Militärtechnik
RCH 155: Ukraine erhält teilautonome Panzerhaubitze
Das Artilleriesystem aus Deutschland kann als Erstes weltweit während der Fahrt präzis feuern. Das passiert vollautomatisch
Die RCH 155 ist eine Kombination aus dem Geschütz der Panzerhaubitze 2000 und der Boxer-Plattform. Dazu kommt moderne Hard- und Software und ein fernsteuerbarer Turm.
KNDS
Die Ukraine hat ihre erste von Deutschland gelieferte Panzerhaubitze RCH 155 erhalten und wird damit zum ersten Betreiber des Waffensystems weltweit. Die RCH 155 hat einen vollautomatischen Turm. Zwei Besatzungsmitglieder können den Job von fünf Personen übernehmen. Künftig soll das Waffensystem autonom betrieben werden können.
Die Zeit der Artillerieduelle auf dem Schlachtfeld sollte eigentlich nur noch in Geschichtsbüchern über den Ersten Weltkrieg vorkommen. Eigentlich, denn in der Ukraine ist nicht nur der Grabenkrieg zurückgekehrt. Die Artillerie dominiert das Schlachtfeld. Laut The National Interest ist davon auszugehen, dass 80 Prozent der Verluste auf ukrainischer wie russischer Seite auf Artilleriebeschuss zurückzuführen sind.
Üblicherweise folgt auf einen Artillerieschlag einer Seite schon bald ein Gegenangriff. Spezialisierte Radarsysteme oder Aufklärungsdrohnen orten den Abschussort, woraufhin die Artillerie der Gegenseite das Feuer eröffnet. Gegenbatteriefeuer wird das genannt. Um dem zu entgehen, müssen Bedienmannschaften die Position ihrer Haubitze nach der Schussabgabe wechseln. Mit der RCH 155 soll dieses Problem gar nicht entstehen: Sie ist das erste selbstfahrende Artilleriegeschütz, das aus der Bewegung präzis feuern kann.
Artillerie wird dringend gebraucht
Auf dem Gebiet der Artillerie ist Russland zumindest auf dem Papier übermächtig, der Ukraine ist es aber gelungen, das Verhältnis von sieben russischen Artilleriesystemen gegen ein ukrainisches auf fünf zu eins zu drücken. Das liegt unter anderem daran, dass die Ukraine durch internationale Militärhilfen ein breites Arsenal an großkalibrigen Geschützen und Raketenwaffen erhalten hat. Am bekanntesten dürfte das M142 High Mobility Artillery Rocket Systems (Himars) sein.
Die Boxer-Plattform ist eine modulare Basis für eine Vielzahl an Waffensystemen. Hier bei einer Leistungsschau der australischen Armee in Melbourne.
AFP/WILLIAM WEST
Dazu kommen noch M270 Raketenwerfer, M109 Panzerhaubitzen, wie sie auch das österreichische Bundesheer verwendet, die auf Lastwagen montierten Archer- und Ceasar-System aus Großbritannien beziehungsweise Frankreich sowie die deutsche Panzerhaubitze 2000. Aber auch gezogene Geschütze wie die M777 sind darunter. Dazu kommt noch Spezialmunition wie die weitreichenden M982-Excalibur-Granaten, ATACMS und fernverlegbare Minen wie die M718. Den meisten dieser Systeme ist aber gemein, dass sie schon einige Jahre auf dem Buckel haben.
Panzerhaubitze 2000 und Boxer
Die RCH 155 ist hingegen eine völlige Neuentwicklung – eine Kombination aus zwei in Deutschland entwickelten Waffensystemen: nämlich der 155-mm-Kaliber-L52-Kanone der Panzerhaubitze 2000 und des Antriebsmoduls des Radschützenpanzers Boxer 8×8.
Dabei verfügt die RCH 155 schon jetzt über moderne fernsteuerbare Systeme, daher auch der Name Remote Controlled Howitzer. Der Geschützturm des Waffensystems ist nämlich unbemannt und wird ferngesteuert. Daraus können ferngesteuert bis zu neun Geschoße pro Minute auf eine Reichweite von 40 Kilometern mit Standardmunition abgefeuert werden. Werden Artilleriegeschoße wie die Excalibur verwendet, erhöht sich die Reichweite auf bis zu 54 Kilometer. Später soll die RCH 155 ganz autonom und ohne Besatzung eingesetzt werden können.
Modulare Munition
An Munition werden 30 bezünderte Geschoße sowie 144 modulare Treibladungen mitgeführt. Je nach gewünschter Reichweite werden mehr oder weniger Treibladungen eingesetzt. Diese modernen Artillerieladungen ersetzen die herkömmlichen Taschen mit Treibladungen, wie sie etwa bei der M109 eingesetzt werden. Geladen wird die Waffe automatisch. Damit kann die RCH 155 mit einer Mannschaft von zwei Personen betrieben werden. Zum Vergleich: Die Panzerhaubitze 2000 ist auf eine Besatzung aus fünf Personen angewiesen, bei der M109 sind es sechs.
Hergestellt wird das System vom deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS. Die Ukraine ist das erste Land, das über das neue System verfügt. Die Ukraine soll 54 RCH 155 erhalten, genug für drei Artilleriebataillone. Eine kleine Zahl an Fahrzeugen verbleibt vorerst aber zur Mannschaftsausbildung in Deutschland.
Schießen und abhauen
Das Boxer-Chassis erreicht auf der Straße eine Geschwindigkeit von über 100 km/h, was die Haubitze ideal für sogenanntes "shoot and scoot" (dt. etwa "schießen und abhauen") macht. Nach der Schussabgabe kann das Fahrzeug sofort die Position wechseln, sofern nicht ohnehin aus der Bewegung geschossen wird. Das macht ein modernes computerunterstütztes Stabilisierungssystem möglich. Es überwacht ständig die Bewegung und die Position des Rohrs und gleicht Schwankungen durch das Gelände oder Vibrationen aus. Damit kann das Geschütz immer aufs Ziel gerichtet bleiben. Die Schussabgabe erfolgt zum richtigen Zeitpunkt automatisch. Die Zünder der Geschoße werden per Induktion direkt am Rohr der Waffe programmiert.
Eine Panzerhaubitze 2000 der ukrainischen Streitkräfte beim Feuern. Die 155-mm-Hauptwaffe kommt auch bei der RCH 155 zum Einsatz.
REUTERS/Viacheslav Ratynskyi
Die neue Panzerhaubitze kann auch mehrere Geschoße so abfeuern, dass sie nahezu zeitgleich im Ziel einschlagen. Multiple Rounds Simultaneous Impacts (MRSI) nennt sich diese Technik. Dabei werden Geschoße in unterschiedlichen Winkeln mit unterschiedlichen Treibladungen abgefeuert. Das soll dem Gegner die Ausweichmöglichkeit nehmen.
Im Notfall ein Panzerjäger
Diese Automatisierung hat den Vorteil, dass die Mannschaft nur noch sicherstellen muss, dass freie Schussbahn herrscht. Außerdem werden so Kapazitäten frei, um besser auf das umliegende Gelände und nahe Bedrohungen achten zu können.
Sollte doch eine Bedrohung im Nahbereich auftauchen, verfügt die RCH 155 über eine für ein solches Waffensystem eher ungewöhnliche Hunter-Killer-Eigenschaft für direktes Richten. Das heißt: Die Haubitze kann auch Ziele im Nahbereich bekämpfen, indem die Waffe nicht im Steilfeuer zum Einsatz kommt, sondern direkt auf eine Bedrohung feuert. Im "Panzerjäger-Modus" kann der Kommandeur ein Ziel auswählen, das vom 155-mm-Hauptgeschütz automatisch bekämpft wird.
Auch Deutschland hat bereits 80 Stück der RCH 155, und auch Großbritannien möchte die alten AS90-Haubitzen durch das deutsche Waffensystem ersetzen. Ebenso hat die Schweiz Interesse bekundet, wobei sie das Geschütz nicht auf die Boxer-Plattform setzt, sondern die Eigenproduktion Mowag Piranha IV zum Einsatz kommen soll.
Die ersten RCH 155 für die Ukraine bleiben vorerst in Deutschland, wie das Verteidigungsministerium bekanntgab. An ihnen werden ukrainische Soldaten ausgebildet. Wann die RCH 155 tatsächlich an der Front eintreffen wird, ist noch unklar. Laut The War Zone könnte dies aber bereits im April 2025 geschehen.
(Peter Zellinger, 25.1.2025)
RCH 155: Ukraine erhält teilautonome Panzerhaubitze
RCH 155: Ukraine erhält teilautonome Panzerhaubitze
Das Artilleriesystem aus Deutschland kann als Erstes weltweit während der Fahrt präzis feuern. Das passiert vollautomatisch

Die RCH 155 ist eine Kombination aus dem Geschütz der Panzerhaubitze 2000 und der Boxer-Plattform. Dazu kommt moderne Hard- und Software und ein fernsteuerbarer Turm.
KNDS
Die Ukraine hat ihre erste von Deutschland gelieferte Panzerhaubitze RCH 155 erhalten und wird damit zum ersten Betreiber des Waffensystems weltweit. Die RCH 155 hat einen vollautomatischen Turm. Zwei Besatzungsmitglieder können den Job von fünf Personen übernehmen. Künftig soll das Waffensystem autonom betrieben werden können.
Die Zeit der Artillerieduelle auf dem Schlachtfeld sollte eigentlich nur noch in Geschichtsbüchern über den Ersten Weltkrieg vorkommen. Eigentlich, denn in der Ukraine ist nicht nur der Grabenkrieg zurückgekehrt. Die Artillerie dominiert das Schlachtfeld. Laut The National Interest ist davon auszugehen, dass 80 Prozent der Verluste auf ukrainischer wie russischer Seite auf Artilleriebeschuss zurückzuführen sind.
Üblicherweise folgt auf einen Artillerieschlag einer Seite schon bald ein Gegenangriff. Spezialisierte Radarsysteme oder Aufklärungsdrohnen orten den Abschussort, woraufhin die Artillerie der Gegenseite das Feuer eröffnet. Gegenbatteriefeuer wird das genannt. Um dem zu entgehen, müssen Bedienmannschaften die Position ihrer Haubitze nach der Schussabgabe wechseln. Mit der RCH 155 soll dieses Problem gar nicht entstehen: Sie ist das erste selbstfahrende Artilleriegeschütz, das aus der Bewegung präzis feuern kann.
Artillerie wird dringend gebraucht
Auf dem Gebiet der Artillerie ist Russland zumindest auf dem Papier übermächtig, der Ukraine ist es aber gelungen, das Verhältnis von sieben russischen Artilleriesystemen gegen ein ukrainisches auf fünf zu eins zu drücken. Das liegt unter anderem daran, dass die Ukraine durch internationale Militärhilfen ein breites Arsenal an großkalibrigen Geschützen und Raketenwaffen erhalten hat. Am bekanntesten dürfte das M142 High Mobility Artillery Rocket Systems (Himars) sein.

Die Boxer-Plattform ist eine modulare Basis für eine Vielzahl an Waffensystemen. Hier bei einer Leistungsschau der australischen Armee in Melbourne.
AFP/WILLIAM WEST
Dazu kommen noch M270 Raketenwerfer, M109 Panzerhaubitzen, wie sie auch das österreichische Bundesheer verwendet, die auf Lastwagen montierten Archer- und Ceasar-System aus Großbritannien beziehungsweise Frankreich sowie die deutsche Panzerhaubitze 2000. Aber auch gezogene Geschütze wie die M777 sind darunter. Dazu kommt noch Spezialmunition wie die weitreichenden M982-Excalibur-Granaten, ATACMS und fernverlegbare Minen wie die M718. Den meisten dieser Systeme ist aber gemein, dass sie schon einige Jahre auf dem Buckel haben.
Panzerhaubitze 2000 und Boxer
Die RCH 155 ist hingegen eine völlige Neuentwicklung – eine Kombination aus zwei in Deutschland entwickelten Waffensystemen: nämlich der 155-mm-Kaliber-L52-Kanone der Panzerhaubitze 2000 und des Antriebsmoduls des Radschützenpanzers Boxer 8×8.
Dabei verfügt die RCH 155 schon jetzt über moderne fernsteuerbare Systeme, daher auch der Name Remote Controlled Howitzer. Der Geschützturm des Waffensystems ist nämlich unbemannt und wird ferngesteuert. Daraus können ferngesteuert bis zu neun Geschoße pro Minute auf eine Reichweite von 40 Kilometern mit Standardmunition abgefeuert werden. Werden Artilleriegeschoße wie die Excalibur verwendet, erhöht sich die Reichweite auf bis zu 54 Kilometer. Später soll die RCH 155 ganz autonom und ohne Besatzung eingesetzt werden können.
Modulare Munition
An Munition werden 30 bezünderte Geschoße sowie 144 modulare Treibladungen mitgeführt. Je nach gewünschter Reichweite werden mehr oder weniger Treibladungen eingesetzt. Diese modernen Artillerieladungen ersetzen die herkömmlichen Taschen mit Treibladungen, wie sie etwa bei der M109 eingesetzt werden. Geladen wird die Waffe automatisch. Damit kann die RCH 155 mit einer Mannschaft von zwei Personen betrieben werden. Zum Vergleich: Die Panzerhaubitze 2000 ist auf eine Besatzung aus fünf Personen angewiesen, bei der M109 sind es sechs.
Hergestellt wird das System vom deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS. Die Ukraine ist das erste Land, das über das neue System verfügt. Die Ukraine soll 54 RCH 155 erhalten, genug für drei Artilleriebataillone. Eine kleine Zahl an Fahrzeugen verbleibt vorerst aber zur Mannschaftsausbildung in Deutschland.
Schießen und abhauen
Das Boxer-Chassis erreicht auf der Straße eine Geschwindigkeit von über 100 km/h, was die Haubitze ideal für sogenanntes "shoot and scoot" (dt. etwa "schießen und abhauen") macht. Nach der Schussabgabe kann das Fahrzeug sofort die Position wechseln, sofern nicht ohnehin aus der Bewegung geschossen wird. Das macht ein modernes computerunterstütztes Stabilisierungssystem möglich. Es überwacht ständig die Bewegung und die Position des Rohrs und gleicht Schwankungen durch das Gelände oder Vibrationen aus. Damit kann das Geschütz immer aufs Ziel gerichtet bleiben. Die Schussabgabe erfolgt zum richtigen Zeitpunkt automatisch. Die Zünder der Geschoße werden per Induktion direkt am Rohr der Waffe programmiert.

Eine Panzerhaubitze 2000 der ukrainischen Streitkräfte beim Feuern. Die 155-mm-Hauptwaffe kommt auch bei der RCH 155 zum Einsatz.
REUTERS/Viacheslav Ratynskyi
Die neue Panzerhaubitze kann auch mehrere Geschoße so abfeuern, dass sie nahezu zeitgleich im Ziel einschlagen. Multiple Rounds Simultaneous Impacts (MRSI) nennt sich diese Technik. Dabei werden Geschoße in unterschiedlichen Winkeln mit unterschiedlichen Treibladungen abgefeuert. Das soll dem Gegner die Ausweichmöglichkeit nehmen.
Im Notfall ein Panzerjäger
Diese Automatisierung hat den Vorteil, dass die Mannschaft nur noch sicherstellen muss, dass freie Schussbahn herrscht. Außerdem werden so Kapazitäten frei, um besser auf das umliegende Gelände und nahe Bedrohungen achten zu können.
Sollte doch eine Bedrohung im Nahbereich auftauchen, verfügt die RCH 155 über eine für ein solches Waffensystem eher ungewöhnliche Hunter-Killer-Eigenschaft für direktes Richten. Das heißt: Die Haubitze kann auch Ziele im Nahbereich bekämpfen, indem die Waffe nicht im Steilfeuer zum Einsatz kommt, sondern direkt auf eine Bedrohung feuert. Im "Panzerjäger-Modus" kann der Kommandeur ein Ziel auswählen, das vom 155-mm-Hauptgeschütz automatisch bekämpft wird.
Auch Deutschland hat bereits 80 Stück der RCH 155, und auch Großbritannien möchte die alten AS90-Haubitzen durch das deutsche Waffensystem ersetzen. Ebenso hat die Schweiz Interesse bekundet, wobei sie das Geschütz nicht auf die Boxer-Plattform setzt, sondern die Eigenproduktion Mowag Piranha IV zum Einsatz kommen soll.
Die ersten RCH 155 für die Ukraine bleiben vorerst in Deutschland, wie das Verteidigungsministerium bekanntgab. An ihnen werden ukrainische Soldaten ausgebildet. Wann die RCH 155 tatsächlich an der Front eintreffen wird, ist noch unklar. Laut The War Zone könnte dies aber bereits im April 2025 geschehen.
(Peter Zellinger, 25.1.2025)