Krieg in Europa: Angriff Russlands auf die Ukraine

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#22
KATASTROPHE FÜR ZIVILBEVÖLKERUNG
Städten fehlen Strom, Wasser, Medikamente
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Die humanitäre Lage in der Ukraine hat sich weiter verschlechtert: Vor allem Städte im Süden des Landes kämpfen zunehmend mit der Versorgung. Neben der Hafenstadt Mariupol, in der es nach Angaben der Stadt weiter weder Strom und Gas noch Wasser gibt, ist auch die Lage in Städten wie Odessa und Cherson enorm angespannt. Die medizinische Versorgung ist laut Hilfsorganisationen stark eingeschränkt.
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„Es gibt keine Straße ohne kaputte Fenster, zerstörte Wohnungen oder Häuser“, so der Stadtrat von Mariupol. Die Stadt sei ohne Strom, Wasser und Gas. 200.000 Menschen warten nach Angaben des Roten Kreuzes darauf, über verschiedene Routen aus der Stadt zu kommen. Mariupols Bürgermeister Wadym Bojtschenko schrieb, es handle sich um eine humanitäre Katastrophe. Er warf der russischen Armee vor, Lieferungen von Lebensmitteln und Hilfsgütern zu verhindern.

„Die Situation ist apokalyptisch“, sagte zuvor Ewan Watson, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in Genf. Das IKRK stehe bereit, den Abzug jener Menschen zu ermöglichen, die aus der Stadt wollen, sagte Watson. Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurde am Dienstag trotz vereinbarten Waffenstillstands eine Evakuierungsroute aus der Stadt unter Beschuss genommen. Die Stadt liegt an der Kontaktlinie zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee im Verwaltungsbezirk Donezk und gilt damit als strategisch besonders bedeutsam.

Auch Lage in Odessa und Cherson kritisch
Auch in anderen Städten gibt es zahlreiche Berichte über Engpässe bei der Versorgung. Besonders betroffen ist der Süden des Landes: Neben Mariupol berichtete die BBC etwa am Dienstag von Lebensmittelknappheit in Supermärkten in der Stadt Cherson, die eine der ersten Ziele Russlands war. Zwar sei es auf den Straßen ruhig, aber „unsere Supermärkte sind leer“ zitierte die BBC einen Bewohner der Stadt.

AP/Evgeniy Maloletka
Auch die medizinische Versorgung, hier ein Bild vom Freitag in Mariupol, ist teilweise stark beeinträchtigt

Auch in Odessa, das im Süden und nahe der Grenze zu Moldawien liegt, verschlechterte sich die Lage nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) deutlich. Täglich gebe es mehrfach Luftalarm, berichtete die MSF-Krisenkoordinatorin Carla Melki aus der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Es seien dort in den letzten Tagen Explosionen in der Ferne zu hören gewesen, von denen niemand gewusst habe, wodurch sie verursacht wurden. Die meisten Geschäfte seien geschlossen, Treibstoff sei rationiert.

Krankenhäuser nicht auf Krieg vorbereitet
„Jeder bereitet sich auf das Schlimmste vor.“ Die Stadt hat fast eine Million Einwohnerinnen und Einwohner und ist durch ihre Lage strategisch von großer Bedeutung. Die medizinische Versorgung in der Stadt mit großen und modernen Krankenhäusern sei an sich gut. Allerdings seien diese nicht auf die Aufnahme unzähliger Verletzter durch Gefechte bzw. die Behandlung kriegstypischer Verletzungen vorbereitet.

Einige Medikamente würden in der Stadt bereits knapp, die zentrale Versorgung des Landes sei durch den Krieg nicht mehr gewährleistet. MSF lieferte medizinische Bedarfsgüter via Rumänien und hilft den Krankenhäusern, sich vorzubereiten. Wie viel Zeit dafür – und bis zu einem möglichen Angriff – bleibt, wisse aktuell niemand.

WHO warnt vor Angriffen auf medizinische Einrichtungen
Die medizinische Versorgung sieht unterdessen auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich gefährdet – die besseren Schutz für Krankenhäuser fordert. „Es versteht sich von selbst, dass Gesundheitspersonal, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen niemals zu einem Ziel werden dürfen, auch nicht während Krisen und Konflikten“, sagte Regionaldirektor Hans Kluge am Dienstag in Kopenhagen. Bisher wurden laut WHO 16 Berichte über Angriffe auf das Gesundheitswesen bestätigt.



Innerhalb der Ukraine sehe man ein Gesundheitssystem unter starkem Druck. Für die WHO gebe es drei Prioritäten: Zum einen arbeite man daran, Güter wie Sauerstoff, Insulin und Schutzausrüstung ins Land zu bringen. Zum anderen gehe es darum, die Gesundheitsinfrastruktur in den Nachbarstaaten sicherzustellen. Ein dritter Fokus liege darauf, mit Hilfe eines WHO-Einsatzzentrums in Lwiw Unterstützung zu leisten.
Auch die UNO schlug in der Nacht auf Dienstag erneut Alarm: Zivilistinnen und Zivilisten in Städten wie Mariupol, Charkiw, Melitopol und in anderen Orten warteten verzweifelt auf Hilfe und seien insbesondere auf „lebenswichtige medizinische Versorgung“ angewiesen, so der UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths. Es seien „sichere Korridore nötig, um humanitäre Hilfe in die umkämpften Gebiete“ in der Ukraine zu bringen, so Griffiths.

Humanitäre Katastrophe im ganzen Land
Doch nicht nur im Süden des Landes gibt es Berichte über Engpässe und dramatische Situationen für die Zivilbevölkerung. Sumy im Nordosten des Landes wird seit mehreren Tagen von Russland angegriffen. Im britischen „Guardian“ berichteten internationale Studenten, dass sie in einem Wohnheim festsitzen. Lebensmittel würden knapp, auch Wasser sei nicht immer verfügbar, weshalb stattdessen manche Eis aufkochen, schreibt der „Guardian“.

Auch in Butscha vor den Toren Kiews versuchten die Menschen verzweifelt, die Stadt zu verlassen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Eine Bewohnerin sagte, die Stadt stehe kurz vor einer „humanitären Katastrophe“: „Es gibt kein Gas mehr, kein Wasser, keinen Strom, und auch die Lebensmittel gehen aus.“

AP/Efrem Lukatsky
Viele wollen das Land verlassen – hier Menschen nach der Evakuierung eines Kinderspitals in Kiew

Schon am Wochenende bezeichnete die UNO die humanitäre Lage als katastrophal. „Die Lage für die Menschen in der Ukraine hat sich durch die erbitterten Kämpfe dramatisch zugespitzt“, sagte Martin Frick, Direktor des UNO-Welternährungsprogramms in Deutschland, am Wochenende. Die Menschen harren in Kellern aus und könnten nur unter größter Gefahr Besorgungen machen. „Gerade aus Kiew und Charkiw erreichen uns Berichte, dass Nahrungsmittel ausgehen und Trinkwasser knapp wird“, sagte Frick. Das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) baue seine Präsenz in der ganzen Region aus, „aber es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“.

Wetter könnte Lage weiter verschärfen
Wie die BBC berichtet, könnte auch das Wetter zu einer weiteren Verschärfung der Lage führen. Schon in den vergangenen Tagen gab es Schneefall, laut der BBC werde es im Laufe der Woche noch kälter werden. Dann gebe es gefühlte Temperaturen von bis zu minus 20 Grad, berichtete der britische Sender. Vor allem für vertriebene Menschen und Menschen ohne Dach über dem Kopf, aber auch Personen, die von Strom und Gas abgeschnitten seien, könnte sich die Situation verschlechtern, so die BBC weiter.
09.03.2022, red, ORF.at/Agenturen

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Katastrophe für Zivilbevölkerung: Städten fehlen Strom, Wasser, Medikamente
 

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#23
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Zweifel an militärischer Stärke Russlands
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Dass der russische Einmarsch in die Ukraine nicht so läuft, wie sich das der Kreml vorgestellt hat, war schon nach den ersten Tagen klar. Die zunächst nur leichten Zweifel an der Stärke der russischen Armee mehren sich – auch bei renommierten Militärexperten. Nicht nur, dass sich die Ukraine als wehrhafter erweist als gedacht: Vor allem bei der Logistik hat Russland große Probleme. Für die Ukraine sind das aber nicht nur positive Nachrichten.
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Dass im russischen Angriffskrieg vieles nicht nach dem Plan von Russlands Präsident Wladimir Putin läuft, lässt sich nicht nur in militärischen Einschätzungen ablesen. Dass Russland nie da gewesene Zensurmaßnahmen mit Haftstrafen für Journalistinnen und Journalisten verhängt, die letzten kritischen Medien schließt und internationale soziale Netzwerke unzugänglich macht, sind Indizien dafür. Wenn man objektiv über russische Erfolge berichten könnte, wäre das nicht notwendig.

Auch dass ein wenig Fahrt in die Diplomatie gekommen ist – etwa mit einem geplanten Treffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Gegenüber Dmytro Kuleba –, wäre noch vor ein paar Tagen unwahrscheinlich gewesen.
Welche Bedeutung den russischen Schwächen zugemessen wird, ist aber eine andere Frage. Gerade im Westen und freilich in der Ukraine selbst mag der Wunsch Vater des Gedankens sein, wenn die Analysen für die russische Armee besonders verheerend ausfallen. Dass sie rein in Zahlen jener der Ukraine weiterhin haushoch überlegen ist, bleibt unbestritten.

Hunderte Panzerfahrzeuge zerstört
Klar ist dennoch, dass die russischen Verluste enorm sind: Das Blog Oryx, hinter dem ein niederländischer Militäranalyst steht, versucht auf Basis von Fotos und Videos, die auf Social Media geteilt werden, den Verlust an Kriegsmaterial zu beziffern. Laut Oryx verlor Russland bisher (Stand Mittwochfrüh) 151 Kampfpanzer, fast ebenso viele Schützenpanzer und beinahe 150 weitere gepanzerte Fahrzeuge wie Truppentransporter.
Neben diversen Waffensystemen verlor Russland laut den Angaben auch je elf Militärflugzeuge und Hubschrauber – und 300 sonstige Fahrzeuge wie Last- und Geländewagen. Oryx zählt nur durch Bilder und Recherchen bereits belegte Verluste und räumt ein, dass diese weit höher sein könnten. Das ukrainische Militär nennt viel höhere Zahlen inklusive rund 12.000 gefallener russischer Soldaten. Belege für diese Zahlen gibt es aber nicht.
Reuters/Irina Rybakova/Press Service Of The Ukrainian Ground Forces
Zerstörtes russisches Militärgerät

„Potemkinsches Militär“
Manche Experten zeigen sich auch verwundert über den zum Teil schlechten militärischen Ausrüstungsstand der Russen. Von bei Paraden präsentierten Hightech-Waffen sei noch recht wenig zu sehen gewesen. Andrej Kosyrew, russischer Außenminister unter Boris Jelzin von 1990 bis 1996, spricht auf Twitter von einem „potemkinschen Militär“ der Russen. Denn ein Gutteil der Gelder für die militärische Ausrüstung der vergangenen 20 Jahre sei veruntreut worden und in „Megajachten auf Zypern“ geflossen, wie er es bildlich ausdrückt. Nur das habe sich niemand an den Kreml zu melden getraut.

Insofern habe Putin eine völlig falsche Einschätzung der Schlagkraft seines Heeres gehabt. Zudem habe er die Ukraine grob falsch eingeschätzt und sei auch der falschen Annahme aufgesessen, der Westen sei schwach und zerstritten. Alle drei Annahmen seien für die jetzige Situation verantwortlich. Allerdings galt Kosyrew schon in seinen Zeiten als Minister als proamerikanisch, mittlerweile lebt er in den USA. Inwieweit er noch Einblicke in die aktuelle Situation in Russland hat und objektiv analysiert, ist unklar. Dennoch: Ex-Oligarch und Kreml-Gegner Michail Chodorkowski kam in einem ZIB2-Interview zu ähnlichen Einschätzungen.



Wirbel um angebliches russisches Geheimdienstdokument
Für noch mehr Wirbel hatte am Wochenende eine für Russland vernichtende militär– und politstrategische Einschätzung gesorgt, die zuerst in sozialen Netzwerken die Runde machte. Das Brisante daran: Sie soll aus dem russischen Geheimdienst FSB stammen. Das ist zwar keineswegs bewiesen, aber Experten wie Christo Grozev von der Investigativplattform Bellingcat vermuten, dass das Dokument – im Gegensatz zu vielen anderen, die in sozialen Netzwerken kursieren – authentisch ist.

Auf der russischen Seite herrsche völliges Chaos, weil man auf die Lage nicht im Geringsten vorbereitet gewesen sei. Die Logistik funktioniere nicht, und Russland habe sogar zu wichtigen Divisionen den Kontakt verloren. Auch wie hoch die Verluste sind, wisse niemand.

Probleme auch in Syrien und Tschetschenien?
Eine Verstärkung der Truppen sei logistisch jetzt schon schwierig und würde angesichts der Größe der Ukraine und des Widerstandes dort nichts bringen. Eine Generalmobilmachung in Russland würde das Land politisch, ökonomisch und sozial explodieren lassen. Dazu kämen Probleme auch anderswo, etwa in Syrien, wo man noch immer militärisch aktiv ist.

Und Ramsan Kadyrow, der autokratische Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, ist laut dem Dokument schwer verärgert, nachdem eine seiner Spezialeinheiten bereits an den ersten Kriegstagen nahe Kiew von ukrainischen Streitkräften geschlagen wurde. Gerüchte gingen um, die Ukraine habe aus russischen Quellen, vielleicht sogar aus dem FSB, von der Aktion erfahren und sei deshalb erfolgreich gewesen.

Marionette für Regierung gesucht
Natürlich kann das Dokument eine Fälschung und Teil des Informationskrieges sein. Interessant dabei ist aber, dass es auch politstrategische Fragen aufwirft, die sich tatsächlich stellen: So ist offen, wen Putin als Statthalter in der Ukraine einsetzen will, sollte die Regierung tatsächlich kapitulieren oder abgesetzt werden. Viktor Medwedtschuk, der wohl wichtigste prorussische Politiker der vergangenen Jahre, ist laut dem Paper untergetaucht.
Andere Kandidaten kämen nicht infrage oder hätten abgewunken. Erwähnt wird dann noch der 2014 abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch, dem Russland nach dem Sturz Asyl gewährte. Zuletzt hieß es bereits, er sei in Minsk, um wieder in Stellung gebracht zu werden. In einer demokratischen Ukraine würden 13 Jahre Haft wegen Landesverrats und mehrere weitere offene Prozesse auf ihn warten.

In dem Paper heißt es aber auch, eine ukrainische Regierung von Russlands Gnaden würde wohl „zehn Minuten, nachdem wir weg sind“, gestürzt. Und für eine dauerhafte Besetzung brauchte es 500.000 Mann – Nachschub und Logistik noch nicht mitgerechnet.

Logistik als Achillesferse
Und genau die Logistik ist es, die jetzt bereits die Achillesferse der russischen Truppen zu sein scheint. Für viele Experten ist das auch nicht überraschend, weil das ein traditionelles Problem der russischen Armee sei, das sich schon im Krieg in Afghanistan gezeigt hat. Russland setze auf schwere Artillerie, heißt es etwa in einem Artikel im Fachmagazin „War on the Rocks“ aus dem Vorjahr.
Allein für diese Artillerie und die notwendige Munition brauche es viele Transporter. Und diese seien in der russischen Armee knapp. Umso weniger Fahrzeuge würden dann oft für den Transport von Ersatzteilen, Wasser, Nahrung und vor allem Treibstoff vorhanden sein. Weil sie den Nachschub von Stützpunkten aufrechterhalten muss, komme die Armee auch recht langsam voran.

Russische Armee braucht Schienen
Darauf verweist auch Phillips Payson O’Brien, Professor für Militärstrategie an der schottischen Universität St. Andrews, auf Twitter. Die ukrainische Armee habe es bisher geschafft, diese logistischen Probleme zu nutzen und sich bei Angriffen auf Tanklaster zu konzentrieren. Das stellte auch der britische Militärgeheimdienst in einer Lageanalyse zuletzt fest.

O’Brien verweist auch auf eine Bloomberg-Analyse, die die Bedeutung der Eisenbahn in der russischen Armee hervorstreicht – und diese könnte auch in der Ukraine schlagend werden, wo bereits Züge für Nachschub und Truppenbewegungen genutzt werden. O’Brien führt aber hier Amateurvideos ins Treffen, die zeigen, dass auf diesen Zügen auch sehr viele konventionelle und nicht militärische Fahrzeuge zu sehen sind. Wenn die russische Armee jetzt schon auf diese zurückgreifen müsse, würde das die logistischen Probleme noch verschärfen, weil diese Fahrzeuge auf gute Straßen angewiesen seien, schreibt er. Mit den Straßen hätten aber selbst Militärfahrzeuge offenbar schon jetzt Probleme.

APA/AFP
Russisches Militärfahrzeug auf einem Zugwaggon

Probleme auch bei kilometerlangem Konvoi?
Auch bei dem Dutzende Kilometer langen Militärkonvoi, der seit einer Woche nordwestlich von Kiew stillsteht, vermutet O’Brien schwere logistische Probleme – obwohl dieser aus russischer Sicht eher die Lösung dafür sein sollte.

Möglicherweise sei die unerwartet geringe Rolle, die die russische Luftwaffe im Krieg bisher spielt, auch logistischen Problemen geschuldet, mutmaßt O’Brien und vermutet Nachschubprobleme bei präzisionsgelenkter Munition. Damit müssten russische Kampfflugzeuge „altmodische Bomben“ abwerfen – für mehr Genauigkeit bei geringerer Flughöhe, was sie wiederum leichter zur Beute der – überraschenderweise noch teilweise aktiven – Luftabwehr der ukrainischen Armee mache.

Reuters/Maxar Technologies
Der Konvoi nordwestlich von Kiew steht seit Tagen still

Waffenlieferungen kommen in Ukraine an
Viel weniger organisatorische Probleme gibt es offenbar, die Ukraine mit Waffen zu versorgen. Alleine aus den USA kamen laut „New York Times“ binnen weniger Tage 17.000 Panzerabwehrwaffen in der Ukraine an. Auch andere Länder machten ihre versprochenen Waffenlieferungen innerhalb kürzester Zeit wahr und schafften es, das Kriegsgerät auf unbemerktem Weg ins Land zu bringen.

Auch mit diesen und andern Waffen wird sich die Ukraine gegen die russische Übermacht stemmen. Sie konnte die gewonnene Zeit durch die russischen Probleme aber nicht nur zur Aufstockung des Waffenarsenals nutzen, sondern insbesondere auch weitere Vorkehrungen für die erwartete Offensive auf Kiew treffen.

Schwache Moral?
„Der Einsatz der Streitkräfte ist völlig irrational“, sagte Michael Kofman, Leiter der Russland-Studien bei CNA, einem Forschungsinstitut für Verteidigungsfragen, der „New York Times“. „Die Vorbereitungen auf einen echten Krieg sind nahezu inexistent, und die Moral ist unglaublich schwach, weil den Truppen offensichtlich nicht gesagt wurde, dass sie in diesen Kampf geschickt werden.“

Über die Moral der russischen Truppen wurde bereits viel gemutmaßt, valide Aussagen lassen sich darüber kaum treffen. Fest steht, dass jene der ukrainischen Armee – mit einem klaren Ziel, mit dem sich jeder Kämpfer identifiziert – weit höher ist.

Putin sagte zuletzt, dass in der Ukraine nur Berufssoldaten kämpfen würden. Möglicherweise reagierte er damit auch auf in Netzwerken kursierende Bilder von gefangenen genommenen extrem jungen russischen Soldaten. Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowitsch forderte das Militär zwar auf, die Veröffentlichung solcher Bilder und Videos einzustellen – doch gleichzeitig kennt man wohl auch die Wirkung solcher Aufnahmen in einem Krieg.
Schmutziger Krieg – und eine Frage der Zeit
Doch nun wird ein Kampf auch gegen die Zeit erwartet, wie etwa auch in einer BBC-Analyse zur möglichen Weiterentwicklung des Krieges festgehalten wird: Russland reagiert auf den heftigen Widerstand, das sah man zuletzt schon, mit immer weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Nimmt man die Beispiele der russischen Angriffe auf Grosny in Tschetschenien und Aleppo in Syrien, dann ist das Schlimmste zu erwarten, wenn Russland mit enormem Blutvergießen versucht, die ukrainische Regierung in die Knie zu zwingen. Umgekehrt hätten, so viele Experten unisono, die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dass Menschenleben, auch in den eigenen Reihen, bei militärischen Entscheidungen Moskaus eine untergeordnete Rolle spielen.

Umgekehrt muss die Regierung in der Ukraine darauf hoffen, dass die schweren militärischen Verluste, sich vielleicht weiter zuspitzende Logistikprobleme und die Sanktionen gegen Moskau auch in Russland Wirkung zeigen, sei es bei der Bevölkerung, sei es innerhalb des russischen Machtzirkels – in der Hoffnung, dass der Druck auf den Kreml erhöht wird. Aus humanitärer Sicht sind die Perspektiven düster: Bis es – im besten Fall – zu Verhandlungen kommt, werden wohl ein hoher Blutzoll und unendliches Leid in der Ukraine zu beklagen sein.
09.03.2022, Christian Körber, ORF.at

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Zeichen mehren sich: Zweifel an militärischer Stärke Russlands
 

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#24
BEVÖLKERUNG TROTZT RUSSICHER ARMEE
Friedliche Proteste als Problem für Besatzer
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So unklar die Lage angesichts von unüberprüfbaren Angaben der beiden Kriegsparteien ist – eines ist wohl klar: Russland hat nicht mit einem derart ausdauernden militärischen und politischen Widerstand der Ukraine gerechnet. Dazu kommt der Widerstand der Zivilbevölkerung in jenen Städten, die die russische Armee bisher erobert hat.
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Die friedlichen Proteste, bei denen sich Menschen teils einzeln Panzern entgegenstellen, sind für Russland auf der symbolischen Ebene verheerend. Die Bilder von Demos etwa in Cherson, Melitopol und Berdjansk zeigen oft Hunderte Menschen, die vor russischen Panzern ukrainische Fahnen schwingen und die Nationalhymne singen. Videos von den Protesten machen seit Tagen die Runde in sozialen Netzwerken.

Vor allem im Süden des Landes leisten die Menschen friedlich Widerstand. Sie demonstrieren in zahlreichen Städten und auch kleineren Orten gegen die Besatzer.

Appelle von Selenski
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski rief die Bevölkerung wiederholt zu Protesten und Widerstand auf. „Alle die können, müssen ihre Stadt verteidigen. Müssen. Denn wenn alle flüchten, wessen Stadt wird es sein?“
Es kursieren auch einige Videos, in denen noch funktionierende Panzer und andere Fahrzeuge der russischen Invasoren von Ukrainern mit Traktoren abgeschleppt und weggebracht werden. Außerdem wurden in vielen Teilen des Landes auch Verkehrsschilder abmontiert, um vorrückenden russischen Truppen die Orientierung zu erschweren.


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Filmemacherinnen dokumentieren den Krieg


Dokumentation als Widerstand
Außerdem gibt es viele Initiativen, die versuchen, mutmaßliche russische Kriegsverbrechen in der Ukraine zu erfassen, zu sammeln und zu dokumentieren. Der Internationale Strafgerichtshof hat bekanntlich bereits Ermittlungen gestartet. So haben sich etwa auch Filmemacherinnen und Filmemacher in der Ukraine organisiert, um den Krieg zu dokumentieren. Die proukrainische Website Euromaidanpress.com wiederum sammelt Videos von Protesten der Zivilbevölkerung.

Russische Truppen – noch – zurückhaltend
Bisher verhalten sich die russischen Truppen großteils zurückhaltend. Nur vereinzelt wurde bisher von Schüssen auf Protestierende berichtet. Unklar ist, ob diese Zurückhaltung von oben vorgegeben ist oder ob die Soldaten aus eigenem Antrieb oder Skrupel nicht auf Zivilisten schießen.
Die meisten Fachleute im Westen befürchten freilich, dass Russland seine Angriffe auf zivile Ziele – bisher durch Artilleriebeschuss aus der Distanz, nicht im Nahkampf – noch deutlich verstärken wird. Bereits in den letzten Tagen wurden in mehreren Städten, insbesondere Charkiw, Mariupol und Irpin bei Kiew, gezielt Wohngebäude und – laut WHO – auch mindestens 18 medizinische Einrichtungen beschossen. Ziel ist es offenbar, die Zivilbevölkerung zu demoralisieren und möglichst viele in die Flucht zu treiben.
Reuters
Zivilisten stellen sich russischen Soldaten entgegen

Grosny als doppelte Warnung
Als Extrembeispiel dieser Taktik gilt das russische Vorgehen in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Der brutale Militäreinsatz dort im zweiten Tschetschenien-Krieg, den Wladimir Putin als Ministerpräsident anfing und der ihm die Macht als Präsident sicherte, richtete sich in weiten Teilen direkt gegen die Zivilbevölkerung. Grosny wurde völlig zerbombt, um den Widerstand zu brechen.

Die eigentliche militärische Phase des Krieges dauerte vom 1. Oktober 1999 bis zum Frühjahr 2000. Der weitere Verlauf des Tschetschenien-Krieges freilich dürfte Putin auch als warnendes Beispiel dienen für das, was ihm in der Ukraine drohen könnte. Denn den Krieg in Tschetschenien konnte Putin erst neun Jahre später für beendet erklären: Die tschetschenischen Rebellen gingen in den Untergrund und verlegten sich auf eine Guerillataktik mit überfallsartigen Angriffen und Anschlägen in Gruppen von maximal 50 Mann. Erstmals traten in dem Krieg Frauen als Selbstmordattentäterinnen in Erscheinung.

Die Ukraine zu erobern dürfte, so die weitgehend übereinstimmende Einschätzung von Fachleuten, für Russland angesichts der militärischen Überlegenheit längerfristig kein Problem sein. Aber die eroberten Gebiete auch zu halten würde ungleich schwieriger werden. Auch dafür ist der sich formierende friedliche zivile Ungehorsam wohl ein warnendes Signal.
11.03.2022, guti, ORF.at/Agenturen

Bevölkerung trotzt russicher Armee: Friedliche Proteste als Problem für Besatzer
 

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#25
Einseitige, zensurierte Information der russischen Bevölkerung:

RUSSLAND HINTER PUTIN
Propaganda, Trauma und Konformismus
Laut einer aktuellen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Lewada unterstützen zwei Drittel der Russinnen und Russen die aktuelle Politik von Präsident Wladimir Putin und die „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine. Nur so darf laut russischer Militärzensur das genannt werden, was in der ganzen Welt als „Krieg“ bezeichnet wird. Doch diese schockierend wirkende Umfrage müsse erklärt und eingeordnet werden, um sie richtig zu verstehen, betont ihr Autor Lew Gudkow im ORF-Interview.
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Der 75-jährige Soziologe war bis vor Kurzem langjähriger Leiter des einzigen vom Staat unabhängigen Meinungsforschungsinstituts in Russland, jetzt arbeitet er als wissenschaftlicher Leiter bei Lewada. Beim Gespräch in seinem Moskauer Büro in unmittelbarer Nähe des Kreml wählt er bedächtig seine Worte: „Die nackten Zahlen, nämlich dass zwei Drittel der Russen Putins Ukraine-Kurs unterstützen, der hier scheinheilig ‚Spezialoperation‘ genannt werden muss, während nur rund ein Viertel diesen vehement ablehnt, sagen für sich allein genommen wenig aus.“

Denn diese Haltung hänge vor allem von den Informationsquellen ab, die die Befragten benützen. Die Gegner des Krieges in der Ukraine würden sich in sozialen Netzwerken und unterschiedlichen, vor allem unabhängigen Nachrichtenquellen im Internet ein Bild von den Ereignissen machen. „Diese Menschen befinden sich in einem Zustand des Schocks, der Scham und der Depression“, sagt Gudkow.

ORF
ORF-Korrespondentin Carola Schneider im Gespräch mit Lew Gudkow

Nur eine Informationsquelle
Ganz anders als jene zwei Drittel der Russen, die den „Militäreinsatz“ in der Ukraine nicht nur befürworten, sondern sogar Stolz auf ihr Land empfinden würden. „Es sind vor allem jene Bevölkerungsschichten, die ihre Informationen aus den staatlich kontrollierten Fernsehkanälen beziehen. Das sind vor allem ältere Menschen, vom Staat abhängige Berufsgruppen und die Bevölkerung der sozialen Peripherie, also in kleinen Städten und Dörfern der russischen Provinz“, sagt der Soziologe. Was sie im Staatsfernsehen zu hören bekommen, nennt Gudkow eine „aggressive Lügenpropaganda“, die seit Langem existiere und durch die jüngsten scharfen Zensurgesetze noch verstärkt werde.

Propaganda mit Tradition
Seit mehr als zehn Jahren manipuliere diese Propaganda die öffentliche Meinung in Russland. So werde die Maidan-Revolution in Kiew im Jahr 2014 als ein von den USA gesteuerter Staatsumsturz dargestellt, der Nazis und Faschisten in die ukrainische Regierung gespült habe, die die russischsprachige Bevölkerung im Osten und im Süden des Landes bedrohen würden. Russland seinerseits werde als Retter dargestellt, der sein Brudervolk vom Joch der Kiewer Nazi-Regierung befreie. Daher werde der russische Militäreinsatz gegen das Nachbarland von viele Russen als Kampf für die „richtige Sache“ angesehen, so Gudkow.

Der Begriff „Nazis“ wurde laut dem Soziologen von der russischen Propaganda nicht zufällig gewählt, denn kaum ein anderes historisches Ereignis hat das kollektive Gedächtnis so schmerzlich geprägt wie der opferreiche Kampf und Sieg der Sowjetunion gegen Hitler-Deutschland. „Die Propaganda in den staatlichen Fernsehkanälen verwendet die Sprache des Kampfes gegen den Faschismus aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. So wird jegliches Mitgefühl und jegliche Sympathie der russischen Gesellschaft für die Ukrainer zerstört“, meint er.

Feindbild „Westen“
Doch nicht nur die angeblichen „Nazis“ in der Ukraine werden von der staatlich kontrollierten Medienpropaganda seit Jahren als Feindbild aufgebaut. Auch der Westen wird als feindselig, hinterhältig und als Gefahr für Russland dargestellt. Diese Manipulation der öffentlichen Meinung dauere schon so viele Jahre, dass das Feindbild „Westen“ im Hinblick auf den aktuellen Konflikt Russlands mit der NATO, den USA und Europa ganz automatisch abgerufen werden könne, sagt Gudkow. Das erkläre auch, warum viele Russen der Konflikt mit der Ukraine mit dem „gerechten“ Widerstand gegen den feindlichen Westen gleichsetzten – einem Westen, der die Großmacht Russland kleinhalten wolle, kränke und demütige.

Trauma und unerfüllte Wünsche
Doch warum verfängt diese auch von Putin persönlich immer wieder vorwurfsvoll erhobene Kritik am Westen in der russischen Bevölkerung? Trifft die Propaganda auf einen wunden Punkt in der russischen Gesellschaft? Der Soziologe bejaht: „Die Bevölkerung leidet noch immer am Trauma des Zerfalls der Sowjetunion und an einem kollektiven Minderwertigkeitskomplex eines Landes, das es nicht geschafft hat, demokratische Reformen durchzuführen.“

Den Russen sei schmerzlich bewusst, dass ihr Traum, in einem „normalen“ Land zu leben, unerfüllt geblieben ist. Wobei der Begriff „normales Land“ für die Russen nichts anders bedeute als ein Land mit demokratischen Regeln, sozialer Sicherheit und wirtschaftlichem Wohlstand – kurzum mit westlichem Lebensstandard.

„Die Russen träumen weder von China noch von einem anderen asiatischen Land, sondern von Europa oder den USA. Eine andere ideale Vorstellung einer erstrebenswerten gesellschaftlichen Ordnung gibt es im Bewusstsein der russischen Bevölkerung nicht“, betont Gudkow. Dieser bisher unerfüllte Wunsch und die damit verbundenen Komplexgefühle würden in eine stark antiwestliche Haltung umschlagen, die den idealen Boden für die Feindbilder der Staatspropaganda bilde.

„Stimmung könnte umschlagen“
Trotzdem, so schränkt der Soziologe ein, dürfe man die zwei Drittel Russen, die Putins derzeitigen Kurs unterstützen, nicht pauschal als Befürworter der Kämpfe gegen das Nachbarland bezeichnen. Zum einen erfahre das Publikum der Propagandasender nicht die Wahrheit über die Ereignisse. Zum anderen habe das repressive politische Regime in Russland aus vielen Bürgern längst Konformisten gemacht, die einfach keine Probleme mit dem Staat wollten und schon allein deswegen dessen Politik unterstützen.

Bereits in den nächsten Monaten könnte die Stimmung in der russischen Gesellschaft umschlagen, erwartet der Soziologe. Wenn die Kampfhandlungen in der Ukraine noch länger andauern und viele russische Soldaten umkommen würden, würden sogar die loyalsten Anhänger von Präsident Putin umdenken. Dazu kämen die Auswirkungen der Sanktionen des Westens, die in Russland zu einer Wirtschaftskatastrophe führen würden.

„Wenn Lebensmittel ausgehen, die Preise explodieren und die Arbeitslosigkeit steigt, werden die Menschen nach den Gründen dafür suchen und etwas dagegen unternehmen wollen. Doch dieser Denkprozess wird durch Zensur, Polizeigewalt, Strafen und Verhaftungen gebremst werden“, sagt Gudkow.

„Russland stehen leider dramatische Ereignisse bevor“
Schon heute drohen allen, die sich gegen die „Militäroperation“ in der Ukraine aussprechen oder auch nur zum Frieden aufrufen, laut den neuen Zensurgesetzen bis zu 15 Jahre Haft. Mehr als 14.000 Menschen wurden laut Angaben von Bürgerrechtlern in den vergangenen Wochen bei Protestaktionen festgenommen. Gefahr droht auch dann, wenn solche Friedensappelle nicht bei Demonstrationen geäußert werden, sondern lediglich in einem Posting in sozialen Netzwerken. Wer in den letzten Wochen auf Facebook Petitionen für Frieden unterzeichnet hat, bekommt nun Hausbesuch von der Polizei.

Zum Schluss des Gesprächs wagt Gudkow einen Blick in die Zukunft Russlands. Der Lebensstandard der Menschen werde aufgrund der internationalen Isolation drastisch sinken, und längerfristig würden soziale Unruhen drohen, befürchtet er. Gudkow schließt ein Szenario wie beim Zerfall der Sowjetunion 1991 nicht aus. Wann konkret es so weit sein werde und mit welchen Mitteln die Russen dann das politische System verändern wollten, sei nicht vorhersehbar. In einem nur ist sich Gudkow schon heute sicher: „Russland stehen leider dramatische Ereignisse bevor.“
19.03.2022, Carola Schneider, für ORF.at, aus Moskau

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Russland hinter Putin: Propaganda, Trauma und Konformismus
 

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KRIEGSVERLAUF
Russische Bomben, ukrainische Nadelstiche
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Mit unverminderter Härte setzt Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine den Beschuss von Städten wie Mariupol, Charkiv und Kiew fort. Noch können die ukrainischen Truppen die Städte verteidigen – und im Gegenzug mit „Nadelstichen“ der russischen Armee schwere Schäden zufügen. Gleich fünf russische Generäle sind seit Kriegsbeginn gefallen.
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Laut international übereinstimmenden Medienberichten wurde am Samstag Generalleutnant Andrej Mordwitschew Kommandant der 8. Armee, getötet. Schon zuvor fielen Witali Gerasimow (44), Stabschef der 41. Armee aus Nowosibirsk, Andrej Suchowetzki (47), Vizechef dieser Armee, Andrej Kolesnikow (45), Chef der 29. Armee aus Chita, und Oleg Mitjajew (48), Chef der 150. Schützendivision der 8. Gardearmee aus Nowotscherkassk.

Dazu kommt wohl auch der tschetschenische General Magomed Tuschajew, der bereits in den ersten Kriegstagen mit einer Spezialtruppe nahe dem Flughafen Hostomel bei Kiew, von ukrainische Kräften gestellt und getötet wurde. Die tschetschenische Führung behauptet allerdings, Tuschajew sei am Leben.

Kommunikationsprobleme und gezielte Angriffe
Die Experten des österreichischen Bundesheeres sehen dafür mehrere Ursachen. „Aufgrund der Aufklärungsunterstützung durch die NATO, speziell durch die USA, kann davon ausgegangen werden, dass die ukrainischen Streitkräfte in der Lage sind, die Hauptquartiere hoher russischer Kommanden immer wieder gezielt anzugreifen“, sagte Oberst Markus Reisner.

„Dies ist in einem Fall dokumentiert“, so der Leiter der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie. „Dazu kommt, dass die russischen Kräfte offensichtlich unter Kommunikationsproblemen leiden. Dies führt dazu, dass sich die Kommandanten mit ihren beweglichen Gefechtsständen nahe an die vordersten Frontlinien bewegen. Hier können sie bei mangelnder Eigensicherung aber Ziel von Scharfschützen werden. Auch dies ist in zumindest einem Fall belegt.“

Zentralistische Kommandostruktur
Die Todesumstände sind oft unklar, schreibt die „Presse“. Ein Scharfschütze soll Suchowetzki getötet haben, Mitjajew soll bei Mariupol in einen Hinterhalt geraten sein, von seinem Körper zirkulieren Bilder. In mindestens einem Fall war Artillerie oder eine Drohne im Einsatz. „Die direkte Präsenz kann allerdings auch andeuten, dass die Truppe angeschlagen ist und eine moralische Stärkung wirklich benötigt“, schreibt die „Presse“. Bei Kriegsbeginn ging man von 20 Generälen der Russen in der Ukraine aus. Die US-Armee verlor in den vergangenen 50 Jahren einen General, das war 2014 in Kabul.

Internationale Militärexperten sehen auch noch einen anderen Grund, der generell das Kriegsgeschehen beeinflusse: Die russische Kommandostruktur sei extrem zentralistisch – und damit auch starr. Die ukrainische Militärführung würde hingegen lokalen Kommandanten mehr Entscheidungsfreiheiten geben – und damit sei man recht erfolgreich.

Kleine Kampftrupps
Die Tugend der ukrainischen Truppen stammt freilich aus einer Not heraus: An Gerätschaft ist man den russischen Truppen weit unterlegen. So müsse man sich einerseits gegen schwere Artilleriebeschüsse auf die Städte und an den Frontlinien stemmen, für Gegenangriffe setzt man aber auf eine Strategie der Nadelstiche: In kleinen Trupps wird mit entsprechenden Waffen, die man zur Verfügung hat, angegriffen – und das recht effektiv. Auch gezielte Schläge gegen Nachschubrouten sorgen laut Experten dafür, dass sich die Frontlinien in den vergangenen Tagen kaum verändert haben, Russland also kaum weiterkommt.

AP/Felipe Dana
Zerstörte russsische Panzer in Brovary

Laut Schätzung 7.000 Russen gefallen
US-Schätzungen gehen laut „New York Times“ davon aus, dass bereits mehr als 7.000 Soldaten aus Russland in der Ukraine getötet wurden. Dabei handle es sich um vorsichtige Schätzungen, andere liegen noch darüber. So sind es ukrainischen Angaben zufolge bisher etwa 14.400 Tote aufseiten Moskaus. Selbst wenn man von der vergleichsweise niedrigeren US-Angabe ausgehe, seien die Zahlen erschreckend, so die „New York Times“. Laut ukrainischen Angaben antwortete Moskau bisher auch nicht auf Anfragen via Rotem Kreuz, die Leichen von russischen Soldaten zu übernehmen.
Getötete Soldaten sind nicht nur militärisch ein Problem. In vergangenen Kriegen hatten trauernde Mütter und Partnerinnen von gefallenen Soldaten in Russland mit ihren Vorwürfen viel Aufsehen erregt – und das bei Kriegen mit weit weniger Toten. Für die Kreml-Propaganda könnte das noch zu einem ernsthaften Problem werden.

Hohe Verluste auch bei Material
Die Zahl der Verwundeten und Gefangenen dürfte nach Erfahrungswerten mindestens viermal so hoch sein. Dann wären mindestens 20.000 Mann ausgefallen, vielleicht sogar 30.000 – von derzeit rund 200.000 russischen Soldaten und Separatisten in dem Land. Die Ukraine verkündete auch, bereits erste Lager für russische Kriegsgefangene zu errichten und sich dabei an internationales humanitäees Recht zu halten.
Das US-Verteidigungsministerium schätzte, dass die russischen Streitkräfte gut zehn Prozent ihrer Kampfkraft eingebüßt hätten. In Geheimdienstkreisen heißt es, dass sie das wegstecken könnten.

Reuters/Maksim Levin
Ausgebrannte russische Militärfahrzeuge in Borodjanka

Nachschub offenbar auf dem Weg
Das Blog Oryx, hinter dem ein niederländischer Militäranalyst steht, versucht auf Basis von Fotos und Videos, die in sozialen Netzwerken geteilt werden, den Verlust an Kriegsmaterial zu beziffern. Laut Oryx verlor Russland bisher (Stand Samstag) insgesamt 1.500 Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Waffensysteme, Transporter und auch Flugzeuge und Helikopter. Auf ukrainischer Seite zählte man knapp 400. Oryx zählt nur durch Bilder und Recherchen bereits belegte Verluste und räumt ein, dass diese weit höher sein könnten.

In sozialen Netzwerken kursieren allerdings bereits Bilder von Militärkonvois in Russland, die wohl als Verstärkung für die kämpfenden Truppen gedacht sind. Und bereits länger wird berichtet, dass das Regime von Baschar al-Assad in Syrien Tausende Soldaten zur Verfügung stellt. Diese sollen vor allem bereits eroberte Gebiete sichern. Noch wurde allerdings keine Truppenverlegung beobachtet.

Kampfmoral der russischen Truppen sinkt
Moskau selbst veröffentlichte Opferzahlen bisher nur zögerlich. Am 2. März gab der Kreml zum ersten und bis dato letzten Mal offizielle Zahlen von Opfern an. Laut russischem Verteidigungsministerium wurden 498 russische Soldaten getötet. Zudem seien 1.597 weitere verletzt worden. Wie die „New York Times“ unter Berufung auf nicht namentlich genannte Beamte schrieb, gehen die geschätzten Zahlen zurück auf Analysen von Medienberichten, Satellitenbildern, Videomaterial sowie Angaben aus Russland und der Ukraine.

Für die Truppen, so hieß es laut „New York Times“ von einem hochrangigen Beamten aus dem Pentagon, könnten die hohen Verluste zum Problem werden. Es gebe Hinweise auf eine nachlassende Kampfmoral. Die Hinweise benannte der Beamte nicht. Als Gründe würden mangelhafte Führung, kaum Informationen über Sinn und Zweck des Einsatzes und der unerwartet heftige Widerstand angenommen. Dabei gehe es allerdings um die Bodentruppen.

Keine Luftüberlegenheit
Das könnte auch eine der Erklärungen sein, warum Russlands Streitmacht außerhalb von Kiew weitgehend ins Stocken geraten ist. Auch nach drei Wochen haben die russischen Invasoren die ukrainische Hauptstadt nicht eingekesselt. Und auch an vielen anderen Orten im Land halten die ukrainischen Streitkräfte der russischen Armee bisher stand. Selbst die Lufthoheit haben die russischen Streitkräfte nach wie vor nicht errungen.


Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW/liveuamap.com

Probleme bei Truppenversorgung
Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste hat Moskau Probleme, die eigenen Truppen mit Lebensmitteln und Benzin zu versorgen. Dass Russland keine Kontrolle über den Luftraum habe und sich kaum über unbefestigtes Gelände bewege, verhindere, dass die russische Armee effektiv mit dem Nötigsten versorgt werden könne, hieß es am Freitag in einem Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums.
Die Gegenangriffe ukrainischer Kräfte zwängen Russland dazu, viele Soldaten dafür einzusetzen, ihre eigenen Versorgungswege zu verteidigen. Das schwäche die russische Kampfkraft deutlich, hieß es. In den vergangenen Tagen hat Russland seine Luftangriffe in der Ukraine zunehmend verschärft. Damit, so hieß es aus dem Pentagon, könnte Russlands Präsident Wladimir Putin versuchen, die schlechte Leistung seines Militärs auf dem Boden auszugleichen.
AP/Marko Djurica
Unzählige Wohnhäuser wurden durch russischen Beschuss zerstört, hier in Kiew

Schwenk auf Plan B
Die ursprünglichen Kriegsziele seien durch die ukrainischen Kräfte rasch unterbunden worden, sagte der Strategieexperte des österreichischen Bundesheeres, Philipp Eder, am Freitag im Ö1-Mittagsjournal. „Die Masse des Landes ist nach wie vor unbestritten nicht in russischer Hand“, so Eder. Die russische Armee sei nach wie vor schlagkräftig, sie müsse nun aber umplanen, „um einen Abnützungskrieg erfolgreich führen zu können“.

Auf dem Gefechtsfeld passiere derzeit sehr viel, und es werde blutig gekämpft. Solange keine Zielsetzung erreicht ist, ist Putin nach Eders Einschätzung auch nicht zu Friedensgesprächen bereit. „Das wird noch ein langer Prozess werden.“

Kiew hält sich bedeckt
Über ukrainische Verluste und Truppenstärken ist viel weniger bekannt ist als über russische. Die ukrainische Armee hatte sich bisher bei Angaben zu Verlusten in den eigenen Reihen bedeckt gehalten und lediglich die Zahl angeblich getöteter russischer Soldaten genannt. Zuletzt gab der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski die Zahl der in den eigenen Reihen getöteten Soldaten mit 1.300 an. Der britische Geheimdienst schätzt die Zahl auf 3.000, andere Schätzungen liegen zwischen 2.000 und 4.000.

Viele zivile Opfer
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf dokumentierte am Freitag den Tod von 816 Zivilpersonen seit dem Einmarsch russischer Truppen. Dem Büro lagen zudem verifizierte Informationen über 1.333 Verletzte vor. Die meisten Opfer seien wegen schweren Artillerie- und Raketenbeschusses zu beklagen gewesen. UNO-Funktionäre gehen aber von einer weit höheren Opferzahl in der Ukraine aus. Hintergrund sei, dass Informationen mit Verzögerung eingingen und viele Berichte noch bestätigt werden müssten.

Reuters/Ukraine State Emergency Service
Reste eines abgeschossenen russischen Kampfjets in Tschernihiw

Nach Angaben aus der Ukraine liegt die Zahl der getöteten Zivilisten deutlich höher. Allein in der belagerten südostukrainischen Hafenstadt Mariupol sind ukrainischen Angaben zufolge bisher weit mehr als 2.000 Zivilisten getötet worden. Angaben des UNO-Nothilfebüros (OCHA) zufolge hätten Hunderttausende Menschen zudem durch Kriegsschäden keinen Zugang mehr zu Strom oder Wasser. Auch die Opferzahlen in kleinen Dörfern sind derzeit kaum abzuschätzen.
19.03.2022, ckör und satt, beide ORF.at/Agenturen

Links:
Kriegsverlauf: Russische Bomben, ukrainische Nadelstiche
 

josef

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#27
UKRAINE-KRIEG
Satellitenanalyse zeigt Zerstörung Mariupols
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Die ukrainische Hafenstadt Mariupol steht seit mehr als zwei Wochen unter starkem Beschuss durch russische Truppen. Vereinzelt schaffen es Bilder und Drohnenvideos aus der belagerten Industriestadt. Eine Karte mit Analysen von Satellitendaten gibt einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Schäden an der zivilen Infrastruktur.
Online seit heute, 16.02 Uhr
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Die Hafen- und Industriestadt Mariupol liegt im ukrainischen Bezirk Donezk, der schon 2014 teilweise von prorussischen Separatisten besetzt wurde. Die russischen Truppen wollen eine Landverbindung zwischen diesen Gebieten und der ebenfalls von ihnen annektierten Halbinsel Krim herstellen.

Mariupol, das vor dem Krieg rund 440.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählte, ist neben Melitopol und Cherson die wichtigste Stadt in diesem besonders stark umkämpften Teil der Ukraine.

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Drohnen und Satelliten
Neben Fotos und Drohnenvideos helfen auch Daten verschiedener Satellitensysteme dabei, die Lage in der eingeschlossenen Stadt zu beurteilen. Die Satellitenflotte des US-Anbieters Maxar Technologies liefert hochauflösende Bilder, die über den Zustand von Gebäuden Aufschluss geben.
Am 9. März 2022 erfasste die Maxar-Konstellation das zerstörte Einkaufszentrum Port City am westlichen Stadtrand von Mariupol. Das Bild wurde gedreht und in OpenStreetMap eingepasst.

Reuters/Maxar/OpenStreetmap/ORF.at

Ein weiteres Beispiel sind die Gebäude an der Ecke Kuprina-/Mytropolytska-Straße, übertragen am 12. März 2022, ebenfalls am westlichen Stadtrand von Mariupol.
Reuters/Maxar/OpenStreetmap/ORF.at

Material der Maxar-Konstellation WorldView-2 mit einer Auflösung von 50 cm (ein Pixel entspricht 50 cm) vom 14. März 2022 verglich die UNO-Agentur UNITAR mit Aufnahmen des östlichen Mariupoler Stadtteils Livobereschni vom 21. Juni 2021 und nahm eine erste Vorabanalyse der Gebäudeschäden durch den russischen Beschuss vor.

Viele Schulen beschossen
Die Analyse konnte mangels Zugang zur Stadt noch nicht durch Material an Ort und Stelle bestätigt werden. Für den ebenfalls stark zerstörten Westteil der Stadt und das Stahlwerk Azovstal liegt die Analyse noch nicht vor.

UNITAR schreibt, dass bis zum 14. März 433 von 9.279 Gebäuden sichtbare Schäden davongetragen hätten. 26 Gebäude seien zerstört, 198 schwerst beschädigt, 167 leicht beschädigt worden. Bei weiteren 42 Häusern bestehe Verdacht auf Kriegsschäden. Getroffen worden seien sieben Schulen und drei Gesundheitseinrichtungen.

Die UNITAR-Daten sind die Grundlage für die untenstehende Karte.
UNITAR/Sentinel Hub/Copernicus/ORF.at/OpenStreetMap
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Karte der ukrainischen Hafenstadt Mariupol mit Beschädigungen vom 14., 15. und 19. März 2022. UNITAR-Datenmaterial über Häuserschäden nur für den Ostteil der Stadt verfügbar

Ergänzt wurden die UNITAR-Daten noch durch eine Auswertung von Großbränden im Stadtgebiet von Mariupol auf Bildern mit Infrarotanteil, die am 15. und am 19. März 2022 vom ESA-Satellitensystem Copernicus Sentinel-2 aufgenommen wurden. Die Auflösung der Sentinel-2-Bilder ist viel geringer als jene des kommerziellen Maxar-Systems, aber die Brandherde sind deutlich sichtbar.

Sentinel Hub/ESA Copernicus
Sentinel-2-Aufnahme des Zentralbezirks von Mariupol vom 19.3.2022

Diese Brandstellen wurden von ORF.at extrahiert und vektorisiert, um die vorliegende Karte zu ergänzen. Da Mariupol auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels unter starkem Beschuss durch russische Truppen steht, muss die Analyse als unvollständig angesehen werden. Sie vermittelt aber einen ersten Eindruck des Ausmaßes der Zerstörungen.
21.03.2022, Günter Hack, ORF.at

Links:
Ukraine-Krieg: Satellitenanalyse zeigt Zerstörung Mariupols
 

Geist

Worte im Dunkel
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#28
Putin „fast wie Hitler“?

Nazi-Vergleiche gehen immer nach hinten los. Das ist eine Grundregel des politischen Betriebs. Dennoch werden sie immer wieder gemacht – gehäuft seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Doch ist der russische Präsident Wladimir Putin wirklich „fast wie Hitler“?

In der Geschichtswissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass eine Gleichsetzung von Putin und Hitler absolut unzulässig ist. Hitler war der Hauptverantwortliche für das in seiner radikalen Verdichtung und zielstrebigen Organisation beispiellose Menschheitsverbrechen der Shoah. Sechs Millionen europäische Juden wurden binnen drei Jahren ermordet. Zudem hat Hitler den Zweiten Weltkrieg mit mindestens 60 Millionen Toten vom Zaun gebrochen. Das sind völlig andere Dimensionen als alle Verbrechen, die Putin zur Last gelegt werden mögen.

Parallelen ja, Gleichsetzung nein

Aber: „Vergleichen heißt nicht gleichsetzen“, wie es der Historiker Heinrich August Winkler in einem Beitrag für die „Zeit“ mit dem Titel „Was Putin mit Hitler verbindet“ klargestellt hat. Vergleichen bedeutet in der historischen Forschung immer auch, Unterschiede herauszuarbeiten. Wenn das geschieht, handelt es sich um eine anerkannte wissenschaftliche Methode. Es ist zwar äußerst schwierig, irgendwelche konkreten Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Aber im besten Fall können durch einen solchen Vergleich doch gewisse Muster erkennbar werden, die bei der Beurteilung aktueller Geschehnisse helfen.

Götz Aly ist einer der anerkanntesten Holocaust-Forscher und Autor wegweisender Werke wie „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“. Auch er betont im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: „Man kann Hitler und Putin nur sehr partiell miteinander vergleichen. Das muss klar sein. Aber ich halte es für legitim, gewisse Parallelen zu benennen.“

Lügen in Worten und Taten

Dazu gehören für ihn die Vorbereitung und Rechtfertigung des Krieges. "Auch Hitler hat ja enorme Truppen aufmarschieren lassen, während gleichzeitig versichert wurde: „Der Führer will nichts anderes als den Frieden".“ Den Überfall auf Polen begründete Hitler mit dem Schutz der Auslandsdeutschen, die vor – frei erfundenem – „polnischem Terror“ geschützt werden müssten. Putin stützt seinen Aggressionskrieg auf die Lüge, er müsse einem Genozid an Russen im ostukrainischen Donbass Einhalt gebieten. Ebenso wie die russischen Staatsmedien den Krieg in der Ukraine jetzt durchgängig als „militärische Spezialoperation“ beschönigen, erteilte Propagandaminister Joseph Goebbels am 1. September 1939 die Anweisung, nicht das Wort „Krieg“ zu verwenden, sondern immer nur von einem „Gegenschlag“ auf einen polnischen Angriff zu sprechen.

Auch der Historiker Winkler („Der lange Weg nach Westen“) sieht „frappierende Parallelen“ zwischen dem „Anschluss“ Österreichs, der Angliederung des Sudetenlands und der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ einerseits und der Annexion der Krim, der Abtrennung erheblicher Gebiete des Donbass und dem jetzigen Angriffskrieg auf die Ukraine andererseits. „Die Analogie des Vorgehens ist schlagend“, schreibt Winkler in der „Zeit“.

AFP – JOHN MACDOUGALL
Demonstration Mitte März in Berlin

"Doch die Parallelen gehen noch sehr viel weiter. Auch als „Historiker", sprich als Geschichtspolitiker, wirkt Putin wie ein gelehriger Schüler Adolf Hitlers.“ So versuche auch Putin, die von ihm angestrebte Wiederherstellung eines vermeintlichen früheren Großreichs historisch zu untermauern. Winkler verweist auf Putins 2021 veröffentlichten Aufsatz „Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer“. Ebenso wie Putin eine russische Einflusszone reklamiere, hätten sich auch Hitler und die Nazis auf ein „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ etwa in der Tschechoslowakei berufen.

Denkmäler für Antisemit Stepan Bandera

Winkler fühlt sich auch durch Putins Tiraden gegen die angeblichen „Neonazis“ und „Drogensüchtigen“ in Kiew an Hitler erinnert. Aly sieht es ähnlich – mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht: „Natürlich ist es völlig unsinnig, wenn Putin behauptet, in Kiew seien Neonazis an der Regierung.“ Aber: "Wie in Russland gibt es auch in der Ukraine sehr harte Rechtsradikale. Man sollte dieses Problem gerade in Deutschland nicht ignorieren.
Der größte ukrainische Nazi-Kollaborateur und Antisemit Stepan Bandera hat inzwischen 40 Denkmäler in der Ukraine. Man muss sich klarmachen: Nachdem die Deutschen 1941 in der Ukraine einmarschiert sind, war die Kollaboration dort sehr weit verbreitet. Die Deutschen hatten 200.000 ukrainische Hilfspolizisten, von denen mindestens 40.000 unmittelbar an Juden-Erschießungen teilgenommen haben. Diese Kollaboration hat nach Osten hin immer weiter abgenommen. In der Ostukraine war sie schon sehr gering, im heutigen Russland hat es sie kaum noch gegeben – es existierte keine russische Hilfspolizei der deutschen Besatzer. Diesen historischen Hintergrund darf man nicht leugnen. Darauf spielt Putin zumindest untergründig an."

Diktator erinnert an Charlie Chaplin

Was Aly mit am meisten beunruhigt, ist sein Eindruck, dass Putin sich zunehmend eingräbt und von der Wirklichkeit abkoppelt: Das steinerne Gesicht, die bizarr langen Tische nicht nur im Gespräch mit ausländischen Staatsgästen, sondern auch mit engen Mitarbeitern, das öffentliche Abkanzeln seiner Berater. Der seltsame, offenbar jovial gemeinte Auftritt mit Stewardessen. Und dann seine Rhetorik, in der Russland zunehmend als Opfer einer westlichen Weltverschwörung erscheint – "das wirkt schon irre, das hat etwas von Charlie Chaplins Film „Der große Diktator". Wir haben es mit einem Menschen zu tun, der sich zum Alleinherrscher entwickelt hat und wenig Widerspruch duldet. Führungsalternativen sind ausgeschaltet. Es sind keine Nachfolger sichtbar im Regierungsapparat.“

Der italienische Diktator Benito Mussolini wurde 1943 vom Faschistischen Großrat abgesetzt. In Nazi-Deutschland, so Aly, wäre das nicht möglich gewesen. Und auch für Putins Russland ist derzeit schwer vorstellbar, dass sich innerhalb der Staatsspitze eine Alternative formiert – im postsowjetischen Russland gibt es nicht einmal mehr ein Politbüro. Der Staat ist komplett auf die Person Putin ausgerichtet.

AFP – OZAN KOSE
Auf einer Demonstration in Istanbul Ende Februar

Putin ist ein einsamer Entscheider. Und er ist jemand, der es sich nicht erlauben kann, Schwäche zu zeigen. „Diese Konstellation kann zu einer irrationalen Radikalisierung führen und zu einem immer obsessiveren Aufpusten der Feindbilder“, sagt Aly. "Jetzt hat er in einer Rede schon eine Formulierung wie „endgültige Lösung der Ukraine-Frage" verwendet. Das klingt gefährlich.“ Die „Selbststilisierung zum Opfer mächtiger Feinde“ verbinde Ultranationalisten wie Hitler und Putin, schreibt auch Winkler.

Gesprächskanäle weiter offen halten

Mit Nachdruck warnt Aly jedoch vor der Behauptung „Putin ist der neue Hitler – mit so einem kann man nicht reden“. Stattdessen müssten alle Gesprächskanäle offen gehalten werden: "Ich habe auch mit dem Schröder-Bashing meine Probleme. Gerhard Schröder wird gewiss nicht gesagt haben „Wladimir, mach weiter so!". Oder der Papst, der vor einer öffentlichen Verurteilung erst mit dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, sprechen wollte. Auch Israel, China und Indien haben sich den Sanktionen nicht angeschlossen. Möglicherweise, hoffentlich, kann das ihre Rolle als Vermittler stärken. Das sollte man bedenken.“

Die Chancen von Besänftigern und Friedensstiftern, die nicht eindeutig Partei ergriffen, könnten vielleicht noch nützlich sein, hofft Aly. „Denn wir müssen den Konflikt einhegen und der Ukraine beistehen – auch mit Waffen. Aber gleichzeitig müssen wir auf eine friedliche Lösung hinarbeiten. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass sich in fünf, zehn oder 20 Jahren die Beziehungen mit Russland wieder verbessern können.“

Christoph Driessen/dpa
Quelle: Putin „fast wie Hitler“?
 

josef

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#29
ORF - Liveticker zu den Kämpfen in der Ukraine - Teil 2:
Fortsetzung von Beitrag #10:


25.03.: Ukraine: Über 400.000 Menschen nach Russland verschleppt

26.03.: Weiter Kämpfe um eroberte Stadt Cherson

27.03.: Ukraine: Weitere Fluchtkorridore für Zivilisten

28.03.: Kiew befürchtet schwerere Angriffe in Mariupol

29.03.: Angespannte Lage vor neuen Gesprächen

30.03.: Skepsis über Russlands „Rückzug“ bei Kiew

31.03.: Moskau kündigt Feuerpause für Mariupol an

01.04.: Ukraine soll Dörfer im Norden zurückerobert haben

02.04.: Selenskyj: Über 3.000 aus Mariupol gerettet

03.04.: Explosionen aus Odessa gemeldet

04.04.: Medien: Bisher 340 Leichen in Butscha geborgen

05.04.: Selenskyj will Kriegsverbrechen aufklären

06.04.: Kämpfe in Mariupol, Explosionen nahe Lwiw

07.04.: Österreich weist vier russische Diplomaten aus

08.04.: Schlimme Befürchtungen für Borodjanka

09.04.: Ukraine: Weiter russische Angriffe im Donbas

10.04.: Ukraine fordert mehr Härte gegen Russland

11.04.: Kadyrow droht Angriffe auf weitere Städte an

12.04.: GB prüft Berichte über Chemiewaffen in Mariupol

13.04.: Forderung nach Schutz vor Giftgasangriff

14.04.: Russisches Flaggschiff „schwer beschädigt“

15.04.: Russland verliert wichtigstes Kriegsschiff

16.04.: Kiew unter Beschuss

17.04.: Russland stellt Ultimatum für Mariupol

18.04.: Neue russische Angriffe auf Mariupol

19.04.: Heftige Explosionen entlang der Frontlinie

20.04.: Dramatischer Hilfsappell aus Mariupol

21.04.: Ukraine: Attacken im Osten „Probeangriffe“

22.04.: Verstärkte Kämpfe an Frontlinie im Osten

23.04.: Ukraine meldet verstärkte Angriffe im Donbas

24.04.: Kiew spricht von Zwangsrekrutierungen

Fortsetzung siehe "Liveticker Teil 3 - Beitrag #41"
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

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#30
KRIEG IM NETZ
Wo und wie Russlands Propaganda wirkt
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Während der militärisch geführte Krieg in der Ukraine mit unverminderter Härte weitergeht, hat bisher gegolten, dass die Ukraine den Informationskrieg schon gewonnen hat: Die Welt stehe auf der Seite der Ukraine, die Deutungshoheit habe das angegriffene Land. Doch möglicherweise stimmt das nicht so ganz: Denn die berüchtigte Onlinepropaganda Russlands wurde ganz woanders erfolgreich gestartet – und beginnt jetzt auch im Westen sichtbarer zu werden.
Online seit gestern, 23.33 Uhr
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Für viele war zu Beginn des Krieges überraschend, dass die russischen Trollarmeen, die unter anderem bei US-Wahlen und in der Brexit-Debatte in den sozialen Netzwerken für viel Wirbel und Desinformation gesorgt hatten, kaum zu sehen waren. Analysen zeigen jetzt, dass es sie sehr wohl gab – allerdings nicht dort, wo westliche Beobachter sie auch sofort gesehen haben.

Carl Miller und Jeremy Reffin von CASM Technology, einem Unternehmen, das sich auf Analyse von Desinformation in sozialen Netzwerken spezialisiert hat, zeichnen genau nach, wie sich schon vor der Invasion am 24. Februar auf Twitter langsam die Hashtags #IstandwithPutin und #IstandwithRussia etablierten. In den ersten Tagen des Angriffskriegs wurden auch die entsprechenden Postings mehr – sehr oft auch in Kombination mit Spam, wie der Propagandaforscher Marc Owen Jones von der Hamad Bin Khalifa University in Katar herausgefunden hat.

Konzertierte Aktion zu März-Beginn
Von 2. bis 4. März waren es dann Zehntausende Tweets mit diesen Hashtags. Eine konzertierte Aktion, meinen die Forscher in ihrer Analyse auf der Website des Thinktanks Institute for Strategic Dialogue (ISD). Denn einige Tage danach sind nur noch rund ein Viertel der 80.000 Tweets abrufbar. Etliche der Accounts, die die prorussischen Botschaften verbreiteten, wurden wieder gelöscht oder gesperrt.

Im Westen fiel diese Aktion allerdings kaum auf, weil sie vor allem in anderen Twitter-Sphären passierte, wie Miller auf Twitter ausarbeitet. Mit den datenforensischen Methoden wurde untersucht, welche Accounts für die Verbreitung sorgten, diese wurden für eine Analyse nach verschiedenen Kategorien geclustert. Insgesamt acht unterschiedliche Gruppen macht Miller fest. Und die meisten davon würden sich an ein Publikum in Asien und Afrika richten.

Mutmaßlich viele Bots und gekaufte Poster
Viele der Twitter-Konten waren demnach neu angelegt und hatten wenige Follower. Darunter mischten sich allerdings auch schon länger bestehende Accounts. Das und die hohe Dichte an Retweets, also bloßen Weiterleitungen ohne eigene Anmerkungen, legen die Vermutung nahe, dass es sich hier um eine Mischung aus Bots, also rein maschinell agierenden Accounts, und „gekauften“ Twitter-Konten handelt. Dass für soziale Netzwerke reale User in Hunderter- oder gar Tausender-Paketen gekauft werden können, vor allem in Asien, ist lange bekannt.
Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt eine Analyse des Digital Forensic Research Lab (DFRLab) des Thinktanks Atlantic Council. Auch in dieser Studie wurde eine konzertierte, wenige Tage andauernde Aktion identifiziert, die quasi die Initialzündung für prorussische Propaganda auf Twitter darstellte.

Indien und Afrika im Fokus
Nach geografischer Verortung ist laut einer weiterführenden Studie, die von Miller und Kollegen mittlerweile veröffentlicht wurde, Indien einer der Hauptschauplätze dieser Gruppen, dazu kommen aber auch User, die sich mit den Sprachen Urdu und Farsi an pakistanische und andere Communitys richten.

In Afrika waren laut Miller in Nigeria, Kenia und Südafrika die meisten Postings zu verorten, teilweise in Kombination mit einem anderen rein kommerziellen Netzphänomen: Spam. So führte einer der meistgeteilten Links mit einem #IstandwithRussia-Hashtag auf die Website eines Gebrauchtwagenhändlers. Das südafrikanische Cluster war laut Miller das „organischste“,also jenes mit den meisten realen Usern. Ein Grund dafür ist wohl, dass eine Tochter von Ex-Präsident Jacob Zuma mit großer Follower-Zahl die Postings teilte.

Westen als – dankbares – Feindbild
Auf fruchtbaren Boden fällt die russische Propaganda deswegen, weil sie an Erfahrungen in diesen Ländern anknüpft. Als unter dieser Prämisse oft nicht von der Hand zu weisendes Feindbild wird der westliche Imperialismus gezeichnet, sehr oft am Beispiel der NATO, auch ganz ungeachtet dessen, dass der Krieg auch als russischer Imperialismus gedeutet wird. Befeuert wird aber auch der Gegensatz zwischen Westen und Globalem Süden, zwischen westlichen Industriestaaten und den BRICS-Ländern.

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CASM Technology
In Memes und Karikaturen wird dem Westen Doppelmoral vorgeworfen

In Indien knüpfen prorussische Postings laut den Analysen häufig an den nationalistischen Positionen der regierenden BJP von Premier Narendra Modi an. Im arabischen Raum wird auf die unrühmliche Rolle der USA und der NATO etwa im Irak verwiesen. Und in Afrika verweist man darauf, dass die Flüchtlingsproblematik auf dem Kontinent vom Westen ignoriert wird, während sie in der Ukraine jetzt ein Topthema ist.

Rassismus als Motiv
Aber auch die russische Erzählung der „Entnazifizierung“ der Ukraine fällt dort teilweise auf fruchtbaren Boden. Per Twitter werden unter anderen Berichte geteilt, wonach Afrikanerinnen und Afrikaner an der Flucht aus der Ukraine gehindert werden – und zwar in der Ukraine selbst. Dass es viele Vorfälle von polnischer Seite an der ukrainischen Grenze gab, geht in dieser Thematik eher unter. Auch Videos, die zeigen, wie Schwarze in der Ukraine verprügelt werden, werden weitergereicht. Wo und wann diese aufgenommen wurden, ist unklar – sie malen aber jedenfalls das Bild eines rassistischen Landes.

Spiel mit Emotionen
Was wahr und unwahr sei, spiele vielleicht gar keine Rolle bei der Wirkung, schreibt Miller auf Twitter: „Es geht nicht in erster Linie um ‚Desinformation‘, sondern darum, den Menschen Dinge zu erzählen, die sie bereits für wahr halten, und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.“ Diese „Kriegsführung mit Informationen“ habe wohl mehr mit Emotionen als mit Vernunft zu tun: „Manchmal scheint es, dass Zugehörigkeit und Identität wirklich im Mittelpunkt stehen, wie sich die Menschen wirklich fühlen und nicht, was sie für wahr halten.“

Auch Propagandaforscher Jones verweist in einem „Spiegel“-Interview darauf, dass Desinformation auch effektiv ist, wenn man nicht an sie glaubt. Wenn eine einzelne Person eine Verschwörungstheorie verbreiten würde, „wäre es irrelevant. Aber sobald Sie tausend oder zweitausend Menschen haben und sogar eine Regierung, die es tut – dann müssen Sie darüber reden.“

Andere Netzwerke als Black Box
Miller wiederum verweist darauf, dass man Twitter vergleichsweise gut datenforensisch untersuchen kann, was sich auf anderen Plattformen abspielt, sei aber nur zu erahnen. Messenger-Dienste wie Telegram funktionieren aufgrund ihrer Geschlossenheit ganz anders – und TikTok sei als vergleichsweise neues Phänomen eine Black Box. Eine erste ISD-Studie zeigt aber, dass russische Staatsmedien und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuletzt auf TikTok ihre Bemühungen stark ausgebaut haben.

Das Mediennetzwerk des Kreml
Doch es sind nicht nur die klassischen Staatsmedien Russlands, die für die Inhalte sorgen, die dann weitervereitet werden. Die auf Analyse von Desinformation spezialisierte Plattform Miburo versuchte das „Ökosystem“ der russischen Propaganda zu kartografieren. Dazu gehören demnach auch Plattformen und Websites, die den Geheimdiensten nahe stehen, ebenso wie solche in der Einflusssphäre von Oligarchen.

Als Akteure und Verstärker wirken aber auch russische Einrichtungen wie Botschaften in andern Ländern, zudem in Einzelfällen aber auch chinesische Diplomaten und andere offizielle Stellen.

Plötzlich Bilder aus der Ukraine präsent
In den vergangenen Tagen wurde hier aber auch die Kommunikationsstrategie wohl geändert. Russische Medien zeigen nun expliziter Bilder aus der Ukraine. So war im russischen Staatsfernsehen ein Drohnenflug über die komplett zerstörte Stadt Mariupol zu sehen, allerdings mit dem Hinweis, „ukrainische Nationalisten“ hätten die Stadt zerstört.

Und mittlerweile ist – offenbar nach dem erfolgreichen Vorbild des Kriegsgegners – auch die russische Armee dazu übergegangen, Bilder des Krieges in den sozialen Netzwerken zu zeigen. Spekuliert wird damit, dass Moskau demnächst auch seine verpflichtende Sprachregelung der „militärischen Spezialoperation“ ändern könnte – weil diese mit den verbreiteten Bildern einfach nicht mehr zusammenpasst.

Auch Ukraine nicht zimperlich
Für viel Aufmerksamkeit sorgte ein Video des russischen Militärs, das offenbar den Beschuss eines Einkaufszentrums in Kiew mit acht Toten rechtfertigen soll. Dabei ist in der Nähe des Einkaufszentrums offenbar ein Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem zu sehen. Die Botschaft lautet, dass es sich keineswegs um ein rein ziviles Ziel handelt, das zerbombt wurde – die Ukraine hätte in dem Gebäude zudem Raketen versteckt.
Das Arbeiten mit Bildern ist wohl dem Erfolg des ukrainischen Informationskriegs geschuldet, der ebenfalls wenig zimperlich geführt wird. Hier sind Übertreibungen zu finden, teilweise werden ältere Bilder als neue verkauft – und auch der Umgang mit getöteten oder gefangen genommenen Russen ist teilweise jenseitig. „Im Informationsnebel“ des Krieges lässt sich auch hier vieles, was behauptet wird, nicht belegen. Ganz große Propagandalügen wurden allerdings noch nicht entlarvt.

Deep Fakes und platte Lügen
Bei Russland teilweise schon: So wurde behauptet, Bilder von der bombardierten Geburtsklinik in Mariupol seien gestellt, weil eine Frau – eine bekannte Influencerin – in unterschiedlichen Posen zu sehen gewesen sei. Es handelte es sich hingegen um zwei unterschiedliche Frauen – von denen eine nach dem Angriff gemeinsam mit ihrem Neugeborenen den erlittenen Verletzungen erlag.

In Umlauf gebracht wurden zudem Deep-Fake-Videos, in denen etwa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski eine Kapitulationserklärung in den Mund gelegt wurde. Platte Lügen und haarsträubende Verschwörungsmythen – wie sie etwa in einigen der deutschsprachigen Telegram-Kanäle der Querdenker und CoV-Impfgegner verbreitet werden – können recht einfach entlarvt werden. Doch erfolgreicher im Sinne der russischen Propaganda sind solche Inhalte, bei denen es zumindest Indizien gibt, die auf einen wahren Kern hindeuten könnten. Denn dann werden sie auch öfter weltweit von dadurch beeinflussten, realen Personen weiter verbreitet.

„Erfolgreiche“ Biolabor-These
So unterstellte Russland der Ukraine zunächst eher erfolglos, Nukleartechnologie für Atomwaffen zur Verfügung zu haben. In einem zweiten Schritt wurde dann die These in die Welt gesetzt, das Land würde mit Hilfe der USA in geheimen Laboren Biowaffen herstellen. Ähnliche Vorwürfe hatte Russland früher schon mehrmals gegen andere Länder, etwa Georgien und Kasachstan, erhoben. Dennoch funktionierte dieser Plan besser, da es tatsächlich – wie in jedem Land – Labore gibt, die in Kontakt mit den USA stehen. Die haben allerdings laut allen vorhandenen Informationen nichts mit Biowaffen zu tun.

Doch eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage der US-Staatssekretärin Victoria Nuland ließ die Spekulationen wachsen, in Kombination mit einer Falschmeldung über angeblich schnell gelöschte Unterlagen auf diversen Websites. Quasi als Kronzeugen werden dann noch einschlägige US-Stimmen zitiert, etwa ein Fox-News-Fernsehmoderator, der vor laufenden Kameras die Frage stellte, wieso die USA eigentlich die Ukraine unterstützen und nicht Russland. Auch die aus Hawaii stammende US-Demokratin Tulsi Gabbard, die seit Jahren für russlandfreundliche Töne bekannt ist, wird als Befürworterin der russischen Position verwendet.

Inszenierung von „befreiten“ Menschen aus Mariupol
Zuletzt setzte Russland auch auf Interviews mit angeblichen Bewohnern Mariupols, die dabei behaupteten, sich über die „Befreiung“ durch russische Truppen zu freuen – nachdem sie zuvor von ukrainischen Kampfverbänden quasi als Geiseln gehalten worden seien. Ähnliche Inszenierungen waren in der ebenfalls eroberten Stadt Cherson noch medial gescheitert – mittlerweile konnte die russische Propaganda aber im Netz viel an Boden gewinnen – und mit Schwarz-Weiß-Denken und Übertreibungen einige überzeugen: Neben spanischsprachigen Postings in sozialen Netzwerken ist auch der Anteil der prorussischen in deutschsprachigen Bereich deutlich gestiegen.

Auffällig ist dabei, wie fast immer bei Diskursen in sozialen Netzwerken, dass die Graustufen verloren gehen: Man kann also offenbar nicht durchaus kritisch sein, was die Politik der USA und der NATO in den vergangenen Jahrzehnten betrifft, ohne gleich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen.
28.03.2022, Christian Körber, ORF.at

Links:
Krieg im Netz: Wo und wie Russlands Propaganda wirkt
 

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#31
WARUM MARIUPOL?
Putins strategische Zerstörung
Warum zerstört die russische Armee im Ukraine-Krieg ausgerechnet Mariupol? So grausam das auch klingen mag, aus Sicht der russischen Strategie und von Kreml-Chef Wladimir Putin ergibt die Zerstörung der vorwiegend russischsprachigen Stadt mit ehemals 440.000 Einwohnerinnen und Einwohnern militärstrategisch und auch für einen möglichen „Plan B“ Sinn, wie etwa englischsprachige Medien schreiben.
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Die drastische Demolierung durch die russischen Streitkräfte passt zur derzeitigen Neugruppierung der russischen Armee ob der offenbar hohen Verluste und diverser anderer Schwierigkeiten, etwa bei den derzeitigen Nachschub- und Versorgungslinien. Die Bilder von Mariupol zeigen eine so gut wie zerstörte Stadt. Für internationale Kritik und Empörung sorgten auch die Attacken und Zerstörung eines Kinderkrankenhauses und des Theaters von Mariupol, wo laut ukrainischen Angaben rund 300 Menschen starben.

Seit Beginn der Belagerung sind einem Sprecher des Bürgermeisters von Mariupol vom Montag zufolge mindestens 5.000 Menschen ums Leben gekommen. Wie die Zahl berechnet wurde, wurde nicht mitgeteilt. Auch sind laut ukrainischen Angaben mehrere tausend Menschen nach Russland deportiert worden. Sie würden laut Kiew als Geiseln Moskaus in dem Konflikt genommen. Wie die Geiseln von Russland eingesetzt werden sollen, ist allerdings unklar.
Reuters/Pavel KlimovMenschen stellen sich im zerstörten Mariupol um Hilfsgüter anMariupol als Warnung an andere Städte
Mariupol ist laut einer rund zwanzig Jahre alten Erhebung zu 90 Prozent russischsprachig. Deshalb wurde im russischen Staatsfernsehen zu Bildern eines Drohnenflugs über die komplett zerstörte Stadt gesagt, dass „ukrainische Nationalisten“ dafür verantwortlich wären.
OpenStreetMap
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Seit der illegalen russischen Annexion der Krim 2014 war die ukrainische Stadt einerseits von den russischen Truppen auf der Krim und den russischen Separatisten in Donezk und Luhansk „eingeklemmt“. Die Gründe für die Bombardierung ausgerechnet einer russisch dominierten Stadt und dabei noch auf zivile Ziele sind aus russischer Sicht offenbar vielfältig. So soll an der Stadt ein Exempel für die gesamte Ukraine und für die ukrainische Führung statuiert werden.
Angst soll mit den Terrormaßnahmen auch in den anderen Städten, etwa in der Hauptstadt Kiew, verbreitet werden. Vergleiche mit der Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny im Tschetschenien-Krieg und Aleppo in Syrien durch die russische Luftwaffe wurden in Medien bald nach den ersten Attacken auf Mariupol gezogen.
„Sie wollen sie auslöschen“
Seit Wochen ist Mariupol eingekesselt und damit so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten. Es gibt weder Wasser noch Strom, Lebensmittel sind rar, zivile Infrastruktur ist niedergebombt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski bezeichnete am Montag die Situation in Mariupol als eindeutige humanitäre Katastrophe. Laut Schätzungen sind bereits rund 80 Prozent der Stadt zerstört.

Reuters/Alexander ErmochenkoIn
Mariupol wurde auch ein Kinderspital von dem russischen Militär bombardiert

„Es ist klar, dass die Belagerer sich nicht für die Stadt interessieren, sie wollen sie auslöschen, in Asche verwandeln“, sagte die Stadtverwaltung von Mariupol letzte Woche. Immer wieder gibt es für die noch nicht geflohenen, in der Stadt eingeschlossenen Menschen Hoffnung auf Evakuierungen. Doch diese stellen sich immer wieder auch als Chimäre von russischer Seite heraus.

Russische Armee nicht so schnell wie geplant
Ein Teil der Antwort für das Schicksal Mariupols sei, dass sich Putin auch nicht um die russischsprachigen Ukrainer und Ukrainerinnen „schere“, wie die US-Website Intelligencer schreibt. Putin sehe die russischsprachige Bevölkerung nur als lebendes Testament des ehemaligen russischen bzw. sowjetischen Imperiums und leite davon in seiner Ethnienmythologie das Recht Russlands, in der Ukraine zu regieren, ab, schreibt Intelligencer weiter.

Auch scheint sich Putin bzw. die russische Militärführung bei der Eroberung der Stadt verkalkuliert zu haben. Offenbar war geplant gewesen, Mariupol mit einem schnellen Vorpreschen einzunehmen – ähnlich auch die Pläne zur Eroberung Kiews. In Mariupol wurde offenbar gedacht, dass man von der russischsprachigen Bevölkerung als Befreier begrüßt würde. Nachdem das jedoch nicht so gewesen war, setzte die russische Armee auf die Zerstörung der Stadt.


Kampf um Stadt symbolisch aufgeladen
Der Kampf um Mariupol ist für beide Seiten symbolisch aufgeladen. Von der Einnahme der Stadt versprechen sich die russische Militärführung und der Kreml auch einen dringend nötigen Schub für die Kampfmoral der russischen Truppen, schreibt die BBC. Auch war die Stadt bei den Kämpfen von 2014 kurzfristig von ukrainischen Separatisten eingenommen worden, wurde dann aber von der ukrainischen Armee zurückerobert.
Für die Ukraine gilt es hingegen, die Stadt zu halten. Man werde alles tun, um die Einnahme durch die russische Armee zu verhindern und werde bis zum letzten Mann kämpfen, hieß es von ukrainischer Seite kürzlich.

Hauptquartier der Asow-Truppe
Ideologischen Auftrieb bekommt die Zerstörung Mariupols auch durch die Ansage Putins zu Beginn des Krieges, die Ukraine als Kriegsziel „entnazifizieren“ zu wollen. In Mariupol ist das Hauptquartier des Asow-Regiments. Die paramilitärische Freiwilligenmiliz wurde 2014 im Zuge des ersten Konflikts mit Russland bzw. für den Kampf gegen die prorussischen Separatisten in der Donbass-Region von nationalistischen ukrainischen Politikern gegründet. Anführer und auch Mitglieder der Miliz sind oft rechtsextrem bzw. ultranationalistisch und Teilen der Neonazi-Szene zurechenbar. Das Asow-Regiment wurde später auch in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert.

War kurz nach der Gründungsphase von einer Stärke von rund 2.500 Mann die Rede, soll die Truppe später auf 900 dezimiert worden sein. Mittlerweile war dann wieder von mehreren tausend Kämpfern die Rede. Asow mache damit zwar nur einen verschwindend kleinen Teil der ukrainischen Kampftruppen aus, habe dafür aber einen großen Platz in der russischen Propaganda, wie der Intelligencer schreibt. Putin suggerierte mit seiner Wortwahl der „Entnazifizierung“, dass die ganze ukrainische Regierung nationalsozialistisch unterwandert ist bzw. mit Neonazis zusammenarbeitet.

Landbrücke zwischen Krim und Separatistengebieten
Mariupol ist geografisch äußerst wichtig. Mit dem Fall der Stadt kann ein Landkorridor, eine Landbrücke, zwischen der von Russland unrechtmäßig 2014 annektierten Krim und der von Aufständischen dominierten Region Donbass geschaffen werden, wie das „Wall Street Journal“ („WSJ“) schreibt. Das sei auch Putins „Plan B“, so die Zeitung weiter.

Laut Militärexperten ist deshalb die Einnahme Mariupols ein wichtiges Kriegsziel Moskaus. Sie würde als strategischer Erfolg des russischen Militärs verbucht werden, schreibt die BBC. Moskau werde auch den Sieg über die ukrainischen Truppen in der Stadt propagandistisch ausnützen.

Beide: Reuters/Azov
Die beiden Bilder zeigen die Zerstörung des Theaters in Mariupol. Rund 300 Menschen sollen laut ukrainischen Angaben bei der Bombardierung getötet worden sein.

Schwerindustrie äußerst wichtig
Mariupol ist auch wirtschaftlich äußerst wichtig. So befindet sich der wichtigste Stahlproduzent des Landes, Metinvest, in Mariupol. Die Werke wurden von der russischen Armee in letzter Zeit bombardiert. Russland geht damit auch gegen wirtschaftliche Konkurrenten vor. Die Zerstörung bzw. teilweise Zerstörung der ukrainischen Schwerindustrie würde das Land nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch äußerst stark treffen.
Man wäre dann im äußersten Fall von Zukäufen aus dem Ausland zumindest für eine Zeit abhängig, wie Intelligencer schreibt. Die Annexion der Ostukraine würde durch Mariupol für Russland wirtschaftlich lukrativer werden, so der Intelligencer weiter.

Aus für Seehandel der Ukraine
Umgekehrt würde der Verlust der Stadt bzw. der Region die Ukraine wirtschaftlich, aber auch militärisch schwer treffen. Mit der Einnahme oder eben in Kauf genommenen kompletten Zerstörung Mariupols hätte Russland auch mehr als 80 Prozent der ukrainischen Küstenlinie am Schwarzen Meer erobert.

Die Ukraine wäre dann vom Seehandel im Schwarzen Meer und damit weiter von der restlichen Welt abgeschnitten, heißt es weiter. Mariupol ist der größte und wichtigste Hafen in der Region des Asowschen Meeres. Über Mariupol lief auch der ukrainische Export von Stahl, Kohle und Getreide, etwa in den Nahen Osten, aber via Mittelmeer weit darüber hinaus.
30.01.2022, Peter Bauer, ORF.at
Warum Mariupol?: Putins strategische Zerstörung
 

josef

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#32
Dokumentation von Gräueltaten
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Massengräber und Leichen in den Straßen: Die Bilder lebloser Körper in der ukrainischen Stadt Butscha sorgen für Entsetzen. Kiew wirft Russland schwere Kriegsverbrechen vor, Moskau streitet die Schuld für den Tod der Zivilisten und Zivilisten vehement ab – umso wichtiger ist die Dokumentation von Gräueltaten.
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Seit Kriegsbeginn zirkulieren in sozialen Netzwerken Fotos und Videos, die die Lage in der Ukraine abbilden. Meist stammen die Aufnahmen von der Zivilbevölkerung. Aber auch internationale Medien, die noch aus der Ukraine berichten, hatten zuletzt vermehrt Bilder von den Gräueln der vergangenen Wochen veröffentlicht – zum Beispiel von den Leichen in den Straßen Butschas. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierte „offenkundige Kriegsverbrechen“ russischer Truppen und belegte sie mit Aussagen von Überlebenden.

Alles, was bisher produziert wurde, und alles, was noch produziert wird – von Fotos und Videos bis zu verschriftlichte Erzählungen von Zeugen und Zeuginnen –, könnte für nationale und internationale Ermittlungen wegen vermuteter Gräueltaten herangezogen werden.
„Es gibt aktuell eine große Fülle an Informationen und Daten, mit der man die Lage in der Ukraine bewerten kann“, sagt Völkerrechtler Wolfgang Benedek im ORF.at-Gespräch. „Jedes Foto, jedes Video und jede aufgenommene Zeugenaussage sind für uns wichtig. Denn wenn man am Ende alles kombiniert, kann man durchaus zu klareren Schlüssen kommen.“

Bericht könnte bald vorliegen
Seit Ende März untersucht Benedek für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mögliche Verletzungen gegen die Menschenrechte in der Ukraine. Für die Aufgabe im Rahmen des „Moskauer Mechanismus“ sei man aktiv auf Organisationen, die Daten über den Krieg sammeln, zugegangen. Die Informationen in Form von Satellitenbildern, Foto- und Videomaterial sowie Zeugenaussagen seien bereits ausgewertet, Ende dieser Woche könnte der Bericht vorliegen, sagt Benedek, der sich zum Inhalt nicht äußern will.

Reuters/Maxar Technologies
Massengrab und Leichen auf der Straße: In Butscha haben sich offenbar Gräueltaten abgespielt

Der Völkerrechtsexperte hatte bereits 2018 die Menschenrechtslage in Tschetschenien und 2020 jene in Belarus untersucht. „Der Krieg in der Ukraine ist anders gelagert“, so Benedek. „Die Ukraine hat bei der OSZE-Berichterstattung kooperiert, Moskau wurde eingeladen, aber eine Unterstützung abgelehnt.“ Russische Quellen, die übermittelt wurden oder auf die man gestoßen ist, seien allerdings für den Endbericht ausgewertet worden, sagt er. „Entscheidend ist in solchen Fällen, dass alles dokumentiert wird und Beweise gesammelt werden.“

Insbesondere der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist auf die Unterstützung nationaler Behörden und der dortigen Zivilbevölkerung angewiesen. Sie könnten etwa Fotos und Videos machen und an den IStGH übermitteln, sagt Michael Lysander Fremuth, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Grund- und Menschenrechte. „Der Gerichtshof hat die Aufgabe, die Beweise einzuschätzen. Eine wachsende Rolle spielen Handyvideos, aber gleichzeitig sind sie auch wegen der Manipulierbarkeit problematisch“, so der Experte gegenüber ORF.at.

Frage des Möglichen
Klassiker seien Zeugenvernehmungen und Einsätze in Kriegsgebieten. Der IStGH könnte beispielsweise forensische Fachleute nach Butscha schicken, um die Todesursache der toten Zivilisten und Zivilistinnen zu klären, sagt Fremuth. Man könnte auch feststellen, mit welchen Waffen und mit welcher Munition die Personen getötet wurden. Die Frage, so der Experte, sei aber, ob Ermittler und Ermittlerinnen einreisen können oder man sich auf nationale Behörden verlässt.

Im Zuge des OSZE-Berichts sei ein Augenschein in der Ukraine wegen der militärischen Auseinandersetzung jedenfalls gar nicht möglich gewesen, so Völkerrechtler Benedek. „Wäre zwischen den Parteien eine Waffenruhe oder eine Feuerpause vereinbart worden, hätte man selbst Zeuginnen und Zeugen in der Ukraine anhören können“, sagt er. Videos und Analysen von Satellitenaufnahmen seien in solchen Fällen zwar hilfreich, für weitere Ermittlungen, etwa jene des IStGH, müssten aber Beweise an Ort und Stelle gesammelt werden.

Beweise aus Zivilgesellschaft wichtig
Gegenüber dem „profil“ erwähnte der renommierte Menschenrechtsexperte Manfred Nowak den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ). Dieser habe beim Einsatz forensischer Experten und Expertinnen „Pionierarbeit“ geleistet. Ähnlich äußert sich auch Frank Höpfel im Gespräch mit ORF.at. Der Strafrechtsprofessor war von 2005 bis 2008 als Ad-litem-Richter am Strafgerichtshof tätig und unterstützte in einzelnen Prozessen das ständige Richtergremium.

AP/Jerry Lampen
Von 1993 bis 2017 war der IStGHJ für schwerer Verbrechen zuständig, die seit 1991 in den Jugoslawienkriegen begangen wurden

Durch eine „engagierte Zivilgesellschaft“ könnten wichtige Schritte bereits vorab getätigt werden, sagt der gebürtige Tiroler, der an der Uni Wien lehrte, im Gespräch mit ORF.at. Allerdings müssten alle übermittelten Fotos, Videos und Zeugenaussagen durch Fachleute „sorgfältig gesichtet und bewertet werden“. Im Jugoslawien-Verfahren habe es zig Beweisstücke gegeben, mit denen einzelne Tathergänge beschrieben werden konnten.
Neben Dokumenten und Bilder sind für Höpfel Zeugenaussagen von besonderer Bedeutung. „Es ist wichtig, dass man Leute findet, die ihre Geschichte erzählen, die sagen, was wann wie stattgefunden hat“, so der langjährige Jurist. Dafür könnten zum Beispiel von der Ukraine spezielle Ermittlergruppen eingesetzt werden, die sich auf die Suche nach Zeugen und Zeuginnen machen. Später können sie dann auch „geschützt“ in Den Haag auftreten und ihre Erlebnisse schildern. Das alles diene der Wahrheitsfindung, so Höpfel.

„Mühlen der Gerechtigkeit“
Wenn sich herausstellen sollte, dass in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen wurden, rückt eine andere Frage in den Vordergrund: Wer ist dafür überhaupt verantwortlich? Für OSZE-Beobachter Benedek ist die Verantwortung für Kriegsverbrechen schwieriger nachzuweisen als die Tat selbst. Im Fall des Falles werde diese Frage von nationalen und internationalen Gerichten geklärt werden müssen.

Völkerrechtler Fremuth betont allerdings, dass die Verantwortung nicht nur jene Soldaten betreffe, die das Feuer auf unschuldige Zivilisten und Zivilistinnen eröffnet haben. Auch Vorgesetzte könnten für Völkerrechtsverletzungen der Untergebenen verantwortlich gemacht werden. Mit der Rechtsfigur der Vorgesetztenverantwortlichkeit werde versucht, gerade jene zu fassen, die selbst nicht Hand angelegt haben, aufgrund der Kommandostruktur von der Tat aber wussten und diese nicht verhindert haben, sagt Fremuth.

Im Fall des Massakers im ukrainischen Butscha müsste die Befehlskette nachgewiesen werden. Auch wenn Russlands Präsident Wladimir Putin Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte ist, braucht es für weitere Schritte Beweise, dass er davon wusste. Für die frühere Chefanklägerin des IStGH, Carla Del Ponte, ist er bereits ein „Kriegsverbrecher“, wie sie am Wochenende sagte. Angriffe gegen Zivilisten und Zivilistinnen, die Zerstörung von Privatgebäuden und ganzen Städten seien „alles Kriegsverbrechen“, und man müsse die Befehlskette hinauf ermitteln.
Das wird allerdings noch dauern, meint Strafrechtsprofessor Höpfel. Die Sichtung und Bewertung von Beweisen ist ein Prozess, der nicht von einem auf dem nächsten Tag abgeschlossen ist. Zwar nütze das breite Interesse an einer lückenlosen Aufklärung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dem Internationalen Strafgerichtshof. Doch, so Höpfel, die „Mühlen der Gerechtigkeit mahlen stetig, aber für gewöhnlich langsam“.
05.04.2022, Jürgen Klatzer, ORF.at


Links:
Ukraine: Dokumentation von Gräueltaten
 
#33
Dokumentation von Gräueltaten
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Massengräber und Leichen in den Straßen: Die Bilder lebloser Körper in der ukrainischen Stadt Butscha sorgen für Entsetzen. Kiew wirft Russland schwere Kriegsverbrechen vor, Moskau streitet die Schuld für den Tod der Zivilisten und Zivilisten vehement ab – umso wichtiger ist die Dokumentation von Gräueltaten.
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Ukraine: Dokumentation von Gräueltaten
Es ist immens schwierig, die gezeigten Bilder zu verifizieren
Gerade bei dem in Nachrichtensendungen gezeigten Bildmaterial habe ich bereits mehrmals Bilder gesehen, die angeblich aktuell waren

Achte immer auf Bilder mit Ansichten von Bahnanlagen, da fielen mir Aufnahmen auf, die schon Tage vorher gezeigt wurden.
 

josef

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#34
NÄCHSTE PHASE IM KRIEG
„Wettlauf mit der Zeit“ für beide Seiten
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Nach der Entscheidung Russlands, den Vorstoß nach Kiew aufzugeben, positionieren sich derzeit beide Kriegsparteien um. Während der Krieg vor allem im Osten und Süden weitergeht, hat für Russland wie die Ukraine ein „Wettlauf mit der Zeit“ begonnen, analysiert Oberst Berthold Sandtner gegenüber ORF.at – unter anderem um Waffenlieferungen, wie sie die NATO nun angekündigt hat. Und es gibt Hinweise, dass Russland davon ausgeht, dass der Krieg noch länger dauern wird.
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Es gebe derzeit unterschiedliche Einschätzungen, wann Russland die „Bereitstellung“, sprich die Neuaufstellung der Armee, abgeschlossen haben wird und mit der angekündigten Offensive in der Ostukraine beginnt. Sandtner geht eher davon aus, dass Russland in sechs bis sieben Tagen, also rund um Ostern, seine Angriffe dort stark intensivieren wird. Es gebe aber auch Einschätzungen, die Richtung Mai gingen.

Dagegen sprechen aus Sicht des Bundesheerexperten aber mehrere Gründe: Je länger Russland zuwarte, desto weicher würde der Boden werden, was die Gefahr erhöht, mit Panzern und anderem schwerem Fahrzeug im Gelände steckenzubleiben. Je mehr Zeit vergeht, desto besser kann sich auch die ukrainische Armee umgruppieren – also Truppen aus Kiew und Umgebung nach Osten bringen, denn die Brücken über den Dnjepr seien noch intakt. Und mit jedem weiteren Tag könne der Westen der Ukraine auch mehr Waffen liefern.

Rekrutieren Tausender Freiwilliger
Michael Kofman, auf Russland spezialisierter US-Militärexperte, betonte zuletzt, die russische Armee habe zwar genügend Waffen, aber es sei mittlerweile knapp bei der Mannstärke – zumindest ohne Mobilisierung. Dazu bestätigte Sandtner, dass Russland derzeit „eher verschleiert“ Freiwillige rekrutiere und dabei auch relativ erfolgreich sei. Es sollen sich bereits Tausende, großteils ehemalige Soldaten gemeldet haben. In Russland werde das aber nicht als Teilmobilmachung dargestellt. Diese neuen Soldaten seien freilich nicht gleich fronttauglich. Sie müssten erst ausgerüstet und trainiert werden. Andererseits wisse man auch, „dass Russland nicht zimperlich ist, schlecht Ausgebildete an die Front zu schicken“.


Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW/liveuamap/BBC

Kein schnelles Kriegsende
Dass Russland Freiwillige wirbt, lässt laut Sandtner aber den Schluss zu, dass Moskau nicht mehr davon ausgeht, die Ukraine in einem „Blitzkrieg“ besiegen zu können – auch nicht in der nächsten Phase des Krieges, die sich nach der Umgruppierung auf den Osten konzentrieren dürfte. Russisches Minimalziel des Krieges ist laut Sandtner die vollständige Eroberung der beiden Oblaste Donezk und Luhansk sowie ein „stabiler Korridor“ via Mariupol zur Krim.

Nach einer etwaigen erfolgreichen Eroberung dieser Gebiete brauche es viele Soldaten, um diese halten und kontrollieren zu können. Denn das Gros der Bevölkerung sei Russland gegenüber feindlich eingestellt.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte unterdessen am Mittwoch, das Bündnis rechne mit einem noch lange anhaltenden Krieg in der Ukraine. Man müsse sich bewusst darüber werden, dass der Krieg noch „viele Monate oder sogar Jahre“ andauern könne.

Neuaufstellung zwischen Kursk und Belgorod
Laut dem Bundesheerexperten Sandtner bringt Russland derzeit die aus der Umgebung von Kiew und Tschernihiw abgezogenen Truppen – teils direkt, teils über Belarus – in das Aufmarschgebiet in Russland nordöstlich der Ukraine, konkret: in das Gebiet zwischen Belgorod und Kursk.
Der US-Thinktank Institute of the Study of War (ISW) verwies zuletzt auf die nicht überprüfbare Vermutung ukrainischer Aufklärungsdienste, Moskau wolle Truppen, die an den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Butscha beteiligt oder Zeugen waren, absichtlich im Osten an die Front stellen, damit diese dort getötet werden.

„Völlig logisch, dass diese Truppen eingesetzt werden“
Sandtner betonte hierzu lediglich, es sei „völlig logisch, dass diese Truppen eingesetzt werden“. Die Einheiten seien mittlerweile wohl bereits großteils im Großraum Kursk-Belgorod, wo die Neuaufstellung erfolge. Die Truppen müssen neu ausgerüstet werden. Bei starken Verlusten könnten Einheiten zusammengelegt werden. Russland brauche die Soldaten für die Offensive.

Ukrainische Truppe im Osten „abgenützt“
Umgekehrt hätte aber auch die Ukraine sehr wohl ein Mannstärke-Problem, widerspricht Sandtner der Einschätzung Kofmans, die Ukraine habe Mangel an Material, aber nicht an Soldaten. Nicht umsonst habe es bereits zwei Teilmobilisierungen gegeben. Gerade die Einheiten, die an der Kontaktlinie – der Waffenstillstandslinie nach dem Krieg 2014 – im Osten im Einsatz sind, seien bereits „sehr abgenützt“. Dabei handelt es sich um die kampferprobtesten Einheiten. Ihnen droht nun mit der bevorstehenden russischen Offensive die Einkesselung. Als Erstes dürfte Russland versuchen, Slowjansk zu erobern und so eine Verbindungslinie mit den Truppen der Separatisten südlich davon zu schaffen.

Und anders als Russland fehlt es für diese bevorstehenden Kämpfe der Ukraine vor allem an Großgerät: Kampf- und Schützenpanzer, bewaffnete Drohnen und Flugabwehrsysteme wie das S-300 „gehen der Ukraine wirklich ab“, so Sandtner. Die materielle Lage der Ukraine sei offenbar „nicht sehr günstig“. Schweres Gerät brauche es aber für eine „nachhaltige Abwehr“.

Logistisches Problem
Die Ukraine und der Westen hätten hier aber auch ein logistisches Problem. Denn Großgerät lasse sich „nicht einfach in einem Lieferwagen verstecken“. Damit aber drohten russische Luftangriffe auf Waffentransporte.

Laut dem Vizechef des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS), Seth Jones, stellte das bisher kein ernsthaftes Problem dar. Die Ukraine habe eine Hunderte Kilometer lange Grenze mit den NATO-Staaten Polen, Slowakei und Rumänien, über die der Westen Waffen liefern könne. Die „nadelstichartigen“ russischen Raketenangriffe im Westen der Ukraine hätten den Nachschub nicht stoppen können, so Jones vor wenigen Tagen in einem Kommentar im „Time“-Magazin. Auch Jones betont aber, dass Moskau die Schläge auf westliche Nachschublinien wohl intensivieren wird.

Sandtner gibt zudem zu bedenken, dass etwa die nun von Prag offenbar bereitgestellten T72-Panzer nicht baugleich seien wie die ukrainischen. Mannschaften müssten erst eingeschult werden. Dazu verweist Sandtner darauf, dass bei jedem Panzer, der im Kampf zerstört wird, man auch davon ausgehen muss, dass die Besatzung getötet wurde. Auch von den Russen eroberte Panzer – laut „New York Times“ und Militäranalyse-Website Oryx vom Wochenende waren es mehr als 160 – sind wohl kaum eine Hilfe: Sie müssen ja erst repariert, bemannt und an den Einsatzort gebracht werden.



Der CSIS-Experte Jones befürchtet, dass Russland weiter eskalieren wird: Durch noch stärkere Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder den Einsatz von Chemie- oder Nuklearwaffen. Er schließt selbst Angriffe auf ein NATO-Land wie Polen nicht aus. Das ist letztlich alles Spekulation.
Einig sind sich aber alle Fachleute, dass die Ukraine – insbesondere was Luftstreitkräfte und Marine betrifft – entscheidend geschwächt ist und generell dringend Waffennachschub braucht, um Russland weiter Widerstand leisten zu können. Nach der Umgruppierung wird Russland im Osten – dank der Verstärkungen – mit massierter Wucht angreifen. Auch die NATO hat das erkannt, und mehrere Mitgliedsstaaten haben sich nun erstmals zur Lieferung von schweren Waffen durchgerungen. Bleibt abzuwarten, ob die hier verlorene Zeit noch aufzuholen ist.
08.04.2022, Guido Tiefenthaler, ORF.at

Links:
Nächste Phase im Krieg: „Wettlauf mit der Zeit“ für beide Seiten
 
#35
Es ist schon erschreckend, wenn wir wieder solche militärischen Analysen lesen.
Natürlich ist eine genaue Kenntnis der russischen Pläne notwendig, aber man reibt sich doch verwundert die Augen

Es klingt mehr nach 19. als nach 21. Jahrhundert.
 

josef

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#36
BERICHT VERÖFFENTLICHT
OSZE listet russische Verbrechen auf
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Ein am Mittwoch in Wien präsentierter Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sieht „deutliche Anzeichen“ für Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht durch russische Streitkräfte. Auch wenn es kein Urteil darüber gibt, ob es zu Kriegsverbrechen gekommen sei, heißt es, dass es weniger Tote in der Zivilbevölkerung gegeben hätte, wäre Moskau seinen Verpflichtungen nachgekommen.
Online seit heute, 16.48 Uhr
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„Hätte Russland seine Verpflichtungen in Bezug auf Zielwahl, Proportionalität und Vorwarnungen beim Angriff sowie bei besonders geschützten Objekten wie Krankenhäusern eingehalten, hätte es deutlich weniger getötete und verletzte Zivilisten gegeben“, schrieb die vom Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek geleitete Expertengruppe. Er wurde mit seinem Schweizer Kollegen Marco Sassoli und der tschechischen Menschenrechtsexpertin Veronika Bilkova von der OSZE beauftragt, die Situation der Menschenrechte in der Ukraine seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar zu untersuchen.

Die drei Fachleute fällten kein abschließendes Urteil darüber, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. Sie stellten jedoch fest, dass gewisse Muster russischer Gewalttaten „wahrscheinlich die Kriterien erfüllen“. Dazu zählten gezielte Tötungen und Entführungen von Zivilisten, darunter auch Journalisten und Beamte. Laut gängiger Definition gelten breit angelegte oder systematische Angriffe gegen Zivilpersonen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Über 50 Angriffe auf medizinische Einrichtungen
Laut dem US-Gesandten bei der OSZE, Michael Carpenter, gibt es weiters Beweise für weitläufige und systematische Angriffe auf medizinische Einrichtungen in der Ukraine, bisher habe man über 50 gezählt. Es handle sich um eindeutige Verstöße gegen internationales Recht.

AP/Evgeniy Maloletka
Die OSZE dokumentierte auch Angriffe auf Objekte wie Krankenhäuser wie etwa den Angriff auf eine Geburtsklinik in Mariupol

In Bezug auf Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und das internationale Menschenrecht hätten sowohl Russland als auch die Ukraine ihre Verpflichtungen einzuhalten, so die Experten. Verstöße habe es auf beiden Seiten gegeben, betonten sie. „Die Verstöße durch die Russische Föderation sind jedoch viel schwerwiegender und größer“, heißt es im Bericht.

Auch Kritik an Verhalten Kiews
Abgesehen von den „deutlichen Anzeichen“ für russische Verstöße ist im knapp 100-seitigen Bericht auch die Rede von Verstößen und Problemen auf ukrainischer Seite, insbesondere im Umgang mit Kriegsgefangenen. Im Zusammenhang mit einem Video, das Schüsse auf gefangene russische Soldaten zeigen soll, schrieben die Autoren von einem konkreten Verdacht auf ein Kriegsverbrechen, das von ukrainischen Behörden untersucht werden sollte.

Die Experten, die aus Sicherheitsgründen die jeweiligen Schauplätze nicht besuchen konnten, kritisierten ebenso Ankündigungen Kiews, russische Kriegsgefangene für ihre bloße Teilnahme an Kampfhandlungen strafrechtlich zu verfolgen. Bemängelt wurde zudem die öffentliche Vorführung gefangener Soldaten. Begrüßt wurde unterdessen, dass ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten öffentlich unterstrichen habe, dass Kriegsgefangene in der Ukraine unabhängig von russischen Völkerrechtsverletzungen völkerrechtskonform zu behandeln seien.

Russland lehnte Zusammenarbeit ab
Russland hatte den Fachleuten zuvor eine substanzielle Zusammenarbeit bei den Recherchen verweigert. Die Nominierung einer Verbindungsperson, die bei der Beantwortung von Fragen helfen könnte, würde keinen Mehrwert bieten, schrieb der russische Vertreter bei der OSZE in Wien, Alexander Lukaschewitsch, am 21. März in einem Brief an Benedek. Inhaltlich verwies Lukaschewitsch lediglich auf offizielle russische Presseerklärungen sowie auf ukrainische Videos, in denen laut seiner Darstellung Hass gegen Russen geschürt würde.

„Der Bericht dokumentiert eindringlich das enorme Ausmaß der Grausamkeit der russischen Regierung“, sagte Carpenter. Die gesammelten Informationen müssten nationalen und internationalen Gerichten zur Verfügung gestellt werden, forderte er. In der Nacht auf Mittwoch hatte US-Präsident Joe Biden von „Völkermord“ in der Ukraine gesprochen. Das wies Moskau als inakzeptabel zurück, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Situation werde dadurch verzerrt.

IStGH-Chefermittler in Butscha
Im Rahmen der Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine besuchte unterdessen der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Kharim Khan, Butscha. Vor Reportern in dem Kiewer Vorort bezeichnete Khan die gesamte Ukraine am Mittwoch als „Tatort“: „Wir sind hier, weil wir Grund zur Annahme haben, dass Verbrechen begangen werden, die in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fallen“, sagte er.

Es sei wichtig, „den Nebel des Krieges zu durchdringen, um auf die Wahrheit zu stoßen“, sagte der Brite weiter. Erforderlich seien „unabhängige und unvoreingenommene Untersuchungen“. Deshalb sei ein Forensikerteam des IStGH in Butscha, „damit wir wirklich sicherstellen können, dass wir die Wahrheit von Fiktion trennen“. Anfang April waren in Butscha nach dem Abzug russischer Truppen die Leichen Hunderter Zivilisten entdeckt worden. Die ukrainischen Behörden sprechen von Morden durch das russische Militär, Moskau weist die Vorwürfe zurück.
13.04.2022, red, ORF.at/Agenturen

Links:
Bericht veröffentlicht: OSZE listet russische Verbrechen auf
 

josef

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#37
„MOSKWA“-UNTERGANG
Schwerer Schlag für Putins Armee
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Ob „als Opfer ukrainischer Raketen, russischer Inkompetenz, Pech oder einer Kombination aus allen dreien“, ist nach den Worten des US-Senders CNN weiter unklar – außer Frage steht, dass der Untergang des Raketenkreuzers „Moskwa“ ein folgenschwerer Schlag für Russlands Streitkräfte ist. Das betrifft nicht nur die strategische Rolle, die das Flaggschiff der russischen Marine im Krieg gegen die Ukraine bisher spielte bzw. einen auf mehrere 100 Millionen Euro geschätzten materiellen Schaden. Mit der „Moskwa“ liegt nun auch ein schwergewichtiges Symbol Russlands auf dem Grund des Schwarzen Meeres.
Online seit gestern, 23.14 Uhr
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Das 186 Meter lange Schiff war bereits der Stolz der sowjetischen Seestreitkräfte, als es 1979 in der Werft von Mykolaiw in der damaligen Sowjetrepublik Ukraine zu Wasser gelassen wurde. Michael Petersen vom Russia Maritime Studies Institute (RMSI) der US-Navy spricht gegenüber der BBC von einem „Symbol der russischen Seemacht im Schwarzen Meer“.

In der Geschichte der modernen russischen Marine gibt es Schiffe, die weit mehr als die Seemacht eines Landes verkörpern, und „das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte (…) ist genau so ein Schiff“, schreibt dazu die „Moscow Times“ mit Verweis auf Angaben aus einer russischen Militärzeitschrift. Die „Moskwa“ könne „zu Recht als das Rückgrat der russischen Seestreitkräfte im Schwarzmeerraum bezeichnet werden“, wie es im angesprochenen „Militaryarms“-Artikel aus dem Jahr 2017 dazu weiter heißt.

APA/AFP/Russian Defence Ministry
Eine russische Militärzeitung bezeichnete die „Moskow“ 2017 als „Rückgrat der russischen Seestreitkräfte“

Putin zusammen mit Kutschma an Bord
Zu Sowjetzeiten unter dem Namen „Slawa“ (Ruhm) in Betrieb genommen, wurde das nach einer Intervention des Bürgermeisters von Moskau, Juri Michailowitsch Luschkow, vor der Verschrottung gerettete Schiff im Mai 1996 auf den Namen „Moskwa“ umgetauft und zuletzt zwischen 2018 und 2020 grunderneuert und modernisiert. Als drittgrößtes Schiff der russischen Flotte spielte der nuklearwaffentaugliche Kreuzer auf militärischer Ebene dann weiter eine Schlüsselrolle.

Immer wieder war das Schiff auch auf diplomatischer Ebene im Einsatz – im Dezember 1989 etwa bei einem Gipfeltreffen vor Malta, bei dem sich der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Michail Gorbatschow, mit US-Präsident George Bush witterungsbedingt dann aber auf dem Kreuzfahrtschiff „Maxim Gorki“ traf.

Nur kurz nach seiner ersten Wahl zum russischen Präsidenten besuchte Wladimir Putin im Jahr 2000 zusammen mit seinem damaligen ukrainischen Amtskollegen Leonid Kutschma das in Sewastopol auf der Krim vor Anker liegende Schiff. Putin war in der Folge immer wieder mit hochrangigen Gästen an Bord der „Moskwa“. Im August 2014 empfing er vor Sotschi etwa den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und bei einem Besuch in Italien den dortigen Regierungschef Silvio Berlusconi.

Reuters
Putin war im Jahr 2000 zusammen mit dem damaligen ukrainischen Präsidenten Kutschma an Bord der „Moskwa“

Mit „f… dich“ in die Schlagzeilen
Erstmals in einem bewaffneten Konflikt kam das Schiff in Georgien im August 2008 zum Einsatz. Nachdem sich Russland auf der Seite des Machthabers Baschar al-Assad in den Syrien-Krieg eingeschaltet hatte, wurde die „Moskwa“ zwischen September 2015 und Jänner 2016 im östlichen Mittelmeer eingesetzt.

Nun war der Raketenkreuzer auch an Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligt. Zusammen mit der „Wassili Bykow“ nahm das Schiff bereits am ersten Tag der russischen Inavison die nahe der rumänischen Grenze gelegene ukrainische Schlangeninsel ins Visier. Der Funkverkehr mit den ukrainischen Grenzschützern auf der Insel ging viral: Auf die Aufforderung, sich zu ergeben, antworteten die nach einem Beschuss dann festgenommenen und mittlerweile wieder freigelassenen Grenzwächter: „Russisches Kriegsschiff, f… dich“.

Reuters/Valentyn Ogirenko
An die Ereignisse auf der Schlangeninsel erinnert die ukrainische Post mittlerweile per Briefmarke

„Die ‚Moskwa‘ war den Ukrainern seit Beginn des Konflikts ein Dorn im Auge“, so Militäranalyst Petersen, weswegen die von Kiew nun zelebrierte Versenkung wohl „ein echter Moralschub für die Ukrainer“ sei. Russland habe nun „einen bedeutenden Teil seiner Seekapazitäten im Schwarzen Meer und seine Fähigkeit, Ziele in der Ukraine zu treffen, verloren“, sagte dazu Militärexperte Pawel Luschin gegenüber der „Moscow Times“.

„Sichtbarster Aktivposten im Ukraine-Krieg“
Die „Moskwa“ spielte im Ukraine-Krieg vor allem als Drehscheibe für die Koordinierung von Seeangriffen eine zentrale Rolle. Eine weitere Aufgabe bestand darin, andere im Kriegseinsatz befindlichen russische Schiffe zu schützen. Bei CNN ist von Russlands „sichtbarsten Aktivposten im Ukraine-Krieg“ die Rede. Der größte Kriegsverlust eines Marineschiffs seit 40 Jahren dürfte auch die russische Moral schwer treffen, wie der US-Sender dazu anmerkt. „Das wirft Fragen über die Kompetenz der Marine auf“, sagte gegenüber CNN der ehemalige US-Marine-Kapitän Carl Schuster, und diese Zweifel würden „bis in den Kreml reichen“.

Russlands Präsident Putin habe vor rund zehn Jahren angekündigt, die Moral und die Professionalität der Marine wiederherstellen zu wollen, so Schuster, der mit Blick auf Russlands weitere Rückschläge im Ukraine-Krieg zum Schluss kommt: „Es scheint, dass er (Putin, Anm.) keines seiner Versprechen für irgendeinen der russischen Militärdienste einhalten konnte.“

„Leicht 700 Millionen“
Russland habe seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar Tausende Ausrüstungsgegenstände verloren – darunter Hunderte Panzer, zig Flugzeuge und das Landungsschiff „Saratow“ – der Verlust der „Moskwa“ ist der bisher teuerste, so das US-Nachrichtenmagazin Newsweek mit Verweis auf eine Auflistung des ukrainischen Ablegers des Finanzmagazins „Forbes“. Der Chefredakteur des Special Operation Forces Report (SOFREP) teilt gegenüber Newsweek dann auch die in diesem Zusammenhang genannten Zahlen: Es könne „leicht 700 Millionen Dollar (644 Mio. Euro) kosten, um das Schiff zu ersetzen“.

Erinnerung an Argentiniens „General Belgrano“
Ein vergleichbares Schiff ist CNN-Angaben zuletzt im Jahr 1982 während des Falkland-Kriegs versenkt worden. Die von einem britischen U-Boot torpedierte „General Belgrano“ war demnach „ähnlich groß“ wie die „Moskwa“, hatte mit rund 1.100 Mann aber eine rund doppelt so große Besatzung.
APA/AFP
Die „General Belgrano“ wurde 1982 während des Falkland-Krieges von den Briten versenkt

Beim Untergang der „General Belgrano“ starben insgesamt 323 Menschen. Ob und wie viele Besatzungsmitglieder nun beim Untergang der „Moskwa“ ums Leben kamen, ist indes eine weitere von vielen noch offenen Fragen. Vom russischen Verteidigungsministerium war bisher lediglich von einer Evakuierungsaktion die Rede. So wie die Zahl der von Bord geholten Besatzungsmitglieder bleibt zudem weiter offen, ob – wie im Netz derzeit vielfach spekuliert wird – auch Nuklearwaffen an Bord waren, und der Kommandant der Schwarzmeerflotte, Igor Osipow, tatsächlich infolge des „Moskwa“-Untergangs abgesetzt und verhaftet wurde.
16.04.2022, Peter Prantner, ORF.at/Agenturen

Links:
„Moskwa“-Untergang: Schwerer Schlag für Putins Armee
 

josef

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#38
RUSSISCHE GROSSOFFENSIV
Wetter spielt mehr als Nebenrolle
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In der Ostukraine hat die russische Armee ihre Großoffensive begonnen. Die Rede ist nun von einer „zweiten Phase“ des Krieges mit Angriffen über die gesamte Frontlinie in der Region Donbas – laut ukrainischen Angaben über 480 Kilometer. Bei allem Aufwand an Logistik und Truppenstärke hegen Militärexperten Zweifel an einem Erfolg der Großoffensive. Eine unberechenbare Rolle dabei spielt das Wetter.
Online seit heute, 13.51 Uhr
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Die russischen Truppen hatten bereits im Winter Probleme mit dem Wetter gehabt, als Temperaturen im zweistelligen Minusbereich das Tempo ihres Vormarschs gestoppt hatten. Aktuell im Frühling sind es Regen und aufgeweichte Böden, die zu einem entscheidenden – und nicht beinflussbaren – Faktor wurden.

Bei ihrer Offensive auf die ukrainische Hauptstadt Kiew seien die russischen Verbände hauptsächlich auf bzw. entlang zweier Straßen vorgerückt, sagte der Militärwissenschaftler Jack Watling vom britischen Royal United Services Institute (RUSI). Abseits dieser Straßen hätten sie wegen sumpfiger Böden und dichter Wälder Probleme gehabt, mit schwerem Gerät voranzukommen. Leichtere, sich schneller bewegende Infanterieeinheiten seien inzwischen schon in Reichweite der ukrainischen Artillerie geraten.

Aufgeweichtes Gelände bremst Panzer
Im Donbas sind die landschaftlichen Gegebenheiten zwar andere, Regen und aufgeweichte Böden könnten die russischen Angreifer dennoch bremsen, wie ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz am Dienstag aus der ostukrainischen Stadt Charkiw berichtete. Heftiger russischer Artilleriebeschuss entlang der Frontlinie diene dazu, das Feld für den eigenen Vormarsch aufzubereiten.

Das Wetter begünstige allerdings derzeit die ukrainischen Verteidiger, da aufgeweichte Straßen und aufgeweichtes freies Gelände es der russischen Panzertruppe schwermachten, wie geplant vorzurücken, was den ukrainischen Verbänden immer wieder die Gelegenheit zu Gegenangriffen biete.

Kein rasches Manövrieren im Gefecht
Ähnlich hatte die Lage zuletzt Michael Clarke, zwischen 2007 und 2015 Direktor des RUSI und aktuell am Londoner King’s College, analysiert. Bei einem Angriff über weites, offenes Gelände könnten die russischen Truppen Probleme bekommen, schweres Gerät wie Panzer und Artillerie rasch zu manövrieren, sagte er in einer Analyse für Sky News.

Reuters/Alexander Ermochenko
Abseits der Straßen tun sich Panzer mit schnellen Manövern schwer

Die ukrainische Seite habe inzwischen Zeit gehabt, sich auf den Angriff vorzubereiten. Die Temperaturen waren in den letzten beiden Wochen deutlich gestiegen, es regnete, für die nächsten Tagen sind für die Ostukraine Regen und Temperaturen teils über 20 Grad prognostiziert.

Spekulationen über den 9. Mai
RUSI-Militärexperte Watling erwartet in der Ostukraine ein direktes Aufeinandertreffen russischer und ukrainischer Verbände, wie er am Donnerstag gegenüber der BBC sagte, mit entsprechend heftigen Gefechten. Das britische Institut befasst sich mit Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit.
APA/AFP/Sergey Bobok
Bis März hatte strenger Frost den russischen Vormarsch gebremst

Mehrfach war in den letzten Wochen spekuliert worden, dass Russland bzw. sein Präsident Wladimir Putin am 9. Mai den militärischen Sieg im Donbas, der wichtigen ukrainischen Industrieregion, verkünden wolle, am Tag des Sieges der damaligen Sowjetunion über Nazi-Deutschland, dem wichtigsten russischen Feiertag samt jährlich stattfindender riesiger Militärparade in Moskau. Ist dieses Ziel bzw. Datum realistisch?

Weitere Mobilmachung anstatt Sieg verkünden?
„Machbar“ sei das, so die Einschätzung des britischen Militärwissenschaftlers im BBC Radio 4, aber „weit weg von sicher.“ Die ukrainischen Einheiten seien inzwischen erschöpft, die Gefechte dürften heftig werden, die ukrainische Seite riskierte viele Opfer. Allerdings heißt es immer wieder, dass die Moral der russischen Truppen schlecht sei, da die „Militäroperation“, wie der Krieg von Moskau offiziell genannt wird, nicht so verlaufe wie erhofft. Auch für sie könnte die Offensive ein letzter Versuch sein, bevor sie sich neu aufstellen müssten.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW/dpa

Watling hält es durchaus für möglich, dass Russland, statt einen Sieg in der Ostukraine zu verkünden, eine weitere Mobilisierung ankündigt. Als Russlands strategisches Ziel gilt die Errichtung eines Landkorridors zwischen dem Donbas und der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Die „Schlacht vom Donbas“ habe nun begonnen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Stabschef Andrij Jermak sprach von einer „zweiten Phase des Krieges“, die mit dem russischen Großangriff entlang der Hunderte Kilometer langen Front begonnen habe.
19.04.2022, red, ORF.at

Links:
Russische Großoffensive: Wetter spielt mehr als Nebenrolle
 

josef

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#39
Historiker-Tagung in Salzburg: War Ukraine-Krieg vorhersehbar?
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Der Ukraine-Krieg ist auch Thema bei der größten Tagung österreichischer Zeithistoriker. Diese läuft gerade in der Stadt Salzburg. Hätte der Krieg vorhergesehen werden können? Das ist nur eine der Fragen, auf die man aktuelle Antworten sucht.
Online seit heute, 8.00 Uhr
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Margit Reiter ist Professorin für Zeitgeschichte an der Uni Salzburg. Für sie ist der Krieg durchaus nachvollziehbar: „Wenn man ein bisschen mit der Geschichte dieser Region beschäftigt, und wenn man weiß, was da im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, dann sieht man, wie ungelöst viele Konflikte da noch sind. Dadurch ist die Entwicklung in gewisser Weise auch nachvollziehbar.“

Haben Politiker zu wenig Geschichtswissen?
Für Zeitgeschichtler geht es auch darum, die Komplexität von aktuellen Ereignissen nachvollziehbar zu machen – und damit auch der Politik mehr Orientierung zu geben, wie Salzburgs Ex-Landeshauptmann Franz Schausberger betont, der auch habilitierter Historiker ist: „Es wäre wichtig, in der Politik wieder mehr Geschichtsbewusstsein und Geschichtswissen zu haben.“

Putins „Verwandtschaft“ zu Milosevic
Auch Schausberger ist Professor für Zeitgeschichte. Für ihn ist es wichtig, die handelnden Personen zu kennen – und zu erkennen: „Wenn man sieht, wie früher Machtbesessene ihre Kriege begonnen und geführt haben, dann kann man aktuell früher einschätzen, ob das aktuell wieder der Fall ist. Ich vergleiche zum Beispiel das Tun des Herrn Putin mit dem, was Milosevic in den 1990er-Jahren bei den Balkankriegen aufgeführt hat. Wenn man sich das genau anschaut, dann hätte man schon erkennen können, wo das hinführt.“

Klischees und Schlagwörter
Das oft zitierte Schlagwort vom „Lernen aus der Geschichte“, das sei wirklich nur ein Schlagwort, betonen die Historiker. Es werde immer wieder von der historischen und aktuellen Realität überholt bzw. außer Kraft gesetzt.
23.04.2022, red, salzburg.ORF.at
red, salzburg.ORF.at
 

josef

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#40
ORF - Liveticker zu den Kämpfen in der Ukraine - Teil 3:
Fortsetzung von Beitrag #29:

25.04.: Osten weiter unter starkem Artilleriefeuer

26.04.: Lawrow schürt Angst vor Drittem Weltkrieg

27.04.: Russische Gaslieferungen an Polen gestoppt

28.04.: UNO-Chef Guterres in Borodjanka und Butscha

29.04.: Kiew: Feldlazarett in Mariupol beschossen

30.04.: GB: Russland muss Truppen neu aufstellen

01.05.: Selenskyj: Russland verstärkt Armee im Osten

02.05.: Weitere Evakuierung Mariupols erwartet

03.05.: Mariupol: 200 Zivilisten in Bunkern gefangen

04.05.: Moskau droht mit Angriff auf NATO-Transporte

05.05.: Asow-Stahl: Hoffnung auf weitere Evakuierung

06.05.: UNO: Weitere Evakuierung Mariupols geplant

07.05.: Vor 9. Mai: Selenskyj mahnt Ukrainer zu Vorsicht

08.05.: Trudeau überrascht mit Besuch in Irpin

09.05.: Selenskyj: 60 Tote in bombardierter Schule

10.05.: Tote bei Raketenangriffen auf Odessa

11.05.: Kiew: Geländegewinne um Charkiw

12.05.: Asow-Stahl: Kiew schlägt Tauschgeschäft vor

13.05.: Fluss stoppt russische Offensive

14.05.: Kiew: Russland bei Charkiw auf Rückzug

15.05.: London: Große Verluste bei russischem Militär

16.05.: Ukraine erreicht bei Charkiw Grenze

17.05.: Hunderte Soldaten verlassen Asow-Stahl-Werk

18.05.: Ukraine: Russische Armee setzt sich im Süden fest

19.05.: Moskau: 771 weitere Kämpfer aus Stahlwerk geholt

20.05.: Selenskyj: Donbas „komplett zerstört“

21.05.: Nach Mariupol: Heftige Gefechte im Donbas

22.05.: Ukraine verlängert Kriegsrecht um 90 Tage

23.05.: Krieg führt zu Höchstzahl an Flüchtlingen

24.05.: Selenskyj drängt auf Gefangenenaustausch


Fortsetzung siehe Teil 4 - Beitrag #53
 
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