"Historische Telefonapparate" in Bad Vöslau (NÖ)

#1
Das wechselhafte Wetter der letzten Tage führte mich in ein Museum der anderen Art, dies ich schon länger besuchen wollte. Herr Ing. Gerhard Baumgartner lud mich recht herzlich in sein kleines aber feines Telefonmuseum ein. Das Museum zeigt vor allem historische Telefonapparate als das Telefon noch jung war!

Die 1971 begonnene Sammlung von Herrn Ing. Gerhard Baumgartner zeigt einen repräsentativen Querschnitt über die Entwicklung des Fernsprechapparates und umfasst heute über 300 Objekte aus verschiedenen Anwendungsbereichen - rund 120 davon sind im Museum zu besichtigen.

Die Apparate stammen aus vielen Ländern der Erde: neben Österreich finden sich Objekte aus Deutschland, Ungarn, Polen, Tschechien, Italien, Frankreich, Dänemark, Schweden, Belgien, England und den USA in der Sammlung. Jedes Objekt ist kurz beschriftet.

Jeder dieser Herrn trug ein wenig dazu bei, was wir heute Telefon nennen:

Charles Bourseul
1829 - 1912, Frankreich

Der Pariser Telegrafenbeamte Charles Bourseul verfasste ein Referat über mögliche Techniken der elektrischen Sprachübertragung, da das Militär nach rascheren Nachrichtenübermittlungssystemen verlangte. Er schlug eine bewegliche Platte vor, die abwechselnd einen Stromkreis öffnete oder schloß. Damit erfand er als Erster das Telefon theoretisch. Niemand aber erkannte damals die Bedeutung dieser Idee; er wurde als Träumer und „harmloser Irrer“ bezeichnet. Bourseul gab darauf seine Pläne für die Umsetzung seiner Idee auf und sein Vorschlag geriet für lange Zeit in Vergessenheit.

Johann Philipp Reis
1834 – 1874, Deutschland

1861 bastelt er eine Vorrichtung zur elektrischen Tonübertragung. Grundlage war ein Holzmodell einer Ohrmuschel, das er für den Physikunterricht entwickelte. Als nachempfundenes Trommelfell diente ein Stück Wursthaut mit einem feinen Platinstreifen als simuliertes Gehörknöchelchen statt des „Hammers“, der von einem Draht berührt wurde. Treffen Schallwellen auf das „Trommelfell“, versetzten sie dieses in Schwingungen, die den Stromkreis zwischen Metallstreifen und der Drahtfeder unterbrechen. Als Empfänger diente ihm eine um die Stricknadel gewickelte Kupferdrahtspule, durch die die vom Sender ausgesandten Stromimpulse flossen. Die bewegte Nadel setzte die Impulse wieder in Schallwellen; zur Verstärkung der Töne verwendete Reis ein Holzkästchen als Resonanzboden.

Am 26.Oktober 1861 führte er sein Telefon erstmals öffentlich in Frankfurt vor dem Physikalischen Verein vor.

Elisha Gray
1835 – 1901, USA

1875 begann Gray Versuche mit der elektrischen Übertragung von Tönen, deren Ergebnis er 1876 in einem Patentgesuch niederlegte. Diesem Patent kam jedoch Alexander Graham Bell um zwei Stunden zuvor, und Bells Antrag wurde dem von Gray vorgezogen.

Alexander Graham Bell
1847 – 1922, USA (Großbritannien)

Der von Schottland in die USA emigrierte Taubstummenlehrer Alexander Graham Bell erkannte, dass für die Wiedergabe der Sprache nicht wiederholte Unterbrechungen sondern stetige Veränderungen des elektrischen Stromflusses erforderlich waren. Mit seinem Assistenten Thomas A. Watson baute er einen Apparat, der – ähnlich dem Telefon des Philipp Reis – die Schwingungen einer Membran in elektrische Schwingungen umwandelte. Am 7.März erhielt Bell das Patent für sein Telefon.

Bells Antrag enthielt lediglich die Idee zu einem Telefon. Eine gebrauchstaugliche Realisierung gelang erst etwas später, indem er und sein Assistent Ideen von Elisha Gray aufgriffen.

Die damals unbeachtete Erfindung bannt ihren Siegeszug erst, als dem damaligen Kaisers von Brasilien, Pedro II., das Telefon auf einer Ausstellung im Juni 1876 vorgeführt wurde. Die Wissenschaftler sahen in dem Apparat „das größte Wunder, das je auf dem Gebiet der Elektrizität vollbracht worden ist“ und trugen so entscheidend zur Verbreitung bei.

David Edward Hughes
1831 – 1900, Großbritannien

1878 stellte Hughes ein verbessertes Kohlemikrofon in der Öffentlichkeit vor. Angeblich war sein erstes Kohlemikrofon derart empfindlich, dass das Laufen einer Fliege hörbar gemacht werden konnte. Hughes verzichtete auf eine Patentierung und stellte sein Mikrofon zur freien Verfügung.

Werner v. Siemens
1816 – 1892, Deutschland

Werner von Siemens verbesserte 1878 das „Bell’sche – Telephon“ grundlegend, indem er einen Fernhörer mit einem Hufeisenmagneten entwickelte.

Antonio Santi Guiseppe Meucci
1808 – 1896, USA (Italien)

In New York entwickelte der aus Italien stammende Theatermechaniker Antonio Meucci eine Fernsprechverbindung für seine Frau, die aufgrund eines rheumatischen Leidens ihr Zimmer nicht verlassen konnte. Meucci führte sein Gerät 1860 öffentlich vor und beschrieb es in einer italienischsprachigen Zeitung in New York.

Infolge Krankheit und Verlust seines Arbeitsplatzes verkaufte seine Frau aus finanziellen Gründen seine Pläne und Modelle. Trotzdem stellte Meucci 1871 einen Patentantrag, dessen Gültigkeit 1873 erlosch, da er die hohen Kosten dafür nicht aufbringen konnte.

Im Zuge dieser Ereignisse gelangte Alexander Graham Bell in den Besitz von Meuccis Materalien und Unterlagen. 1874 forderte Meucci seine Gerätschaften und Unterlagen zurück, ihm wurde jedoch mitgeteilt, man habe diese verloren. Nachdem Bell 1876 „sein Telefon zum Patent anmeldete, versuchte Meucci, dies anzufechten. Trotz jahrzehntelanger Streitigkeiten gelang ihm das nicht. Er starb als verarmter Mann.

Ein wenig zur Technik und den diversen Telefonapparaten:

OB - (Ortsbatterie) Apparat:
Bei OB-Telefonapparaten befindet sich die Batterie zur Stromversorgung des Mikrofons beim Teilnehmer. In der Leitung fließt nur der induktiv (mittels eines Übertragers) auf die Leitung übertragene Sprechwechselstrom.

Nachteile:
Größerer technischer Aufwand (Kurbelinduktor zur Erzeugung des Rufwechselstroms bei jedem Apparat.
Die Mikrofonbatterie musste bei jedem Teilnehmer regelmäßig von Service-Personal gewartet werden.

Eine Handvermittlung war erforderlich (z.B. Klappenschrank)

ZB – (Zentralbatterie) Apparat:
Bei ZB – Telefonapparaten befindet sich die Batterie zur Stromversorgung des Mikrofons an einer zentralen Stelle (bei der Vermittlungseinrichtung). Beim Sprechen fließt in der Leitung ein mit Sprechwechselstrom überlagerter Gleichstrom. Der Sprechwechselstrom wird induktiv (mittels eines Übertrgers) auf den Hörerstromkreis übertragen. Ein Kurbelinduktor war nicht mehr notwendig.

Eine Handvermittlung war erforderlich (z.B. Glühlampenschrank)

SA – (Selbstanschluss-) oder W – (Wähl-) Apparat:
Mit Einführung des Selbstwählverkehrs wird eine Erweiterung des ZB – Apparates notwendig: in den Telefonapparaten wurde ein Bauteil zum Wählen (Nummernschalter, Tastwahlblock, etc.) eingebaut. Die Herstellung der gewünschten Verbindung erfolge nicht mehr durch das „Fräulein vom Amt“ (Handvermittlung) sondern durch eine automatische Vermittlungseinrichtung.

Linienwähler:
Sobald eine Fernsprechanlage aus mehr als zwei Sprechstellen bestand, stellte sich die Frage, auf welche Weise Gesprächsverbindungen zwischen den einzelnen Apparaten wahlweise hergestellt werden sollten. Für kleine Anlagen ist am besten der Linienwähler geeignet.

Es gab ihn in mehreren Varianten:
Stöpsel – Linienwähler
Kurbel – Linienwähler
Druckknopf – bzw. Hebel – Linienwähler

Die Technik:
Man verband jedem Kontakt des Linienwählers mit einem Kabel so dass alle Teilnehmer untereinander verbunden waren. Für 5 Teilnehmer 5 Kabel, für 10 Teilnehmer 10 Kabel usw. Man kann sich vorstellen dass aus naheliegenden Gründen diese Wählform fast ausschließlich in Hotels, kleineren Betrieben, größeren Bürgerhäusern oder ähnlichen Gebäuden zur Anwendung kam.

Reihenanlage:
Reihenapparate werden eingesetzt, wenn an einem öffentlichen Hauptanschluss mehrere Apparate betrieben werden sollen, deren Anzahl jedoch begrenzt war. In diesem Fall lohnte es sich nicht, eine eigene kleine Vermittlung aufzubauen. Der Reihenapparat hatte einfach so viele Schalter wie Apparate vorhanden waren; damit konnte man sich direkt mit den anderen Apparaten oder mit dem Amt verbinden lassen.

Nachteil:
Hoher Verdrahtungsaufwand zwischen den Apparaten.

Zwischenstellenumschalter:
Der Zwischenstellenumschalter ist eine einfache Form einer Nebenstellenanlage. Mit seiner Hilfe konnten zwei Telefonapparate durch nur eine Amtsleitung betrieben werden.

Beispiel:
Der Zwischenstellenumschalter stand bei der Sekretärin, der Nebenapparat beim Chef. Die Sekretärin konnte alle Anrufe entgegennehmen, an den Chef nach Rückfrage weiterreichen und neue Verbindungen für ihn aufbauen.

Der Zwischenstellenumschalter konnte auch extern, also außerhalb des Telefonapparates als eigenes Gerät vorhanden sein.

Gesellschaftsanschluss – Apparat (Viertelapparat):
Bei Leitungsmangel wurden bis zu vier Teilnehmer mit Hilfe solcher Apparate an eine gemeinsame Amtsleitung angeschlossen, weshalb man das Gerät auch „Vierteltelefon“ nannte. Die vier Teilnehmer waren getrennt anrufbar, konnten aber nicht miteinander Sprechen und es konnte immer nur jeweils einer telefonieren. Solche Apparate gab es nur in Österreich!
Quelle: Eine kleine Geschichte des Telefons von Herrn Ing. Gerhard Baumgartner

Auszug eines Telefonbuches Wien, NÖ aus der Monarchie 1916:
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#8
Teil7 der Sammlung:
das Gespräch wird beendet, die letzten der Sammlung:)

Zitat aus einer Dienstanweisung für Telefonistinnen vom 24.August 1901:
Die Telephonistin soll in der Regel sich nur so lange in einer hergestellten Verbindung eingeschaltet erhalten, bis sie sich überzeugt hat, dass vom aufgerufenen Abonnenten Antwort erfolgt ist; das Mithören ist strengstens untersagt. Eine Ausnahme davon bieten die Fälle, wo das Telephonpersonal im Interesse einer prompten und zweckdienlicheren Gesprächsabwicklung die Vermittlung von Gesprächen übernehmen muss, z.B. bei mangelhaftem Funktionieren der Apparate oder der Linien, oder wenn der eine oder der andere der Sprechenden im Gebrauch seines Apparates ungeübt ist.
Quelle: Eine kleine Geschichte des Telefons von Herrn Ing. Gerhard Baumgartner

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Das rote Telefon stammt aus der ehemaligen DDR und wurde von der Volkspolizei verwendet
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Anhänge

Zuletzt bearbeitet:

Varga

Mann aus den Bergen
Mitarbeiter
#9
Super Beitrag. Gratulation!
Zu "Gesellschaftsanschluss" im #1, eine Bemerkung:
Gesellschaftsanschlüsse, GA genannt, eine Leitung für zwei Teilnehmer, gab es auch in der Schweiz.
Bei uns in CH gab es noch die Leitungsdurchschalter. Wenn ich mich recht erinnere, 10 Leitungen für 50 Teilnehmer.

Der alte Teleföndler
Varga
 

HF130C

Well-Known Member
#11
Herzlichen Dank für die sehr ausführliche Berichterstattung und die vielen Fotos!

Dieses Privatmuseum ist mit viel Fachkenntnis beschriftet worden, bemerkenswert ist, dass auch einiges an Vermittlungstechnik vorhanden ist.

Hervorzuheben ist die Abbildung 43, die einen österreichischen Staatstyp zeigt. In dem recht voluminösen Holzkasten befindet sich im unteren Teil der Raum für die Ortsbatterie, die bei OB-Tischgeräten in einem separaten Holzkasten untergebracht werden musste.

Diese Holz-Wandtelefone mit Ursprung aus 1903 waren noch bis zum Ende der Handvermittlung am 14. Dezember 1972 in Verwendung! Es gab davon zwei Ausführungen und mehrere Varianten: Die ältere Ausführung hatte einen Batteriekasten mit Holzdeckel, die neuere einen mit Blechdeckel, dieser wurde jedoch aus optischen Gründen mit einer Bemalung mit Holzstruktur ausgeführt.
An Varianten gab es unterschiedliche Mikrophonbauarten, meist mit Schwenkarm ausgeführt, um unterschiedlich groß gewachsenen Benutzern ein relativ bequemes telefonieren zu ermöglichen. Ab den 50er Jahren wurde vielfach auf das Schwenkmikrophon und den Stielhörer verzichtet und stattdessen ein Bakelit-Handapparat, meist von einem Selbstwählapparat Typ W28 stammend, montiert.

Leider nicht vorhanden oder abgebildet ist der 1910 entwickelte staatliche Tischtyp "Ö10", der ebenfalls noch bis 1972 in Verwendung gestanden ist.
Diese letzte Handvermittlung in Österreich befand sich in Karlstein a.d.Thaya, nachdem vorher u.A. Gröbming auf Selbstwählverkehr umgestellt wurde.

Diese Handvermittlungen funktionierten nach eigenen Spielregeln: Zum Anrufen musste man den Kurbelinduktor am Apparat drehen, in der Vermittlung fiel eine Klappe und eine Schnarre ertönte. Der Beamte verband sich durch Einstecken seines Hörers mit dem Teilnehmer, dieser gab seinen Verbindungswunsch durch. War dies ein Ortsgespräch, so wurde der zweite Teilnehmer angeläutet und nach Melden mit dem Ersten verbunden. Gleichzeitig wurde eine spezielle Uhr gestartet, die die Minuten des Gespräches anzeigte.
.
Das Gespräch wurde durch das sogenannte Abläuten beendet: Der erste Teilnehmer betätigte nach Ende des Gespräches nochmals die Induktorkurbel, worauf die Teilnehmerklappe im Amt fiel und der Vermittlungsbeamte so wusste, dass das Gespräch zu Ende war, worauf er die Uhr ablas und die Minuten in die Verrechnungsliste eintrug.
Ferngespräche wurden mittels Rückruf erledigt. Der Vermittlungsbeamte musste aufgrund der Angaben des Anrufers - in späteren Jahren meist durch einen Selbstwahlanschluss - den Fernteilnehmer anwählen oder den nächsten Vermittlungsbeamten in einem Knotenort erreichen. Wenn der angerufene Teilnehmer erreicht war, dann wurde der ursprüngliche Anrufer zurückgerufen und die Verbindung hergestellt.
War der Durchlauf von mehreren Handvermittlungen, etwa gar auch im Ausland, notwendig, so konnte der Rückruf auch schon einmal einige Stunden dauern. Da hieß es beim Telefon ausharren, das war sicher nicht angenehm.

Klar auch, dass der Vermittlungsbeamte zeitweise ziemlichen Stress hatte, insbesonders wenn er mehrere Gespräche gleichzeitig laufen hatte und sich auch um die Fernverbindungen kümmern musste. Der Job war gar nicht so einfach, ich hatte einmal das Vergnügen, durch ein Fenster das Treiben in einer Handvermittlung live ansehen zu können.

Schön, dass es dieses Museum gibt, in dem offenbar mit viel Fachkenntnis die Erinnerung die alte Zeit des Telefonwesens vermittelt wird.

Das technische Museum in Wien zeigt ja kaum etwas zur Geschichte der Telefonie, nachdem das österreichische Postmuseum schon längst im Technischen aufgegangen ist. Das ist in Deutschland anders: In Frankfurt, Nürnberg und Berlin gibt es ganz ausgezeichnet bestückte und informative Museen oder Museumsabteilungen zu diesem Thema.
 

HF130C

Well-Known Member
#12
In Ergänzung möchte ich ein Bild des oben erwähnten klassischen Ö10 Apparates anfügen, der in großer Stückzahl von unterschiedlichsten Herstellern gefertigt wurde. Er war im Wesentlichen in der gesamten Monarchie mit Ausnahme von Ungarn verbreitet - die Ungarn hatten ihre eigenen Staatstypen. Aufgrund dieser Verbreitung und der langjährigen Verwendung ist ein Fund dieses Typs auf einem heutigen Antik-Flohmarkt keine Besonderheit. Seltener sind schon gut erhaltene Geräte mit dem originalen Handapparat - dieser wurde ab den 50er Jahren häufig durch Bakelittypen ersetzt.
Das unten gezeigte Exemplar hat als Besonderheit einen aufwendig gefertigten Einsprachetrichter aus Metall - sozusagen eine Luxusausfertigung, normalerweise waren diese Trichter aus Ebonit oder nachfolgend Bakelit. Man vergleiche die aufwendige Gehäusefertigung dieser österreichischen Staatstype mit der billigen Fertigung der äquivalenten deutschen Staatstype OB05, wie man ihn auf Bild 26 aus dem Telefonmuseum in Bad Vöslau sieht.

OE10.JPG

Das erwähnte "Abläuten" zu Ende eines Gespräches war für die Verrechnung wichtig, es gab eigene Hinweisschilder, die die Teilnehmer auf die Notwendigkeit hinweisen sollten. Diese waren oft, aber nicht konsequent an den Telefonapparaten angebracht.
Vergas man auf das Abläuten, so lag es am Vermittlungsbeamten drauf zu kommen, ob das Gespräch schon beendet worden ist. Dazu konnte sich der Beamte in die Verbindung einschalten und hören, ob da noch gesprochen wurde. Freilich konnte diese Funktion auch zum Mithören verwendet werden. Geheimnisse sollte man besser nicht in handvermittelten Telefonaten austauschen.

Ablaueten.JPG

Dieses Mithören der Vermittlung war auch der Hauptgrund, warum die Selbstwahl und die automatische Vermittlung erfunden wurde. Die Ursprünge reichen um 1890 zurück, als ein amerikanischer Bestattungsunternehmer, ein gewisser Herr Strowger, aus Unzufriedenheit mit den Vermittlungsbeamten (diese vermittelten Sterbefälle bevorzugt an seinen Konkurrenten) kurzerhand die Telefongesellschaft kaufte und den Selbstwählverkehr entwickelte. Im März 1899 war es soweit und die Entwicklung praxistauglich und die erste Wählscheibe wurde patentiert. Die Erfindung wurde von Siemens in Europa eingeführt und weiter verbessert.

In Österreich ging man vorerst eigene Wege. Nicht zuletzt um nicht mit dem Patent in Konflikt zu kommen, wurde von einem Herrn Johann Förderl ein sogenannter Stellhebelapparat entwickelt und dieser 1910 samt entsprechendem Wählamt in Betrieb genommen. Während in Wien nur ein Versuchsamt eingerichtet wurde, befand sich das erste öffentliche Wählamt nach dem System Förderl in Graz.
Der Stellhebelapparat hatte 4 Hebel, die auf die gewünschte Nummernkombination gestellt wurden. Dann wurde mittels der Kurbel ein Federmechanismus aufgezogen, der nach einigen Umdrehungen selbsttätig auslöste und darauf das gespannte Federwerk mittels Kulissen und Kontakten eine elektrische Impulsfolge gemäß der eingestellten Hebelziffern an das Amt sendete.
Dies funktionierte ganz gut, freilich waren die Apparate im Gegensatz zu den Wählscheiben des Herrn Strowger reichlich kompliziert und wartungsintensiv. Ein systematischer Fehler des Systems Förderl bewirkte dessen baldiges Aus: Die Anzahl der Stellhebel konnte nicht beliebig erweitert werden, im Falle der 4-stelligen Grazer Ausführung waren nur ~ 9999 Teilnehmer möglich, Vorwahlen in andere Netze unmöglich. Das Wiener Versuchsamt experimentierte mit 6-stelligen Apparaten, aber auch dieses System war für Vor- oder Durchwahlen ungeeignet und so wurde das System Förderl letztendlich nicht weiterverfolgt.

Interessanterweise haben sich einige der Förderl-Apparate erhalten. Die meisten wurden internationalen Museen überlassen, und nur ganz wenige befinden sich heutzutage in privaten Händen. Generell wurden staatliche Telefonapparate den Kunden nur leihweise zur Benützung überlassen, bei Austausch wurden die alten Typen vom Zeugamt eingesammelt und wiederverwertet, die voluminösen Holztypen vielfach als Brennholz für die Mitarbeiter. Nur in seltenen Fällen verblieben Staatstypen vor dem ersten oder zweiten WK durch Zufälligkeiten in Häusern oder Fabriken. Eher noch kamen einige wenige über Fernmelde-Ausbildungswerkstätten in Mitarbeiterhände und in Folge in den Antikhandel, wenn sie wegen Veralterung im Unterricht nicht mehr gebraucht wurden.

Das Bild zeigt einen 4-stelligen Stellhebelapparat, als besonderen Komfort konnte man in den 4 Sichtfenstern die eingestellten Zahlen nochmals sehen. Die Kurbel rechts bedient nicht einen Induktor, sondern zieht das Federwerk auf, das die gewählte Impulsfolge absetzt. Sollte Interesse bestehen, so sind von dem Apparat auch Innenaufnahmen vorhanden.


Foerderl.JPG
 
#15
Hallo HF130C,
herzlichen Dank für dein Lob und die aufschlussreichen und interessanten Ergänzungen zu den Apparaten. Man konnte im Museum einiges erleben auch die Handvermittlung wie du beschrieben hast wurde mir "live" vorgeführt und wir konnten miteinander sprechen. Allerdings bleibt eine Frage für mich ungeklärt; zu welchem Zweck dienten die Buchstaben auf der Wählscheibe bei diversen Geräten, wie z.B. auf Bild 63 oder 65 in Beitrag #8? Herr Baumgartner konnte dies nicht sicher beantworten, es gibt anscheinend hier nur Vermutungen?
Sollte Interesse bestehen, so sind von dem Apparat auch Innenaufnahmen vorhanden.
wäre natürlich sehr interessant und eine tolle Ergänzung:)

Lg
Michi
 

HF130C

Well-Known Member
#16
Hallo HF130C,
herzlichen Dank für dein Lob und die aufschlussreichen und interessanten Ergänzungen zu den Apparaten. Man konnte im Museum einiges erleben auch die Handvermittlung wie du beschrieben hast wurde mir "live" vorgeführt und wir konnten miteinander sprechen. Allerdings bleibt eine Frage für mich ungeklärt; zu welchem Zweck dienten die Buchstaben auf der Wählscheibe bei diversen Geräten, wie z.B. auf Bild 63 oder 65 in Beitrag #8? Herr Baumgartner konnte dies nicht sicher beantworten, es gibt anscheinend hier nur Vermutungen?

wäre natürlich sehr interessant und eine tolle Ergänzung:)

Lg
Michi
Das kann gerne beantwortet werden:
Man hatte früher Bedenken, dass lange Ziffernfolgen zu Irrtümern führen würden, insbesonders wenn sie im Zuge von Handvermittlungen an mehrere Vermittlungsstellen weitergereicht werden. Um eine zuverlässigere mündliche Weitergabe sicherzustellen, wurde im Wesentlichen die führende Ziffer in einen Buchstaben gewandelt. Die führende Ziffer war die Wichtigste, sie war für das lokale Verteileramt bestimmend.

Diese Umwandlung erfolgte in Deutschland durch die Buchstaben ABCDEFGHJK entsprechend den Ziffern 1234567890. Ob man nun A23456 wählte oder 123456 war technisch egal, es ging nur um die bessere Weitergabe und Merkbarkeit.

In Wien war das allerdings anders: Während die Bundesländer ohne Buchstaben auskamen, und auch die Ziffernfolge gleich dem deutschen System 1234567890 war, wurde in Wien ab 1927 das sogenannte Wiener System eingeführt: Die Ziffernfolge an der Wählscheibe begann nicht mit 1, sondern mit 0, also 0123456789. Um ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zu haben, wurde auch nicht ABCDEFGHJK an der Wählscheibe angeschrieben, sondern iFABRUMLYZ, zu sehen auf Bild 63 (das i ist verblichen ..). Wien ist eben anders, bzw. war schon damals anders.
Die Wiener Rufnummern begannen also immer mit einem der Buchstaben aus der möglichen iFABRUMLYZ-Auswahl.

Die eigenwilligen Buchstaben wurden deshalb gewählt, um beim Buchstabieren mit dem Buchstabieralphabet möglichst wenig Verwechslungsgefahr zu haben. Es kursieren Gerüchte herum, dass die Buchstaben Wählämter (.z.B. B = Berggasse) bezeichnen, das ist aber nicht so. Es geht rein um die Verwechslungssicherheit.

Das interessante war, dass die Telefonapparate selbst keine technischen Abweichungen gegenüber den deutschen bzw. anderen österreichischen hatten, nur die Wählscheibe war anders graviert. Als Firmenkunde mit einer Nebenstellenanlage, etwa in einer Fabrik, war das natürlich ärgerlich, brauchte man doch eine "Wiener" Spezialausführung und konnte nicht auf die Standardanlagen der großen Hersteller zurückgreifen. Diese Nebenstellenanlagen "durfte" ja der Firmenkunde kaufen und betreiben, der Privatteilnehmer bekam den Apparat von der Post beigestellt, da war diese Wiener Besonderheit verschmerzbar. Das Selbstanschließen von nicht-postalischen bzw. postgenehmigten Apparaten war bis in die 90er Jahre ja streng verboten.

Diese Wiener Besonderheit war dann 1957 wieder zu Ende, als auf das internationale 1234567890 System umgestellt wurde. Im Wesentlichen beschränkte sich die Umstellung auf einen radikalen Tausch der Wählscheiben gegen andere mit dem Standardsystem. Was einfach klingt, war es aber nicht, war doch eine Vielzahl von unterschiedlichen Apparatetypen bei den Teilnehmern verbaut, und alle Generationen hatten andere Ausführungen. Und es mussten natürlich 1957 alle Telefonnummern geändert werden, das vermied, dass die Ämter umgebaut werden mussten.

Im Bildbeispiel unten ist die Nummer U 11 2 17 angeführt, und aus dieser wurde dann 6 22 3 28, weil U im alten System 5 bedeutete und die Ziffern beim neuen System um 1 erhöht wurden, wobei 9 zu 0 wurde.

Wenn man also fix war, konnte man durch Umrechnen im Kopf auch mit einem alten Telefonbuch und einem neuen Apparat telefonieren, ebenso auch einen alten Apparat mit neuen Nummern verwenden. Trotz allem ein unnötiger Alleingang, der letztlich viel Geld gekostet hat und kaum Nutzen gebracht hat.

Hier ein Beispiel einer Wiener Rufnummer aus 1954:


Zylmurbafi.JPG


Im Anschluss noch ein paar Bilder aus dem Inneren des Stellhebelapparates. Links ist der Übertrager, in der Mitte der Gleichstromwecker und rechts der Kondensator. In der Walze in der Mitte ist das Federwerk eingebaut.

Foerderl_3.JPG


Hier nun ein Blick auf die Kontaktseite, rechts wiederum der Übertrager.

Foerderl_1.JPG


Hier ist der Auslöse- und Spannmechanismus zu sehen. Das gezackte Rad rechts zählt die Kurbelumdrehungen mit, nach erreichen der letzten Umdrehung läuft das Federwerk selbsttätig ab. Federwerk und Fliehkraftregler befinden sich unsichtbar in dem Walzenkörper.

Foerderl_2.JPG
 
#18
Das kann gerne beantwortet werden:
Man hatte früher Bedenken, dass lange Ziffernfolgen zu Irrtümern führen würden, insbesonders wenn sie im Zuge von Handvermittlungen an mehrere Vermittlungsstellen weitergereicht werden. Um eine zuverlässigere mündliche Weitergabe sicherzustellen, wurde im Wesentlichen die führende Ziffer in einen Buchstaben gewandelt. Die führende Ziffer war die Wichtigste, sie war für das lokale Verteileramt bestimmend.

Diese Umwandlung erfolgte in Deutschland durch die Buchstaben ABCDEFGHJK entsprechend den Ziffern 1234567890. Ob man nun A23456 wählte oder 123456 war technisch egal, es ging nur um die bessere Weitergabe und Merkbarkeit.

In Wien war das allerdings anders: Während die Bundesländer ohne Buchstaben auskamen, und auch die Ziffernfolge gleich dem deutschen System 1234567890 war, wurde in Wien ab 1927 das sogenannte Wiener System eingeführt: Die Ziffernfolge an der Wählscheibe begann nicht mit 1, sondern mit 0, also 0123456789. Um ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zu haben, wurde auch nicht ABCDEFGHJK an der Wählscheibe angeschrieben, sondern iFABRUMLYZ, zu sehen auf Bild 63 (das i ist verblichen ..). Wien ist eben anders, bzw. war schon damals anders.
Die Wiener Rufnummern begannen also immer mit einem der Buchstaben aus der möglichen iFABRUMLYZ-Auswahl.

Die eigenwilligen Buchstaben wurden deshalb gewählt, um beim Buchstabieren mit dem Buchstabieralphabet möglichst wenig Verwechslungsgefahr zu haben. Es kursieren Gerüchte herum, dass die Buchstaben Wählämter (.z.B. B = Berggasse) bezeichnen, das ist aber nicht so. Es geht rein um die Verwechslungssicherheit.

Das interessante war, dass die Telefonapparate selbst keine technischen Abweichungen gegenüber den deutschen bzw. anderen österreichischen hatten, nur die Wählscheibe war anders graviert. Als Firmenkunde mit einer Nebenstellenanlage, etwa in einer Fabrik, war das natürlich ärgerlich, brauchte man doch eine "Wiener" Spezialausführung und konnte nicht auf die Standardanlagen der großen Hersteller zurückgreifen. Diese Nebenstellenanlagen "durfte" ja der Firmenkunde kaufen und betreiben, der Privatteilnehmer bekam den Apparat von der Post beigestellt, da war diese Wiener Besonderheit verschmerzbar. Das Selbstanschließen von nicht-postalischen bzw. postgenehmigten Apparaten war bis in die 90er Jahre ja streng verboten.

Diese Wiener Besonderheit war dann 1957 wieder zu Ende, als auf das internationale 1234567890 System umgestellt wurde. Im Wesentlichen beschränkte sich die Umstellung auf einen radikalen Tausch der Wählscheiben gegen andere mit dem Standardsystem. Was einfach klingt, war es aber nicht, war doch eine Vielzahl von unterschiedlichen Apparatetypen bei den Teilnehmern verbaut, und alle Generationen hatten andere Ausführungen. Und es mussten natürlich 1957 alle Telefonnummern geändert werden, das vermied, dass die Ämter umgebaut werden mussten.

Im Bildbeispiel unten ist die Nummer U 11 2 17 angeführt, und aus dieser wurde dann 6 22 3 28, weil U im alten System 5 bedeutete und die Ziffern beim neuen System um 1 erhöht wurden, wobei 9 zu 0 wurde.

Wenn man also fix war, konnte man durch Umrechnen im Kopf auch mit einem alten Telefonbuch und einem neuen Apparat telefonieren, ebenso auch einen alten Apparat mit neuen Nummern verwenden. Trotz allem ein unnötiger Alleingang, der letztlich viel Geld gekostet hat und kaum Nutzen gebracht hat.

Hier ein Beispiel einer Wiener Rufnummer aus 1954:


Anhang anzeigen 79226


Im Anschluss noch ein paar Bilder aus dem Inneren des Stellhebelapparates. Links ist der Übertrager, in der Mitte der Gleichstromwecker und rechts der Kondensator. In der Walze in der Mitte ist das Federwerk eingebaut.

Anhang anzeigen 79227


Hier nun ein Blick auf die Kontaktseite, rechts wiederum der Übertrager.

Anhang anzeigen 79228


Hier ist der Auslöse- und Spannmechanismus zu sehen. Das gezackte Rad rechts zählt die Kurbelumdrehungen mit, nach erreichen der letzten Umdrehung läuft das Federwerk selbsttätig ab. Federwerk und Fliehkraftregler befinden sich unsichtbar in dem Walzenkörper.

Anhang anzeigen 79229
Hallo HF130C,
besten Dank für die ausführlichen Ergänzungen und technischen Details zu den Apparaten und vor allem der detaillierten Beantwortung meiner Frage:):cool:.
Zu den Innenleben des Stellhebelapparates: Da sieht man noch alte Mechanik am Arbeiten:):cool:

Lg
Michi
 
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