: Illustrated London News/Public Domain
So sollte die Habakkuk im Inneren aussehen.

Geoffrey Pyke und das Wundereis Pykrete
Geoffrey Pyke frohlockte. Er war der britische Erfinder und etwas wirre Querdenker, der das Supereis Pykrete – eine Kombination aus dem Namen des Erfinders und dem englischen Wort für Beton, concrete – entwickelt hatte und auch an der Idee des Monster-Flugzeugträgers maßgeblich beteiligt war. Ihm schwebten allerdings nicht nur Flugzeugträger aus Eis vor, auch Landungsboote in Form italienischer Gondeln und Versorgungsschiffe aus Pykrete, die – einmal außer Dienst gestellt – einfach auf hoher See langsam vor sich hin schmelzen würden. Einfälle, die nach Science-Fiction klingen, doch von Mountbatten und Churchill durchaus ernst genommen wurden.

Nachdem der Startschuss erfolgt war, wurden die Versuche mit Pykrete vom späteren Chemie-Nobelpreisträger Max Perutz in London unterhalb des Smithfield Meat Market fortgesetzt. Er mischte Wasser, Sägespäne und Baumwolle in unterschiedlichen Kombinationen und entwickelte in vielen Versuchen tatsächlich Eisblöcke, die nahezu undurchdringlich waren. Die besten Ergebnisse erzielte Perutz mit einer 14-prozentigen Beimengung von Sägespänen. Dann folgte der Praxistest: Perutz und seine Assistenten feuerten mit Pistolen auf die Eisklötze. Und das Unglaubliche geschah tatsächlich – die Kugeln prallten von der Oberfläche ab, ohne sie zu zerstören.

Nun war Admiral Mountbatten vollends von der Genialität der Idee überzeugt und ließ in einer inszenierten PR-Aktion im Sitzungssaal des britischen und amerikanischen Militärstabs im Herbst 1943 zwei Eisblöcke aufstellen. Einer bestand aus herkömmlichem Wassereis, der zweite aus dem Wundereis Pykrete. In Anwesenheit des Generalstabs schoss der Admiral auf die Blöcke. Während der erste, aus Wassereis bestehende Block, in tausende Einzelteile zersplitterte, prallte die zweite Kugel vom Pykrete-Eisblock ab und schoss durch den Raum – glücklicherweise ohne jemanden zu verletzen. Eine wahrhaft beeindruckende Vorführung, die die letzten Zweifler umstimmen sollte. Die Militärs zeigten sich überaus beeindruckt, selbst US-Präsident Franklin Roosevelt soll von der Idee eines gigantischen Flugzeugträgers aus Eis äußerst angetan gewesen sein.



Foto Charles Nichols/Wikimedia [CC BY-SA 3.0]
Ein Block des Verbundstoffs Pykrete.

Eine Idee, die nie realisiert wurde
Und dennoch: Letztlich sollten die Gegner der krausen Idee Oberhand behalten. In Zeiten des Krieges wären die Investitionen in ein derartiges Projekt schlicht unbezahlbar gewesen. Etwa 80 Millionen Dollar hätte die Realisierung der Habakkuk wohl verschlungen. Außerdem wäre ein derartiges Monsterschiff kaum manövrierfähig gewesen. Argumente, die dazu führten, dass die Vision eines unsinkbaren Schiffes aus Eis nun doch dahinschmolz, wie eine Kugel Erdbeereis in der Sonne. Neuartige landgestützte Flugzeuge waren nun in der Lage, größere Strecken zu überwinden und durch die Entwicklung neuer Radar-Verfahren konnten feindliche U-Boote präziser lokalisiert werden. Der Krieg begann sich allmählich zugunsten der Alliierten zu wenden.

Aber vielleicht war in den Hauptquartieren der alliierten Streitkräfte auch längst schon klar, dass ein Ende des Kriegs nicht durch Schiffe aus Eis sondern durch riesige todbringende Feuerbälle herbeigeführt werden würde.
Und so verblieb vom ungewöhnlichen Projekt Habakkuk nur ein Prototyp, ein Schiff von 18 Metern Länge am Patricia Lake in Kanada. Das Boot wurde von Kriegsdienstverweigerern im Mai 1943 gebaut. Als der Plan, die Habakkuk zu realisieren, von den Alliierten verworfen wurde, schaltete man auch am Patricia Lake die Kühlung ab. Doch noch im Nachhinein stellte sich der Prototyp als Erfolg heraus, denn es dauerte mehrere Monate bis das Boot geschmolzen war und die Überreste des 1000 Tonnen schweren Modells auf den Grund des Sees sanken.

Geoffrey Pyke, der glücklose Erfinder
Geoffrey Pyke, der Erfinder von Pykrete und Ideenlieferant für den unsinkbaren Flugzeugträger aus Eis, hielt aber auch nach dem Abbruch des Projekts unbeirrt an weiteren fantastischen Ideen fest. So schlug er Mountbatten Ende 1943 ein Röhrenystem vor, mit dem Soldaten mit Hilfe von Druckluft über große Distanzen befördert werden sollten. Um Klaustrophobie und Panik in den engen Röhren vorzubeugen riet Pyke dazu, die Probanden während des Transports mit Barbituraten ruhig zu stellen. Ein weiteres Projekt, das niemals realisiert wurde. Verbittert von all der Ignoranz, die ihm entgegenschlug, setzte Pyke am 21. Februar 1948 im Alter von 55 Jahren mit einer Überdosis Schlaftabletten seinem Leben ein Ende.
(Kurt Tutschek, 22.8.2018)

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Das skurrile Kriegsprojekt "Habakkuk": Ein Flugzeugträger aus Eis - derStandard.at
 
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