"Kohleausstieg" in GB soll durch neues Atomkraftwerk kompensiert werden

josef

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#1
Großbritannien will bis 2024 ein neues Atomkraftwerk genehmigen
Durch das Projekt sollen die Klimaziele erreicht, der Ausstieg aus Kohle ermöglicht und Arbeitsplätze geschaffen werden


Großbritannien bekommt bis 2024 ein neues Atomkraftwerk – und vielleicht auch ein Ortsschild mit Radioaktivitätszeichen.
imago images/Christian Ohde

London – Die Regierung in London setzt auf Atomkraft, um ihre Klimaziele zu erreichen. Noch vor den Wahlen im Jahr 2024 soll im Rahmen ihrer Klimastrategie die Finanzierung eines neuen Kernkraftwerks erfolgen, berichtete "The Telegraph". "Wir versuchen, in den nächsten Jahren mindestens ein weiteres großes Atomprojekt zu genehmigen, um die Energiesicherheit zu stärken und Tausende von Arbeitsplätzen zu schaffen", erklärte ein Regierungssprecher der Nachrichtenagentur Reuters.

Als Standort für ein weiteres Atomkraftwerk werde der Standort Sizewell C in der südostenglischen Grafschaft Suffolk in Betracht gezogen, schreibt das Blatt unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Bis zum Jahr 2035 will Großbritannien die Kohlenstoffemissionen auf null drücken.
(APA, Reuters, 18.10.2021)

Großbritannien will bis 2024 ein neues Atomkraftwerk genehmigen
 

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#2
Großbritannien setzt auf Mini-Atomkraftwerke gegen die Klimakrise
Die britische Regierung forciert den Bau von Mini-AKWs und fördert ein Projekt des Triebwerkkonzerns Rolls-Royce mit einigen Hundert Millionen
Kleine Atomkraftwerke gegen die Klimakrise: Mit dieser verlockenden Perspektive hat der Turbinenbauer Rolls-Royce (RR) Privatinvestoren sowie die britische Regierung von Premier Boris Johnson für ein Investitionsprogramm gewonnen. Mit zunächst 405 Millionen Pfund (474 Millionen Euro) soll ein ausgereiftes Design entstehen, das die hohen Genehmigungshürden überwindet; der RR-Idee zufolge würden Mitte des kommenden Jahrzehnts 16 Mini-AKWs an bereits bestehenden Standorten in Großbritannien Strom für je eine Million Haushalte erzeugen.

Kritiker warnen vor teuren Strompreisen sowie der Gefährdung vieler Küstenstandorte durch den Klimawandel; zudem bleibt die Endlagerung des Nuklearabfalls ungeklärt.

Der im mittelenglischen Derby ansässige Triebwerks- und Rüstungskonzern verfügt schon seit langem auch über eine Nuklearsparte. Dort werden unter anderem die Nuklearreaktoren gebaut, mit denen die britische U-Boot-Flotte bestückt ist – Hauptgrund dafür, dass die britische Regierung an RR eine sogenannte goldene Aktie hält.


In dieser Computergrafik des Herstellers sieht so ein Atomkraftwerk friedlich und sehr, sehr schick aus.
Foto: Rolls-Royce

Mit geduldiger Lobbyarbeit hat RR-Chef Warren East seinem Unternehmen nun saftige Subventionen vom Staat gesichert. Zum Entwicklungsprojekt des "kleinen Modulreaktors" (auf Englisch: small modular reactor, kurz SMR) steuert Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng umgerechnet 246 Millionen Euro bei. Es handele sich um eine einmalige Gelegenheit, schwärmt der Konservative, "für mehr Energie mit wenig CO2-Ausstoß sowie für größere Unabhängigkeit der Elektrizitätsversorgung". Für die Brexit-Regierung geht es im Rahmen ihres vollmundig "grüne industrielle Revolution" genannten Investitionsprogramms auch um gutbezahlte Jobs in der verarbeitenden Industrie an bisher vernachlässigten Standorten, vor allem im Norden Englands.
Weitere 195 Millionen Pfund (228 Millionen Euro) legen außer RR selbst der US-Energiekonzern Exelon Generation sowie die Holding BNF Resources auf den Tisch. Letztere gehört der französischen Unternehmerfamilie Perrodo, Besitzer der Ölfirma Perenco. Die Firmenmatriarchin Carrie Perrodo lebt in London.

Wie SMRs technisch funktionieren und wirtschaftlich produzieren können, wird auch in den USA und Frankreich erforscht. Erst vergangenen Monat stellte der französische Präsident Emmanuel Macron dem Staatskonzern EDF eine Milliarde Euro in Aussicht. Damit soll ebenfalls binnen eines Jahrzehnts ein eigenes SMR-Modell entwickelt werden.

Hohe Akzeptanz
Rolls-Royce sieht für sein Modell einen geringen Platzbedarf von der Größe zweier Fußballfelder vor. Standorte gebe es im Land genug, nämlich überall dort, wo schon bisher AKWs entweder noch arbeiten oder mittlerweile abgeschaltet wurden. Die Akzeptanz für die umstrittene Technik bleibt auf der Insel hoch: Anders als in vielen kontinentaleuropäischen Ländern befürworten die Briten die Atomkraft als Teil des Energiemixes mit Mehrheiten von rund zwei Dritteln.


Rolls-Royce sieht für sein Modell einen geringen Platzbedarf von der Größe zweier Fußballfelder vor. Standorte gebe es im Land genug, nämlich überall dort, wo schon bisher AKWs entweder noch arbeiten oder mittlerweile abgeschaltet wurden.
Foto: Rolls-Royce

Wenn die Design- und Genehmigungsphase nach Plan verläuft, soll der erste SMR in zehn Jahren ans Netz gehen. Den Einzelpreis der ersten fünf Mini-AKWs veranschlagt das Unternehmen mit 2,2 Milliarden Pfund (2,57 Milliarden Euro), weitere Anlagen könnten dann zum günstigeren Preis von 1,8 Milliarden Pfund (2,1 Milliarden Euro) gebaut werden. Dazu soll die Herstellung von rund 90 Prozent des gesamten Baus an zentralen Standorten beitragen, vor Ort müssten dann die vorgefertigten Anlagenteile nur noch zusammengefügt werden. Außerdem hofft RR auf einen florierenden Export. Schließlich seien auch viele andere Länder weltweit auf der Suche nach einer Energieversorgung, bei der wenig Treibhausgase entstehen.

Trifft dies aber auf die Atomkraft wirklich zu? Immer wieder haben Kritiker auf die hohe Emissionsbelastung des Uran-Abbaus hingewiesen. Auch bleiben die Folgekosten und die Klimabelastung durch die endgültige Atommülllagerung ungeklärt. Paul Dorfman vom Thinktank NCG weist zudem auf die Gefährdung der vermeintlich klima-freundlichen Reaktoren durch den Klimawandel hin: Weil viele britische AKW-Standorte nahe an der Küste liegen, um die Versorgung mit Kühlwasser sicherzustellen, könnten erhöhte Meeresspiegel und Sturmfluten in den kommenden Jahrzehnten ernstzunehmende Risiken darstellen.

Wichtig zur Deckung des Strombedarfs
Kernenergie deckt derzeit rund 20 Prozent des Strombedarfs des Landes ab. Allerdings werden nach bisheriger Planung mehr als die Hälfte der Reaktoren, die gemeinsam 7,8 Gigawatt erzeugen, bis 2025 abgeschaltet. Das einzige Neubauprojekt Hinkley Point (Grafschaft Somerset) soll von 2024 an 3200 Megawatt erzeugen, beteuert der Konsortialführer EDF. Die französische Staatsfirma hatte 2008 den britischen Atombetreiber British Energy übernommen. Die Kosten des Neubaus sind auf mittlerweile 23 Milliarden Pfund (26,9 Milliarden Euro) gestiegen.
Ein weiterer Neubau in Sizewell (Grafschaft Suffolk) liegt einstweilen auf Eis, weil die britische Regierung Bedenken gegen die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns CGN hegt.
(Sebastian Borger aus London, 11.11.2021)
Großbritannien setzt auf Mini-Atomkraftwerke gegen die Klimakrise
 

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#3
Energiepolitik
Großbritannien hat seine Kohle-Ära beendet
Durch den Energieträger stieg das Vereinigte Königreich zur Industriemacht auf. Am Dienstag hat das letzte britische Kohlekraftwerk in Ratcliffe-on-Soar ausgeraucht
Wenn sich am Montagabend die Rauchschwaden über Ratcliffe-on-Soar verzogen haben, birgt das mehr als Symbolik. In der englischen Ortschaft südwestlich von Nottingham hat das letzte Kohlekraftwerk Großbritanniens seinen ewigen Schlaf angetreten. Anfang Oktober beginnt im Vereinigten Königreich eine neue Ära. Jene ohne Kohle.

Großbritannien ist damit das erste G7-Land, das sich vom schmutzigsten fossilen Energieträger verabschiedet hat. Ausgerechnet das Vereinigte Königreich, dessen Aufstieg zur Industriemacht eng mit der Kohle verbunden war. Der Energieträger bildete lange das Rückgrat der britischen Wirtschaft: Kohle trieb die Züge an, befeuerte die Stahlindustrie, erzeugte Strom.


Das Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar nahe Nottingham hat Ende September ausgeraucht.
Foto: REUTERS/Molly Darlington

Das weltweit erste Kohlekraftwerk zur Stromversorgung eröffnete 1882 in London. Seither haben die britischen Kohlekraftwerke insgesamt 4,6 Milliarden Tonnen Kohle verbrannt und dadurch 10,4 Milliarden Tonnen an CO2 ausgestoßen, wie Analysten des Klimaportals Carbon Brief berechneten. Das ist mehr, als die meisten Länder jemals aus allen fossilen Quellen zusammengerechnet emittiert haben.

Die britische Kohle heizte nicht nur das Klima an, ihre Verbrennung erzeugte auch eine der größten Katastrophen in der englischen Nachkriegsgeschichte. Durch eine sogenannte Inversionswetterlage versank die Hauptstadt London im Dezember 1952 im Smog. Innerhalb von fünf Tagen raffte die Luftverschmutzung 4000 Menschen dahin, 8000 weitere starben laut Schätzungen in den kommenden Monaten an den Folgen. Die Politik beschloss daraufhin den Clean Air Act – einen Meilenstein im Umweltschutz. Mit diesem Maßnahmenbündel verboten die Politiker unter anderem den Ausstoß von Ruß in belasteten Gebieten und zwangen die Bewohner Londons dazu, Heizungen auf rauchfreie Brennstoffe umzustellen.

Rekordbudget für Erneuerbare
Danach ging es mit der Kohle stetig bergab. Öl, Gas und Atomenergie verdrängten den Energieträger Schritt für Schritt. In den vergangenen Jahren zählte Großbritannien außerdem zu jenen Ländern in Europa, die den Anteil an Erneuerbaren rasant steigern konnten. Erst Ende Juli hat die neue britische Regierung unter dem sozialdemokratischen Regierungschef Keir Starmer ein weiteres Rekordbudget für den Ausbau der Erneuerbaren beschlossen. Mit 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Milliarden Euro) greift die Regierung der Erneuerbaren-Branche heuer unter die Arme, das ist um rund 50 Prozent mehr, als die Vorgängerregierung budgetiert hatte. Das meiste Geld wird in die Windenergie fließen. "Die Kohle-Ära mag zwar enden, aber ein neues Zeitalter guter Arbeitsplätze im Energiesektor beginnt jetzt erst für unser Land", versprach der neue Energiestaatssekretär Michael Shanks von der Labour-Partei.


Neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren führen die Analysten von Carbon Brief drei weitere Gründe an, die den Kohleausstieg ermöglicht haben: Erstens: Die Politik stoppte rechtzeitig den Bau weiterer Kohlekraftwerke. Zweitens: Die Verschmutzung durch Kohlekraftwerke wurde bepreist – unter anderem durch eine CO2-Steuer. Drittens: Die Politik hatte einen klaren Zeitplan für den Ausstieg formuliert. Dadurch konnte sich die Energiebranche auf den Kohleausstieg einstellen.

Weitere Industriemächte folgen
Großbritannien ist nun die erste Industriemacht, die sich von der Kohle verabschiedet hat. In den kommenden Jahren werden weitere folgen. Erst heuer im April hatten die Energieminister der G7-Staaten im italienischen Turin vereinbart, die Kohleverstromung bis 2035 auslaufen zu lassen.

Den Niedergang der Kohle vereinbarten die Staatenlenker bereits vor drei Jahren auf der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow, rund 400 Kilometer vom letzten britischen Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar entfernt. Dort wurde zwar nicht der Ausstieg besiegelt, aber zumindest beschlossen die Regierungsvertreter einen "Phase-down", also ein schrittweises Zurückfahren des fossilen Energieträgers. Österreich hatte sich zu dem Zeitpunkt schon von der Kohle losgesagt. Im Jahr 2020 hatte die Verbund AG im steirischen Mellach das letzte österreichische Kohlekraftwerk abgedreht.
(APA, naro, 30.9.2024)
Großbritannien hat seine Kohle-Ära beendet
 
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