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Tote Südtiroler Briefkästen im Wiener Prater
Die Entwicklungen in Italiens nördlichster Provinz interessierten im Kalten Krieg alle Geheimdienste
"Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte" heißt das neue Buch von Christoph Franceschini.
Die Zeichnung zeigt eine Telefonzelle in der Taborstraße auf der Höhe des damaligen Wiener Nordwestbahnhofs. Im Detail wird das Innere der Kabine nachgezeichnet sowie eine Abdeckung etwas oberhalb des Telefonapparats. Diese Klappe dient dem tschechoslowakischen Geheimdienst Státní bezpečnost (StB) als "toter Briefkasten".

Rund ein Dutzend solcher ungelenker Skizzen finden sich im Archiv der tschechoslowakischen Staatssicherheit in Prag. Sie stellen geheime Übergabeorte in Santiago de Chile, in Mailand und vor allem in Wien dar. In der damals in vier Besatzungssektoren aufgeteilten Hauptstadt (USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien) operiert natürlich auch der StB.

Sowjetischer Sektor
Die toten Briefkästen werden im zweiten Bezirk – im damaligen sowjetischen Sektor – rund um den Praterstern eingerichtet: eben in der Taborstraße, aber auch im Augarten oder unter einer Parkbank im Wiener Prater. Bedient werden diese Briefkästen von rund einem Dutzend jungen Süd- und Nordtirolern, die in den 1950ern jahrelang für den Ostblock Militärspionage betreiben.

Der Kopf der Gruppe ist der gebürtige Bozner Hans Morandell, der ab 1955 in Wien lebt und 1959 als Hans Georg Sostero (der Nachname seines Vaters) österreichischer Staatsbürger wird.

Wie man operativ vorgeht, lässt sich einem Schreiben des StB-Führungsoffiziers vom Sommer 1952 entnehmen, in dem er einem der Agenten genaue Vorgaben macht, wie Morandell zum verabredeten Treffen nach Brünn kommen soll: "Material wird er keines mitnehmen. Das Material legt er in einen Koffer. Diesen Koffer übergibt er am 14. August 1952 in die Gepäckaufbewahrung am Nordwestbahnhof in Wien. Den Gepäckschein verschließt er in ein Kuvert, und dieses legt er bis spätestens 21.00 Uhr desselben Tages in die ihm bekannte Telefonzelle. Wenn er bei mir eintrifft, wird das Material bereits hier vorliegen. Es ist ratsamer, den Grenzübertritt ohne Material zu vollziehen."

Dokumente aus bisher verschlossenen Archiven
Es ist nur eine der Geschichten, die der Südtiroler Enthüllungsjournalist und Historiker Christoph Franceschini in seinem neuen Buch Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte nachzeichnet. Der Autor hat tausende Seiten Akten ausgewertet, meist unveröffentlichte oder gar unbekannte Dokumente aus bisher verschlossenen Archiven – vom Archivio Centrale dello Stato in Rom über die National Archives in Washington bis hin zum Archiv des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach.

Im Zentrum der packenden Aufarbeitung stehen die Geheimdienstaktivitäten rund um die Südtiroler Bombenjahre – in welche eine Vielzahl an italienischen Diensten und Spitzeln involviert waren, wo ehemalige Nazis rekrutiert wurden, wo aber auch die amerikanischen Nachrichtendienste, der sowjetische KGB oder der israelische Mossad mitmischten.

Spuren nach Österreich
Immer wieder führt dabei auch die Spur nach Österreich. Dabei werden auch Kontakte des Wiener Verlegers Fritz Molden zur amerikanischen CIA oder die Einbindung des Innsbrucker Publizisten Wolfgang Pfaundler in das US-amerikanische Stay-behind-Programm genauer beleuchtet. Auch der Plan der italienischen Gladio-Einheiten, die Europabrücke bei Innsbruck kurz vor ihrer Fertigstellung zu sprengen, dürfte bisher kaum bekannt sein.

"Vom spionagetechnischen Klein-Klein schafft der Autor immer wieder den Sprung auf die weltpolitische Bühne, dort beispielsweise, wo es um die Berichterstattung über die brisante Lage in Südtirol für US-Präsident John F. Kennedy oder die Diskussionen im österreichischen Staatsapparat geht", schreibt der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom in seinem Vorwort zum Buch.
(Gerhard Mumelter aus Bozen, 24.1.2021)

Literaturhinweis: Neuerscheinung: "Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte"

Tote Südtiroler Briefkästen im Wiener Prater - derStandard.at
 
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