Jüdischer Friedhof Klosterneuburg: "Die Zeit der Stille" zwischen Gräbern der Vergangenheit

Bunker Ratte

Well-Known Member
#1
Den Jüdischen Friedhof in Klosterneuburg besuchte ich am verlängerten Wochenende, passend zu Allerheiligen!

Entstehung des jüdischen Friedhofes
Aus einem Vortrag von Kultusvorsteher Hermann Erber
Bis zum Jahre 1874 besaß Klosterneuburg keinen jüdischen Friedhof. Wenn ein Todesfall vorkam, kamen die Chewra-Leute, hielten die Totenwache, nahmen die rituelle Waschung vor, die Leiche wurde eingesargt und auf einem Bauernwagen unter Begleitung der zu Fuß nebenher gehenden Chewramänner nach Wien auf den Währinger jüdischen Friedhof gebracht. Im Jahre 1873 wurde die Cholera nach Klosterneuburg verschleppt und auch zwei Juden, der 22-jährige Simon Rosner und der 11-jährige Josef Erber, starben.
Da Leichen von Cholerakranken nicht nach Wien überführt werden durften, wurde von der Behörde angeordnet, daß die jüdischen Leichen auf dem katholischen Friedhof zu beerdigen seien. Die Eltern der Verstorbenen weinten Tag und Nacht und trotzdem es unter den Klosterneuburger Juden keine Reichen gab, beschloß der Bethausverein die Errichtung eines eigenen Friedhofes.

Es wurde ein Grundstück in der Holzgasse um den Betrag von 450 Gulden gekauft, ein Friedhofsgebäude und eine Mauer mit einem Kostenaufwand von 6000 Gulden errichtet. Im April 1874 war der Bau vollendet und die Choleraleichen konnten mit behördlicher Bewilligung exhumiert und des Nachts bei Fackelbeleuchtung beigesetzt werden.
Der Verein konnte aber die Baukosten nicht zahlen und da Sparkassen Friedhofsgründe nicht belehnen, mußte privat bei dem Bürger und Holzhändler Püringer das Geld gegen 6 Prozent und 500 Gulden jährliche Rückzahlung aufgenommen werden. Die Mitglieder des Vereines hatten einen Friedhofszuschlag zu den Vereinsbeiträgen zu zahlen, aber das genügte nicht und so mußte der Gläubiger Zwangsverwaltung beantragen, um aus den Friedhofserträgen Rückzahlung zu erlangen. Da dies auch nicht zu dem erhofften Ergebnis führte, begnügte sich Püringer mit den Zinsen und einer jährlichen Rückzahlung von 200 Gulden. Im Jahr 1877 lieh der Bürgermeister und Besitzer der Koscherfleischbank Franz Kohlert dem Bethausverein den Restbetrag der Schuld und hob dafür von jedem Kilo Fleisch 4 Kreuzer ein. Durch diese Fleischkreuzer wurde im Laufe einiger Jahre die Friedhofsschuld bezahlt, so daß die Friedhofsumlage aufgehoben werden konnte.
Im Jahre 1892 wurde für den politischen Bezirk Tulln eine israelitische Kultusgemeinde kreiert. 1902 löste sich der Bethausverein Klosterneuburg auf und übergab sein Vermögen der neu ins Leben gerufenen „Kultusgemeinde Tulln mit dem Sitze in Klosterneuburg“. Die Mitglieder des ehemaligen Bethausvereines gründeten den Verein „Israelitische Beerdigungsbruderschaft Chewra Kadischa Klosterneuburg“, in dessen Eigentum die Kultusgemeinde den Friedhof übertrug. Vorsitzender der Chewra Kadischa wurde Josef Weiner, der 1917 aus Gesundheitsrücksichten zurücktrat; seit diesem Zeitpunkt bekleide ich ( Hermann Erber ) diese Stelle. Im Jahre 1911 wurde eine Wagenremise für den Leichenwagen erbaut und schon 1906 ein an den Friedhof angrenzendes Grundstück zur Vergrößerung um den Betrag von 1600 Kronen erworben. Im Mai 1924 fand anläßlich des 50-jährigen Bestehens des Friedhofes eine Feier statt, bei der auch im Tempelgebäude eine Gedenktafel für die jüdischen Kriegsgefallenen aus Klosterneuburg enthüllt wurde. Die Festrede hielt Herr Oberrabbiner Dr. Schächter aus St. Pölten, während Kantor Steiner mit verstärktem Chor die Trauergesänge vortrug. Die Festgäste besuchten dann gemeinsam den Friedhof, in dessen Zeremonienhalle ebenfall eine Gedenkfeier stattfand, und am Abend fand eine Chewra-Seüda statt, bei der ich ( Hermann Erber ) über die Entwicklung der Chewra und des Friedhofes referierte.

Quelle, Bildquelle: Jüdischer Friedhof Klosterneuburg

Die Sanierung des Jüdischen Friedhofes ist bereits im Gange!
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Senator74

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#6
Besonders erfreulich ist, dass der Friedhof saniert wird. Wobei ich neben der "Wiedergutmachung" gegenüber der jüdischen Bevölkerung, auch die Erhaltung von Kulturgut meine.
 

josef

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#7
Jüdischer Friedhof vor Verfall bewahrt
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Der jüdische Friedhof in Klosterneuburg (Bezirk Tulln) ist von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) an die Stadt übergeben worden. Drei Jahre lang wurde der Friedhof unter Aufsicht des Bundesdenkmalamts saniert.
Online seit heute, 18.32 Uhr
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Als „Haus der Ewigkeit“ oder „Haus der Lebenden“ werden Friedhöfe im Hebräischen bezeichnet. Die Totenruhe soll ewig andauern, anders als auf Friedhöfen anderer Religionen werden Gräber über Jahrhunderte erhalten. Die Grabpflege hat im Judentum eine dementsprechend hohe Bedeutung. In Klosterneuburg wurden nun drei Jahre lang Fundamente wiederhergestellt, Grabsteine restauriert sowie die Friedhofsmauer erneuert.
„Es bedeutet uns sehr viel, dass dieser Ort, dieses Haus des Lebens, die 650 Gräber, nun ein würdiges Ansehen bekommen haben und die Menschen hier in Würde ruhen“, sagte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien bei der Übergabe des Friedhofs an die Stadt Klosterneuburg. Die Stadt verpflichtet sich, den Friedhof mindestens 20 Jahre lang zu pflegen, das ist eine Bedingung für die Fördermittel aus dem Fonds zur Instandsetzung jüdischer Friedhöfe in Österreich.

Ort des Erinnerns, Gedenkens und Vermittelns
Die Aufgabe gehe aber darüber hinaus, so Klosterneuburgs Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager: „Es ist auch eine ideelle Ausseinandersetzung. Die Aufgabe heißt, an die Dinge zu denken, an die man vielleicht nicht mehr denkt, weil sie lange zurückliegen. Wir werden hier einen Beitrag leisten, dass jüdisches Leben in Klosterneuburg wieder lebendig ist.“ So soll der Friedhof auch ein Ort der Vermittlung jüdischer Geschichte werden. Laut IKG Wien ist etwa ein Schulprojekt geplant.

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Verfällt ein Friedhof, gehen auch Lebensgeschichten verloren: In Klosterneuburg etwa ist Gisela Weiss begraben, die erste Frau, die in Österreich in Astronomie promovierte.

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Im Judentum lässt man Gras oder Efeu über die Gräber wachsen


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Erinnerungssteine werden von Angehörigen auf den Gräbern platziert. Einige Grabsteine, so wie dieser, tragen auch Gedenkschriften an Verwandte, die in Konzentrationslagern ermordet wurden.


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Der Friedhof geht auf eine Epidemie zurück: Als 1873 zwei Klosterneuburger Juden an Cholera starben, durften sie nicht am Friedhof Währing in Wien begraben werden. Ein eigener Friedhof wurde gegründet.


Der Friedhof wurde 1874 eröffnet und wird auch heute noch belegt. „Anders als andere Friedhöfe in Österreich wurde jener in Klosterneuburg während der NS-Diktatur nicht zerstört. Die Gräber blieben zwar unberührt, aber auch vergessen“, sagte Hannah Lessing, Generalsekretärin des Fonds zur Instandsetzung jüdischer Friedhöfe und des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus.
Die Sanierung kostet 640.000 Euro, ein Viertel kommt vom Land Niederösterreich, drei Viertel vom Fonds zur Instandhaltung jüdischer Friedhöfe in Österreich. Dessen Vorsitzender, Nationalsratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), warnte bei der Übergabe vor einer weltweiten Zunahme des Antisemitismus.

„Haben uns dieser Geschichte lange nicht gestellt“
„Wir fragen uns, warum und natürlich auch, was haben wir dagegen zu tun. Es ist nicht eine Frage der Jüdinnen und Jüden, gegen Antisemitismus zu kämpfen, sondern unser aller Aufgabe als Gesellschaft“, so Sobotka. Da sich am Dienstag die Reichspogromnacht zum 83. Mal jährt – vom 9. auf den 10. November 1938 töteten Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich hunderte Juden und zerstörten Synagogen, Geschäfte und Wohnungen – sei es wichtig festzuhalten, dass „wir uns dieser Geschichte lange nicht gestellt haben. Wir haben sie unter den Teppich gekehrt. Und es ist mühevoll, sich dieser Geschichte zu stellen, so wie sie gewesen ist.“

Die Sanierung könne auch als Anstoß gesehen werden, die vertriebenen Nachkommen der Verstorbenen nach Klosterneuburg einzuladen, so Sobotka. In Niederösterreich gibt es noch 30 jüdische Friedhöfe. Der Fonds zur Instandhaltung restaurierte etwa schon jenen in Baden, derzeit wird in Waidhofen an der Thaya und Oberstockstall (Bezirk Tulln) gearbeitet. In Österreich sind 65 jüdische Friedhöfe erhalten.
08.11.2021, Nina Pöchhacker, noe.ORF.at

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Jüdischer Friedhof vor Verfall bewahrt
 

josef

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#8
Mit Boden-Radar auf Gräbersuche
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Der jüdische Friedhof in Klosterneuburg ist saniert. Nun liegt das Augenmerk des Komitees zur Erhaltung des Friedhofes auf der Erforschung der hebräischen Inschriften und dem Aufspüren weiterer Gräber mit Boden-Radarmessung.
Online seit heute, 19.35 Uhr
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Die 281 Grabsteine des jüdischen Friedhofes, den die kleine jüdische Gemeinde im 19. Jahrhundert errichten ließ, stehen nun wieder aufrecht und sicher, der Efeubewuchs wurde entfernt. Einige Leerstellen sind eingezäunt. Hier vermuten die Ehrenamtlichen Mitglieder des Komitees zur Erhaltung des Friedhofes weitere Grablegungen. Sie sollen mit Hilfe einer Bodenradarmessung aufgespürt werden. Sobald ein Gerät verfügbar ist, soll ein Geophysiker mit Bodenradar nach beerdigten Gebeinen, die keinen Grabstein (mehr) haben.

Die zweite große Aufgabe liegt in der Erforschung der hebräischen Inschriften auf den Grabsteinen. Deren Inhalt deckt sich nur selten mit den deutschen Texten, die ebenfalls in die Steine geschlagen sind. Hier geht es auch um das Herausfinden von Angehörigen und Hinterbliebenen, erklärt Heinz Schratt, der Obmann des Komitees.

Die Willkür der Namensgebung
Neben einem säkularen Namen hatten und haben die meisten Jüdinnen und Juden einen abweichenden hebräischen Namen. Oft gibt es Ähnlichkeiten – meist ein identischer Anfangsbuchstabe, wie zum Beispiel Moritz statt Moses, um etwa im Alltag nicht als Jüdin oder Jude erkennbar zu sein.

Der vollständige hebräische Name setzt sich aus dem Vornamen und einem Patronym zusammen, weshalb Nachnamen wie „Beinhacker“, „Erber“ oder „Fleischmann“ in der hebräischen Grabinschrift oft gar nicht ersichtlich sind. Dort wird lediglich der Name des Vaters vermerkt (z.B. Moses, Sohn des Menachem, statt Moritz Weiss).

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Die 281 Grabsteine des jüdischen Friedhofes stehen nun wieder aufrecht
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Die Sanierung ist abgeschlossen

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Eine große Aufgabe liegt nun in der Erforschung der hebräischen Inschriften auf den Grabsteinen

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Weitere Gräber sollen zudem mit Bodenradarmessgeräten aufgespürt werden

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Die kleine jüdische Gemeinde errichtete den Friedhof im 19. Jahrhundert

Geschichte des jüdischen Friedhofes in Klosterneuburg
Üblicherweise wurden verstorbene Klosterneuburger Juden und Jüdinnen am Friedhof in Wien Währing bestattet. Doch in der Cholera-Epidemie des Jahres 1873 – dem Jahr der Wiener Weltausstellung – war eine Überführung wegen der strikten Hygiene-Vorschriften nicht gestattet. Deshalb beschloss der Klosterneuburger Bethausverein den Ankauf eines Grundstücks zur Errichtung eines eigenen Friedhofs.

Heute ist das Areal im Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Nach den Aufzeichnungen der Kultusgemeinde sind hier etwa 650 Personen bestattet. Der Friedhof ist noch aktiv. Die bislang letzte Belegung fand 2007 statt (Cäcilie Lauber). Auf vielen Grabsteinen befinden sich kleine Steine, die bezeugen, dass es Nachkommen oder zumindest Menschen gibt, die sich an diese Personen erinnern.

Österreich seit zwölf Jahren um Erhaltung bemüht
Im Dezember 2010 wurde der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich eingerichtet, um die im „Washingtoner Abkommen“ vereinbarte völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Restaurierung und Erhaltung bekannter und unbekannter jüdischer Friedhöfe in Österreich umzusetzen.

Insgesamt konnte der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich (Friedhofsfonds) bislang 57 Sanierungsprojekte auf 16 jüdischen Friedhöfen im gesamten Bundesgebiet fördern und begleiten, schreibt der Fond auf Anfrage von noe.ORF.at.

Es wurden Fördermittel des Bundes in Höhe von rund 9,7 Millionen Euro bewilligt. Davon wurden 2,43 Millionen Euro für 19 Projekte auf acht jüdischen Friedhöfen in Niederösterreich aufgewendet. In Niederösterreich trägt zudem das Land 25 Prozent der anfallenden Sanierungskosten.
02.11.2022, Hannes Steindl, noe.ORF.at
Mit Boden-Radar auf Gräbersuche
 
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