Gräfenroda in Thüringen wahrscheinlich Geburtsstätte der Gartenzwerge...

josef

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BEETBEWACHER
Gartenzwerge: Wichte mit Imageproblemen
Hinterm Zaun präsentieren Österreicher und Deutsche Millionen von Gartenzwergen. Dabei gelten sie als spießig und kitschig. Versuch einer Ehrenrettung.
Der Gartenzwerg ist ein warmherziges Wesen von duldsamer Natur. Bewundernswert, bekommt er doch ständig eins auf die Mütze. Eine kitschige Kreatur sei er, absolut uncool und darum des Spießers bester Kumpel.
Eine unfaire Demütigung, waren die Kerlchen doch einst hochangesehen. Mit ihrer ganz eigenen Magie und dem Mythos, sie könnten Böses abwehren, waren die Gnome Freunde des Menschen, und es sah so aus, als würden sie mit Karre, Schaufel und Kanne sogar bei der Arbeit helfen oder mit dem Schießgewehr das Heim beschützen.

Den Zwergen war die Verantwortung anzusehen. Sie waren ältere Männer mit wuchtigem Bart und blickten mit milder Güte in die Landschaft, ihre Gesichter waren filigran modelliert.

Foto: Getty Images / iStock / Valerie Loiseleux

Die Schmach begann schon früh in der Gartenzwerg-Historie. In einem Geschäftsschreiben bot Philipp Griebel, der als einer der Ersten im thüringischen Gräfenroda Zwerge in Serie fertigte, seine Wichtel im Sommer 1929 zum Spottpreis an. Er gewähre "auf sämtliche in der Liste eingedruckten Preise 25 Prozent Rabatt & zwei Prozent Sconto per Cassa", ließ der Firmeninhaber seine potenziellen Partner wissen.

Wer wann und wo die ersten Wichtel der Moderne schuf, darüber streiten Historiker übrigens bis heute. Wer nicht weiß, woher er kommt, für den scheint die Zukunft schwierig. Lange Zeit galten die Thüringer als die Urväter der standardisierten Rotzipfler. Griebel und Heissler, deren Nachfahren noch heute im Geschäft sind, gründeten in den 1870er-Jahren keramische Werkstätten, die die Wiege der Wichtel sein sollen.
Auf einem Zehn-Pfennig-Notgeldschein von 1921 mit einem zechenden Gartenzwerg steht immerhin "Gräfenroda, die Erfindungsstätte der Gartenfiguren". Wenigstens konnte das Publikum der Leipziger Messe 1898 erstmals Thüringer Gnome bestaunen. Heimatforscher haben in staubigen Bibliotheksbänden allerdings Anzeigen von anderen Fabrikanten gefunden.

Des Spießers bester Kumpel?
Illustration: Magdalena Rawicka
Die kunstgewerbliche Anstalt Etruria bei Neuwedell warb im Juni 1886 in der Deutschen Illustrierten Zeitung für ihre "buntfarbigen Gnomeaus". In einem Artikel über die "Thüringer-Thonfiguren-Industrie" in der Illustrierten Welt erwähnt der Schreiber 1893 Heinrich Dornheim aus Gräfenroda als Begründer der Zwergenkunstindustrie.

Wahlkampf mit Zwerg
Mit diesem Makel der unklaren Geburtsstätte gingen die Wichtel auch noch in die Politik und mussten stellvertretend für die hohen Herren vor allem Frust und wenig Lust empfinden. Die wichtigen Weltenlenker Kennedy, Chruschtschow und de Gaulle sowie auch der deutsche Bundeskanzler Adenauer waren plötzlich in Gartenzwergform gebracht, noch kleiner als der kleine Mann von der Straße. Gerade groß genug für eine ordentliche Kopfnuss.

Der brave Beetbewacher musste zudem 2014 in den österreichischen Landtagswahlkampf ziehen und im Namen der SPÖ in Vorarlberg Schilder mit der Botschaft "Diesmal darf's ein Roter sein" hochhalten. 400 der rotmützigen Wahlkämpfer verschwanden über Nacht, und der politische Mitbewerber geriet sofort in Verdacht. Ein Scharmützel auf Kosten der kleinen Knirpse.

Zu allem Überfluss landen die Gnome aus dem Garten auch noch vor Gericht, wenn der Blick über den Zaun zu provokant erscheint. Als ein Nachbar sich von einer rabiaten Zwergenschar mit herausgestreckter Zunge, erhobenem Mittelfinger und heruntergelassener Hose provoziert fühlte, klagte er, weil er sich in seiner Ehre verletzt sah.

Das Amtsgericht Grünstadt in Deutschland wertete das Aufstellen als Beleidigung und urteilte, es mache keinen Unterschied, ob sich jemand selbst vor das Haus stelle und sich entblöße oder die Zwerge für sich handeln lasse. Der Besitzer musste die Flegelbande entfernen.
Selbst Normalos führten zu Nervereien. Das Oberlandesgericht Hamburg erklärte, ein kleiner Zwerg mit "leuchtend roter Zipfelmütze" könne in einem Gemeinschaftsgarten einer Wohnanlage "ästhetisch kontrovers" beurteilt werden. Ohne Zustimmung aller müsse der Zwerg weggeräumt werden.

Illustration: Magdalena Rawicka

Das blau-gelbe Systemeinrichtungshaus Ikea machte sich das miese Image des kleinkarierten Mannes zunutze und erlaubte sich dabei einen makabren Gipfel der Frechheit. Auf Plakaten wiesen die Skandinavier 2001 auf eine neue Filiale in Regensburg hin und entblödeten sich nicht, einen offenbar lebensmüden Gartenzwerg auf die Bahngleise zu legen und zu texten: "Schluss mit dem Muff. Ikea kommt." Die Deutsche Bahn ordnete an, sämtliche Wichtel auf den Bahn-Werbeflächen zu überkleben.

Der Zwergenaufstand gegen den Niedergang war lange im Gange. Die "Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge" stellte klar: Ein korrekter Wichtel ist höchstens 68 Zentimeter groß, trägt Zipfelmütze, hat einen Bart und ist unbedingt aus Terracotta.
Damit fallen all die seelenlosen Plastik- und Gipsmännchen, die albernerweise mit Handy, Surfbrett, Kugelgrill oder gar mit einem Messer im Rücken posieren, in die Kategorie unechte Giftzwerge.

Hipster gegen Zwerg
Als besonders liebenswürdig zu den Kobolden erweist sich neben zahlreichen Museen und Parks Helge Eidenhammer aus Pfaffstätt. An der Grenze zwischen den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich hütet sie mit über 4400 Gartenzwergen die größte Privatsammlung der Welt.
Mindestens 80.000 Euro haben die Eidenhammers über die Jahre dafür ausgegeben, gemeinsam, einander auch hier treu verbunden. Etwa drei Wochen brauche sie im Frühjahr, um alle Zwerge aus dem Winterquartier zu holen und aufzustellen.

25 Millionen soll es in deutschen Gärten geben, in Österreich schätzt man ihre Zahl auf zwei Millionen, wobei sie vor allem bei den trendigen Stadtfarmern mit Zutrittsverbot belegt wurden. Offenbar sehen die Hipster im Gartenwichtel ein verstaubtes und eigenartiges Wesen der Vergangenheit, ohne zu bemerken, dass sie mit ihren Rauschebärten und Wollmützen die Kerle im Vorbeet nicht selten meisterhaft imitieren. (Oliver Zelt, Caroline Wesner, RONDO, 19.5.2020)
Gartenzwerge: Wichte mit Imageproblemen - derStandard.at
 
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