Propagandafilm der 1961 auf der russisch-arktischen Doppelinsel Nowaja Semlja jemals gezündeten stärksten Wasserstoffbombe veröffentlicht

josef

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Aufnahmen der stärksten Bombenexplosion aller Zeiten veröffentlicht
1961 zündete die Sowjetunion eine Wasserstoffbombe, deren Zerstörungskraft 4.000 Hiroshima-Bomben entsprach
Was am 30. Oktober 1961 über der russisch-arktischen Doppelinsel Nowaja Semlja seinen Ausgang nahm, erinnert mehr an eine geologische Katastrophe als an einen Test menschlicher Technologie. Um 11:32 Uhr Moskauer Zeit wurde in vier Kilometern Höhe eine Bombe gezündet, die bis heute jede andere Waffe in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellt: RDS-220, besser bekannt als "Zar-Bombe" – die stärkste je gebaute und gezündete Wasserstoffbombe aller Zeiten.


Ausschnitt aus dem nun freigegebenen Propagandafilm über den Test der Zar-Bombe.
Foto: Rosatom

Wahnwitzige Aufrüstung
Das nukleare Ungeheuer hatte eine Sprengkraft von 50 Megatonnen, dem Äquivalent von 50 Millionen Tonnen TNT. Damit war sie etwa 4.000 Mal so stark wie die US-Atombombe Little Boy, die 1945 die japanische Stadt Hiroshima zerstörte. Die Sprengkraft der stärksten je getesteten amerikanische Wasserstoffbombe Castle Bravo (1954) betrug "nur" ein Drittel jener der Zar-Bombe. Die russische Atombehörde Rosatom hat nun einen sowjetischen Propagandafilm erstmals vollständig veröffentlicht, der Teile der Vorbereitung und Durchführung des Bombentests sowie Originalaufnahmen der Explosion zeigt. Der Film, im klassischen Sowjet-Patriotismus gehalten, dokumentiert das erschreckende Ausmaß der Zerstörung ebenso wie die wahnwitzige Aufrüstungslogik des Kalten Krieges.

Росатом

Sieben Mount Everests
Der Atompilz der Zar-Bombe wuchs mit 65 Kilometern in die siebenfache Höhe des Mount Everest empor und ragte damit bis in die Mesosphäre hinauf, die mittlere der fünf Schichten der Erdatmosphäre. Der gleißende Lichtblitz der Explosion war über 1.000 Kilometer weit zu sehen, die enorme Hitze hätte in einem Radius von mehr als 100 Kilometern Verbrennungen dritten Grades verursacht. Obwohl der Test in vier Kilometern Höhe durchgeführt wurde, zeichneten seismische Messstationen rund um die Welt ein Ereignis von mehr als 5,0 auf der Richterskala auf. Fensterscheiben barsten noch in Norwegen und Finnland.

Das Inferno von Nowaja Semlja markierte in Sachen Zerstörungskraft einen einmaligen Höhepunkt der nuklearen Aufrüstung der UdSSR und der USA, die in den vorangegangenen Jahren jeweils hunderte Atomtests durchgeführt hatten. Erst im Juni 1961 hatten sich der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow und der US-Präsident John F. Kennedy in Wien getroffen. Das Ziel des Wiener Gipfels, Spannungen zwischen den beiden Weltmächten abzubauen, war unerreicht geblieben, Chruschtschow hatte erklärt: "Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufzwingen sollten, wird es einen geben." Kennedys Antwort: "Wie es scheint, wird es einen kalten Winter geben in diesem Jahr."

Halbierte Sprengkraft
Der Herbst wurde heiß – zahlreiche sowjetische Nukleartests sollten dem Westen vor Augen führen, was im Falle eines Angriffs drohte. Die von Wissenschaftern um den späteren Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow konstruierte, dreistufige Zar-Bombe war sogar für eine Sprengkraft von 100 Megatonnen ausgelegt, für den Test wurde jedoch auf die volle Leistung verzichtet. Sacharow, der nach dem Zweiten Weltkrieg überzeugt gewesen war, dass nur ein nukleares Gleichgewicht zwischen den Supermächten einen Atomkrieg verhindern konnte, versuchte wiederholt, Chruschtschow von diesem und anderen Tests in der Erdatmosphäre abzubringen. Seine wachsenden Sorgen um die Sicherheit von Mensch Umwelt wurden nicht erhört.

Der nun in voller Länge vorliegende Propagandafilm mit dem Titel: "Streng geheim. Test einer sauberen Wasserstoffbombe mit einer Leistung von 50 Megatonnen" zeigt, untermalt mit heroisch-dramatischer Musik, wie die 27 Tonnen schwere und acht Meter lange Bombe mit zwei Metern Durchmesser per Eisenbahn auf die Halbinsel Kola im Nordwesten Russlands transportiert und dort auf einer modifizierten Tupolew Tu-95-W verladen wird. Der Langstreckenbomber, begleitet von einem zweiten Flugzeug mit wissenschaftlicher Ausrüstung, flog die Bombe zum Testgelände Sukhoy Nos in der Mitjuschikabucht und warf sie in 10.000 Metern Höhe ab.

Strategische Megalomanie
Während im Film die Priorität der Sicherheit aller Beteiligten betont wird, war die Aktion in Wirklichkeit eine hochriskante Mission: Die Überlebenschancen der Crew wurden auf gerade einmal 50 Prozent geschätzt. Die Bombe wurde durch einen Fallschirm abgebremst, um dem Flugzeug mehr Zeit zum Verlassen des Testgebiets zu ermöglichen – 45 Kilometer schaffte die Tupolew mit Andrej Durnotsew am Steuer, bis ihre zerstörerische Fracht explodierte. Durch die gewaltige Schockwelle verlor die Maschine unmittelbar einen Kilometer an Höhe, Durnotsew erlangte aber die Kontrolle wieder und konnte später sicher landen.
Der US-Auslandsgeheimdienst CIA wusste über die sowjetischen Nukleartests gut Bescheid. Wie inzwischen veröffentlichte Dokumente zeigen, schätzten US-Physiker die Sprengkraft der Zar-Bombe allerdings auf 57 Megatonnen. 1963 hieß es in einem geheimen Bericht, dass die USA ebenfalls eine Waffe von solcher Zerstörungskraft entwickeln könnten – passiert ist das jedoch nie. In den folgenden Jahren änderte sich nämlich die Strategie der Supermächte: Der Fokus richtete sich nicht auf die Entwicklung immer größerer Nuklearwaffen, sondern auf kleine Bomben, mit denen sich Raketen bestücken und weitaus mehr Ziele gleichzeitig bedrohen ließen.

Sacharows Verzweiflung
Für Sacharaow war der Test der Zar-Bombe ein endgültiger Wendepunkt: "Ein Gefühl, der Ohnmacht, der unerträglichen Bitterkeit, der Scham und Erniedrigung erfasste mich", erinnerte er sich später, "Ich fiel mit dem Gesicht auf den Tisch und weinte." Aus dem "Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe" wurde ein immer offenerer Kritiker des Sowjet-Regimes, der für seinen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte zum Staatsfeind erklärt und in die Verbannung geschickt wurde.

Immerhin einigten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien 1963 auf ein Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser – und weitere Tests im Ausmaß der Zar-Bombe blieben der Erde erspart.
(David Rennert, 30.8.2020)

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