Gedenken an die Annexion von Österreich durch das Deutsche Reich am 12.03.1938

josef

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#21
Bezirk Gmünd im Waldviertel:

Als der „Schandfrieden“ zu Ende ging
In der Nacht auf 12. März jährt sich der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland zum 80. Mal. Ein Rückblick mit neuen Inhalten.

1. Oktober 1938: Abgebauter Grenzbalken des Überganges bei Harbach als Trophäe am Rathausplatz von Weitra | Stadtarchiv Gmünd

Vor 80 Jahren wurde der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland vollzogen. Am Abend des 11. März 1938 verkündete Bundeskanzler Schuschnigg in einer Rundfunkrede seinen Rücktritt, Österreich weiche der Gewalt. Am 12. März überschritten deutsche Truppen die Grenze, es wurde kein militärischer Widerstand geleistet.

Feiern zum Einmarsch ließen im Bezirk Gmünd nicht lange auf sich warten: In Weitra traten am 12. März im Rathaus die Führungsmitglieder der NSDAP zur Festsitzung zusammen; in Litschau fand laut dortiger Gendarmeriechronik am 13. März ein Fackelzug mit 1.500 Teilnehmern statt; auch in Schrems und Heidenreichstein übernahmen kurzerhand die Nationalsozialisten die wichtigsten Stellen und die Führung der Gemeinde.

Hakenkreuzfahnen: Färbereien im Stress
In der Bezirkshauptstadt besetzten in der selben Nacht SA-Männer die Gendarmerie, der spätere Kreisleiter Hans Lukas sprach am Gmünder Stadtplatz zu etwa 100 Nationalsozialisten. Die Nacht nutzten Frauen zum Nähen von Hakenkreuzfahnen, in den Färbereien wurde mit Hochdruck an der Herstellung roter Stoffbahnen gearbeitet.

Am Sonntag nach Hitlers Machtergreifung gab es einen großen Fackelzug von der Neustadt zum Stadtplatz. Bei der anschließenden Siegesfeier erfüllten euphorische Sprechchöre die Gassen.

In den Tagen nach dem „Anschluss“ fanden erste Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen jüdischen Eigentums durch SA- und SS-Angehörige statt. Auch in Gmünd wurden noch im März alle jüdischen Geschäfte durch große Zettel mit der Aufschrift „Jüdisches Geschäft“ gekennzeichnet.

„Dann hat er sie durch die Straßen gejagt. Und das nur, weil sie sich ein Handtascherl beim Reich am Stadtplatz gekauft hat.“ (Zeitzeugin Herta Proksch)
In den folgenden Monaten wurden Juden im Bezirk immer stärker drangsaliert und bedroht. Im September 1938 hatten fast alle Juden den Bezirk in Richtung Wien verlassen. Von dort aus erfolgte später die Deportation in Konzentrationslager. Alleine von den rund 50 jüdischen Bürgern der Stadt Gmünd wurden 17 in KZs ermordet.

Im Herbst 1938 wurden die deutschen Gebiete Böhmens und Mährens ins Deutsche Reich eingegliedert („Münchner Abkommen“). Die tschechischen Bewohner von Ceské Velenice wurden bereits zuvor teils gewaltsam zur Flucht ins Landesinnere aufgefordert. Für die Nationalsozialisten ging mit der „Rückholung“ des Gmünder Bahnhofes samt Hinterland eine lange Forderung in Erfüllung: Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Vertrag von St. Germain war stets von einem „Schandfrieden“, einem „Friedensdiktat“ für die Bevölkerung der Region, die Rede gewesen.

Mit dem Einmarsch in Polen am 1. September 1939 durch deutsche Truppen begann der Zweite Weltkrieg. Im Krieg rückte die Front ständig näher, tagsüber gab es immer öfter Fliegeralarm. Bis 23. März 1945 war Gmünd vom Ärgsten verschont geblieben. Doch an dem Tag wurden Gmünd und der Bahnhof im heutigen Ceské Velenice bombardiert. Grausame Bilanz dieses Krieges: 2.228 Soldaten aus dem Bezirk Gmünd wurden laut „Heimatkunde des Bezirkes Gmünd“ an der Front getötet, 336 Zivilisten beim Bombenangriff, 485 ungarische Juden starben im Getreidespeicher hinter dem Finanzamt, dem „Gmünder Judenlager“. Wie viele jüdische Bürger aus dem Bezirk in den Konzentrationslagern ermordet wurden, das kann nur geschätzt werden.
Buch über Waldviertler Juden in Arbeit
Unter der Herausgeberschaft von Friedrich Polleroß entsteht derzeit im „Waldviertler Heimatbund“ ein fast 700 Seiten starkes Buch zum Schicksal der Waldviertler Juden. Dieses wird am 19. Mai um 19.30 Uhr im Gmünder Palmenhaus präsentiert. In Neupölla lädt ab 1. Mai das „Museum für Alltagsgeschichte“ zu einer Ausstellung über die Waldviertler Juden. Nachfolgende Zeilen sind Vorab-Auszüge aus diesem Werk*:

In Gmünd formierte sich am Abend der Ausstrahlung der Schuschnigg-Rede ein Zug von Nationalsozialisten durch die Stadt Gmünd. Die Chronik der Knabenbürgerschule berichtet über die Ereignisse von damals und dokumentiert damit auch eine große Skepsis in der Bevölkerung: „Die Gegner verkrochen sich hinter ihren Fenstern oder standen wortlos und hasserfüllt am Rande der Straße. So mancher Arm erhob sich nicht zum deutschen Gruß.“ Der spätere Bürgermeister und damals Angestellte der jüdischen Kaufmannsfamilie Schwarz, Franz Chaloupek, verbrachte schlaflose Nächte: „‚Ja‘, so mein Freund Josef, ‚bist denn du deppat, da Hitler marschiert in Österreich ein. Wart einen Augenblick, gleich hörst du es im Radio!‘ Ich, Angestellter in einem jüdischen Geschäft, war schockiert!“


Propaganda-Banner im Vorfeld der „Volksabstimmung“ am 10. April 1938 am Gmünder Bahnhof. | Stadtarchiv Gmünd
Mit der Machtergreifung Hitlers folgten sehr rasch auch in Gmünd die ersten Repressalien gegen Juden, Regimegegner und Menschen, die in jüdischen Geschäften eingekauft hatten. Zeitzeugin Herta Proksch erinnert sich: „An einem Tag im März oder April 1938 hat eine Schulkollegin aus Waldenstein von einem berüchtigten Gmünder SS-Mitglied ein Schild mit der Aufschrift ‚Ich arisches Schwein kaufe bei einem Juden ein‘ umgehängt bekommen. Dann hat er sie durch die Straßen gejagt. Und das nur, weil sie sich ein Handtascherl beim Reich am Stadtplatz gekauft hat.“ Auch Kunden der jüdischen Firma Schwarz wurden angepöbelt und mit ebensolchen Schildern über den Stadtplatz getrieben.

Auch die Zeitzeugin und Tochter des Gmünder Politikers Theodor Cerny, Helga Diwoky, kann sich an diese wilden Szenen erinnern: „Eines Tages, es war nach den Märztagen 1938, bin ich zufällig beim Postgebäude in der Bahnhofstraße gestanden und habe vom Stadtplatz her Tumult und Wirbel vernommen. Als ich zum Stadtplatz gekommen bin, habe ich dann schon gesehen, was da los war. Ein Mann aus der Umgebung wurde von SS-Leuten über den Stadtplatz gehetzt. Dem Mann hat man zuvor ein Schild umgehängt, weil er in einem jüdischen Geschäft eingekauft hatte.“



Kundgebung der NSDAP im Zentrum der Stadt Heidenreichstein – im Hintergrund die Wasserburg | Archiv Harald Winkler
Ein ebensolches Schild bekam auch eine Angehörige der Familie Kohlseisen beim Verlassen des Kaufhauses Kohlseisen am Gmünder Schubertplatz umgehängt. Sohn Hans Kohlseisen, der emigrieren konnte und die Zeit bis 1945 überlebte, erinnert sich: „Tante Franzis kräftiges Gesicht begann zu beben und während sie die wuchernden Stoffbahnen ihres schweren Kleides für einen Schritt anhob, hatte ihr in eisiger Luft ausholender Regenschirm den kleinen Mann schon getroffen. Sie hat ihn davongeknüppelt. Er wurde wegen Feigheit bestraft, ihr Mut aber nicht belohnt.“

* Vorabdruck aus dem Kapitel „Die jüdische Gemeinde von Gmünd“ von Harald Winkler mit Zustimmung von Friedrich Polleroß. In den Orts- und Familiengeschichten wird es im Buch neben der Darstellung zu Gmünd auch separate Darstellungen zu Heidenreichstein (Karl A. Immervoll) und Litschau (Oliver Rathkolb) geben.
http://www.noen.at/gmuend/bezirk-gm...schandfriede-anschluss-oesterreich/81.571.360
 

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#22
Das Burgenland vor dem „Anschluss“
Am 12. März 1938 marschieren deutsche Truppen in Österreich ein, einen Tag zuvor wurde der sogenannte „Anschluss“ vollzogen. In einem ORF Themenschwerpunkt geht es am Wochenende unter anderem um die Geschichte des Burgenlandes vor jenen schicksalhaften Tagen im Jahr 1938.
Im Jahr 1919 wird das Gebiet Deutschwestungarn im Zuge der Friedensverhandlungen von St. Germain Österreich zugesprochen. Das künftige Bundesland Burgenland ist damals ein Land der Kleinbauern, der Dörfer, der Landarbeiter und Großgrundbesitzer. „Da waren die Leute damals schon für Österreich, aber sie haben sich nicht gleich etwas zu sagen getraut, weil sie Angst hatten“, berichtete die Zeitzeugin Anna Novak im Jahr 1991.


ORF
Ungarische Freischärler verhindern 1921 die Übergabe des Burgenlandes an Österreich

Freischärler verhindern Übergabe an Österreich
Im August 1921 verhinderten ungarische Freischärler die Übergabe. Die Anzahl der Freischärler sei gering gewesen, sagte Zeitzeuge Alexander Luif aus Pinkafeld (Bezirk Oberwart) in einem Interview im Jahr 1991. Es seien nur wenige gewesen. „Sie konnten sich dennoch halten, weil sie sehr brutal vorgegangen sind“, so Luif. Dabei gab es auch Tote, wie etwa in der Nähe der Ortschaften Agendorf/Agfalva und Kirchschlag. Die ungarische Regierung verzichtete dann auf das Gebiet.

Ödenburg geht nach Volksabstimmung an Ungarn
In einer angeblich massiv beeinflussten Volksabstimmung verlor das Burgenland die Stadt Ödenburg/Sopron an Ungarn. Der Raub Ödenburgs sei immer noch in den Köpfen der Burgenländerinnen und Burgenländer vorhanden, so der Historiker Michael Hess. Es habe zwar Ungereimtheiten gegeben, aber tatsächlich hätte sich das Ergebnis auch ohne der Ungereimtheiten nur um zwei bis drei Prozentpunkte verändert, so Hess.


ORF
Die Schüsse von Schattendorf führten zu Straßenkämpfen und zum Brand des Justizpalastes im Jahr 1927

Die Schüsse von Schattendorf
Im Jahr 1927 gab es erneut Schüsse im Burgenland. In Schattendorf (Bezirk Mattersburg) gerieten Schutzbündler und Frontkämpfer aneinander. Ein Kind und ein Mann starben. Die Täter wurden freigesprochen. Einer der Schützen war Hieronymus Tscharmann. Er war damals Frontkämpfer. In einem historischen Interview sagte er, dass er damals 22 Jahre alt gewesen sei und sich um solche Sachen nicht gekümmert hätte. „Ich habe ganz einfach geschossen und geschossen, wohin oder was ich getroffen habe, weiß ich auch nicht“, so Tscharmann. Die Folge waren Straßenkämpfe und ein brennender Justizpalast in Wien.


ORF
In Zeiten der Wirtschaftskrise beginnt im Burgenland eine große Auswanderungswelle

Wirtschaftskrise führt zu Auswanderungswelle
Zur Zeit der Wirtschaftskrise verließen viele Burgenländerinnen und Burgenländer das Land in Richtung Übersee, nach Amerika. Jene die blieben, führten einen täglichen Kampf um das Überleben. So sei es eben gewesen, sagte Zeitzeugin Anna Palkovits aus Hornstein. Damals war sie 15 Jahre alt. „Einmal ist der Bauer gekommen und hat gesagt er braucht Hilfe bei der Ernte von den Rüben oder Erdäpfeln, wenn die Erntezeit war. Bezahlt wurde aber nicht mit Geld. Du hast dir dann Milch nehmen können oder der Bauer hat dir dann Eier gegeben“, so Palkovits.


ORF

Nährboden für die Nationalsozialisten
Die angespannte Wirtschaftslage, fehlende Arbeit und Perspektiven bildeten gerade im Burgenland den Nährboden für die Nationalsozialisten. Da sei es dann recht drunter und drüber gegangen, sagte Zeitzeuge Michael Sommer aus Donnerskirchen (Bezirk Eisenstadt-Umgebung). Er war damals 15 Jahre alt. Bis dahin sei es mehr oder weniger ein geduldiges Ertragen gewesen, aber als die Nationalsozialisten gekommen seien, da habe sich dann nachher schon etwas abgespielt, sagte Sommer.


ORF
Engelbert Dollfuß bei einer Rede in Neusiedl am See

Der damalige Bundeskanzler Engelbert Dollfuß hielt eine Rede in Neusiedl am See und präsentierte die heile Welt der Vaterländischen Front. Zu diesem Zeitpunkt waren die Parteien bereits verboten. Ihre Vertreter wurden in sogenannte „Anhaltelager“ gebracht, das zweitgrößte stand in der nordburgenländischen Gemeinde Kaisersteinbruch (Bezirk Neusiedl am See).


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Dort waren rund 600 Menschen drei Monate lang interniert. Zu dieser Zeit war Hans Sylvester Landeshauptmann im Burgenland. Er wurde eines der ersten Opfen der nationalsozialistischen Verfolgung und Deportation. Am 11. März wurde er verhaftet und nach Dachau gebracht, wo er im Jänner 1939 starb.


ORF
Landeshauptmann Hans Sylvester war eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung

In diesen Tagen endeten auch 600 Jahre jüdische Geschichte im Burgenland. Viele der 4.000 Juden die damals im Burgenland lebten konnten noch rechtzeitig flüchten. Jene die geblieben sind, wurden vertrieben oder in ein Konzentrationslager deportiert.


ORF

Im Oktober 1938 endete dann die Geschichte des Burgenlandes vorläufig. Nach dem „Anschluss“ wird das Bundesland auf Niederdonau und die Steiermark aufgeteilt.

Publiziert am 10.03.2018
http://burgenland.orf.at/news/stories/2900322/
 

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#23


Wöllersdorf: Sozis, Kommunisten und Nazis

Ab Februar 1934 wurden in Österreich immer mehr Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung inhaftiert. Zu diesem Zweck wurde von der Dollfuß-Regierung das Anhaltelager Wöllersdorf (Bezirk Wr. Neustadt) errichtet.
An das Anhaltelager Wöllersdorf erinnert heute nur mehr ein Mahnmal. Es steht auf dem Gelände des ehemaligen Lagers, es wurde 1974 zur Erinnerung an die Februarkämpfe im Jahr 1934 errichtet. Hunderte Schutzbündler und Sozialdemokraten wurden damals inhaftiert.

Ohne Gerichtsurteile monatelang in Haft
„Hier wurden Menschen ohne Gerichtsurteil eingesperrt, man musste gar keine Straftat begangen haben. Man spricht zum Beispiel davon, dass allein 400 Menschen in den Februartagen 1934 in St. Pölten verhaftet wurden, die teilweise gar nichts mit den Kämpfen zu tun hatten. Es genügte, Funktionär der Sozialdemokraten oder einer der Vorfeldorganisationen zu sein“, sagt Thomas Lösch, Leiter des Stadtarchivs St. Pölten.


Stadtarchiv St. Pölten
Gefangene im Anhaltelager St. Pölten

Ab September 1933 konnten sogenannte „sicherheitsgefährliche Personen“ ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Dauer angehalten werden. Während der Dollfuß-Regierung war Wöllersdorf das erste Anhaltelager, in dem Oppositionelle vorbeugend interniert waren.

„Das einzige, was wir nicht hatten, war Freiheit“
„Das einzige, was wir dort nicht hatten, war die Freiheit, aber sonst haben wir alles gehabt: Eine glänzende Verpflegung, Besuch, du konntest Pakete empfangen, du konntest Briefe schreiben, die zensuriert wurden, du hast Zeitungen gehabt und konntest Sport betreiben. Es war kein Straflager“, sagte im Jahr 1986 Heinrich Dürmayer, der 17 Monate in Wöllersdorf inhaftiert war. Der Widerstandskämpfer und Kommunist war von 1945 bis 1947 Leiter der Staatspolizei.

Stefan Eminger, Historiker am Landesarchiv Niederösterreich in St. Pölten, relativiert die Schilderung Dürmayers: „Trotzdem war eine Anhaltung in Wöllersdorf eine sehr starke psychische Belastung, vor allem auch deshalb, weil die Häftlinge in der Regel nicht wussten, wie lange sie dort bleiben mussten.“ Bis zu 14.000 Anhaltehäftlinge waren von 1933 bis 1938 in Wöllersdorf interniert, inhaftiert waren Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.


ORF
Mahnmal in Wöllersdorf

Das Anhaltelager Wöllersdorf diente der Zermürbung der politischen Gegner, die Dauer der Anhaltung konnte beliebig verlängert werden, Gefahr für Leib und Leben war aber nicht gegeben. „Es hat im Lager eine Atmosphäre der Solidarität und des gegenseitigen Zusammenstehens geherrscht, sodass Depressionen leichter überwunden werden konnten. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Menschen nach Wöllersdorf kamen, die schon jahrelang in Gefängnissen waren“, so der Widerstandskämpfer Josef Meisel im Jahr 1989, der 16 Monate lang in Wöllersdorf war.

18. Februar 1938: Das Lager ist leer
In Wöllersdorf waren auch illegale Nationalsozialisten untergebracht. Ab dem Juliabkommen 1936 wurde deren Zahl aber verringert, Strafverfahren wurden eingestellt, Anhaltehäftlinge wurden entlassen. „Wenn später die Nazis von Märtyrern in ihren Reihen gesprochen haben, dann muss ich schon sagen, dass das ganz arge Übertreibungen waren. Das Anhaltelager Wöllersdorf war in keiner Weise mit den späteren Konzentrationslagern der Nationalsozialisten zu vergleichen“, sagte Kurt Hahn, der ebenfalls 16 Monate Haft in Wöllersdorf verbüßte, 1989 in einem ORF-Interview mit Andreas Nowak.

Die letzten Häftlinge verließen Wöllersdorf am 18. Februar 1938, im März diente es den Nationalsozialisten kurzfristig als Schutzhaftlager, am 2. April wurde das Lager geschlossen, Teile des Anhaltelagers wurden von den Nazis in Brand gesetzt.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

Links:
Publiziert am 10.03.2018
http://noe.orf.at/news/stories/2900348/
 

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#24


Schwerpunkt OÖ Zeitgeschichte: „Als aus Oberösterreich Oberdonau wurde“

Der Ausgang des Ersten Weltkriegs hat das politische System Europas grundlegend verändert. Bis 1914 basieren die internationalen Beziehungen des Alten Kontinents aufgrund der Existenz von sechs Großmächten: Deutschland, Großbritannien, Russland, Frankreich, Italien und Österreich-Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg Ende 1918 hat sich geopolitisch alles verändert: Die Donaumonarchie hatte sich aufgelöst, ein anderer Großstaat, Russland, stand aufgrund seiner epochalen inneren Umwälzungen völlig im Abseits. Ein Dritter, das Deutsche Reich, war besiegt und ein vierter, Italien, aufgrund seiner innenpolitischen Krise nicht in der Lage, in Europa eine Führungsrolle einzunehmen. Die Briten hatten Probleme mit dem Erhalt des eigenen Imperiums, sodass auf dem Festland Frankreich als einzige militärische Macht übrig blieb. Eine überseeische Staatsmacht, die USA, hatte letztlich den Krieg entschieden.
Strittige Grenzentscheidungen bei Friedenskonferenz
Die Ordnung Europas sollte durch die Pariser Friedenskonferenz geregelt werden, die vom 18. bis 21. Jänner 1919 im Spiegelsaal von Versailles stattfand. Sie wurde von den Siegern beherrscht, und diese verhandelten erst gar nicht mit den Besiegten. Deren Vertreter konnten bloß schriftlich auf die Friedensbedingungen antworten. Damit legte der Pariser Frieden mit seinen strittigen Grenzentscheidungen ungewollt die Basis für zahlreiche Konflikte unter den Staaten Mitteleuropas.


wikimedia.org/William Orpen
Die Staatsoberhäuper im Spiegelsaal von Versailles


Außerdem verhinderte nationalstaatliche Abgrenzungspolitik eine gemeinsame Bewältigung der Probleme, von denen es mehr als genug gab: Gebietsstreitigkeiten, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Minderheitenfragen, linker und rechter Extremismus, Terror, der Siegeszug der Diktatur über die Demokratie.

Die Ereignisse vor 80 Jahren
Ein kurzer Überblick über die Ereignisse vor 80 Jahren: Reichskanzler Adolf Hitler und die deutschen Nationalsozialisten machten in den 30ern keinen Hehl daraus, dass sie die Unabhängigkeit Österreichs störte. Die Idee, Österreich und Deutschland zu vereinigen, war jedoch nicht nur auf die Nationalsozialisten beschränkt. Die Tatsache, dass der Vertrag von Saint-Germain nach dem Ersten Weltkrieg einen „Anschluss“ explizit untersagte, zeigt, dass der Wunsch in der restlichen Habsburger-Monarchie weit verbreitet war. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ereignisse im März 1938 keinem detaillierten Plan folgten. Die deutschen Pläne sahen nämlich vor, dass Hitler in Personalunion auch das Amt des österreichischen Bundespräsidenten übernehmen sollte. Von Berlin aus wurde die nationalsozialistische Untergrundbewegung in Österreich ermutigt, deren Einfluss immer mehr zunahm.

Das Treffen von Schuschnigg und Hitler
Am Morgen des 12. Februar 1938 kommt es auf Hitlers „Berghof“ in Berchtesgaden am Obersalzberg zum Treffen zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Hitler, der sofort auf die österreichische Politik zu sprechen kommt: Österreichs Geschichte sei ein ununterbrochener Volksverrat. Dieser geschichtliche Widersinn müsse endlich sein Ende finden. Er, Hitler, sei fest entschlossen, mit dem allen ein Ende zu machen, seine Geduld sei erschöpft. Hitler drohte schlussendlich mit dem Einmarsch der Wehrmacht, sollte Schuschnigg nicht die Forderungsliste unterschreiben.


ORF
Hitler am „Berghof“


Dieser unterzeichnete das „Berchtesgadener Abkommen“ und stimmte der Einsetzung von Arthur Seyß-Inquart als Innenminister sowie einer Amnestie für Nationalsozialisten und deren legaler Betätigung in der Vaterländischen Front zu. Seyß-Inquart erlangte damit die Kontrolle über die österreichische Polizei und mit seiner Person gab es eine Regierungsbeteiligung der zuvor illegalen Nationalsozialisten. Am 20. Februar 1938 wird eine Rede Hitlers im österreichischen Rundfunk, damals noch die RAVAG, übertragen.

Schuschnigg betonte Widerstand gegen Hitler
Vier Tage später hält Schuschnigg im historischen Reichsratssitzungssaal des Parlaments in Wien eine vom Rundfunk und auf öffentlichen Plätzen übertragene aufsehenerregende Rede, in der er die Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit Österreichs bekräftigt und den Willen zum Widerstand gegen Hitler betont. Noch schien er an die Möglichkeit einer österreichischen Souveränität innerhalb des Rahmens des Berchtesgadener Abkommens zu glauben. Er versuchte verzweifelt, die Unterstützung der Großmächte England und Italien zu bekommen – vergeblich.


wikimedia.org/Drdoht
Anhänger Schuschniggs, Wahlaufruf für die Unabhängigkeit, 10. März 1938


Es war eine Verzweiflungstat, als Bundeskanzler Schuschnigg am 9. März 1938 um 8.10 Uhr den Zug nach Innsbruck nahm. Er hatte bereits am Tag zuvor bekanntgegeben, um 19.00 Uhr bei einer Veranstaltung der Vaterländischen Front im großen Stadtsaal eine wichtige Erklärung abgeben zu wollen. Das tat er auch: der Ständestaat-Kanzler kündigte an, dass bereits vier Tage später, am 13. März, einem Sonntag, eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit Österreichs durchgeführt werde. Schuschnigg zitierte zum Schluss seiner Rede zwar Andreas Hofer, mit dem berühmten „Mander, es ischt Zeit!“. Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und der „Anschluss“ ans Deutsche Reich ließen sich zu dem Zeitpunkt nicht mehr aufhalten.

Der Versuch, Österreichs Souveränität zu retten
Der in die Enge getriebene Bundeskanzler versuchte also, die Souveränität Österreichs durch die Ankündigung einer Volksabstimmung zu retten. Inhalt und Ton von Schuschniggs Rede lösten bei Hitler erste Irritationen aus, die geplante Volksbefragung überraschte ihn völlig und brachte ihn zum Kochen. Der Führer ändert seine Strategie, um sein Ziel sofort zu erreichen. Er befahl am 10. März die Mobilmachung der für den Einmarsch vorgesehenen 8. Armee und wies Seyß-Inquart an, ein Ultimatum zu stellen: die Abstimmung sei zu verschieben. Am nächsten Tag, am 11. März wurde der Druck auf Schuschnigg massiv erhöht. Im Kanzleramt spielten sich dramatische Szenen ab. Am Nachmittag wurde - wie die „Reichspost“ in ihrer Ausgabe am darauffolgenden Tag berichtete -, „das ultimative Begehren der Deutschen Reichsregierung, es sei die Volksbefragung aufzuschieben, die Regierung Schuschnigg zu entlassen und eine Regierung Seyß-Inquart einzusetzen“, überbracht.

Ultimatum im Auftrag von Hermann Göring
Diesem folgte ein zweites, auf 19.30 Uhr befristetes Ultimatum im Auftrag von Hermann Göring. Bei Nichtentsprechen würden eine halbe Stunde später 200.000 Mann deutscher Truppen die Grenze überschreiten. Einer Weisung aus Berlin folgend, strömten die österreichischen Nationalsozialisten in das Bundeskanzleramt und besetzten Stiegen, Gänge und Ämter. Der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas, eigentlich kein mutiger Mann, wies die deutschen Forderungen zunächst zurück. Er hatte vergeblich versucht, Nicht-Nationalsozialisten dazu zu bewegen, die Kanzlerschaft zu übernehmen. Um 18.15 Uhr meldete Radio Wien, dass Schuschnigg die Volksbefragung verschoben habe.

Es verlässt ihn der Mut und er wird zur Amtsniederlegung gedrängt. Um 19.47 gab der Kanzler seinen Rücktritt in einer berühmten Rundfunkansprache im Bundeskanzleramt, Ballhausplatz 2, bekannt, bereits flankiert von zwei SS-Leuten. Miklas akzeptiert den Rücktritt, weigert sich aber, Seyß-Inquart zum Kanzler zu ernennen.

Hakenkreuzfahnen werde gehisst
In Wien und in den Landeshauptstädten begann die Machtübernahme durch österreichische Nationalsozialisten, die noch am Abend des 11. März an zahlreichen öffentlichen Gebäuden Hakenkreuzfahnen hissten, lang bevor der Einmarsch der deutschen Wehrmacht erfolgte. Um 20.15 Uhr spricht Seyß-Inquart in Radio Wien und fordert in seiner Ansprache, beim Einrücken der Soldaten Ruhe und Ordnung zu bewahren. Eine halbe Stunde später um 20.45 Uhr gab Hitler den Einmarschbefehl. Seyß-Inquart wird von Bundespräsident Miklas nun doch mit den Regierungsgeschäften betraut. Das neue Kabinett steht binnen Kürze und wird auch angelobt, eine Hakenkreuzfahne wird auf dem Rathaus aufgezogen. Das Bundeskanzleramt in Wien, wo auch Miklas amtierte, wurde – angeblich zu seinem Schutze – von Bewaffneten umstellt. Das Straßenbild in Wien und den großen österreichischen Städten ändert sich innerhalb von Minuten dramatisch, die Nationalsozialisten beherrschen bald die Lage. Tumultartig beginnt die Jagd auf Gegner, die Züge und Straßen Richtung Grenze sind bald überfüllt.


wikimedia.org/Malus Catulus
Seyß-Inquart neben Hitler in Wien (1938)


Die Nazis rotteten sich zu Jubelmärschen zusammen, der Mob drang in jüdische Wohnungen ein, raubte sie aus und zerstörte Einrichtungen. Die Hellsichtigsten flohen nach Ungarn oder sie nahmen den Arlberg-Express in die Schweiz. In Wien traf um 4.30 Uhr früh des 12. März auf dem Flughafen Aspern der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler in Begleitung von SS- und Polizeibeamten ein, um die Übernahme der österreichischen Polizei durchzuführen. Es kommt zu ersten Verhaftungen, unter anderem von Leopold Figl, Franz Olah, Louis Rothschild. Gegen 8.00 Uhr überschritt die 8. Armee die österreichische Grenze bei Passau und Schärding, um 12.00 Uhr verlas Joseph Goebbels im Rundfunk eine Proklamation des Führers.

Einmarsch war nicht generalstabsmäßig geplant
Der Einmarsch der deutschen Truppen in Oberösterreich war alles andere als generalstabsmäßig geplant. Kurz hatte man militärischen Widerstand erwogen, was für die deutsche Wehrmacht durchaus verhängnisvolle Folgen gehabt hätte. Besonders für den oberösterreichischen Raum existierten detaillierte Verteidigungspläne des Bundesheeres. Als am 11. März die deutsche Mobilmachung gemeldet wurde, erhielten die militärischen Einheiten im Auftrag des Bundeskanzlers Schuschnigg die Weisung, keinen Schuss abzugeben. Unter Punkt 5 in dem Papier „Geheime Kommandosache“ für den bewaffneten Einmarsch deutscher Truppen in Österreich war vom obersten Befehlshaber der Deutschen Wehrmacht, Adolf Hitler, ausdrücklich angeordnet, dass das ganze Unternehmen ohne Anwendung von Gewalt in Form eines von der Bevölkerung begrüßten friedlichen Einmarsches vor sich gehen sollte. Sollte es aber zu Widerstand kommen, so ist er mit größter Rücksichtslosigkeit durch Waffengewalt zu brechen.

Um 15.50 Uhr trifft Hitler in Braunau ein
Von Mühldorf am Inn aus wurde der improvisierte und teilweise chaotisch ablaufende Einmarsch der Deutschen in Österreich koordiniert. In den frühen Morgenstunden des 12. März passierten die ersten größeren Einheiten der Deutschen Wehrmacht die deutsch-österreichische Grenze. Adolf Hitler hatte sich Samstag im Flugzeug von Berlin nach München begeben. Nach kurzem Aufenthalt auf dem Münchner Flughafen begab er sich im Kraftwagen auf die Fahrt nach Braunau. Nach einem mehrstündigen Zwischenaufenthalt in Mühldorf wurde die Fahrt über Neuötting nach Simbach fortgesetzt. Um 15.50 Uhr überquert Hitler die Grenze und trifft in Braunau ein.


Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes


Das Eintreffen des Führers auf österreichischem Boden, in seiner Geburtsstadt Braunau, war ein Ereignis von unvergesslicher Größe. Die Glocken aller Kirchen läuteten um 15.50 Uhr, während der Wagen des Führers langsam über die große Innbrücke von Simbach kommend, sich dem österreichischen Ufer näherte. Ein Orkan des Jubels und der Begeisterung brach los. Die nach Zehntausenden zählende Menschenmenge, die auf dem Braunauer Hauptplatz aus dem ganzen österreichischen Innviertel zusammengeströmt war, brach in stürmische Begeisterung aus. Im Augenblick umdrängten Tausende den Wagen des Führers, der sich nur mühsam den Weg durch die begeisterten Massen bahnen konnte.

Umjubelter Besuch Hitlers in Ried
Als in den späten Nachmittagsstunden sich die Kunde verbreitete, dass Adolf Hitler nicht nur Braunau, sondern auch Ried besuchen werde, füllten sich rasch alle Straßen und Plätze der in ein Meer von Fahnen und Blumen geschmückten Kreisstadt des Innviertels. Um 17.25 Uhr traf der Führer und Reichskanzler, von tosendem Beifall umbrandet, in Ried ein. Im offenen Wagen stehend, fuhr der Kanzler durch die Reihen der Bevölkerung, die in Jubelstürme ausbrach. Am Hauptplatz, wo eine Begrüßung vorgesehen war, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr, des Führers Wagen wurde von der nationalsozialistischen Frauenschaft umringt und förmlich mit Blumen überschüttet. Ergriffen stand der Führer im Wagen, mit beiden Händen nach den Blumen greifend.

Triumphaler Einzug in Hitlers Jugendstadt Linz
Am Abend des 12. März hält Adolf Hitler gegen 20.00 Uhr persönlich den lang erwarteten, triumphalen Einzug in seine Jugendstadt Linz. Am Hauptplatz war der Jubel der Massen unbeschreiblich. Es waren nicht nur NS-Parteigenossen, die „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ schrien, sondern viele zuvor indifferente Menschen, die sich kritiklos dem Reichsführer überantworteten.

Michael Huemer; ooe.ORF.at[(Quote]
http://ooe.orf.at/radio/stories/2899654/
 

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#25
Vorarlberger Historiker mahnt aktuelle soziale und politische Entwicklungen kritisch zu betrachten:

80 Jahre Anschluss: Historiker mahnt zu kritischem Blick
Am 12. März jährt sich der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland zum 80. Mal. Der Bregenzer Historiker Werner Dreier nimmt diesen Gedenktag zum Anlass, um einen kritischeren Blick auf aktuelle soziale und politische Entwicklungen einzumahnen
Herr Dreier, am 12. März gedenken wir des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland vor 80 Jahren. Nach so langer Zeit: Braucht es heute überhaupt noch eine solche ritualisierte Erinnerungskultur?
Werner Dreier: Da sind gleich zwei wesentliche Behauptungen drin: Erstens das Wort „Anschluss“ und zweitens das Wort „ritualisierte Erinnerungskultur“. Zuerst einmal zu dem Wort „Anschluss“: Es handelt sich vom 11. zum 12. März einerseits um eine Machtergreifung von innen, d.h. von Ministern, die bereits im Kabinett Schuschnigg drin waren, dann von Nationalsozialisten auf der Straße, also von unten, und dann eben auch von außen durch die deutschen Truppen. Der österreichische Anteil an dem Wandel von Österreich in eine nationalsozialistische Diktatur darf keineswegs vergessen werden. Und das Wort „Anschluss“ suggeriert, dass sozusagen die Außenkräfte stärker waren als die Innenkräfte.

Das zweite ist „ritualisierte Erinnerungskultur“. Das ist ja ein Vorwurf, der durchaus häufig gemacht wird. Und dieser Vorwurf meint, da würde etwas stattfinden, was eigentlich heute keinerlei Bedeutung und keinerlei Sinn hat. Wenn wir heute mit Menschen reden, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben und die dort entweder Angehörige verloren haben oder die selbst unter den Nationalsozialisten gelitten haben, dann ist diese Zeit sehr präsent. Das heißt, wir haben einerseits eine Zeit, die 80 Jahre her ist und andererseits ganz präsent in unsere Gegenwart hereinreicht.

Wir haben heute in Österreich immer wieder sogenannte Skandale. Wir haben gerade die Debatte um die Liederbücher der Burschenschaften gehabt, wir haben immer wieder einzelne Menschen, die im öffentlichen Leben ungute Vergleiche zum Nationalsozialismus herstellen, und wir haben auch die Rechtsextremen, die vor allem im Internet durchaus den Nationalsozialismus heute noch verherrlichen und die Verbrechen nicht anerkennen. Das heißt, auch auf dieser Ebene ist diese Zeit eine in unsere Gegenwart hereinreichende Zeit und sehr präsent. Es braucht eine Auseinandersetzung.

Wenn Sie die sozialen und politischen Verhältnisse in Österreich betrachten, die damals zur Demontage der Demokratie und schließlich dann zum Anschluss geführt haben, gibt es da Parallelen zur heutigen Zeit?

Dreier:
Es gibt so eine schönen Satz: „Die Vergangenheit wiederholt sich nicht, aber manchmal reimt sie.“ Das heißt, ich glaube nicht, dass wir von Parallelen sprechen können, aber wir sollten schauen, wo es denn in unserer Gegenwart Entwicklungen gibt, Ansätze gibt, zu denen wir auf der Grundlage dieser Vergangenheit etwas sagen können. Ein ganz wesentlicher Faktor in der nationalsozialistischen Diktatur waren Zonen, in denen das allgemeine Recht, das das Individuum vor dem Staat und anderem schützt, nicht gegolten haben. Wir müssen aufpassen: Gibt es Entwicklungen, wo bei uns rechtlose oder Sonderrechtszonen beginnen würden. Und hier kann man daran denken, wie in manchen Teilen Europas Flüchtlinge behandelt werden und welche rechtliche Sicherheit flüchtende Menschen in Europa genießen, wenn sie in Europa ankommen.

Es sind noch nie so viele staatliche Schlüsselpositionen mit Burschenschaftern besetzt worden wie jetzt. Macht die aktuelle Bundesregierung damit deutsch-nationales Gedankengut wieder salonfähig oder dient sie vielleicht sogar als Steigbügelhalter für das Wiedererstarken rechter Ideologien?

Dreier:
Das ist eine Frage, die jeder Staatsbürger für sich beantworten muss. Was man vielleicht sagen kann, ist: Wir haben eine Auseinandersetzung mit einem Rechtsextremismus in der Zweiten Republik durchaus schon länger. Ich würde meinen, dass es sich insofern gewandelt hat, als dass heute rechtsextreme Auftritte in der Öffentlichkeit stärker und rascher sanktioniert werden. Also wir haben, glaube ich, eine wachere Öffentlichkeit, wir haben eine stärkere Kultur der Verantwortung. Ich würde meinen: Ja, wir müssen aufpassen, wer an welche Positionen kommt.

Wie groß schätzen Sie eigentlich den Anteil der österreichischen Bevölkerung, der heute noch oder wieder im „braunen Sumpf“ herumdümpelt?

Dreier:
Also ich würde schon meinen, dass es ein Unterschied ist zwischen dem, was wir als „braunen Sumpf“ der 30er Jahre begreifen würden, und dem, was wir heute sehen. Wir haben natürlich in jeder Gesellschaft Gruppen, überwiegend junge Männer, aber auch Frauen, oder auch ältere Männer, die Demokratie ablehnen, die das ablehnen, was wir demokratische oder westliche Werte oder Menschenrechte nennen würden, die gerne eine effizientere Diktatur sehen würden statt diesem komplizierten demokratischen System, das wir haben. Und wir wissen, dass es in Österreich durchaus dreißig, vierzig Prozent - je nach Umfrage - Menschen gibt, die sich so etwas wie eine stärkere Persönlichkeit, eine Führungspersönlichkeit, vorstellen können. Aber das sind Unterschiede: Die, die sich eine Führungspersönlichkeit vorstellen können und die, die im Kern Rechtsextreme sind.

Wie müsste aus Ihrer Sicht ein „Vorsorgeprogramm“ aussehen, das gegen extreme Ideologien - egal ob rechts oder links - sowie gegen eine Demontage der Demokratie schützen kann?

Dreier:
Ich glaube, es gibt Anzeiger, Seismografen, die uns rechtzeitig, wenn wir dorthin schauen, zeigen können, wenn etwas Problematisches in unserer Gesellschaft passiert. Und zwar ist es im Wesentlichen der Umgang mit den Schwachen und Institutionen, die für die Schwachen da sind. Wenn wir genau hinschauen, was passiert in der Psychiatrie zum Beispiel, also hat die Psychiatrie angemessene Ressourcen, hat die Psychiatrie angemessen Personal, wie geht es den Menschen, die in psychiatrischen Institutionen sind. Das ist eine Gruppe von Schwachen, wo sich relativ schnell zeigen lässt, wenn sich eine Gesellschaft verhärtet und entsolidarisiert.

Ein weiterer Bereich sind zum Beispiel Gefängnisse. Es gibt interessante Studien über den Nationalsozialismus, wo man zuerst einmal sieht, dass sich in den Gefängnisse sehr, sehr früh entwickelt, was sich dann in anderen Bereichen des Lebens entwickelt. Also wenn die Rechte der Gefangenen nicht geschützt werden, ist es vielleicht gar nicht so weit, dass die Rechte auch von anderen Menschen nicht geschützt werden.

Und eine dritte Gruppen wären heute bei uns die Flüchtlinge. Wie geht man um mit Menschen, die keinen Schutz haben, also schutzbedürftig sind? Und wenn man mit ihnen menschlich umgeht, dann ist es hoffnungsfroh, und wenn sie in Sonderrechtssituationen gebracht werden, wenn man mit ihnen unmenschlich wird, dann wird diese Unmenschlichkeit auch in die Gesellschaft allgemein zurückschlagen.


Wenn Sie sich diese drei Gruppen in Österreich ansehen: Wie schlägt denn bei Ihnen dieser Seismograf aus?


Dreier: Ich finde zwei Bereiche sehr problematisch im Augenblick: Das sind Gefängnisse, weil da in letzter Zeit die Diskussion immer mehr in Richtung Rache und Strafe geht und weniger [in Richtung] Resozialisierung. Weil es aus den Gefängnissen immer mehr Stimmen gibt: Wir brauchen mehr Arbeit, wir brauchen mehr soziale Räume, wir brauchen mehr Personal, wir brauchen mehr Bauten - und da wenig hingehört wird.

Und der zweite Bereich ist sicher der Bereich von Flüchtlingsunterkünften, wo ja die Tendenz eher zu größeren Unterkünften geht. Also wo es eher Richtung Kasernierung geht und wo auch die Abschiebehaft ein problematischer Bereich ist, also wo Menschen, die eigentlich nicht straffällig sind, behandelt werden, als wären sie straffällig geworden. Das ist sicher ein ganz zentraler Bereich, wo es eben wichtig ist, dass wir da alle gut hinschauen, was hier passiert.


Das Gespräch führte Andreas Feiertag, ORF Vorarlberg

Link:
März 1938: 80 Jahre danach (vorarlberg.ORF.at, 9.3.2018)
Publiziert am 10.03.2018

Möchte darauf hinweisen, dass dieser Artikel zum Nachdenken anregen soll und deshalb ausnahmsweise gegen unsere Linie, politische Beiträge im Forum nicht zuzulassen, veröffentlicht wurde. Jede darüber aufkeimende Diskussion, wird wie üblich gelöscht!
http://vorarlberg.orf.at/news/stories/2900283/
 

josef

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#26


"Historisch verseucht"
Vor genau 80 Jahren kam Hitler nach Österreich und verkündete "den Eintritt meiner Heimat in das Großdeutsche Reich". Den sogenannten Anschluss begrüßte man mit Blumen, geschmückten Straßen und viel Jubel. In Braunau am Inn wurde Hitler geboren. Genau dort überschritt er vor 80 Jahren symbolträchtig die Grenze. Auch heute noch ist Hitler allgegenwärtig, zeigt die aktuelle QUERFELDeins-Reportage:

Link zur Reportage: http://meins.orf.at/braunau/
 

josef

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#27


1918 bis 1938: Jahre des Misstrauens zwischen Wien und Niederösterreich

Die Jahre vor 1938 waren seit dem Ende des Ersten Weltkriegs von gegenseitigem Misstrauen geprägt - zwischen Bauern und Arbeitern, zwischen schwarz und rot, zwischen Niederösterreich und Wien und zwischen Stadt und Land.
Niederösterreichische Politiker diskutierten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Loslösung Niederösterreichs von Wien. Die erst mit Jahresbeginn 1922 beschlossene Trennung hatte weniger wirtschaftliche als vielmehr eindeutig politische Gründe. „Das Motto lautete ‚Der rote Moloch gegen die schwarzen Provinzler‘, und die schwarzen Provinzler trennen sich von dieser roten Hochburg, was aber große Probleme aufwirft“, erklärt der Historiker Ernst Bruckmüller von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Bruckmüller: „Geprügelt wurde gerne“
Der Preis für eine klare Mehrheit der Christlichsozialen Partei war aber hoch. Niederösterreich wurde für Jahrzehnte ein Kleingemeinde- und Bauernland. Die politischen Konflikte zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten wurden in den 1920er Jahren auch in Niederösterreich häufiger und heftiger.


ORF/Museum Niederösterreich
Maschinengewehr, das im Februar 1934 eingesetzt wurde, Ausstellung „Die umkämpfte Republik. Österreich 1918-1938“ im Haus der Geschichte in St. Pölten

Mit dem Korneuburger Eid im Mai 1930 spitzte sich die Situation zu. Die Heimwehr sagte ein Nein zum Parlamentarismus und ein Ja zum Ständestaat. „Im Industrieviertel, aber auch in den anderen Landesvierteln kam es immer wieder zu ziemlich gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechts und links, zwischen Heimwehr und Nationalsozialisten. Geprügelt wurde gerne, und es gab jede Menge Opfer“, so Bruckmüller.

Die Auseinandersetzungen, vor allem in den Städten, waren oft gewalttätig und kampfbetont, in den ländlichen Regionen waren sie weniger heftig. „Die acht oder zehn Sozialisten aus unserem Ort waren alle bei der Eisenbahn beschäftigt. Sie sind mit dem Fahrrad nach Wolkersdorf gefahren, aber als Feinde wurden sie nicht bezeichnet“, erzählt der 94-jährige Josef Stöckl, ehemaliger Landwirt in Münichsthal bei Wolkersdorf (Bezirk Mistelbach).

Eminger: „Man teilte die zentralen NSDAP-Positionen“
Adolf Hitler und die Nationalsozialisten in Deutschland wurden zu einer immer größeren Bedrohung. Zwischen 1934 und 1938 waren tausende Sozialisten, Kommunisten und Nationalsozialisten in Anhaltelagern inhaftiert. „Das wichtigste Bollwerk gegen den Nationalsozialismus wäre natürlich gewesen, wenn man die Arbeiterbewegung nicht verboten hätte. Die Sozialdemokraten haben immer von einem gemeinsamen Schulterschluss mit den Christlichsozialen gegen die Nationalsozialisten gesprochen“, sagt Thomas Lösch, Leiter des Stadtarchivs in St. Pölten.


ORF/Museum Niederösterreich
Ausstellung „Die umkämpfte Republik. Österreich 1918-1938“ im Haus der Geschichte in St. Pölten

Doch bald war es auch in Niederösterreich zu spät, zu groß war die Attraktivität des neuen Geistes. Stefan Eminger, Leiter des Referates Zeitgeschichte im Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten: „Man hat schon gewusst, was die NSDAP will, sie hat das auch hinausposaunt. Man hat ganz einfach zentrale Positionen der NSDAP geteilt, wie zum Beispiel den Antisemitismus, den radikalen Antimarxismus und die Angst, sein Eigentum zu verlieren. Das waren ganz wichtige Antriebskräfte.“ Die Nationalsozialisten waren nicht mehr aufzuhalten, ohne Widerstand und Gegenwehr fand im März 1938 der „Anschluss“ Österreichs statt.

Reinhard Linke, noe.ORF.at, Publiziert am 11.03.2018
http://noe.orf.at/news/stories/2900464/
 

josef

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#28
Heute vor 80 Jahren:
Um die Mittagszeit des 12. März 1938 erreichten die deutschen Soldaten St. Pölten




12. März 1938: Der Tag des Einmarsches
Vor 80 Jahren wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich militärisch vollzogen, Österreich verschwand von der politischen Landkarte. Auch in Niederösterreich lagen damals Jubel und Entsetzen nahe nebeneinander.
Zuerst besetzten im Morgengrauen deutsche Fliegerverbände die österreichischen Flughäfen. Ab 5.30 Uhr rollten dann die Truppentransporter und Panzerwagen über die Staatsgrenze bei Passau, Schärding und Kufstein. Es gab keine Gegenwehr durch österreichische Soldaten. Über Linz bewegten sich die Nazi-Truppen in Richtung Wien. Am Straßenrand empfingen sehr viele Menschen die Deutschen mit Jubel und erhobenem Arm zum Hitlergruß.

Um die Mittagszeit des 12. März 1938 erreichten die deutschen Soldaten St. Pölten. Zwei Tage später kam der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler mit seinem Tross nach Sankt Pölten. Ernst Pfabigan, ein ehemaliger Lehrer und Kulturpolitiker in St. Pölten, war damals elf Jahre alt.


Landesarchiv Niederösterreich
„Völkischer Beobachter“ vom 16. März 1938

„Da ist eine Wagenkolonne gekommen, zuerst Militär, dann wieder Militär, dann haben alle Leute zu schreien begonnen, da wusste ich, jetzt ist der Führer persönlich da. Das Brüllen war irgendwie ansteckend, da hab’ ich auch den Arm gehoben. Meine Mutter hat meine Hand genommen und runtergedrückt und gesagt: `Wir wissen nicht, was uns der bringt`. Daraufhin haben uns einige Leute böse angeschaut“, erinnert sich Pfabigan.

Mit Jubel ins Verderben
Der Jubel beim Einmarsch wirkte wie ein Sog. Er riss viele Menschen mit. Für die Historiker heute bleibt die Euphorie trotz vieler Erklärungsmujster dennoch ein wenig rätselhaft, gesteht Ernst Bruckmüller, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichten an der Universität Wien: „Es gibt Interpretationen, die sagen, dieser plötzliche Jubel, der dem Hitler entgegenbrandet, hat etwas Religiöses an sich: ‚Der Erlöser kommt.‘“

Es gibt viele Gründe sind für diesen begeisterten Empfang. Eine der Ursachen ist, dass sich eine große Zahl von Österreichern seit dem Ende des Ersten Weltkriegs als Teil Deutschlands gesehen haben. Ernst Bruckmüller erläutert: „Der Anschluss-Wunsch war in Österreich ab 1918 lebendig, er wurde auch von der Politik immer lebendig erhalten. Das darf man nicht übersehen, denn es ist nicht so, dass man von 1918 bis 1933 einen Österreich-Patriotismus entwickelt hätte. In der Politik gab es den Anschluss als Fernziel.“

Antisemitismus als verbindendes Element
Nach den Wirren des Bürgerkriegs 1934 und dem wirtschaftlich wenig erfolgreichen Ständestaat wirkte der „Anschluss“ befreiend. Vielen Österreichern und Österreicherinnen dürfte nicht klar gewesen sein, was da auf sie zukommt, die meisten trugen die Inhalte der deutschen Nationalsozialisten bedingungslos mit.


ORF
Die ehemalige Synagoge in St. Pölten: Ein Gotteshaus ohne Gemeinde

Der Antibolschewismus und der Antisemitismus waren wichtige Verbindungspunkte zu den Nationalsozialisten, erläutert Stefan Eminger, Historiker am Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten. „Im März 1938 - und da glaube ich, dass Niederösterreich keine Ausnahme bildete - sind Dämme gebrochen“, führt Eminger aus. „Plötzlich waren Dinge erlaubt, die man vorher nicht machen konnte. Plötzlich wurden Personengruppen ausgegrenzt, die vorher noch Teil des staatlichen Konsenses waren, besonders betroffen war natürlich die jüdische Bevölkerung.“

Verhaftungen und Terror gegen Juden
Im ganzen Land erfolgten bereits am Tag des Einmarsches Verhaftungen politischer Gegner, wie Leopold Figl, Josef Reither, Alfons Gorbach oder Viktor Matejka. Franz Planetas Vater hatte als Gendarmerie-Postenkommandant von Ernstbrunn (Bezirk Korneuburg) vor dem „Anschluss“ illegale Nazis verhaftet, die Bombenanschläge verübt hatten. Nun wurde er selbst verhaftet, ein Schock für die Familie: „Da habe ich meinen Vater zum ersten Mal weinen gesehen“, schilderte Planeta seine Erlebnisse.

Mit dem Einmarsch begann auch der Terror gegen die jüdischen Mitbürger. Walter Fantl-Brumlik war in jenen Tagen 14 Jahre alt, die jüdische Familie betrieb ein Lebensmittelgeschäft in Bischofstetten (Bezirk Melk): „Ich ging damals in St. Pölten zur Schule. Ich musste sie aber sofort verlassen und habe sie nicht wieder besuchen können.“ Im Lebensmittelgeschäft seines Vaters ließen die Kunden nur noch anschreiben, weil sie ahnten oder wussten, dass es diese Familie nicht mehr lange hier geben wird. Walter Fantl-Brumlik überlebte als einziger seiner Familie die NS-Konzentrationslager.

Hannes Steindl, noe.ORF.at, Publiziert am 12.03.2018
http://noe.orf.at/news/stories/2900442/
 

josef

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#29


12. März 1938

Hitler hat unter dem Decknamen „Unternehmen Otto“ die „Militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich“ ausgestellt, rund 65.000 Mann mit teils schwerer Bewaffnung marschieren am 12. März in den frühen Morgenstunden ein. Militärischen Widerstand gibt es nicht, das Bundesheer zieht sich wie befohlen zurück - der „Anschluss“ ist vollzogen. Die Bevölkerung begrüßt die Truppen mit Jubel und Blumen.

Kein Österreich – davon können nur noch wenige Österreicherinnen und Österreicher erzählen. Es ist 80 Jahre her, dass es verschwand und zur „Ostmark“ wurde. Mehr zum „Anschluss“, der Annexion des Landes durch Hitler-Deutschland:


Link: http://orf.at/vstories/1938unddiefolgen
 

josef

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#30


Anschluss 1938 in Salzburg: Nichts dem Zufall überlassen

Am Montag vor 80 Jahren sind deutsche Truppen in Salzburg einmarschiert. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen - durch perfekte Propaganda sollten die Salzburger und ganz Österreich vom Anschluss überzeugt werden.
Das „Unternehmen Otto“, wie Hitler den geplanten Einmarsch nannte, setzte über Nacht 65.000 Soldaten der deutschen Wehrmacht und auch Polizisten Richtung Österreich in Bewegung. Auch in Salzburg wurden die deutschen Truppen mit viel Jubel empfangen.

„Plötzlich überall Fahnen“
Der, 2013 verstorbene, sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Karl Steinocher war damals 18 Jahre alt und absolvierte gerade eine Lehre in einer Papiergroßhandlung. Am Vorabend des Truppeneinzuges wurden sein Freund und er Zeugen einer wilden Rauferei. In einem Interview aus dem Jahr 2013 schilderte er seine Eindrücke: „Da hat die SA, da waren sie schon in Uniform, einen Mann zusammengetreten und in der Früh sind sie einmarschiert. Ich bin als Lehrling in die Arbeit gegangen und sie sind einmarschiert und dann war alles umgestellt - plötzlich waren massenweise Fahnen da. Wie das gegangen ist, weiß ich nicht“, erzählte Steinocher.


Archiv
Über Nacht marschierten die Soldaten in Salzburg ein

Fenster mit Balken verriegelt
Franziska Freund, Jahrgang 1922, lebt in Adnet. Als 16-Jährige war sie Schülerin im Internat der Ursulinen, das damals im heutigen Haus der Natur untergebracht war. In der Nacht zum 12. März, erzählte sie, wurden von den Schwestern die Fenster des Internats mit Balken verriegelt. Etwas, was sonst nie geschah. „Und dann hat es angefangen - zwei, drei Uhr in der Früh marschmäßig einmarschieren von Richtung Mülln und schrien `Muh, Muh, Muh - Schuschnigg alte Kuh` durch die Gstättengasse. Wir haben aber nichts gesehen, weil die Fenster verriegelt waren“, erzählte Freund.

Sepp Forcher war 1938 noch in seiner Heimat Südtirol. Dort habe das ganze kein bedeutendes Echo gehabt: „Allerdings nach dem Anschluss war im Radio - das wird in Salzburg schon verboten gewesen sein, aber in Südtirol nicht - ´Harret aus, Österreich wird wieder auferstehen` und dann ist der Egerländer-Marsch gespielt worden.“

Anschluss akribisch vorbereitet
Im Salzburger Stadtarchiv liegen jede Menge Dokumente, die belegen, mit welcher Sorgfalt die nationalsozialistische Propagandamaschinerie die Vereinigung vorbereitet hatte. „Es war so vorbereitet, dass Flugzeuge Tonnen von Flugblättern mit Begrüßungsworten von Adolf Hitler über der Stadt auswarfen. Außerdem gab es Lkw, die vor allem dann Hakenkreuz-Fahnen an die Bevölkerung verteilt haben“, sagte Peter F. Kramml, Leiter des Salzburger Stadtarchivs.

Der Naziterror ließ nach dem Einmarsch nicht lange auf sich warten. Über Nacht wurden die Zeitungsredaktionen mit Gleichgesinnten besetzt, zuvor schon die öffentlichen Ämter. Noch im März gab es eine erste Verhaftungswelle gegen Juden, Geschäfte wurden enteignet. Spätestens der Krieg ließ dann bei vielen die Begeisterung der Ernüchterung weichen.

Links:
Publiziert am 12.03.2018

Archiv
12. März 1938, Salzburg


Archiv
Häuser wurden mit NS-Fahnen bestückt


Archiv
Schäden des Zweiten Weltkrieges

http://salzburg.orf.at/news/stories/2900687/
 

josef

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#31


Der „Anschluss“ im Burgenland

Vor 80 Jahren, am 12. März 1938, wurde der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland vollzogen. Österreich verschwand von der politischen Landkarte und wurde zur „Ostmark“, das Burgenland wurde auf „Niederdonau“ und die Steiermark aufgeteilt.
Am Abend des 11. März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten auch im Burgenland die Macht. Das Landhaus war mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Landeshauptmann Hans Sylvester wurde verhaftet.


ORF
Das Landhaus in Eisenstadt 1938

Sylvester war im Ständestaat zum Landeshauptmann des Burgenlandes ernannt worden. Er wurde von den Nazis verhaftet und starb später im Konzentrationslager Dachau. Tobias Portschy wurde NSDAP-Gauleiter.

Zeitzeugen erinnern sich
Österreich war im März 1938 längst keine Demokratie mehr. Der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß begründete 1934 den austrofaschistischen Ständestaat. Im selben Jahr wurde Dollfuß von Nationalsozialisten ermordet. Kurt Schuschnigg wurde sein Nachfolger, er musste am 11. März dem Druck Hitlers weichen.

Die, die sich heute noch an den Anschluss erinnern können, waren damals Kinder, Jugendliche, so wie Alexander Unger aus St. Margarethen. In der Schule sei in der Früh nicht mehr „Grüß Gott“ gesagt worden, sondern man musste „Heil Hitler“ sagen, erzählt Unger. Man konnte sich gar nichts vorstellen, erinnert sich Anna Palkovits aus Hornstein.


ORF
Mit dem Anschluss begann die Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und der Roma im Burgenland.

„Niemals vergessen“
Als „Tag der Erinnerung und Tag der Mahnung“ bezeichnet Landtagspräsident Christian Illedits (SPÖ) den 80. Jahrestag des Anschlusses. Mit Blick in Richtung Zukunft, gelte es vor allem die Jugend einzubinden und die Gedenkarbeit zu intensivieren. Gemeinsam mit Jugendlandesrätin Astrid Eisenkopf (SPÖ) forciert Illedits diverse Gedenkinitiativen für Schüler. Außerdem wird der Landtag im Herbst eine Gedenkveranstaltung abhalten.

„Nie wieder“ und „Niemals vergessen“ seien die wichtigsten Lehren, die aus dem dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte gezogen werden müssten, sagte Landesrat Norbert Darabos (SPÖ) zum Gedenken an den Anschluss. „Die Aufarbeitung unserer Geschichte dürfe nie enden“, so Darabos weiter. Er fordert außerdem ein klares Bekenntnis aller politischen Vertreter gegen Nationalsozialismus, Faschismus, Antisemitismus und Rassismus.

Links:
Publiziert am 12.03.2018
http://burgenland.orf.at/news/stories/2900577/
 

dermike

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#32
Hallo zusammen,
den ganzen Tag schon läuft bei uns auf 3 Sat die Vereinnahmung von Österreich ins deutsche Reich.
Was mir dabei aufgefallen ist, war die Mitteilung, das in Österreich bis zu diesem Tag "links" gefahren wurde.
Das war mir echt neu. Man lernt nie aus.
Und nebenbei bekomme ich auch mit, dass es tatsächlich auch heftigen , zumindest moralischen Widerstand dabei gab.
Das wurde uns im Schulunterricht auch nicht mitgeteilt, bzw. war kein Thema.
Man sieht, dieses Forum betreibt Geschichtsunterricht.

grüße

dermike
 

josef

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#33
Hallo zusammen,
den ganzen Tag schon läuft bei uns auf 3 Sat die Vereinnahmung von Österreich ins deutsche Reich.
Was mir dabei aufgefallen ist, war die Mitteilung, das in Österreich bis zu diesem Tag "links" gefahren wurde.
Das war mir echt neu. Man lernt nie aus...
Hallo Mike,
siehe dazu auch "Einführung der "Rechtsfahrordnung" im Straßenverkehr" in Österreich, war eine "schwere Geburt", die regional begrenzt war und sich über Jahre hinzog...
lg
josef
 

josef

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#34


Wien: Als die Nazis das Rathaus übernahmen
Mit der Machtübernahme der Nazis 1938 wurde auch Wien zu einem Verwaltungsbezirk des „Deutschen Reichs“. Im Rathaus tagte nun die Scheinvertretung der so genannten „Ratsherren“. Ihre Biografien wurden jetzt veröffentlicht.
Der Wiener Gemeinderat und Landtag wurden bereits 1934 vom damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß aufgelöst. An ihre Stelle trat mit der „Wiener Bürgschaft“ eine Art Scheinparlament, deren Mitglieder nicht gewählt, sondern ernannt wurden. Nach der Auflösung der „Wiener Bürgerschaft“ durch die Nationalsozialisten 1938 wurde die Scheinvertretung der „Ratsherren“ 1939 eingerichtet - sie tagten nun im großen Sitzungssaal, der noch heute genutzt wird. Sie hatten allerdings nur beratende Funktion für die NS-Stadtpolitik, heißt es beim Wiener Stadt- und Landesarchiv.


Wiener Stadt- und Landesarchiv

Die Bezeichnung Ratsherren täuscht nicht: Die 45 Mitglieder waren tatsächlich nur Männer. Sie wurden vom Reichsstatthalter in ihre Funktion berufen. Einige der Ratsherren waren „Alte Kämpfer“. Das bedeutet: Sie waren der NS-Bewegung bereits vor dem Verbot der Partei im Jahre 1933 beigetreten. Neben den Funktionären waren auch Unternehmer, Manager und Vertreter aus den Bereichen Wissenschaft und Kultur vertreten - darunter etwa der Rektor der Universität Wien oder der Vorstand der Philharmoniker.

26 Schuldsprüche bei Entnazifizierung
Nun wurden die Biografien der Ratsherren im Rahmen eines Projektes des Stadt- und Landesarchivs gesammelt und online gestellt. Veröffentlicht sind die Daten sowohl im Wien-Geschichte-Wiki als auch im Wiener Politikerarchiv Polar. So weit vorhanden wurden die Lebensläufe mit Fotos der NS-Vertreter ergänzt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren im Zuge der Entnazifizierung von insgesamt 67 Ratsherren 49 von strafrechtlichen Verfahren betroffen, in 26 Fällen führten diese zu Schuldsprüchen, etwa wegen Hochverrats.

„Spannend finden wir die Brüche und Kontinuitäten in den Lebensläufen, die ja nicht 1938 beginnen und 1945 enden“, sagte Brigitte Rigele, Direktorin des Wiener Stadt- und Landesarchivs: "Die Unterlagen in unserem Archiv sind eine wesentliche Grundlage für die Aufarbeitung dieser Personengeschichten.

Links:
Publiziert am 16.03.2018





Ale Fotos Wiener Stadt- und Landesarchiv

http://wien.orf.at/news/stories/2901376/
 

josef

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#37


Mexiko: Einziges Land mit offiziellem Widerstand

Mexikos Protest gegen den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 ist standhaft gewesen - und einsam. Nur das lateinamerikanische Land brachte die Annexion im Völkerbund international aufs Tapet. Der mexikanische Gesandte Isidro Fabela formulierte die Note, die gegen den „politischen Tod Österreichs“ protestierte und darin „ein schweres Attentat gegen den Völkerbund-Pakt und gegen die übernommenen Grundsätze des Völkerrechts“ sah. Damit sicherte sich Mexiko nach dem Krieg die Dankbarkeit Österreichs bis heute. Mexikos Haltung wird auch heuer bei etlichen Gedenkveranstaltungen gewürdigt. Gänzlich selbstlos war sie aber nicht.

„Fabela sah die Grausamkeiten voraus“
An den mexikanischen Juristen und Diplomaten Isidro Fabela (1882 - 1964) wird nicht nur im heurigen Gedenkjahr erinnert. Sein Protest im Namen Mexikos nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 wurde immer wieder gewürdigt, war es doch der einzige Versuch, international Widerstand zu leisten.

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Seit 2005 trägt etwa eine Promenade bei der Wiener UNO-City den Namen Fabelas. Und auch jetzt, 80 Jahre nach der Annexion, ist Fabelas Protest wieder aktuell. In Österreich fand eine Reihe von Veranstaltungen statt, darunter auf dem Wiener Mexikoplatz, der seit 1956 in Erinnerung an den Völkerbund-Protest den Namen trägt. Am Dienstag fand zudem am Wiener Juridicum ein hochkarätiges Symposium statt, um Fabelas zu gedenken. Mit dabei waren die mexikanische Botschafterin in Österreich, Alicia Buenrostro Massieu, den Ehrenschutz übernahm der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer.


Benypr unter cc by-sa
Isidro Fabela: Jurist, Politiker und Schriftsteller

Fabela formulierte im März 1938 die Protestnote, mit der Mexiko gegen den „Anschluss“ aufstand. Am 19. März, eine Woche nach dem Einmarsch deutscher Truppen, übergab er als Gesandter seines Landes beim Völkerbund dem Generalsekretariat der Weltorganisation in Genf das Schreiben. Zwar protestierten auch andere Staaten gegen den „Anschluss“, etwa die Sowjetunion. Doch erfolgten diese Einwände verbal oder in Form bilateraler Demarchen. Nur Mexiko brachte die Causa vor den Völkerbund - und blieb seiner Linie auch während des gesamten Krieges treu.

„Der politische Tod Österreichs“
„Die Regierung von Mexiko, die die Grundgesetze des Völkerbund-Paktes stets achtet und ihrer Außenpolitik, die keine mit Gewalt herbeigeführte Eroberung hinnehmen kann, immer treu bleibt, protestiert auf das Kategorischste gegen den äußeren Angriff, dessen Opfer die Republik Österreich geworden ist“, hieß es in der Note.

„Der politische Tod Österreichs in der bekannten Form und unter den bekannten Umständen stellt ein schweres Attentat gegen den Völkerbund-Pakt und gegen die übernommenen Grundsätze des Völkerrechts dar.“ Die Behörden, die die „vollziehende Gewalt preisgegeben haben“, hätten nicht das österreichische Volk vertreten, „das sicherlich den Tod seines Vaterlandes als eine düstere Tragödie ansieht; die Behörden selbst, welche der Gewalt weichen mussten, haben nicht frei gehandelt, da ein erzwungener Willensakt kein Willensakt ist“, so der Text.


Juridicum/ORF
Die Protestnote wurde am 19. März 1938 in Genf übergeben

„Fabela sah die Grausamkeiten voraus“, sagte Botschafterin Buenrostro beim Symposium am Dienstag. Er habe die Prinzipien des internationalen Rechts hochgehalten, Prinzipien, die Mexiko auch in den vergangenen Jahrzehnten stets geleitet hätten.

Kein anderes Land stimmte ein
Die mexikanische Note sollte 1938 weitere Staaten Lateinamerikas und auch Europas zu Protesten animieren, Stellung zu nehmen. Doch dazu kam es nicht. Kein weiteres Mitglied des Völkerbundes schloss sich dem mexikanischen Protest an. Die Gründe Mexikos, allein auf weiter Flur gegen die Aggression Nazi-Deutschlands aufzubegehren, waren vielfältig. Ebenso wie Österreich hatte das Land ein großes Machtzentrum - die USA - als Nachbarland, dessen Stärke es fürchtete.

Öl und Waffen
Doch es gab auch eine handfeste Motivation: Die Protestnote wurde dem Völkerbund am Tag nach der Verstaatlichung des mexikanischen Erdöls übermittelt, die insbesondere von den USA kritisch betrachtet wurde. Am Beispiel Österreich wollte Mexiko seine Entschlossenheit demonstrieren, keinerlei Einmischung von außen zu dulden.

Fabela kabelte am 17. März den verschlüsselten Text der geplanten Note von Genf nach Mexiko, wo am gleichen Tag der Inhalt in einer spanischen Fassung der mexikanischen Presse übermittelt wurde. Präsident Lazaro Cardenas ließ aber für die offizielle Übermittlung an den Völkerbund noch einen Tag verstreichen. Der linksgerichtete Politiker wolle die Enteignung der ausländischen Ölgesellschaften am 18. März abwarten. Daher wurde die Protestnote erst am 19. März dem Völkerbund überreicht.


El bes unter cc by-sa
Die Isidro-Fabela-Promenade bei der Wiener UNO-City erinnert an Mexikos Protest

Der mexikanische Präsident war im Jahr 1938 auch mit innenpolitischem Widerstand konfrontiert. Seine Gegner, etwa Ex-Präsident Plutarco Calles, sympathisierten mit den Nazis. Zudem half Mexiko dem von den Faschisten bedrohten Spanien als Zwischenstation für Waffenlieferungen, auch von Waffen aus Österreich. Hitler-Deutschland versuchte, Mexiko zumindest zu einer stillschweigenden Anerkennung des „Anschlusses“ zu bewegen. Es wurde sogar ein Putsch gegen Präsident Cardenas angezettelt. Mexiko aber blieb bei seiner Haltung.

Fischer: „Humanistische Position“
Daher auch die Würdigung der damaligen Haltung Mexikos und seines Diplomaten: Fabela sei eine außergewöhnliche Persönlichkeit in einer außergewöhnlichen Zeit gewesen, so Ex-Bundespräsident Fischer. Er habe aber sicher nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass sein Schritt vor 80 Jahren noch heute so geehrt würde. Fabela sei ein gutes Beispiel für einen Diplomaten, ein gutes Beispiel für einen Menschen gewesen. „Er hat getan, was ihm sein Gewissen als richtig vorgab“, so Fischer bei dem Symposium.

Trotz des Jubels, der Menschen, die die Annexion 1938 begrüßten und Hitler folgten - „nichtsdestotrotz marschierte eine Armee in ein anderes Land ein“, so Fischer. Mexiko habe eine humanistische Position eingenommen, auf Grundlage des Rechts. Das werde heute noch hochgeschätzt. „Ich bin sicher, dass man sich auch noch 2038 daran erinnern wird“, sagte Fischer.

Links:
smek, ORF.at/Agenturen
Publiziert am 21.03.2018
http://orf.at/stories/2430969/2430966/
 

josef

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#38


NS-Elitebühne Josefstadt
Gleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 haben die Nationalsozialisten auch den Kulturbereich umgebaut - vor allem die prestigeträchtigen Wiener Bühnen. In einigen Theatern wurden die Direktoren schon am 12. und 13. März zum Rücktritt gezwungen, wenig später entließ man die „Volljuden“ aus den Ensembles und strich missliebige Autoren vom Spielplan. Volkstheater und Raimundtheater wurden von den Nationalsozialisten zu „Kraft durch Freude“-Bühnen erklärt. Die Josefstadt baute man um zur NS-Elitebühne unter Schirmherr Josef Goebbels.

Die Politik macht das Programm
Bis heute hält sich der Mythos, Wien habe in kulturellen Belangen eine Sonderstellung im Dritten Reich eingenommen. Tatsächlich unterwarf man gerade die Kulturszene der „Ostmark“ komplett der Kontrolle Berlins. Ein eigenes NS-Theatergesetz sorgte dafür, dass Österreichs Bühnen ab Frühjahr 1938 Reichspropagandaminister Goebbels unterstanden - und nur noch spielten, was dem Führer gefiel.
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Die Übernahme war gut eingefädelt. In jedem größeren Wiener Theater saß mindestens ein Mann der NSBO, der Nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation, einer Art NS-Gewerkschaft. Diese Leute machten kein großes Aufheben um ihre NS-Sympathien. Zumindest bis mit dem Einmarsch ihrer Gesinnungsgenossen am 12. März 1938 ihr großer Tag kam - und sie die Macht übernahmen.


ÖNB
Fred Hennings, 1938 (Rollenbildnis)

Im Burgtheater kam so der Schauspieler Fred Hennings zumindest interimistisch ans Ruder. Im Theater an der Josefstadt die NSBO-Vertreter Robert Herky und Erik Frey, die den bisherigen Direktor absetzten. Was in der Theorie klingt wie ein bürokratischer Vorgang, war in der Praxis oft mit sadistischen Machtdemonstrationen verbunden.

Aus der Loge geholt und misshandelt
„Der Umbau des Reinhardt’schen Theaters (also der Josefstadt, Anm.) zur NS-Elitebühne hat zum Beispiel äußerst brutal stattgefunden“, erzählt Birgit Peter, Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Wien, im Gespräch mit ORF.at, „Jüdische Schauspieler wurden gezwungen, weiter zu spielen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Da gibt es schreckliche Geschichten.“

Peter berichtet von einem Fall, den sie vor Jahren für eine Publikation recherchiert hat: Am 23. April 1938 wurde der soeben abgesetzte Direktor des Theaters Scala und vormalige Leiter des Volkstheaters, Rudolf Beer, ein Jude, von dem neuen kommissarischen Leiter der Josefstadt, Robert Valberg, und dem NS-Betriebszellenleiter Frey während einer Vorführung aus der Loge geholt. Beer wurde von NS-Schlägern brutal misshandelt und auf der Höhenstraße aus dem Auto geworfen. Wenig später nahm er sich das Leben. Heute erinnert eine Steinplastik vor dem Volkstheater an dieses frühe Opfer der NS-Kulturpolitik.

Einschüchterung und Opportunismus
In manchem Fällen genügten aber auch schon Drohungen aus NS-Kreisen, um den Führungswechsel einzuleiten, wie die mittlerweile in Graz lehrende Theaterwissenschaftlerin Evelyn Deutsch-Schreiner in ihrer Dissertation „NS-Kulturpolitik in Wien unter Berücksichtigung der Theaterszene“ schreibt: Volksoperndirektor Jean Ernst trat etwa auf Aufforderung der Nationalsozialisten „freiwillig“ zurück.

Es gab aber auch „freundliche Übernahmen“. Der 1932 (ausgerechnet auf Empfehlung des später misshandelten Beer) zum Volkstheater-Direktor bestellte Rolf Jahn, soll ein Opportunist gewesen sein, der schon im Februar 1938 Kontakte zum Regime in Berlin knüpfte.

„Judenfreie“ Ensembles im April 1938
Nach dem „Anschluss“ mussten alle Theater Listen mit den Namen jüdischer Ensemblemitglieder anfertigen. Bis zum Stichtag am 30. April 1938 wurden diese gekündigt. Um auch ohne die „Volljuden“ auf einem gewissen Niveau spielen zu können, erlaubte man „Halbjuden“ und Ariern, die mit Juden verheiratet waren, vorläufig zu bleiben.


Universität Wien/Institut für Theater-Film-und Medienwissenschaften
Eintrittskarte der Volksoper, 1940. Ein Stempel markiert das ermäßigte KdF-Kartenkontingent.

Das Volkstheater wurde ab 1938 wie zwei weitere Wiener Bühnen von der NS-Gemeinschaft KdF (Kraft durch Freude) betrieben. Mit günstigen Eintrittskarten und Sondervorstellungen für Arbeiter und Jugend setzte man auf Massenunterhaltung. Als weitere KdF-Spielstätten dienten das Raimund-Theater und die Komödie in der Johannesgasse (heute Metro-Kino).

Demütigung jüdischer Abonnenten
Zugleich arbeiteten die Nationalsozialisten daran, die Juden auch aus dem Zuschauerraum zu drängen. Deutsch-Schreiner zitiert erschütternde Briefe von jüdischen Theaterabonnenten. So versuchte etwa ein „begeisterter Anhänger der Wiener Staatsoper“, sein Abonnement zu kündigen, „weil es bereits wiederholt vorgekommen ist, dass von der Bühne die Juden aufgefordert wurden, das Theater zu verlassen“. Zynischerweise zwang aber die Staatsoper jüdische Abonnenten, weiter zu zahlen, obwohl sie die Vorführungen nicht mehr unbehelligt besuchen konnten.

Gratisaufführung an Hitlers Geburtstag
In den Kriegsjahren versuchten die Wiener Bühnen mit betont leichten Stoffen vom Frontgeschehen abzulenken. Um einen normalen Alltag zu simulieren, sollte der Spielbetrieb aufrecht bleiben. Sondervorführungen für Rüstungsarbeiter wurden organisiert. Angehörige von Wehrmachtssoldaten zahlten die Hälfte.


ÖNB
Staatsoper, 10. Juni 1939: Hitler und Goebbels bei einer Festaufführung von Richard Strauss’ „Ein Friedenstag“

An Hitlers Geburtstag, einem nationalen Feiertag, durften Arbeiter umsonst in gewisse Vorstellungen. Und an den Muttertagen der Kriegsjahre hielten die Mütter gefallener Wehrmachtssoldaten feierlich Einzug in das Burgtheater: Der Rest des Publikums war im Programmzettel angewiesen, sich zu Ehren dieser Frauen zu erheben. Die propagandistische Inszenierung fand längst auch im Zuschauerraum statt.

Programmheft mit Luftschutzregeln
Ab 1942 ließ sich die Kriegsmangelwirtschaft allerdings nicht mehr verbergen. Bald wurden keine Werbehefte mehr gedruckt, ab 1943 auch keine Plakate. Im harten Winter 1942 spielten die NS-Bühnen wegen Brennstoffmangels nur noch wechselweise.

In den Programmheften der Staatsoper findet man nun zwischen salbungsvollen Vorworten von Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart und Richard-Wagner-Elogen auch Anweisungen für das „Verhalten bei Fliegeralarm“. Jedes Theater sollte binnen sieben Minuten geräumt werden können. Damit es schneller ging, durfte das Publikum die Garderobe mit zum Platz nehmen. Zugleich wurden alle brennbaren Dekorationsstoffe aus dem Innenraum entfernt.

Bomben im Burgtheater
Männliche Schauspieler wurden nun zunehmend an die Front einberufen. Und am 1. September 1944 verkündete Goebbels den „totalen Kriegseinsatz der Kulturschaffenden“. Das Theaterpersonal wurde in der Folge - oft ensembleweise - in Rüstungsbetrieben verpflichtet. Das Burgtheater verlegte sich auf einen Notbetrieb mit Lesungen.

Dann, zu Weihnachten 1944, kam die letzte Vorstellung in der noch unversehrten Burg. Am 12. April brannte eine der berühmtesten Bühnen der Welt, die die Nationalsozialisten zu Progandazwecken missbraucht hatten, nach einem Bombentreffer aus. Hennings, der den Nazis die Tür geöffnet hatte, spielte nach dem Wiederaufbau übrigens weiter an der Burg. 1963 ernannte man ihn zum Ehrenmitglied des Ensembles, 1977 erhielt er den Ehrenring der Stadt Wien.

Links:
Maya McKechneay, für ORF.at

Publiziert am 02.04.2018
http://orf.at/stories/2429786/2429785/
 

josef

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#39
Ergänzung zum vorigen Beitrag:


Mit Mozart einen Krieg „begründen“
Nicht nur wer in Wien Theater machen durfte, bestimmten die Nazis, sondern auch, was gespielt wurde: Grillparzer, Hauptmann und Ibsen waren erwünscht. Hebbel ging manchmal. Schiller und Mozart wurden rückwirkend zu NS-Künstlern erklärt. Und selbst der Kasperl stand ab 1938 im Dienst der Nazis und warb bei Kindern für Antisemitismus, Rassenlehre und Krieg.
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Die Nationalsozialisten hatten sich die Wiener Theater schnell „gefügig“ gemacht. Aber was sollte man nun spielen? Vor allem lag es im Interesse des Regimes, große, anerkannte Werke für sich zu vereinnahmen. Bühnenstücke ebenso wie Opern. Mozart zum Beispiel war Propagandaminister Josef Goebbels ein nationales Anliegen. Bei einer Veranstaltung zu dessen 150. Todestag erklärte Goebbels in Wien: „Mozarts Werk gehört zu jenen Werten, die unsere Soldaten gegen die aus dem Osten anstürmende Barbarei verteidigen.“

Hickhack um Schillers „Wilhelm Tell“
Doch die kulturellen Werte des Nationalsozialismus waren wandlungsfähig. Zu den meistgespielten Stücken des „großdeutschen Reichs“ gehörte lange Zeit Schillers „Wilhelm Tell“. Hitler hatte für das achte Kapitel von „Mein Kampf“ eigenhändig die Überschrift „Der Starke ist am mächtigsten allein“ aus dem „Tell“ gewählt. Zum Geburtstag des Führers am 20. April 1938 wurde das Stück in einer „Festvorstellung“ im Burgtheater mit großem Pomp aufgeführt.


Universität Wien/Institut für Theater-Film-und Medienwissenschaften
Hitler verehrte Lehar, und der trat immer wieder im Dienst des Regimes auf - obwohl er mit einer Jüdin verheiratet war

Dann, 1941, wurde das Stück auf persönlichen Wunsch des Führers von den Spielplänen und aus den Unterrichtsplänen der Schulen genommen. Die Frage des moralisch legitimierten Tyrannenmordes, die das Stück behandelt, wollte Hitler 1941 wohl besser nicht mehr aufwerfen.

Grillparzer als „deutscher“ Klassiker
Jeder Wiener Theaterdirektor musste seinen Spielplan für die kommende Saison vorab nach Berlin schicken, um ihn absegnen zu lassen. Listen mit erwünschten und unerwünschten Autoren und Stücken zirkulierten.

Während der sogenannten Reichstheaterfestwochen wurde Wien zum Zentrum nationalsozialistischer Machtdemonstrationen. Reichsdeutsche Bühnen gastierten mit Starschauspielern wie Gustaf Gründgens und Heinrich George in Wien. Im Jänner 1941 fand die „Grillparzerwoche“ statt, wobei streng darauf geachtet wurde, dass der Dichter nicht als österreichischer, sondern als „deutscher“ Klassiker gefeiert wurde.


ÖNB
Richard Strauss (vor dem Globus), links von ihm Seyß-Inquart. Eröffnung der Ausstellung zur 6. Reichstheaterfestwoche

Im Juni 1942 gab es eine „Hebbelwoche“, im November 1942 die „Hauptmannwoche“ und noch im Juni 1944 - als der Krieg in die verzweifelte Endphase ging - eine „Strausswoche“. Der hochbetagte Richard Strauss ließ sich für diese Veranstaltung vereinnahmen und posierte im Prunksaal der Nationalbibliothek neben Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart.

Gleichschaltung der Puppenspieler
Um auch an die Jugend zu gelangen, nutzten die Nationalsozialisten unter anderem die Populariät des Praterkasperls, der nun zum deutschen „Kasper“ wurde. Von Wanderbühnen herab brachte er schon den Kleinsten die Ressentiments der Nazis nahe. Das Puppenspiel - und somit auch der Kasperl - unterstand in Wien übrigens wie die „Laienspielpflege“ der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF). Alle privaten Puppenspielvereine waren im Zuge der Gleichschaltung aufgelöst worden.

„Das Puppenspiel hatte für die Nationalsozialisten großen erzieherischen Wert“, schreibt die Theaterwissenschaftlerin Evelyn Deutsch-Schreiner in ihrer Dissertation zum NS-Theater in Wien. „Es wurde mit Vorliebe bei Kindern in der Schule, in Tagesheimen und Kinderheimen eingesetzt, um spielerisch nationalsozialistisches Gedankengut zu vermitteln“. In den Auftritten des Kasperls sieht Schreiner ein „beliebtes und wirksames Indoktrinationsinstrument vor allem für Kinder“.

Kasperl als Fronthelfer und Botschafter der USA
Aber auch an der Front kam der eingedeutschte Kasper zum Einsatz, war er doch leicht zu transportieren. Vor allem in Lazaretten sollte er den Verwundeten Abwechslung bieten oder, so Deutsch-Schreiner, „Rüstungsarbeitern ein wenig Freude bringen“.


ÖNB
American Youth Activities (AYA): Am 19. Jänner 1949 spielt der Kasperl im Auftrag der USA

Nach dem Krieg ging die Propagandaarbeit des Kasper, der nun wieder Kasperl heißen durfte, übrigens nahtlos weiter. Nur dass er die Seiten gewechselt hatte: Im Zuge der „American Youth Activities“ sollte die Handpuppe nun mithelfen, das Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und Einheimischen zu verbessern.

Link:
Maya McKechneay, für ORF.at

Publiziert am 02.04.2018
http://orf.at/stories/2429786/2429795/
 
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