Salzbergbau Hallstatt

josef

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7.000 Jahre Salzbergbau in Hallstatt:
Hallstatt: Auf den Spuren der Bergleute – bevor dichtes Grün sie wieder verdeckt

Im Salzbergtal finden sich Zeugnisse von 7.000 Jahren Industrie- und Kulturgeschichte
So überraschend der hoffentlich letzte Wintereinbruch des Jahres diese Woche die Niederungen getroffen hat, so normal und selbstverständlich ist Schnee um diese Jahreszeit im Hochtal von Hallstatt. Doch bald werden auch dort die letzten Schneeflocken gefallen sein und das frühlingshafte Tauwetter Einzug halten. Und mit der Schneeschmelze werden sonst verborgene Zeugnisse der Industrie- und Kulturgeschichte für kurze Zeit wieder sichtbar.

Die archäologische Winterarbeit im Naturhistorischen Museum Wien ist beinahe abgeschlossen. Zeit für uns, wieder ins Gelände zu gehen. Und in drei Wochen ist es schon so weit. Denn Anfang Mai, wenn der Schnee geschmolzen und die Vegetation im Hochtal noch niedrig ist, ist der perfekte Zeitpunkt, sich diese einmalige Landschaft genauer anzusehen. Hält der Frühling erst richtig Einzug, sind sichtbare Strukturen bald wieder von dichtem Grün verdeckt. Denn zwischen den Felswänden des Salzbergtals drängen sich 7.000 Jahre Kulturgeschichte auf engstem Raum – ist dies doch nicht zuletzt die älteste Industrielandschaft der Welt, in der bis heute kontinuierlich produziert wird. Schon lange vor der ersten urkundlichen Erwähnung des Hallstätter Salzbergbaus im Jahr 1305 drehte sich in dieser Region alles um das weiße Gold, und das gesamte Leben der Bevölkerung wurde auf dessen Produktion ausgerichtet.

Autarker Bergbaubetrieb
Aufgrund der Beengtheit des Tales ist es nicht verwunderlich, dass sich Vergangenheit und Gegenwart hier ständig berühren. Immer wieder stößt der moderne Bergwerksbetrieb auf die Spuren der prähistorischen Bergleute. Eingriffe der über die Jahrtausende hier siedelnden Menschen sind im Gelände noch immer zu finden. Mauerreste, Wege, Terrassierungen, Bachverbauungen und vieles mehr zeugen von der intensiven Salzproduktion. Schließlich war die gesamte Infrastruktur des Bergbaus bis 1957 im Hochtal angesiedelt und dieses entsprechend dicht bebaut.

Bis dahin war der Betrieb, bedingt durch die schwere Erreichbarkeit, noch großteils selbstversorgend, was Werkzeug, Baumaterial, Strom und auch Lebensmittel betraf. So fanden sich im Salzbergtal nicht nur Wohn- und Verwaltungsgebäude, sondern auch ein Sägewerk, ein Wasserkraftwerk, das Lampenhaus, Kalkbrennöfen, Schottergruben, Kapellen, Schusterbetriebe, Stallungen, ein Schlachtraum und die alte Schmiede – jenes Gebäude, das mittlerweile als Quartier der Archäologen und Außenstelle des Naturhistorischen Museums fungiert.

Informationen sammeln im Gelände
Alle Bodenmerkmale, also geologische Gegebenheiten wie Rutschungen und Felsstürze, die Gebäude und Hinterlassenschaften des moderneren Bergbaus, sowie sämtliche noch sichtbaren Zeugnisse älterer Besiedelung und Nutzung – vom Mittelalter bis in die Jungsteinzeit –, werden jetzt aufgenommen, kartiert und dokumentiert. Dafür finden im Mai Geländebegehungen statt, bei denen diese Spuren – vom Hallstätter See bis hinauf zum Felsmassiv des Plassen – aufgesucht, fotografiert und vermessen werden.

Dabei wird nicht nur mit modernen Mitteln wie Airborne-Laserscanning und Drohnen gearbeitet, um die Strukturen zu finden, sondern auch mit historischen Karten, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. Mit all diesen Mitteln wird es hoffentlich auch gelingen, die gefundenen Komplexe ihrer Entstehungszeit und ehemaligen Funktion zuzuordnen. Doch die Zeit drängt: Die Bodenmerkmale, Gebäude und Strukturen zerfallen und werden überwuchert. Alles, was jetzt nicht für die Nachwelt dokumentiert und festgehalten wird, könnte bald für immer verschwunden sein.

Verständnis und Schutz
In weiterer Folge werden die bei den Begehungen gewonnenen Informationen mit allen zur Verfügung stehenden Quellen – alte Fotografien, historische Karten, Verwaltungsunterlagen – verglichen und in eine umfassende Datenbank eingespielt. Daraus entsteht ein vierdimensionales Geoinformationssystem (4D-Gis), das sämtliche Information über die Landschaft vereint und deren Aufbereitung ermöglicht. Diese Systeme kombinieren die geografische, räumliche und visuelle Information mit einer Zeitleiste, anhand derer die Entwicklung der industriellen Landschaft nachvollzogen werden kann.

Auf dieser Basis soll auch eine App entwickelt werden, die Besuchern des Hochtals eine visuelle Zeitreise durch die Jahrhunderte und Jahrtausende im Salzbergtal ermöglichen soll. Auch Berichte der letzten Zeitzeugen, die den autarken Bergbaubetrieb erlebt haben, werden aufgenommen und archiviert, um damit individuelle Lebenswelten innerhalb dieser Landschaft zu erfahren. Die Präsentation der gesammelten und aufbereiteten Informationen soll nicht zuletzt das für den Schutz und die Erhaltung dieser Kulturlandschaft wichtige Verständnis und Interesse fördern.

Beziehung von Mensch und Landschaft
Auch für die weitere Erforschung der Anfänge der Salzproduktion und der frühesten Besiedelung des Hochtals sind diese Informationen unerlässlich. Denn alle Zeugnisse – noch bestehende Gebäude, alte Fotografien, historische Karten, Verwaltungsunterlagen, Umweltereignisse – können uns helfen, die komplexen Strukturen und Anforderungen einer derartig spezialisierten Gesellschaft an ihre Landschaft besser zu verstehen.

Eine Frage, mit der sich auch das neue interdisziplinäre Projekt "Facealp" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt: In welcher Beziehung standen der Mensch und die Landschaft, in der er lebte, über die Jahrtausende hinweg? Wie beeinflusste die Landschaft den Menschen durch Umweltbedingungen, Unwetter oder Klima? Wie veränderte der Mensch seine Umwelt durch Abholzung, Landnutzung und Besiedelung? Mehr zu diesem Projekt in wenigen Wochen von Kerstin Kowarik hier im Archäologieblog.

Mit der Annäherung an diese und ähnliche Fragen wird es gelingen, die Wechselwirkung zwischen Mensch und Landschaft, zwischen Natur und Kultur in dieser außergewöhnlichen Region durch die Jahrtausende besser zu verstehen.
(Fiona Poppenwimmer, Hans Reschreiter, 20.4.2017)


Fiona Poppenwimmer ist Studentin der Urgeschichte und historischen Archäologie und seit mehreren Jahren Mitarbeiterin der Hallstatt-Forschung. Besonders beteiligt war sie an Bearbeitung, Dokumentation und Wiederaufbau der bronzezeitlichen Holzstiege aus dem Salzbergwerk Hallstatt. Seit Anfang des Jahres ist sie auch für die Redaktion des Stiegenblogs zuständig.
http://derstandard.at/2000056198094/Hallstatt-Auf-den-Spuren-der-Bergleute-bevor-dichtes-Gruen-sie


foto: nhm wien/andreas w. rausch
Das Salzbergtal heute.


foto: postkartensammlung r. fürhacker
Das Salzbergtal um 1910 mit dichter Bebauung durch den Bergbaubetrieb



foto: wildbach- und lawinenverbauung Oberösterreich
Viele Strukturen im Boden sind auf Geländemodellen und Scans gut zu erkennen


foto: ausschnitt aus der salzbergkarte xii_271_rot/oberösterreichisches landesarchiv, karten- und plänesammlung
Historische Karte des Salzbergtals 1698.
 
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Das Hallstätter Salzbergtal: Die 7.000 Jahre alte Industrielandschaft

Wie war es möglich, in dem unwirtlichen Tal ohne Strom und Straßen zu leben? Ein Oral-History-Projekt sammelt Geschichten von Zeitzeugen

Seit 7.000 Jahren wird im Hallstätter Salzbergtal Salz produziert. Die alpine Landschaft hat über Jahrtausende hinweg besondere Herausforderungen an die Menschen gestellt, die hier gelebt und gearbeitet haben. Wie es möglich war, ohne Straßen und Strom zu leben, erzählen Zeitzeugen, die in den 40er- und 50er-Jahren im und am Salzberg gearbeitet haben. Im Rahmen eines "Citizen Science"-Projektes werden von Schülern der Neuen Mittelschule Bad Goisern Interviews geführt. Sie geben uns Informationen zu den Möglichkeiten und Grenzen des Lebens in dieser Landschaft und erlauben es uns Archäologen, ein Gefühl für das Salzbergtal zu bekommen und so auch prähistorische Lebens- und Arbeitsbedingungen besser einschätzen zu können.


foto: salinenarchiv
Das Hochtal von Hallstatt im Winter: ohne Straßen und Räumfahrzeuge ein beschwerlicher Aufstieg.

Schwieriges Leben

Seit Jahrtausenden wird in den Alpen Bergbau betrieben. Welche Herausforderung stellte das Leben und Arbeiten in einer solchen Landschaft für die Menschen dar? Vor allem in Fragen der Versorgung und des Transportes von Personen und Waren aller Art. Die Wege waren weit und für heutiges Verständnis umständlich, die Winter lang und voller Schnee. Viele dieser Erschwernisse können heute, wo die meisten Landschaften durch ein gut ausgebautes Straßennetz erschlossen und fast überall Strom, Heizung und Einkaufsmöglichkeiten vorhanden sind, kaum noch nachvollzogen werden.


foto: salinenarchiv
Bis in die 1950er-Jahre war der Transport von Material auf den Salzberg noch sehr mühsam. Hier wird eine Fördermaschine mithilfe eines Ochsen auf den Berg gezogen.


Es ist nicht notwendig, 3.000 Jahre in die Vergangenheit zu blicken, um derartige Lebensbedingungen zu finden. Noch vor 50 oder 60 Jahren war das Leben im Salzbergtal und auf den umliegenden Almen durchaus nicht so bequem wie heute. Viele der Bergleute waren in den Gemeinden rund um Hallstatt beheimatet, oft auf Nebenerwerbshöfen, und gingen jeden Montag oft viele Kilometer zu Fuß auf den Salzberg, wo sie bis zum Wochenende einquartiert waren.

Erst ab 1960 ändert sich das grundlegend. Der neue Erbstollen mit dem zentralen Förderschacht geht in Betrieb, und die Straße auf den Salzberg wird fertiggestellt. Mit diesen Neuerungen ist es den Bergleuten nun möglich, zu Hause bei ihren Familien zu wohnen, und die großen Mannschaftsquartiere in der Nähe der Stollen werden funktionslos. Diese Umstellung stellt eine völlige Veränderung der Sozialstruktur dar. Das erste Mal seit Jahrtausenden ist der Bergbau nicht mehr auf die Produktion der eigenen Betriebsmittel in unmittelbarer Nähe angewiesen, und immer mehr Güter können von außerhalb angeliefert werden. Dadurch sind immer weniger Betriebs- und Verwaltungseinrichtungen rund ums Salz notwendig – Salz und seine Infrastruktur sind nicht mehr landschaftsprägend.


foto: salinenarchiv
Das Hallstätter Hochtal um 1910: Hier war noch der gesamte Betrieb im Salzbergtal angesiedelt.

Zeitzeugen sprechen

Um einen Zugang zum damaligen Lebensgefühl und den Veränderungen, denen die Landschaft unterworfen ist, zu bekommen, werden nun in Zusammenarbeit mit Schülern und Lehrern der NMS Bad Goisern Interviews mit Menschen geführt, die die damalige Situation noch erlebt haben. Damit sollen die Schüler aktiv in den Forschungsprozess eingebunden werden, von der Erarbeitung der Fragestellung über die Auswertung der Ergebnisse bis hin zur Veröffentlichung.

Neben der Sammlung von Daten, Fakten, aber vor allem persönlichen Eindrücken und Zugängen ist eines der Ziele, das Verständnis der Schüler für "ihre" Landschaft zu stärken und sie auf die Vorgänge und Veränderungen in dieser aufmerksam zu machen. Damit entsteht ein Gefühl für die eigene Heimat und Toleranz für den Schutz und den Erhalt ihrer Umgebung.


foto: nms bad goisern
Karl Gamsjäger (88) war ab 1947 als Bergmann in Hallstatt tätig, und das für 36 Jahre.


Das Salzkammergut wird heute fast ausschließlich als Tourismusregion wahrgenommen. Der Wirtschaftszweig, dessentwegen sich hier Menschen ansiedelten und der die Landschaft lang beherrschte, veränderte und prägte, rückt durch fortschreitende Technisierung und Rationalisierung immer weiter aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und das, obwohl die Salinen Austria AG heutzutage mehr Salz produziert denn je.


foto: nms bad goisern
Agnes Höll war viele Jahre lang Sennerin auf der Sattelalm über dem Salzbergtal in Hallstatt.


Oral History als letzte Chance
Nun ist die letzte Chance gekommen, persönliche Eindrücke dieser Umwelt einzufangen und zu bewahren, denn naturgemäß werden die Zeitzeugen weniger. Derzeit arbeiten ca. 40 Schüler daran, mithilfe von Fotos, Filmen und schriftlichen Interviews so viel Information wie möglich zu sammeln. Dabei soll unter anderem folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie ist das Lebensgefühl in einer Landschaft, in der alles Erreichbare in Sichtweite liegt? Welche Bedarfsgüter konnten selbst produziert werden? Wie wurden Materialien auf den Salzberg transportiert? Welche Distanzen wurden zu Fuß zurückgelegt? Wie war die Empfindung von Eigenschaften wie "weit", "steil", "beschwerlich"? Wie war die Arbeit im Berg? Wie das Leben auf dem Hof, den die Frauen gemeinsam mit den Kindern allein zu versorgen hatten? Wie wurden Termine und Treffpunkte in einer Welt ohne Telekommunikation vereinbart? Wie war die Hierarchie der Menschen aufgebaut, die ihr Leben rund um das Salz organisierten? Wie kann man sich das Leben auf dem Salzberg und im Bergwerk vorstellen – die Kasernierung der Arbeiter, das Gemeinschaftsleben in dieser Männerwelt?

Ein weiterer Weg, die Veränderung der Landschaft nachzuvollziehen, wird im Projekt "Facealps" verfolgt. Darin soll vor allem die Wechselwirkung zwischen der Umwelt und den in dieser lebenden Menschen untersucht werden.
Nach und nach wachsen so das Wissen und das Verständnis in Bezug auf eine Landschaft, ihre Besonderheiten und ihren Wandel im Lauf der Zeiten. So soll sich einerseits an das Leben vergangener Zeiten herangetastet, andererseits aber auch der Schutz von Kulturräumen in der Zukunft gesichert werden.
(Fiona Poppenwimmer, Hans Reschreiter, 15.3.2018)


Hans Reschreiter ist Archäologe und arbeitet in der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien. Er leitet die archäologischen Ausgrabungen im Salzbergwerk von Hallstatt. Seine Forschungsschwerpunkte sind prähistorische Salzproduktion, prähistorisches Handwerk, experimentelle Archäologie und Ethnoarchäologie.

Fiona Poppenwimmer ist Studentin der Urgeschichte und Historischen Archäologie und seit mehreren Jahren Mitarbeiterin der Hallstatt-Forschung. Besonders beteiligt war sie an Bearbeitung, Dokumentation und Wiederaufbau der bronzezeitlichen Holzstiege aus dem Salzbergwerk Hallstatt. Seit Anfang des Jahres ist sie auch für die Redaktion des Stiegenblogs zuständig.

Links :

Hallstatt-Forschung
Naturhistorisches Museum Wien
Stiegenblog
Facealps-Projekt


https://derstandard.at/200007607498...rgtal-Die-7000-Jahre-alte-Industrielandschaft
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HF130C

Well-Known Member
#4
Danke für's Einstellen dieses Artikels.

Es ist eine ausgesprochen gute Idee, dass Schüler die Befragung der Zeitzeugen durchführen. Möglicherweise wird beim Einen oder Anderen weiteres Interesse für das Thema geweckt.
 
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