Renaissance ehemaliger privater Schutzräume durch die Corona-Krise

josef

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Schutzraum im Keller: Im Corona-Jahr haben manche nachgerüstet
Früher mussten Schutzräume im Keller eingeplant werden – heute werden diese meist als Hobbyräume genutzt. In der Corona-Krise haben manche das überdacht
Weinkeller, Hobbyraum, Abstellkammerl: So nutzen viele Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer heute jene Schutzräume, die sie als Reaktion auf den Kalten Krieg früher laut Bauordnung in fast allen Bundesländern beim Hausbau einplanen mussten. Wie viele davon heute im Fall des Falles einsatzbereit wären, weiß man nicht so genau.


Der Schutzraum ist ein Raum, den man nie verwenden will – und der im Alltag oft anderweitig genutzt wird.
Foto: Getty Images/iStockphoto/klyaksun

Manfred Schuster schätzt, dass drei bis fünf Prozent der Bevölkerung einen funktionierenden privaten Schutzraum haben. Er plant mit seinem Unternehmen Seba mit Sitz in Regau in Oberösterreich solche Räume für Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen. Das Geschäft brummt besonders in unsicheren Zeiten: Im Corona-Jahr 2020 hätten die Anfragen um 40 bis 50 Prozent zugenommen. Interesse gebe es auch von Menschen, die in der Theorie bereits einen Schutzraum im Keller haben, diesen nun aber für den Ernstfall funktionsfähig machen, also beispielsweise mit den nötigen Luftfiltern versehen lassen wollen.

Meist lassen konkrete Anlässe das Interesse steigen. Das Reaktorunglück in Fukushima zum Beispiel. Aber auch die Angst vor Blackouts oder das Erdbeben in Ostösterreich vor wenigen Tagen machen Menschen genau 35 Jahre nach Tschernobyl angesichts der Atomkraftwerke in den Nachbarländern Sorgen, erzählt Schuster. Er betont: Es sind Sicherheitsräume, die er verkauft – und keine Bunker, denn der Begriff stamme aus dem militärischen Bereich.

Keine Bunker
Ab 13.000 Euro kosten Planung und Material für einen Schutzraum, exklusive Baukosten. Die Mauer muss aus mindestens 30 Zentimeter dickem Stahlbeton bestehen, die Decke 25 Zentimeter dick sein. Die Frischluft kommt über Stahlrohre in den Schutzraum – und kann notfalls, etwa bei einer nuklearen Katastrophe, gekappt werden. Dann kommt ein Sandfilter zum Einsatz, der die Luft reinigt. Wer mehr will – etwa eine panzerdichte statt nur einer gasdichten Tür –, zahlt mehr.
Den Schutzraum sieht Schuster ähnlich wie eine Versicherung, die man zwar hat, bei der man aber auch hofft, sie nie zu brauchen: "Aber man sollte den Schutzraum nicht als verlorenen Raum sehen, sondern als Raum, den man auch anderweitig nutzen kann." Daher beobachtet er auch, dass die Schutzräume ein wenig größer werden: Für sechs Leute habe man früher 16 Quadratmeter anberaumt. Heute seien sie großzügiger bemessen, damit sie in sicheren Zeiten auch als Hobbyraum genutzt werden können.

Haus mit Schutzraum im 23. Bezirk
Immobilienmaklerinnen und Immobilienmaklern kommen schon etwas ältere Häuser mit solchen Schutzräumen nur selten unter, wie ein Rundruf des STANDARD ergibt. Die Maklerin Roswitha Adler von Michael Bajer Immobilien hat derzeit aber ein Haus im 23. Wiener Gemeindebezirk mit eigenem Schutzraum im Angebot. Bisher sei dieser als Weinkeller genutzt worden. Die Nutzung wird sich durch den Verkauf wohl nicht groß verändern: Schutzräume sind auf Käuferseite so gut wie nie ein Thema, berichten Maklerinnen und Makler unisono.

Anders verhält sich das in der Schweiz, wo die Schutzräume beim Bau eines Gebäudes auch heute noch vorgeschrieben sind. Wer keinen errichten kann, muss dafür eine Abgabe zahlen und sich so für den Fall des Falles anderswo einen Platz sichern. "In der Schweiz gibt es mehr Schutzraumplätze als Bewohner", berichtet der Schweizer Christian Hanus. Er ist Leiter des Departments für Bauen und Umwelt an der Donau-Universität Krems: "Als ich nach Österreich zog, habe ich mich in meiner helvetischen Naivität beim Magistrat erkundigt, wo mein zugewiesener Platz in einem öffentlichen Schutzraum ist, weil mein Gebäude nicht unterkellert ist", erzählt er. Die Reaktionen auf diese Anfrage seien sehr überrascht ausgefallen.

Anderer Umgang mit Gefahr
In Österreich sei die Gefährdungslage zwar keine andere als in der Schweiz. Dennoch gehe man damit anders um, sagt Hanus. Auch das höhere Maß an Eigenleistung, das beim Einfamilienhausbau in Österreich eingebracht wird, könnte ein Grund dafür sein, dass man von den Schutzräumen, die von Profis gebaut und abgenommen werden müssen, ablässt. "Man ist fast ein Exot, wenn man sich hierzulande einen Schutzraum baut", sagt Hanus. Am ehesten geschehe das im höherpreisigen Segment, etwa beim Bau einer Villa.

Allerdings könnte sich das künftig wieder ändern, ist Hanus überzeugt. Denn einerseits wird der Klimawandel mit extremen Wetterereignissen – etwa starken Stürmen – immer drängender. Andererseits auch Blackouts und damit einhergehend der Wunsch nach mehr Autarkie. "Ich bin überzeugt, dass die Schutzräume – nebst anderen Maßnahmen – wieder in den Fokus rücken werden", sagt Hanus.

Unterirdischer Luxus
Für Bestandsgebäude sind auch Nachrüstungen machbar, berichtet Manfred Schuster. Und einen Sicherheitsraum mit Gasfilter kann man sich auch in einer Wohnung einrichten, am besten funktioniere das in einem Raum mit möglichst wenigen Fenstern, die dann im Ernstfall provisorisch abgedichtet werden können.
Immer wieder liest man in Medien über unterirdischen Luxus, mit dem sich Menschen auf den Tag X vorbereiten. In Las Vegas stand vor wenigen Jahren ein Bunker mit 1.400 Quadratmetern Wohnfläche, inklusive eigenem Swimmingpool, zum Verkauf. Auch Schusters Unternehmen hat im Nahen Osten schon Schutzräume errichtet, bei denen der 100 Quadratmeter große Wohnbereich aus dem Obergeschoß im Untergeschoß detailgetreu nachgebaut wurde – nur ohne Fenster.

Notvorräte nachgefragt
In Österreich gibt man sich im Keller bescheidener, sagt Schuster. Mit dem funktionsfähigen Schutzraum ist es aber nicht getan. Denn wer sich auf einen wochenlangen Aufenthalt im Keller vorbereiten will, braucht auch etwas zu essen. Mit dem Anfang der Pandemie nahm bei Manfred Schuster die Nachfrage nach Notvorrat – das ist dehydrierte und gefriergetrocknete Nahrung, wahlweise auch laktosefrei oder vegetarisch, oder Brot aus der Dose, die bis zu 15 Jahre lang haltbar sind – schlagartig zu. Prompt gab es Lieferverzögerungen.

Alle fünf Jahre sollten die Räume überprüft und gewartet werden. Die privaten Schutzräume seien meist in gutem Zustand, berichtet der Baumeister. Aber Schutzräume im öffentlichen Bereich seien häufig mit alten Möbeln vollgestellt, "und wenn man einen Tag zum Ausräumen braucht, ist der Raum nicht funktionsfähig".
Diskretion wird in der Branche übrigens großgeschrieben. Daher fahren die Profis häufig mit Autos ohne Firmenlogo vor. "Man will nicht, dass der Nachbar das weiß", sagt Schuster. Man weiß ja nie.
(Franziska Zoidl, 27.4.2021)

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