ORF-Schwerpunkt zum Schicksalsjahr 1938:
Zum Schicksalsjahr 1938 zeigt der ORF im März einen umfangreichen, erstmals die historischen Ereignisse möglichst in „real time“ abbildenden Schwerpunkt.
Zeitzeugnisse rund um den „Anschluss“ - Februar 1938
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ORF
Februar 1938:
12. Februar 1938
Der österreichische Bundeskanzler Dr. Schuschnigg stattete heute in Begleitung des Staatssekretärs […] Dr. Guido Schmidt […] dem Führer und Reichskanzler auf dessen Einladung einen Besuch auf dem Obersalzberg ab. Diese inoffizielle Begegnung entsprang dem beiderseitigen Wunsche, sich über alle Fragen, die das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich betreffen, auszusprechen.
Protokoll und Communique über die Besprechung vom 12. Februar 1938 (o.D.), zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 152-153.
Der offene Kampf liegt den Nationalsozialisten nicht. Ihre Kampfesweise ist die ‚nordische List‘. Wenn in den letzten Tagen in Linz Nationalsozialisten den Namen des roten Aufrührers Bulgari an die Wände schmierten, so bildet diese Handlungsweise nur ein weiteres Glied in der Kette von […] Täuschungsversuchen, mit denen die Nationalsozialisten hoffen, an die Macht zu kommen.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 34, 12. Februar 1938, S. 1.
Das ‚Linzer Volksblatt‘ mag recht haben, wenn es meint, daß sich noch kein Nationalsozialist ehrlich zur Vaterländischen Front bekehrt hat, denn hinter dieser steht auch nicht die geringste Idee, während der Nationalsozialismus das Hoffen eines ganzen Volkes bedeutet. Unwahr hingegen mutet der Satz an wegen der Bemühungen um die Befriedung, denn wir wissen es alle, daß die Leute um Schuschnigg eine wirkliche Befriedung nicht wollen!
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 10.
13. Februar 1938
Mittags stand in allen Blättern, Schuschnigg sei zu Hitler gefahren und konferiere mit ihm. Anfang vom Ende. Verzweifelt. Saß da und strickte. Was in Wien vorgeht, weiß man nicht.
Hilde Spiel, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 18-19.
Der Besuch des Bundeskanzlers Doktor Schuschnigg und des Staatssekretärs für die auswärtigen Angelegenheiten bei Reichskanzler Hitler diente dem ehrlichen Bestreben, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten weiter zu vertiefen.
Das Kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 43, 13. Februar 1938, S. 1.
Für die Geschichte der beiden deutschen Staaten wird der 12. Februar 1938 gewiß immer ein historisches Datum bleiben, er hat auf dem Weg der Wiederannäherung, der mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 beschritten wurde, einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht. Was damals gesagt wurde von der Freude, die diesseits und jenseits der Grenzen darüber herrscht, daß ein unnatürlicher Zustand zwischen zwei Bruderstaaten, zwischen Waffengefährten im größten aller Kriege sein Ende findet, gilt in erhöhtem Maß auch heute.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13675, 13. Februar 1938, S. 1.
Daß die Zusammenkunft gerade im jetzigen Zeitpunkt erfolgt ist, spricht deutlicher als alle Verlautbarungen und Versicherungen es tun konnten, gegen jene Gerüchte, die aus ausländischen Quellen stammend, in den letzten Tagen dem Deutschen Reich mancherlei böse Absicht gegenüber Oesterreich nachgesagt haben […].
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 43, 13. Februar 1938, S. 1.
14. Februar 1938
Lange Zeit wurde die Öffentlichkeit über die Besprechungen in Berchtesgaden im Unklaren belassen. ‚Was hat Hitler Schuschnigg gegeben?‘ fragte man. Und der Volkswitz antwortete: ‚Die Verlängerung des Führerscheins um ein paar Wochen…‘ Bittere Wahrheit lag in diesem Bonmot. An allen Ecken und Enden wurde über Berchtesgaden diskutiert.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 12.
Schuschnigg, der Kanzler höchster geistiger Kraft, dieser feine Denker und klare, zielbewußte Staatsmann, hat erneut jene Härte geoffenbart, die in der Grundsatztreue seines Werkes liegt. Der Katholik denkt in umfassender Weite und ist zum gerechten Ausgleich bereit, er kann aber nur bis zu jenen Grenzen gehen, die ihm die ethischen und staatlichen Gesetze auflegen.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 36, 14. Februar 1938, S. 1.
Die Arbeiterschaft Österreichs, die zu jedem Opfer bereit ist, wenn es gilt, den Frieden im Land zu wahren, ist aber auch entschlossen, jedes Opfer auf sich zu nehmen, das von ihr für die Erhaltung oder Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit unserer österreichischen Heimat verlangt werden könnte.
Staatssekretär Hans Rott, zit. nach: Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 1.
So wirkte denn die erste Nachricht über die Kanzlerbegegnung auf dem Obersalzberg wie ein Blitz. In Österreich war dieses Ereignis der einzige Gesprächsgegenstand, der alle Gemüter bewegte, und auch im ganzen Ausland wurde sie als ein politisches Ereignis erster Ordnung angesehen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 1.
15. Februar 1938
In unseren vaterländischen Zeitungen zeigt sich heute eine gewisse Nervosität. Überall wird gesprochen von der bevorstehenden Regierungsumbildung. Es scheint schon sicher zu sein, daß Staatsrat Dr. Seyß-Inquart in die Regierung aufgenommen wird und das Innenministerium erhält.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 12.
Obgleich sich die amtlichen Stellen der beiden Staaten noch weitgehende Zurückhaltung auferlegen, zeichnen sich bereits in großen Linien die Ergebnisse der Begegnung ab. Ganz allgemein überwiegen die Stimmen, die das Kanzlertreffen positiv bewerten und in ihm einen Beitrag zur Entspannung der politischen Atmosphäre Europas sehen wollen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 45, 15. Februar 1938, S. 1.
Die Begegnung zwischen den beiden Staatsmännern vollzog sich in überaus herzlichen Formen, und die vielstündige Aussprache stand im Zeichen vollen beiderseitigen Verständnisses.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 37, 15. Februar 1938, S. 1.
Österreich hat sich stets als deutscher Staat bekannt, und es gibt wohl niemand bei uns, der die weitere Entwicklung normaler Beziehungen mit dem großen Nachbarstaat nicht als selbstverständlich erachten würde. Jene […] unbelehrbaren illegalen Nationalsozialisten, welche sich nicht scheuen im Dienste ihrer […] dunklen Bestrebungen Mißverständnis zu säen, werden künftig auf noch stärkere Zurückweisung gefaßt sein müssen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 2.
16. Februar 1938
Wien glich einem Hexenkessel von Gerüchten, das vorläufige Fehlen einer amtlichen Verlautbarung über Inhalt und Ergebnis der – wie jeder wußte – hoch bedeutsamen Aussprache zwischen […] Dr. Kurt Schuschnigg und […] Adolf Hitler und die keiner Kontrolle unterliegenden Kombinationen, die vom Ausland her verbreitet wurden, hatten eine ungeheure Nervosität zur Folge, die sich gegen Abend immer mehr steigerte.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13678, 16. Februar 1938, S. 7.
Warum zeigen Sie nicht Ihre Freude und feiern Ihren Triumph?“ fragte ich einen meiner Nazibekannten. „Sie haben es oft genug aus weit geringerem Anlass getan.“ „Weisungen von oben“, war die Antwort. „Wir sollen uns ruhig verhalten, bis der Führer gesprochen hat.“
Gedye, G(eorge) E(ric) R(owe): Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927 bis 1938. Wien: Junius Verlag 1981, S. 230.
Eine Änderung der Judenpolitik der österreichischen Bundesregierung ist im Zusammenhang mit der Begegnung in Berchtesgaden absolut nicht zu erwarten. Die österreichische Regierung hält unerschütterlich an dem Prinzip der Gleichberechtigung fest.
Die Stimme. Jüdische Zeitung, 11. Jg., Nr. 733, 16. Februar 1938, S. 1.
17. Februar 1938
In jüdischen Kreisen ist man überzeugt, daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann Österreich politisch und wirtschaftlich mit dem Reich vereinigt wird. Der Zusammenbruch ist ein derartig totaler, daß unter der Voraussetzung, daß eine Beschleunigung der Entwicklung dem Führer in sein außenpolitisches Konzept paßt, durch bestimmten Nachdruck seitens des Reiches innerhalb der nächsten Wochen eine Reihe entscheidender Positionen erobert werden kann.
Lagebericht Dr. Edmund Veesenmayer, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S.14.
Sie wissen ja am besten, daß ich stets Ihnen gegenüber den Standpunkt vertreten habe, daß wir eine endgültige Sicherung unserer Unabhängigkeit durch eheste Einführung einer legitimen Monarchie brauchen. […] Sollten Sie einem Druck von deutscher Seite oder von betont nationaler Seite nicht mehr widerstehen zu können glauben, so bitte ich Sie, mir, wie immer die Lage auch sei, das Amt eines Kanzlers zu übergeben.
Otto von Habsburg an Kurt Schuschnigg, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 213.
Die österreichischen Arbeiter sind für den Frieden, aber nicht um jeden Preis! Wir Österreicher werden unser Haus selbst bestellen, nach unserem eigenen, freien, unbeeinflußten Willen, nach unseren eigenen Grundsätzen und auf unsere Art.
Entschließung der versammelten Obmänner sämtlicher Gewerkschaften und Hauptvertrauensmänner der Wiener Großbetriebe, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 188.
Die allgemeine Amnestie wird sicher manches Kopfschütteln erregt haben. Wenn sie als großzügiger Versuch, einen dicken Strich unter eine böse Vergangenheit zu ziehen, aufgefaßt wird, wird auch sie gute Früchte bringen. […]. Was von einem Großteile der Bevölkerung mit Befriedigung aufgenommen werden wird, ist die Tatsache, daß sie für alle politischen Verbrechen gilt […].
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 39, 17. Februar 1938, S. 1.
18. Februar 1938
Selten noch hat ein politisches Ereignis in den breiten Massen der Arbeitnehmerschaft eine solche Beachtung gefunden, wie die letzte Regierungsumbildung. Die politisch geschulte österreichische Arbeiterschaft ist sich der Tragweite der letzten Ereignisse voll bewußt.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 48, 18. Februar 1938, S. 2.
Es muß hervorgehoben werden, daß außer England nur noch Frankreich für die Unabhängigkeit Österreichs eintritt. Die italienische Regierung hat in einer offiziösen Erklärung ihre Zustimmung zu den Vereinbarungen von Berchtesgaden ausgesprochen.
Die Stimme. Jüdische Zeitung, 11. Jg., Nr. 734, 18. Februar 1938, S. 1.
Englische Zeitungsmeldungen besagen, daß Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring im März nach Wien kommen soll, um namens des Reichskanzlers die in Berchtesgaden begonnen Besprechungen mit dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg fortzusetzen.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13680, 18. Februar 1938, S. 7.
19. Februar 1938
Warum spricht Schuschnigg nicht zu uns!“ beschwerten sich seine Anhänger mit Bitternis. „Er soll uns doch die Wahrheit sagen – oder glaubt er, wir können sie nicht ertragen? Wenn es wirklich keinen Widerstand mehr gibt, dann müssen viele von uns eiligst das Land verlassen; er ist es uns schuldig, und rechtzeitig.
Enttäuschte Anhänger Schuschniggs in der Woche nach Berchtesgaden, zit. nach Gedye, G(eorge) E(ric) R(owe): Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927 bis 1938. Wien: Junius Verlag 1981, S. 231.
Das heißt also, alle Nationalsozialisten, die nicht so, wie bis jetzt, abseits stehen wollen, müssen in die Vaterländische Front gehen. Dies macht ja schließlich nichts aus, denn auf diese Weise kann die Vaterländische Front derart mit Nationalsozialisten ‚gespickt‘ werden, daß sie von selbst ihren reaktionär-klerikal-monarchistischen Charakter verliert.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 15.
Die Begegnung Hitler-Schuschnigg am 12. Februar bedeutet einen Markstein nicht nur in der Geschichte Oesterreichs, sondern auch in der Geschichte des gesamten deutschen Volkes. Was durch Jahre hindurch undurchführbar schien ist eingetreten, ein Gedankenaustausch zwischen den verantwortlichen Leitern der Politik der beiden deutschen Staaten hat stattgefunden und zu einem positiven Ergebnis geführt.
Alpenländische Rundschau, 15. Jg., Nr. 745, 19. Februar 1938, S. 1.
Kaum ein anderer Teil unserer Bevölkerung ist am Verhältnis und an der Art des Verhältnisses zwischen den zwei deutschen Staaten Europas, Oesterreich und Deutschland, so interessiert wie die Arbeiterschaft. […] Die österreichische Arbeiterschaft ist patriotisch. Schon um ihrer Liebe zur Heimat wegen will sie Oesterreich stark sehen, immer so stark sehen, daß es Wünschen Zweiter und Dritter gewachsen ist.
Oesterreichische Arbeiter-Zeitung, 43. Jg., Nr. 8, 19. Februar 1938, S. 1.
20. Februar 1938
Noch nie horchten in Österreich so viel Menschen zuhause und in den Gaststätten dem Rundfunk, als heute anläßlich der großen Rede des Führers und Reichskanzlers im Reichstag. Fast menschenleer waren die Straßen und Plätze, alles hing voll Spannung am Radio. Nur dort, wo Lautsprecher aufgestellt waren, stauten sich die Massen.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 15.
Nach der am 20. Februar gehaltenen Rede Hitlers stieg die Nervosität ins Grenzenlose. Die täglich um 18 Uhr einsetzenden Straßenkundgebungen nahmen an Umfang und Bedeutung zu. Unter den Staatsopern-Arkaden stand ständig Polizei in Bereitschaft. […]. Den sich zu Hitlers Politik bekennenden Demonstranten wuchs der Mut.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 14.
21. Februar 1938
Adolf Hitler hat gestern zur Welt in sehr ernster Weise gesprochen. Man kann seine Rede als ein Bekenntnis zur reichsdeutschen Macht auffassen, doch enthält sie auch den Wunsch nach Frieden. Das deutsche Volk sei eben soldatisch, aber nicht kriegerisch eingestellt. Die internationale Oeffentlichkeit wird noch lange unter dem Eindruck der dreistündigen Kanzlerrede stehen.
Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 26383, 21. Februar 1938, S. 1.
Gestern saß um 13 Uhr ganz Österreich beim Radioapparat, um Hitler zu hören. Die Rede war wieder ein Meisterwerk, dem Inhalt, der Form und dem Vortrag nach. An einigen Stellen hatte ich geradezu Herzklopfen, und wie ich dann aus den Erzählungen anderer hörte, ging es ihnen nicht anders. So packte er seine Zuhörer. Über Österreich sagte er nicht viel und er wird schon wissen, warum. Besser gehandelt als geredet.
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 21. Februar 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
Bei aller Knappheit der Formulierung geht aus der Erklärung des deutschen Reichskanzlers mit aller Deutlichkeit die Anerkennung und Bekräftigung der Grundlagen des Modus vivendi Juli 1936 hervor, denn wenn auch in der Kanzlerrede diese Deklaration nicht wörtlich enthalten ist, so ist sie durch die zweimalige Erwähnung des Abkommens vom 11. Juli sinngemäß ausgeführt.
Der Morgen. Wiener Montagblatt, 29. Jg., Nr. 8, 21. Februar 1938, S. 1.
Heute ist es in ganz Österreich zu großen Freudenkundgebungen gekommen. In Wien zogen viel tausend Menschen über den Ring, riefen ‚Heil Hitler‘ und ‚Sieg Heil‘, sangen das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 20.
Am Kai fielen uns grosse Versammlungen im Sprechchor schreiender Leute und ein grosses Aufgebot bewaffneter Schutzmänner der Polizei auf, die – offenbar infolge der politischen Veränderungen im Verhältnis Oesterreichs zu Deutschland […] demonstrierten. Hoffentlich kommt es zu keinen Volkstorheiten.
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 21. Februar 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
22. Februar 1938
Gestern vormittag zog eine Gruppe mehrerer hundert Studenten von der Universität in geordnetem Zuge über den Ring bis zur Oper, sang nationalsozialistische Lieder und veranstaltete Sprechchöre. Die Studenten wurden bei der Oper von der Polizei gegen den Naschmarkt abgedrängt, formierten sich abermals und marschierten über die Museumsstraße bis zum Deutschen Volkstheater.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 3.
Gestern verkündeten junge Männer in allen öffentlichen Lokalen, daß abends um 9 Uhr ein Fackelzug zu Ehren Seyß-Inquarts durchgeführt werde. Obwohl die Nachricht erst in den späten Nachmittagsstunden, um etwa 6 Uhr ausgetragen wurde, versammelte sich schon um ½ 9 Uhr am Innrain eine Unmenge von Teilnehmern.
Vorarlberger Tagblatt, 21. Jg., Nr. 43, 22. Februar 1938, S. 1.
Um dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg einen Beweis zu geben, wie sehr die vaterländische Bevölkerung mit seiner Führung einverstanden und wie sehr der Wille für die staatliche Unabhängigkeit des Vaterlandes in den Herzen der Bevölkerung verwurzelt ist, veranstaltet die VF in Graz einen würdigen Aufmarsch ihrer Mitglieder.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 2.
Auch in Linz sammelten sich gestern etwa 500 nationalsozialistische Parteigänger an, die vor das Redaktionsgebäude des ‚Linzer Tagblattes‘ zogen und dort auf der Spittelwiese Aufstellung nahmen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 3.
23. Februar 1938
Entsprechend dem Beschluß der Vertrauensmännerkonferenz wurde gestern in allen österreichischen Betrieben eine Resolution zur Unterschrift ausgelegt, in der sich die Arbeiter zur Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs bekennen. Nach den vorliegenden Meldungen hat die Zahl der Unterschriften bereits eine Million überschritten.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 54, 23. Februar 1938, S. 1.
Österreichs Schicksal ist auch eine europäische Frage. Es ist das Zentralproblem des gesamten europäischen Gleichgewichtes.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 54, 23. Februar 1938, S. 2.
Donnerstag, 24. Februar wird Bundeskanzler Schuschnigg in der Sitzung des Bundestages Erklärungen über die Vereinbarungen von Berchtesgaden abgeben. Um der großen Bedeutung des Ereignisses gerecht zu werden, wird in ganz Oesterreich am Donnerstag früh bis Freitag früh beflaggt.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 44, 23. Februar 1938, S. 1.
In ganz Wien werden auf zahlreichen Plätzen Lautsprecheranlagen aufgestellt. Auf allen diesen Plätzen werden vor und nach der Rede des Kanzlers Musikkapellen Platzkonzerte veranstalten.
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 44, 23. Februar 1938, S. 1.
24. Februar 1938
9 Uhr abends: Eben ist die Rede Dr. Schuschniggs im Bundestag gehalten und im Rundfunk verbreitet worden. Sie hat in uns keine Freude erweckt, aber viel Enttäuschung gebracht. Die paar warmen Sätze, die in ihr enthalten sind, verblassen gegenüber dem höhnischen Spott, den er stellenweise anwendet. Nicht zu vergleichen ist diese Rede mit der des Führers und Reichskanzlers am letzten Sonntag!
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 23.
Auf dem Graben stieß ich mit einem alten Freund zusammen, der die Rede Schuschniggs in einem kleinen Kaffeehaus nächst dem Kohlmarkt gehört hatte. Siegesbewußt fragte er: ‚Na, was sagen Sie jetzt? Zufrieden? Allen Menschen ist jetzt ein Stein vom Herzen gefallen. Die Leute im Café haben geweint und nach Schluß einander umarmt.‘ ‚So‘, sagte ich, ‚haben sie das getan? Na mir scheint die Rede der Schwanengesang unseres Kanzlers gewesen zu sein.‘
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 16-17.
Die Kärntnerstraße bot ein unbeschreiblich konfuses Bild. Ihre rechte Seite hatten tausende Schuschnigg-treue Menschen eingenommen, die im Sprechchor ‚Hoch Schuschnigg!‘, ‚Wir bleiben ein freies Österreich!‘, ‚Nieder mit der braunen Pest‘, ‚Rot-weiß-rot-Hitlers Tod!‘ riefen. Auf der linken Seite hatten sich Hitlers ‚Mannen und Frauen‘ formiert, die ihrerseits die Kehlen mit den Slogans ‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer!‘, ‚Adolf Hitler – unser Führer!‘ usw. strapazierten.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 17.
25. Februar 1938
Lange Kolonnen mit Fahnen und Musikkapellen zogen durch die Straßen der Stadt. Überall ertönten die Sprechchöre, die immer wieder in Hoch- und Heilrufe auf Bundeskanzler Schuschnigg ausbrachen. Gegen 19 Uhr trat erwartungsvolle Stille ein. […]. Wie tief der Eindruck war, zeigten die großen vaterländischen Kundgebungen im Anschlusse an die Rede.
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 46, 25. Februar 1938, S. 5.
Über die Vorkommnisse bei den Fackelzügen schweigen sich die vaterländischen Zeitungen ziemlich aus, man spürt es, die mindere Teilnahme auf der einen und die geradezu überwältigend große Beteiligung auf der anderen Seite geht den Vaterländischen stark auf die Nerven. Sie trösten sich mit den zustimmenden Stimmen des Auslandes zur Schuschnigg-Rede und bringen die verschiedensten Danktelegramme der Systemträger an Dr. Schuschnigg.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 30.
Immer wieder klang das freudige Bekenntnis zum Vaterland, der Glaube an seine Sendung und der unbeugsame Wille durch, die Selbständigkeit Oesterreichs unangetastet und unangefochten zu erhalten, um dem Land seine historische deutsche Mission zu sichern und dem europäischen Frieden einen unschätzbaren Dienst zu erweisen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 55, 25. Februar 1938, S. 2.
Die Nacht schenkte guten Schlaf, trotz des Hustens. Viel zu tun. Der Schuschnigg hat bei Fahnenbeleuchtung […] Schwanengesangsrede vom Stapel gelassen. Alles hört auf Erden einmal auf. Das Wetter ist rauh und kalt, aber herrliche Sonne.
Bernhardine A., Tagebuch, 25. Februar 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 9 I.
26. Februar 1938
Der Führer erklärte, daß er in der Österreich-Frage der Partei einen anderen Weg weisen müsse, denn die Österreich-Frage könne nie durch eine Revolution gelöst werden. […]. Eine gewaltmäßige Lösung sei ihm, wenn es irgendwie vermieden werden könne, jetzt nicht erwünscht, da für uns die außenpolitische Gefährdung von Jahr zu Jahr geringer werde und die militärische Macht von Jahr zu Jahr größer.
Aktenvermerk von Wilhelm Keppler über einen Empfang bei Hitler, 26. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 173-174.
Immer wieder wird man im Laufe der nächsten Wochen und Monate auf die Formulierungen zurückkommen müssen, mit denen die Staatsrede des Bundeskanzlers die Lage und die Aufgabe Oesterreichs umrissen hat. Die wichtige Erkenntnis und Klarheit, die sie enthält ist: wir haben nicht irgendeinen neuen Weg zu beginnen, sondern wir haben auf der guten bewährten Dollfuß-Straße weiterzumarschieren!
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 47, 26. Februar 1938, S. 1.
Die Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg wird in Berliner politischen Kreisen sorgfältig studiert. Dabei gibt man seiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß Dr. Schuschnigg, ebenso wie er die Unabhängigkeit Oesterreichs herausstellte, ein Bekenntnis zum Deutschtum abgelegt habe.
Vorarlberger Tagblatt, 21. Jg., Nr. 47, 26. Februar 1938, S. 1.
In Paris und London weckte vor allem die mutige Offenheit des Kanzlers Bewunderung. Ueberall wird sein Bekenntnis zur Unabhängigkeit Oesterreichs unterstrichen, wobei es jedoch keineswegs an Verständnis für den natürlichen Wunsch Oesterreichs fehlt, mit dem zweiten deutschen Staat in Frieden zu leben.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 56, 26. Februar 1938, S. 2.
27. Februar 1938
Das Wort vom deutschen Frieden wird gewiß jedem aus der Seele gesprochen sein, der in dem nunmehr hoffentlich endgültig beendeten Bruderkampf ein aufgezwungenes, hartes Muß erblickte, das niemand wollte.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 2.
Gestern gegen 6 Uhr abends zogen Gruppen des Katholischen Jungvolks in der V.F. durch die Rotenturm- und die Kärntnerstraße und riefen in Sprechchören: Heil dem Kanzler Kurt v. Schuschnigg!“ und „Rotweißrot!“ Die Demonstration erregte beim Publikum ziemliches Aufsehen.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 4.
Vor dem Gebäude der Arbeiterkammer versammelten sich heute mittag eine Menge Nationalsozialisten, die gegen den Oberösterreichischen Gewerkschaftsbund, der angeblich vier Arbeiter wegen Teilnahme am Fackelzug der Nationalsozialisten kündigen wollte, demonstrierten.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 4.
28. Februar 1938
In Kärnten fanden in den letzten Tagen in allen größeren Orten Kundgebungen der vaterländischen Bevölkerung statt. Viele Tausende von treuen Oesterreichern marschierten […] auf, um ihrem unerschütterlichen Willen zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Vaterlandes […] Ausdruck zu geben.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 1.
(Der Grazer) Bürgermeister Schmidt hat einen Krankheitsurlaub angetreten, von dem er nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren dürfte. Der Bürgermeister hatte am Donnerstag abends einer nationalsozialistischen Demonstration zugesagt, die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus zu hissen.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 2.
Die ‚Germania‘ wendet sich gegen abwegige Kombinationen ausländischer Blätter über die Zusammenkunft von Berchtesgaden und schreibt: Wenn man gewissen Blättermeldungen glauben soll, so hatte sich auf dem Obersalzberg der Schwächere dem Ultimatum des Stärkeren gebeugt und Europa stand wieder einmal am Vorabend einer Katastrophe.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 2.
http://orf.at/stories/2428202 - Ereignisse Februar 1938