Ahnherr und Lehrmeister der nun in Gastein tätigen Fachleute war Sepp Mayerl. Der Dölsacher Dachdecker und Extrembergsteiger starb 2012 beim Klettern in den Lienzer Dolomiten – kurz nach seinem 75. Geburtstag. Mayerl wurde in jungen Jahren mit Erstbegehungen in den Anden Lateinamerikas international bekannt. Der um sieben Jahre jüngere Reinhold Messner sah einen wichtigen Lehrer in dem stillen und bescheidenen Gebirgler. Dazu kam 1970 Mayerls legendäre Erstbesteigung des 8.383 Meter hohen Lhotse Shar im Khumbu Himalaya – eines technisch schwierigen und sehr ausgesetzten Nachbarn des Mount Everest in Nepal.
Beruflich verband der Osttiroler seine Künste als Kletterer mit denen des Dachdeckers auf steilsten und höchsten Kirchendächern – auch in Südtirol und vielen anderen Regionen der Alpen.
Gerald Lehner
Florian Unterweger – von Beruf Zimmerer und Dachdecker, dazu ein sehr leistungsfähiger Alpinkletterer und Bergsteiger aus Osttirol
Dölsach als internationales Kompetenzzentrum
Des Gurus Mayerl einstige Lehrlinge sind längst gestandene Männer und sehr erfahrene Handwerksmeister. Sie verarbeiten Holz, Naturstein, Kupfer und andere Metalle, pflegen das technische Erbe und erinnern sich gern an den Pionier – wie auch Klaus Hainzer.
Der stammt ebenfalls aus Dölsach: „Bei uns leben mittlerweile mehrere Familien davon. Sie haben eigene Betriebe gegründet. Ich war in jungen Jahren mit dem Sepp in Wolkenstein in Südtirol bei einer Kirche beschäftigt. Da sagte er, Klaus, dieses Handwerk ist ein goldener Boden. Das Geld liegt auf der Straße. Du musst es nur aufklauben. Der Sepp war auch menschlich schwer in Ordnung.“
Es gebe weiterhin international nur sehr wenige Spezialisten, die solche Aufträge übernehmen können, sagt Dachdecker Hainzer: „Es läuft viel über Mundpropaganda. Zur Nikolauskirche in Gastein bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind – über einen Auftrag beim Schloss Tandalier in Radstadt. Im Pongau kam dann noch ein weiteres Projekt mit neuen Kontakten. Und dann hat mich die Erzdiözese Salzburg wegen Gastein angerufen. Da habe ich dann mitgeboten und den Zuschlag bekommen.“
Große Bilder-Galerie:
Holzschindelverlegung Hainzer
Aus dem Jahr 1389 gibt es die erste gesicherte Nachricht über ihre Existenz: Nikolauskirche in Bad Gastein. Da war Christoph Columbus noch lange nicht geboren
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Hainzer mit seinen Mannen aus Osttirol in Bad Gastein. Beim ältesten Gebäude von Innergebirg
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Holzschindelverlegung Hainzer
Holzschindelverlegung Hainzer
Holzschindelverlegung Hainzer
Abtragen der alten Schindeln als erster Arbeitsschritt
Holzschindelverlegung Hainzer
Der Vorsteiger muss als Erster ganz hinauf und die Arbeitsseile verankern
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lorian Unterweger und Alexander Bacher
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Alexander Bacher mit Nachschub
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Ausstiegslucke für Dachdecker satte zwölf Meter unter der Kirchturmspitze, selbst für gotische Verhältnisse sehr schmale und hohe Konstruktion
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Die teils mehr als 600 Jahren alten Treppen im Turm
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Romanisches Bogenfenster mit Blick zum Gamskarkogel
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Die gotischen Baumeister arbeiteten auch für diesen Dachstuhl völlig ohne Metallnägel
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Schindeln aus Sibirien und der Tatra
Gesamtkosten bei der Nikolauskirche: 65.000 Euro. Die sehr wetterfesten Lärchenschindeln schichten die Männer in dreifachen Lagen und tackern sie mit druckluftbetriebenen Nagelpistolen an den Dachstuhl. Gesamtfläche bei diesem Auftrag: 425 Quadratmeter (185 auf dem Turm, 240 über dem Kirchenraum).
Die Schindeln kosten 48 Euro pro Quadratmeter – macht insgesamt gut 20.000 Euro für das Material in Gastein. Importiert wird aus Tschechien, Slowakei und Polen.
„In dem Beruf kannst du reich werden“
Die Auftragsbücher der Osttiroler sind immer voll. Sie brauchen über die Jahre sehr große Mengen. Und die könne in Österreich niemand herstellen, sagt Klaus Hainzer: „Das ist alles noch immer arbeitsintensiv. Mit den Schindeln aus der Tatra sind wir recht zufrieden. Bis vor einigen Wochen gab es auch noch gutes Material aus Sibirien. Mit dem Krieg und dem Handelsembargo gegen Russland hat sich das jetzt erledigt.“
Derzeit zeichne sich generell ein Nachschubproblem ab: „Du musst aufpassen, dass du nicht Aufträge annimmst, und dann hast du plötzlich keine Schindeln. Wir wissen nicht, was derzeit los ist. Unsere Vorräte schmelzen stark zusammen. Vielleicht will der internationale Zwischenhandel auf höhere Preise spekulieren. Aber das ist nur eine Vermutung.“
Reißt die Tradition ab?
Es gibt auch beim Personal ein immer größeres Problem – kaum Lehrlinge, zu wenig Nachwuchsleute, erzählt der Unternehmer: „Man könnte in unserem Job wirklich reich werden, wenn man viel und gern arbeitet. Aufträge ohne Ende. Wir machen ja auch Burgen und Schlösser, decken Jagdhäuseln vieler Adelsfamilien bis hinunter nach Niederösterreich und Westungarn. Aber viele Jüngere interessiert körperliche Arbeit, praktische Technik und Handwerk nicht. Sie spielen mit Computern, entwickeln Apps und werden lieber dick.“
Zum
600 Jahr-Bestandsjubiläum vor mehr als 30 Jahren bemühte sich der damalige Bad Gasteiner Pfarrer Peter Hausberger um die Restaurierung der Nikolauskirche. Er förderte die Erforschung der Baugeschichte und engagierte sich in einem Team von Ehrenamtlern, das viele Spendengelder auftrieb. Der Gasteiner Hotelier Hans Windischbauer ließ Schlüssel für die uralten Schlösser nachfertigen, die mittelalterlichen Grabplatten restaurieren. Und er setzte die etwas jüngere Turmuhr aus der Barockzeit wieder in Gang. Die Grundmauern wurden von Baumeister Hans Angerer trockengelegt. Die Zimmerei Malzer in Bad Gastein deckte die Hälfte des Kirchendachs neu mit Schindeln. In weiterer Folge kümmerte sich der Pensionist und frühere Sporthändler Josef Angerer um die Kirche.
Sportlich sollte man schon sein, betont der Fachmann: „Der Turm in Bad Gastein ist zum Beispiel auch für gotische Verhältnisse sehr hoch, sehr schlank und sehr spitz.“ Die Ausstiegsluke hätten die Erbauer deshalb vergleichsweise weit unten eingesetzt – mehr als zwölf Meter unter der Spitze. Weiter oben wäre der Turm innen zu schmal für einen Menschen: „Das ist eine Herausforderung für den Ersten, der hinaufklettern muss, um die Fixseile für das Team direkt beim Wetterkreuz zu fixieren.“
Bergprofi Ortner als Vorsteiger zum Turmkreuz
Hainzer engagiert für sehr schwierige Projekte den Osttiroler Extrembergsteiger und Profikletterer Peter Ortner. Der erklimmt dann als Vorsteiger die steilsten und gefährlichsten Türme und verankert die Arbeitsseile. Er verwendet auf der Holzstruktur spezielle Eisbeile, die eigentlich für gefrorene Wasserfälle konstruiert sind.
Auch das Trio, mit dem Hainzer in Gastein arbeitet, stammt aus Dölsach und ist neben den erlernten Berufen der Zimmerer, Dachdecker und Spengler stark im Alpinismus verwurzelt: Florian Unterweger, Alexander Bacher und Markus Werndle.
Schießwütige Jäger nicht sehr beliebt
Vor dem Dachdecken muss auch der sogenannte Helmbaum genau geprüft werden – die Holzstruktur an der Spitze eines Turmes. Wenn alles morsch und die Statik ruiniert ist, dann werde es sehr gefährlich, die Seile zu befestigen. Ursache seien menschliche Schwächen. In manchen Regionen würden betrunkene Jäger besonders gern auf Kirchturmspitzen schießen, so der Firmenchef: „Dadurch wird die Dachstruktur zerstört, es dringt viel Regenwasser über die Jahre ein. Und der Helmbaum muss dann komplett ausgetauscht werden. Eine aufwendige und teure Zusatzarbeit.“
Ehrenrettung für Jäger im Gasteiner Tal: Der Turm der Nikolauskirche sei bisher nicht beschossen worden, schmunzelt der Osttiroler.
01.05.2022, Gerald Lehner - salzburg.ORF.at