"Holzwollefabrik Unterradlberg" Betriebsursprung "Baumwollspinnerei Zwierzina"

Bunker Ratte

Well-Known Member
#1
Unweit des Unterradlberger Bahnhofs, entdeckte ich zuletzt 2 turmartige Bauten mit Nebengebäude, auch der Mühlbach fließt hier vorbei. Als erster vermutete ich ein Schloss oder der gleichen, doch sahen mir die dazugehörigen Gebäude eher nach einem ehem. Betrieb aus. Meiner Neugier zufolge, konnte ich den Hinweise in der Nachbarschaft, zu einer Holzwollefabrik erhalten. Teile der Anlagen werden von einem KFZ-Betrieb nachgenutzt, andere wiederum in Privatbesitz und werden seit Jahren renoviert.

Noch vorhandene Gebäude: Fabrikgebäude, Herrenhaus, Nebengebäude von 1841
1836 verzeichnete man am nördlichen Dorfende von Unterradlberg zwei Mühlen, und zwar eine zur Herrschaft Walpersdorf gehörige Sägemühle und eine Getreidemühle. Nachdem die Säge 1841 von F. Zwierzina zu einer Baumwollspinnerei umgestaltet worden war, erwarben Friedrich Austin (-> Bobinet-und Spitzenfabrik, St. Pölten-Viehofen) und Johann Kirschnek (†1898) im Jahr 1869 die Betriebsanlagen. Kirschnek, seit 1870 Alleininhaber, begründete hier die Floret-Seiden-spinnerey Radlberg J. B. Kirschnek, änderte jedoch noch im Dezember 1870 den Firmennamen auf J. B. Kirschnek, Unterradlberg, Hanf- und Flachsspinnerei und Seilerwarenfabrik. Neben dem Mühlengebäude entstand ein zweigeschossiges Fabrikobjekt mit zwei Türmen unterschiedlicher Höhe. Eine Wetterfahne auf einem der Türme trägt die Jahreszahl 1890. Damals zählte der Betrieb an die 170 Beschäftigte, für deren Stammbelegschaft noch vor 1890 ein Arbeiterwohnhaus (Unterradlberg 42) entstanden war.

Ein Brand im Jahr 1898 zog die Betriebseinstellung nach sich. Wenngleich Kirschnek noch vor der Jahrhundertwende mit dem Wiederaufbau der Betriebsanlagen beginnen ließ, verzögerte sich der Umbau zusehends, sodass die Fabrik letztlich nicht mehr als Hanfspinnerei in Betrieb genommen wurde. Denn man hatte sich mittlerweile der Herstellung von Holzwolle sowie der Elektrizitätsgewinnung zugewandt (-> Karftwerk 1, Werkbachgasse). Als im Februar 1905 die Erzeugung von Holzwolle aufgenommen wurde, beschäftigte Kirschnek nur zwei Männer, einen an der Kreissäge, einen weiteren an der Hobelmaschine. Die Holzwolleproduktion wurde zunächst im ehemaligen großen Spinnsaal eingerichtet, ein elektrischer Antrieb war nicht vorgesehen; man benützte noch die Transmissionen der bestehenden Turbinenanlage. Im Jahr darauf konnte die Erzeugung von Holzwolle und Holzfaserseilen in einem 25x10m großen Holzbau mit Mörtelanfruf und Pultdach angemeldet werden. Für den Betrieb der Kreissäge, Hobelmaschine, Presse sowie der Seilspinn- und der Messerschleifmaschine über Drehstrommotoren war eine oberirdieche Leitung zum etwa hundert Meter nördlich gelegenen Kraftwerk 1 vorgesehen. Die im Tag- und Nachtbetrieb beschäftigten Personen arbeiteten in zehnstündigen Schichten. Die Auszahlung der fälligen Arbeitslöhne erfolgte, wie man der 1914 neu formulierten Betriebsordnung entnehmen kann, „gegen Abzug von Krankenkassen- und Unfallversicherungebeiträgen, Strafgeldern, Wohnungszinsen, Barvorschüssen und bezogene Ware wie Holz, Kohle, elektrisches Licht stets in barem Gelde“. (Büttner 1972, 46)

Während es 1. Weltkriegs wurde die Fabrik zur ausschließlichen Lieferung an die Heeresverwaltung verpflichtet. Die 50 Hilfsarbeiter erzeugten wöchentlich 9 Waggons Holzwolle. 1917 erwarb Oscar Bukowitz und Sigmund Schratter die Holzwollefabrik samt Elektrizitätswerk. 1919 wurde eine Holzbearbeitungsanlage mit Sägewerk und Hoblerei errichtet. Auf einem Betonunterbau als Holzständerkonstruktion hergestellten Sägewerksgebäude waren zwei Vollgatter, eine Hobelmaschine, Abrichtmaschine, Pendelsäge sowie eine Saumkreissäge untergebracht. Infolge günstiger Zukunftsperspektiven in den Jahren 1921 bis 1923 die beiden -> Kraftwerke 2 und 3 in Ober- und Unterradlberg errichten. Mitte der Zwanzigerjahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens trastisch, vorerst wurde der Betrieb eingeschränkt und schließlich stillgelegt. 1929 ersteigerte die Schweizerische Rückversicherungsgesellschft die Holzwollefabrik, das Sägewerk, die drei Kraftwerke, acht Wohnhäuser und 16 Hektar Grund der Unter-Radelberger Holzindustrie. Noch im selben Jahr wurden sämtliche Betriebsstätten an die neu gegründete Firma Elektrizitätswerke und Holzwollefabrik Otto Erich Schratter. Danach wurde Strom aus Holzabfällen erzeugt. Schleiferei und Schlosserwerkstätte komplettierten die Produktionseinheiten. Infolge der Wirtschaftskriese musste Schrattner 1932 den Betrieb einstellen. Carl P. Hübscher (1882-1971), der schon länger Interesse an den Betrieb hatte, pachtete er selbst die Anlagen und gab sie in Subpacht weiter. Seit 1936 stellte Friedrich Black & Co. Holzwolle und Holzwollseile in Unterradlberg her. Hübscher erwarb 1939 das Unternehmen, führte die Produktion unter der Firma Black weiter. In der Nachkriegszeit wurde der Betrieb weiter ausgebaut. 1967 wurde die Produktion eingestellt, Hübscher stellte dem Wilhelmsburger Unternehmen Alfons Reiter Teile seiner Fabrikräumlichkeiten für die Produktion von Bauernstuben zur Verfügung. Die Holzwolleproduktion sollte von der Dickenauer Holzstoff-, Pappen- und Kartonagenfabrik Basel & Co. GmbH fortgeführt werden. Weder Reiter noch Basel konnten ihre die Produktion in Unterradlberg aufnehmen.
Quelle: Literatur, Das industrielle Erbe Niederösterreichs (Gerhard A. Stadler) Böhlau Verlag

Einige aktuelle Ansichten konnte ich von außen festhalten:
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