Ruine der Kongresshalle auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg wird für einige Jahre zur Opernspielstätte

josef

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NÜRNBERG
Oper zieht auf NS-Reichsparteitagsgelände
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Die Kongresshalle auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg in Deutschland wird für einige Jahre zur Opernspielstätte. Das wurde am Mittwoch in der Sitzung des Stadrates von Nürnberg mit großer Mehrheit beschlossen. Bereits zuvor hatten sich die Fraktionen von CSU, SPD und Grünen im Stadtrat darauf geeinigt, dass das Staatstheater während der Sanierung des maroden Opernhauses dort ein Ausweichquartier bekommt.
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Angesichts der historischen Belastung des Geländes gab es auch kritische Stimmen. So wurde in den vergangenen Wochen heftig über den Standort gestritten. Fachleute befürchten, dass durch die angedachte Lösung die Aufklärung über die Ideologie und Propaganda der Nationalsozialisten beeinträchtigt wird. Sie wollten den denkmalgeschützten Monumentalbau in seinem unfertigen Zustand erhalten, da die Architektur dadurch neben der Machtdemonstration auch das Scheitern der Nazis symbolisiere.

Die Kongresshalle sollte nach den Plänen der Nationalsozialisten etwa 70 Meter in die Höhe ragen und 50.000 Menschen Platz bieten. Doch bis auf einen hufeisenförmigen Rohbau wurde sie nie fertiggestellt. Teile des Gebäudes sollen nun zu Proberäumen, Werkstätten und Büros für Oper und Ballett werden. Für die Spielstätte der Oper wird indes ein Leichtbau an bzw. in der Kongresshalle errichtet. Die Sanierung des Opernhauses und die Ausweichspielstätte sollen den Schätzungen zufolge eine halbe Milliarde Euro kosten.

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Das Staatstheater in Nürnberg wartet auf die Renovierung

Breite Mehrheit war Fraktionen wichtig
Den drei Stadtratsfraktionen sei es wichtig gewesen zu zeigen, dass eine breite Mehrheit hinter den Plänen stehe, erläuterte SPD-Fraktionschef Ulrich Blaschke bereits im Vorfeld der Sitzung am Mittwoch. Schließlich handle es sich um die größte Kulturbaustelle in der Stadtgeschichte.

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Ein Blick in die von den Nationalsozialisten nie fertiggestellte Kongresshalle

Die Fraktionen im Nürnberger Stadtrat sehen das Ausweichquartier der Oper auch als Chance für einen neuen Umgang mit der Kongresshalle und dem Reichsparteitagsgelände. „Die Auseinandersetzung muss auf jeden Fall weitergeführt werden“, sagte Blaschke im Vorfeld, „aber das muss in einer Form passieren, die künftige Generationen anspricht.“

Bereits Nachdenken über Nachnutzung
Sein Kollege von den Grünen, Achim Mletzko, sagte ebenfalls im Vorfeld, dass ein interessanter Operninterimsbau sogar betonen könnte, wie nutzlos und irrsinnig die Kongresshalle eigentlich sei.

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Eine Außenansicht der Halle

Für die Kongresshalle sprach auch nach Ansicht von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) nicht nur der Mangel an Alternativen: Wenn Musik- und Tanztheater wieder ausgezogen seien, könne die freie Kunstszene die für mehrere Millionen Euro hergerichteten Räume beziehen, sagte sie. Auch die Leichtbauhalle könne möglicherweise weitergenutzt werden.

„Schickes Kulturzentrum“ überhaupt passend?
Doch Fachleute sehen die Pläne kritisch. „Was mir Kopfschmerzen bereitet, ist die Frage: Will man einen solchen Bau als schickes Kulturzentrum herrichten?“, sagte der Leiter des NS-Dokumentationszentrums, Florian Dierl.
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Das Innere der Halle hätte für 50.000 Menschen Platz bieten sollen

Das Museum ist im Nordflügel der Kongresshalle untergebracht. Gegen mehr Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft hat Dierl nichts. Diese dürfe aber nicht die Funktion des Erinnerungsortes verwässern, betonte er. Auch der Verein Geschichte für alle, der auf dem Gelände Führungen durchführt, äußerte sich kritisch.

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Ein Gang im Inneren der Kongresshalle

Historiker: „Eingriff in historische Quelle“
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, sieht die Diskussion über Kongresshalle und einstiges Reichsparteitagsgelände jedoch auch als Chance. „Es geht nicht darum, dieses Gelände zu markieren und aus dem täglichen Leben zu nehmen“, sagte er während einer Diskussionsrunde der Stadt. Kunst und Kultur könnten für Irritationsmomente sorgen, die die Erinnerungskultur lebendig hielten. Diese dürften allerdings nicht alltäglich und somit banal werden, so Mendel.
Ein Eingriff in das Bauwerk sei aber auch immer ein Eingriff in die historische Quelle, so der Historiker Alexander Drecoll, der im wissenschaftlichen Beirat für den Erinnerungsort ehemaliges Reichsparteitagsgelände sitzt. Deshalb hätte seiner Meinung nach die Zivilgesellschaft in Nürnberg viel mehr in die Diskussion eingebunden werden müssen, statt in einem Hauruckverfahren zu entscheiden.

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Ein weiterer Blick ins Innere der Anlage

Nicht der erste Umbau von Nazi-Bauwerken
Auch anderswo in Deutschland gab es Diskussionen über den Umgang mit Bauten aus der NS-Zeit: So wurde auf der Ostseeinsel Rügen eine von den Nazis geplante Ferienanlage mit baugleichen Häuserblöcken auf einer Länge von 2,5 Kilometern nach und nach an Investoren verkauft, die dort Hotels und Ferienwohnungen errichteten.

In Hamburg wurde ein ehemaliges Wehrmachtsgebäude in einem Villenviertel zur Luxuswohnanlage umgebaut, ein nationalsozialistischer Bunker in München zum exklusiven Büro- und Apartmenthaus. Keiner der Bauten war allerdings so geschichts- und symbolträchtig wie die Kongresshalle
16.12.2021, red, ORF.at/Agenturen

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Nürnberg: Oper zieht auf NS-Reichsparteitagsgelände
 
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