Risikobericht des Bundesheeres

josef

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#1
RISIKOBERICHT DES BUNDESHEERS
Österreich will zurück zur Umfassenden Landesverteidigung
Die sicherheitspolitische Jahresvorschau des österreichischen Verteidigungsministeriums umfasste vor fünf Jahren noch 25 Risikofaktoren. Aktuell sind es 72 – und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht

"Die im Verfassungsrang stehende Umfassende Landesverteidigung muss als gesamtstaatliche Kernaufgabe wieder an Bedeutung gewinnen", sagt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.
Foto: HBF/Carina Karlovits

Wien – Es ist Krieg. Und das neutrale Österreich steht nicht irgendwo außerhalb, denn es ist Teil der Europäischen Union. In der aktuellen sicherheitspolischen Jahresvorschau wird das bereits im Titel des am Freitag präsentierten 262 Seiten starken Analysebands klargestellt: "Risikobild 2023 – Krieg um Europa". Und eben nicht nur "in" Europa, sondern "um" das, was das freie Europa ausmacht.

Krieg um die Werte
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) betonte das bei der Präsentation ausdrücklich: Da geht es erstens um den Krieg Russlands gegen die Ukraine, zweitens aber auch um einen Krieg gegen westliche Werte und nicht zuletzt auch um einen Krieg gegen die europäische Wirtschaft.

Die hybriden Angriffe Russlands auf europäische Staaten hätten gezeigt, wie verletzlich die Systeme sind, auf die wir uns gern verlassen. Diese zu schützen ist auf den ersten Blick die Rolle des Militärs: "Wir müssen uns auf den Schutz der österreichischen Souveränität zurückbesinnen, wir haben viel zu tun – unserem Baudirektor wird nicht fad, unserem Rüstungsdirektor auch nicht", sagte die Ministerin.

Jeder Einzelne gefordert
Aber die militärische Aufgabe sei eben nur ein Teil der Umfassenden Landesverteidigung (ULV). Dabei handelt es sich um ein Konzept aus den 1970er-Jahren, das in der Verfassung steht, aber seit dem Jahr 1989 mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Wer weiß noch, was zivile Landesverteidigung ist? Oder wirtschaftliche? Deren Defizite hat man in der Energie- und Medikamentenversorgung der letzten Monate ja gesehen. Und um die geistige Landesverteidigung hat sich eine von Pazifismus beseelte Gesellschaft auch schon lange nicht mehr gekümmert. Nun ist die geistige Landesverteidigung immerhin in die Lehrpläne zurückgekehrt – wie sich das auf die Wehrbereitschaft auswirken wird, ist noch nicht abzusehen.

Tanner fordert jedenfalls, die ULV wiederzubeleben – und setzt genau dort an: Es geht ihr dabei um eine gesamtstaatliche Zusammenarbeit, beginnend mit der "geistigen Unterstützung des Bundesheers, und die Bereitschaft jedes Einzelnen, einen Beitrag zur Sicherheit und Krisenfestigkeit unseres Landes zu leisten".

Kommunikationsproblem des Militärs
In diese Richtung argumentiert auch Franz-Stefan Gady, Militäranalyst am International Institute for Strategic Studies (IISS) in London und einer der vielen Co-Autoren des aktuellen Risikobilds: "Wir haben als Militärs und als Analysten ein Kommunikationsproblem nicht nur mit der Politik, sondern auch mit der Gesellschaft."


Das für Experten Offensichtliche – die militärischen Bedrohungen und ihre begleitenden Aktionen etwa im Internet und in der gezielten Störung wirtschaftlicher Abläufe – würde in der breiten Öffentlichkeit und den Medien oft verdrängt, verniedlicht oder schlicht übersehen.

Brigadier Peter Vorhofer fiel bei der Präsentation des Berichts die Aufgabe zu, diese Offensichtlichkeiten den anwesenden Politikern und Wirtschaftstreibenden deutlich zu machen: "Alle Megatrends, die wir analysieren, weisen auf eine Verschlechterung der Lage hin."

Sorge vor einem Angriff auf ein EU-Land
Das Bedeutendste wäre wohl die Gefahr, dass im aktuellen russischen Krieg ein Angriff auf ein EU-Land erfolgen könnte – "dann wäre Österreich blitzartig in der Situation, sich über die Beistandspflicht Gedanken zu machen". Noch sei vielen Menschen in Österreich nicht bewusst, dass es diese Beistandspflicht gibt – weil sich die irreführende Neutralitätserzählung "Wer nicht mitspielt, kann nicht verlieren" in den Köpfen der Bevölkerung festgesetzt hat.

Und selbst wenn es nicht zu einem Angriff auf ein EU-Land komme, drohe eine andere Form der Eskalation Rückwirkungen auf Österreich zu erzeugen: "Was wir nicht tun dürfen, ist das nukleare Risiko zu unterschätzen", ergänzte Gady. Im publizierten Risikobild ist explizit von einem russischen "Kopfkrieg" die Rede, in dem Ängste vor einem Atomschlag und radioaktivem Fallout in der ganzen EU geschürt werden.

Bedrohung für Österreich
Im Kern geht es beim Risikobild natürlich um die konkrete Bedrohung Österreichs – schließlich ist der Herausgeber ja das Verteidigungsministerium. Dieses leitet daraus ab, welche Fähigkeiten besonders gestärkt werden müssen.

Dazu zählt vor allem die Luftverteidigung, ein Wort, das lange (etwa in Abfangjäger-Diskussionen) vermieden wurde, nun aber wie selbstverständlich verwendet wird, sogar von Bundeskanzler Karl Nehammer, der im Bericht zitiert wird: "Die Bedrohung durch Raketen ist näher gerückt. Sie hat unser bisheriges strategisches Handeln auf den Kopf gestellt. Wir müssen die Luftverteidigung sicherstellen."

Drohnen in den Händen von Extremisten
Drohnen könnten sogar bei einer subkonventionellen Bedrohung Österreichs eine Rolle spielen, stellt der als Analyst des Kriegs gegen die Ukraine bekannt gewordene Oberst Markus Reisner fest. Sogar Terrororganisationen – nicht nur islamistische, sondern möglicherweise auch rechtsextreme – könnten sich ihrer bedienen: "Je kleiner, desto günstiger und geringer der technische Aufwand."

Und bei alledem sollte nicht vergessen werden, dass die Corona-Pandemie noch nicht überwunden und die Energieversorgung nicht völlig stabil ist – auch das gehört zum aktuellen Risikobild.
(Conrad Seidl, 27.1.2023)
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#2
Symposium: Aufholbedarf bei Zivilschutz & Militär
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Die Krisen der vergangenen Jahre rücken das Thema der „Umfassenden Landesverteidigung“ wieder stärker in den Fokus. Dazu gehört etwa die Versorgung der Bevölkerung, der Zivilschutz oder das Bundesheer. Bei einem Symposium in St. Pölten ortete man Aufholbedarf.
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Es waren Fragen über die grundlegende Sicherheit der Zivilbevölkerung, die beim Symposium am Montag im Landhaus diskutiert wurden: Was tun die Gemeinden, wenn der Strom fehlt? Wie gut gerüstet sind das Militär und die Blaulichtorganisationen im Krisenfall? Wie gehen wir mit klimabedingten Naturkatastrophen um? Themen, die wieder ernster genommen werden sollen.

Im Falle eines Blackouts etwa sei man nicht überall in Niederösterreich gut vorbereitet. „Es gibt Gemeinden, die mit dem Zivilschutzverband sehr gute Notfallpläne ausgearbeitet haben und bestens gerüstet sind. Gleichzeitig gibt es viele, die noch nachhinken. Wir wollen das nun nach oben nivellieren, damit jede Gemeinde gut aufgestellt ist“, sagte Sicherheitslandesrat Christoph Luisser im Gespräch mit noe.ORF.at und verwies auf ein Sonderbudget für den Zivilschutzverband.

Erhöhung des Bundesheerbudgets: „Wichtiger Schritt“
Das Konzept der „Umfassenden Landesverteidigung“ – ein Sicherheitskonzept, dass in den 1960er Jahren entwickelt und 1975 in der österreichischen Bundesverfassung festgeschrieben wurde – sei in den letzten Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich zunehmend in Vergessenheit geraten. Die militärische Landesverteidigung etwa habe man in jeder Hinsicht immer weiter reduziert, hieß es beim Symposium.
Positiv reagierte daher etwa Landtagspräsident Karl Wilfing über die nun geplante Erhöhung des Bundesheerbudgets, dies sei ein wichtiger Schritt: „Wir haben militärisch einfach vieles aufzuholen. Manche mögen schmunzeln darüber, wenn eine Hercules-Maschine nicht abheben kann, um Personen aus Israel zu holen. Aber gleichzeitig ist das eine Schande für so ein reiches Land wie Österreich“.

Bevorratung für Blaulichtorganisationen
Als negativ bewerteten einige Teilnehmer – die Vertreter aus Militär, Wirtschaft, Politik und Bildung wurden rein männlich besetzt – die mangelnde Wehrbereitschaft in Österreich. Um die Bereitschaft zu steigern, sei insbesondere das Bildungsministerium gefragt, denn das Bewusstsein für Zivilschutz und Militär sollte in der Schule bereits gestärkt werden, erklärte Peter Fender, Präsident der Offiziersgesellschaft Niederösterreich und Mitglied im „Kuratorium für die Umfassende Landesverteidigung“.

Die Dienststellen der Blaulichtorganisationen hingegen sollten umfangreicher mit Material wie Treibstoff, Wasser oder Lebensmitteln bevorratet werden, hieß es. Zusätzlich sollte es mehr Ersatzfahrzeuge geben, um für jeden möglichen Krisenfall längerfristig gewappnet zu sein.
24.10.2023, Michelle Kreuzer, noe.ORF.at

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#3
NEUER BERICHT
Bundesheer zeichnet düsteres Risikobild
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Bei der Präsentation des Berichts „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“ haben hochkarätige Vertreter des Bundesheers und Fachleute ein düsteres Bild gezeichnet. So werde die neue Zeit der militärischen „Unordnung“ die Welt und Österreich noch „mindestens zwei Dekaden“ begleiten, sagte Generalmajor Peter Vorhofer. Die Gefahr einer Konfrontation zwischen der EU und Russland wird als „sehr hoch“ eingeschätzt.
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„Das bedeutet, dass wir 2024 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hybride Kriegsführung erleben“, so Vorhofer. In seinem Vortrag zählte er insgesamt acht für Österreich besonders relevante Risiken auf, darunter etwa die Störung von Lieferketten durch Konflikte, die Auswirkungen von Migration, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, deren Ausbleiben im aktuellen Superwahljahr „extrem ungewöhnlich“ wären.

Zeit um EU-Wahl neuralgisch
Schließlich nannte der Experte auch Versuche von externen Akteuren, die europäische Integration „durch gezielte Angriffe und Zwangsausübung“ zu schwächen. Es solle nämlich verhindert werden, dass Europa zu einem wesentlichen sicherheits- und außenpolitischen Akteur werde.
Der verteidigungspolitische Direktor des Ministeriums, Arnold Kammel, wies in diesem Zusammenhang auf die bevorstehende Europawahl hin, die Umstände seien „nicht (zu) unterschätzen“. Schließlich habe die „europäische Handlungsschwäche“ vor der EU-Wahl 2014 den russischen Machthaber Wladimir Putin dazu „eingeladen“, seine ersten Aggressionsschritte gegenüber der Ukraine zu setzen. Entsprechend müsse es das Anliegen sein, die Übergangsphase um die Europawahl „möglichst kurz“ zu halten.

„Europa hätte spätestens 2014 reagieren müssen“
„2014 war spätestens der Zeitpunkt, wo wir in Europa hätten reagieren müssen“, betonte der Militärstratege Günter Hofbauer mit Blick auf Russland. „Wir sollten in der Beurteilung schärfer werden“, forderte er. In Bezug auf Russland habe man sich nämlich „dadurch verführen lassen, keine politischen Absichten zu erkennen“. Doch habe sich gezeigt, dass sich diese Absichten „sehr kurzfristig ändern“ können, plädierte Hofbauer dafür, die einzelnen Akteure nach ihren jeweiligen militärischen und sonstigen Potenzialen zu bewerten.

„Grauzone“ zwischen Frieden und Krieg
Einig sind sich die Heeresfachleute darin, dass die militärischen Konflikte eher zunehmen werden, „weil der Krieg als Dimension der Politik zurück ist“, wie Vorhofer sagte. „Eines ist klar: Es wird schneller und es wird mehr“, sagte auch Hofbauer, der diesbezüglich von einer „Grauzone“ sprach. „Wir sind in einer Phase, wo es noch nicht Krieg, aber auch nicht mehr Frieden ist.“

Bundesheer „wieder kriegsfähig machen“
Dieser Umstand mache es nötig, auch das Bundesheer „wieder kriegsfähig zu machen“. Schließlich brauche es ein Jahrzehnt für den Aufbau einer Luftverteidigung, und in zehn bis 15 Jahren werde Russlands Krieg gegen die Ukraine „nur einer der Konflikte sein“.

Tanner: „Welt aus den Fugen geraten“
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner sprach sich in ihrem Statement dafür aus, „fokussiert“ zu bleiben. „Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann sollten wir selber das nicht tun“, brach sie unter anderem eine Lanze für die Beteiligung Österreichs an gemeinsamen europäischen Verteidigungsprojekten. „Ich bin überzeugt, dass diesen Risiken nur durch Zusammenarbeit begegnet werden kann“, sagte sie. Ausdrücklich erwähnte sie dabei das von der FPÖ heftig als Neutralitätsbruch bekämpfte „Sky Shield“-Luftverteidigungsprojekt. Angesichts der Bilder aus der Ukraine, wo Krieg mit ballistischen Raketen und Drohnen geführt werde, dürfe es hier über Österreich „keine Lücke“ geben. „Ich bin Deutschland sehr dankbar für diese Initiative, an der so viele europäische Staaten beteiligt sind.“

Die Verteidigungsministerin lobte das milliardenschwere Aufrüstungspaket für das Bundesheer. Dieses sei auch durch ein entsprechendes Gesetz abgesichert und werde somit über Legislaturperioden hinauswirken, sagte sie in ihrer Rede in Richtung der Wehrsprecher der Parlamentsparteien.
Tanner zeigte sich auch froh darüber, dass Österreich kein Berufsheer eingeführt habe. Bei der Volksbefragung im Jahr 2013 sei „eine sehr richtige und weitreichende Entscheidung getroffen“ worden. Das sehe man jetzt, „wo andere Staaten daran denken, die Wehrpflicht wieder hervorzuheben“.

Bericht soll an Schulen und Unis gehen
Angesichts der mannigfaltigen Sicherheitsherausforderungen hob Tanner auch die Notwendigkeit hervor, stärker auf „geistige Landesverteidigung“ zu setzen. Sie zeigte sich besorgt, „wie wenig geschätzt insbesondere von der künftigen Generation wird, dass wir in einer Demokratie leben“. Diesbezüglich verwies sie auf die Verankerung des Konzepts der umfassenden Landesverteidigung in den Lehrplänen. Auch soll die Publikation „Risikobild 2024“, an der Dutzende Fachleute aus verschiedenen Fachrichtungen mitgearbeitet haben, den Schulen und Universitäten zur Verfügung gestellt werden.

Fokus auf mehreren Regionen
Hofbauer und vier weitere Experten gaben bei der Präsentation kurze regionale Sicherheitsüberblicke, die entsprechend dem allgemeinen Bild wenig erbaulich waren. So richtete etwa der Russland-Experte Gerhard Mangott seinen Blick bereits ins Jahr 2025 und eine mögliche neuerliche ukrainische Offensive zur Vertreibung des Aggressors.

Der frühere BZÖ-Politiker und jetzige Spitzenbeamte im Verteidigungsministerium, Günther Barnet, bezeichnete im Nahen Osten als die entscheidende Frage, ob es zu einem Flächenbrand kommen werde, wobei vor allem die Situation in Jordanien beachtet werden müsse. Sollte das Land destabilisiert werden, könnte der Iran über eine Landverbindung Waffen in das Westjordanland schmuggeln, wo Palästinenser und Israelis „Tür an Tür“ wohnten.

Keine positive Zukunft für die jeweiligen Konfliktregionen Afrika und Westbalkan sahen die beiden Expertinnen Antonia Witt und Marie-Janine Calic. Letztere sagte aber immerhin, dass sie eine Kriegsgefahr im Dreieck Serbien-Bosnien-Kosovo als gering einschätze, weil sich die EU-Beitrittsperspektive diesbezüglich als stabilisierend auswirke. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic werde sich nämlich, „wenn es hart auf hart geht“, für die EU-Perspektive entscheiden, so Calic.
29.01.2024, red, ORF.at/Agenturen

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#4
RISIKOBILD 2024
Das Bundesheer soll "kriegsfähig" werden
In seinem Risikobild warnt das Verteidigungsressort, dass militärische Konflikte immer stärkere Auswirkungen auf Österreich haben. Darauf müsse sich die Armee vorbereiten

Spionage, Subversion, Ausspähung: Mit diesen Gefahren ist Österreich schon jetzt konfrontiert. Nun soll das Heer "um 180 Grad" gedreht werden.
APA/HELMUT FOHRINGER

"Welt aus den Fugen" lautet der Titel des am Montag vorgestellten neuen Risikobilds des Verteidigungsministeriums. "Und der Titel sagt wohl schon alles", befindet Ressortchefin Klaudia Tanner. In dem 314 Seiten starken Papier wird ein Schwerpunkt auf globale Konflikte gelegt. Insbesondere auf jene, die mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem neuen Krieg im Nahen Osten zuletzt nachhaltig eskalierten.

"Im vergangenen Jahr wurden die Auswirkungen verschiedener Krisen und Konflikte auf das globale sicherheitspolitische Gefüge noch deutlicher sichtbar", schreibt Tanner in der Einleitung des Risikobilds 2024. Neben Putins Angriffskrieg und der Eskalation des Nahostkonflikts erwähnt sie aber etwa auch "die nicht überwundenen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie".

Strategisches Lagebild
Das Risikobild wird vom Verteidigungsressort jährlich erstellt. Es ist eine Art strategische Bedrohungs- und Lageeinschätzung für Österreich unter Rücksicht auf nationale und vor allem internationale Entwicklungen. Und eine der Kernaussagen der heurigen Ausgabe lautet: Militärische Konflikte werden immer stärkere Auswirkungen auf Österreich haben. Daher müsse man sich auf diverse Szenarien vorbereiten, sagt Tanner. "Ich glaube, das haben wir in der Vergangenheit nicht." Die militärische Landesverteidigung sei zu lange nicht als Kernaufgabe des Heeres erachtet worden. Inzwischen habe man einen Paradigmenwechsel eingeleitet.

Ein Gebot der Stunde sei, die europäische Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Nur gemeinsam könne man den aktuellen sicherheitspolitischen Risiken begegnen. Wie notwendig Österreichs Beteiligung am europäischen Luftabwehrsystem Sky Shield sei, zeige die Entwicklung des Ukrainekriegs, in dem Russland regelmäßig auch mit ballistischen Raketen angreift. "Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann sollten wir selbst das nicht tun", sagt die Ministerin.

Generalmajor Bruno Hofbauer, "Chefstratege" des Bundesheeres und kürzlich zum stellvertretenden Generalstabschef bestellt, spricht von "überschaubaren Aussichten" in der aktuellen Weltlage. Bei Bedrohungsszenarien lasse sich nicht immer das genaue Wann und Wo voraussagen. Klar sei aber: "Es wird schneller. Und es wird mehr."

Zwischen Krieg und Frieden
Weil an vielen Fronten grundsätzliche Rechtsnormen infrage gestellt würden, herrsche eine Art permanentes Zwischenstadium zwischen Krieg, "aber auch nicht mehr ganz Frieden" – dies etwa durch Cyberbedrohungen und die Manipulationsmöglichkeiten durch künstliche Intelligenz.

Österreich ist zwar kein Frontstaat. Auch hierzulande sei man aber nicht gefeit vor möglichen Gefahren, die die Konflikte im Osten und Südosten nach sich ziehen. Auch derzeit sei man schon mit vielfältiger "Spionage, Subversion, Ausspähung und Einflussnahme von außen" konfrontiert. Aktuell gehe es daher darum, die Armee "um 180 Grad zu drehen" und "das Bundesheer wieder kriegsfähig zu machen".

Brigadier Peter Vorhofer, Leiter der Direktion für Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen, sieht in den aktuellen Entwicklungen eine "Umstrukturierung der Weltordnung". Dieser Prozess werde sich aber über mindestens zwei Dekaden vollziehen. Das demokratische Modell westlichen Zuschnitts komme global immer mehr unter Druck, weil es so viele "alternative Angebote" gebe. Man habe sich über die Dekaden an friedliche Konfliktlösung gewöhnt. Wie weit Europa die Strukturierung der "neuen Weltordnung" noch mitgestalten könne, werde aber auch von seiner Reaktion abhängen.

Für Österreich ließen sich drei Schlussfolgerungen ableiten: "Erstens Vorbereitung, zweitens Vorbereitung, drittens Vorbereitung." Auf welche zentralen Bedrohungen? Ein Überblick.

Kriegsgefahr zwischen EU und Russland
Eines der größten Risiken für 2024 und darüber hinaus sehen das Heeresressort und externe Fachleute in militärischen Konfrontationen zwischen Russland und der EU. Erwartet werden russische Versuche zur Schwächung der europäischen Integration durch gezielte Angriffe und "Zwangsausübung von externen Akteuren", wie es heißt.

Die Gefahr stärkerer Konfrontation steigt umso mehr, je länger der Krieg dauert. Ein weiterer entscheidender Faktor: Die USA hat den Höhepunkt ihrer Unterstützung für die Ukraine wohl bereits überschritten und steht vor der Präsidentschaftswahl im Herbst.

Viele Fronten durch hybride Kriegsführung
Das Ministerium erwartet 2024 mit hoher Wahrscheinlichkeit "starke hybride Kriegsführung". Vor allem Russlands Repertoire ist in diesem Bereich traditionell groß. Es kann von Cyberangriffen und Desinformationskampagnen bis hin zum gezielten Lenken von Migrationsbewegungen reichen.

Russlands Nachbar Finnland, der nach Beginn des russischen Angriffskriegs der Nato beigetreten war, hat diese Erfahrung bereits gemacht. Über Monate waren laufend ungewohnt große Gruppen von Migrantinnen und Migranten an der Grenze zu Russland aufgetaucht.

Effekte auf die Wirtschaft
Vielfach unterschätzt werde, dass auch die wirtschaftliche Entwicklung in Europa Sicherheitsrisiken bergen könne – beziehungsweise ebenso von solchen beeinflusst werde, sagt Brigadier Vorhofer aus dem Ministerium. So würden die aktuellen Kriege Störungen von Lieferketten begünstigen.

Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr schreibt im Papier: "Geopolitische Risiken wie der Systemwettbewerb zwischen China und den USA, der russische Angriffskrieg und die Eskalation des Nahostkonflikts führen zu einer zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft."

Migrationsströme bleiben langfristig
Migrationsbewegungen nach Österreich gingen zuletzt zwar etwas zurück. Sie werden aber langfristig erhalten bleiben, weil die strukturellen Voraussetzungen sich nicht geändert haben, sagt Brigadier Vorhofer: "Der Globale Süden ist weiter stark benachteiligt." Solange dieser Faktor bestehe, werde es Wanderbewegungen nach Europa geben.

"Langfristig könne irreguläre Migration nicht durch Außengrenzschutz und Auslagerung, sondern durch reguläre Zugangswege für Arbeit und Beschäftigung minimiert werden, schreibt Migrationsexpertin Judith Kohlenberger im Risikobild.

Cyberangriffe und Desinformation
Cyberangriffe und der Kampf in Computernetzwerken seien "zur militärischen Zielerreichung heute leider sehr lohnend, weil sich so viele Bereiche unseres Alltags dorthin verlagert haben", sagt Brigadier Vorhofer.

"Informationsoperationen" wie Desinformationskampagnen seien demnach heute ein "exzellentes Mittel, um Demokratien zu unterminieren". Russlands Einfluss auf vergangene US-Wahlkämpfe haben die Richtung schon vorgezeigt. "2024 ist ein Superwahljahr. Es wäre äußerst ungewöhnlich, wenn diese Strategie nicht zum Tragen kommen würde", sagt Vorhofer.
(Martin Tschiderer, 29.1.2024)
Das Bundesheer soll "kriegsfähig" werden
 
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