"Tante Wiki" feiert Geburtstag

josef

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Wikipedia ist 20
Viel Wissen, aber nicht für alle
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Seit der Gründung am 15. Jänner 2001 hat Wikipedia sämtliche andere Enzyklopädien überholt und ist heute das umfangreichste Lexikon der Welt. Selbst die ausgefallensten Themen lassen sich darin finden, vom 65.537-Eck bis zum Zipfelbund. Voraussetzung dafür ist aber, dass man eine Sprache spricht, in der diese Artikel auch existieren. Zwar gibt es Wikipedia in über 300 Sprachen und Dialekten – allerdings mit teils großen Unterschieden.
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Mit über 6,2 Millionen Artikeln gibt es momentan die meisten Einträge in der englischsprachigen Wikipedia, die deutsche Ausgabe ist mit 2,5 Millionen Einträgen schon deutlich kleiner und damit auf dem vierten Rang. Bei solchen Dimensionen ist es kein Wunder, dass gedruckte Lexika nicht mehr im Bücherregal stehen – und einige ehemals bekannte Namen ihre gedruckte Ausgabe gleich ganz eingestellt haben.

Doch ein Blick auf die Statistik zeigt schnell: Den Luxus, zu praktisch jedem erdenklichen Thema Informationen erhalten zu können, gibt es nicht überall. Zwar verzeichnen 18 Sprachen über eine Million Artikel, in 34 Ausgaben gibt es hingegen nicht einmal 1.000 Artikel. Kurzum: Wer nicht Englisch oder eine andere weit verbreitete Sprache spricht, dem bleibt der Großteil des Wissens von Wikipedia verschlossen.

Lexikon für alle als Wales’ „Leidenschaft“
Dass Wikipedia aber ein Universallexikon für alle sein soll, ist eines der großen Anliegen von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. In einem ORF.at-Interview im Jahr 2019 sagte Wales etwa, der Zugang zu Wikipedia in Entwicklungsländern sei „eines der Dinge, bei denen ich leidenschaftlich dabei bin".

wikipedia.org
Wikipedia ist in über 300 Sprachen und Dialekten verfügbar – ein Auszug

An sich ist es beeindruckend, dass es das freie Lexikon überhaupt in so vielen Sprachen gibt – etwas, das mit gedruckten Büchern wohl undenkbar wäre. Möglich macht das das Kernprinzip von Wikipedia, die sich selbst als „die freie Enzyklopädie“ bezeichnet. Frei heißt nicht nur, dass die Inhalte gratis gelesen werden dürfen, sondern auch, dass sie eben von jeder und jedem bearbeitet werden können.

Für die umfangreichsten Ausgaben der Wikipedia ist das vielleicht eine ihrer größten Stärken: Sie wird von vielen Menschen gelesen, aber gleichzeitig auch von relativ vielen Menschen bearbeitet. Vandalismus und Falschinformationen werden, zumindest bei populären und großen Themen, dadurch effektiv verhindert.


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Technische und kulturelle Hürden
Bei kleineren Sprachvarianten wird das hingegen zur Hürde – erst müssen sich nämlich Freiwillige finden, die das Lexikon mit Inhalten befüllen. Das zieht aber einen ganzen Rattenschwanz an Folgen mit: Bei Sprachen, die etwa in Entwicklungsländern gesprochen werden, scheitert es oft schon an ganz grundlegenden Dingen wie dem Internetzugang – auch wenn sich hier in den vergangenen Jahren viel bewegt hat.

Der Internetzugang weltweit „explodiert“, in ärmeren Ländern sei es wie zur Zeit des „Dotcom-Booms“ in Europa und den USA, so Wales. „Jetzt, wo diese Menschen online kommen, müssen wir darüber nachdenken, was sie benötigen." Doch: Viele Menschen lernen das Internet nur per Handy kennen – und Wikipedia-Artikel zu verfassen und zu bearbeiten ist mobil kein leichtes Unterfangen.

APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales sieht viele Hürden auf dem Weg zum Lexikon für alle

Zu den technischen gibt es aber auch kulturelle Hürden: Dass in einigen Ländern Geschichte traditionell oft mündlich weitergegeben, aber nicht explizit niedergeschrieben wird, sei ein „kompliziertes Problem für uns“, so Wales. Derzeit sei Wikipedia so strukturiert, dass man „qualitatives, festes Wissen von Dritten als Quelle“ habe. Wikipedia sei kein Ort, wo man „hingeht und das schreibt, was einem die Großmutter erzählt“, so der Wikipedia-Gründer.

Von Bots zu vorgetäuschten Sprachkenntnissen
Die Frage, wie Wikipedia mehr Inhalte auch in anderen Sprachen anbieten kann, ist also nicht leicht zu beantworten. Eine umstrittene Lösung zeigt sich bei einem Blick in die Top-Ten-Liste der Wikipedia-Sprachen: An zweiter Stelle liegt hier nämlich Cebuano – eine Sprache, die in den südlichen Philippinen gesprochen wird. Immerhin 20 Millionen Menschen sprechen Cebuano – Wikipedia ist das einzige verfügbare Lexikon in dieser Sprache.

Dass die Cebuano-Ausgabe der Wikipedia Fast 5,5 Millionen Artikel hat, deutlich mehr als etwa die deutsche Version, liegt daran, dass der überwiegende Großteil der Artikel von einer Software automatisiert erstellt wurde. Der von einem Schweden entwickelte Lsjbot greift andere Quellen ab und generiert Wikipedia-Artikel daraus, die nur sehr wenige Informationen bieten. In der deutschen Wikipedia werden diese als „lückenhaft“ bezeichnet, sind daher bestenfalls ein Platzhalter. Der Ansatz, Quantität über Qualität zu stellen, gilt als umstritten.

Kurios gestaltete sich unterdessen die Entstehung der Wikipedia in Scots – einer der Sprachen, die in Schottland gesprochen wird. Im Sommer 2020 stellte sich heraus, dass der Großteil der über 40.000 Artikel fassenden Ausgabe von einem US-Teenager geschrieben wurde – der Scots gar nicht spricht. Dafür soll der Schottland-Begeisterte über Jahre hinweg Übersetzungsprogramme und Wörterbücher verwendet haben. Mittlerweile gibt es mehrere Bearbeiter, die sich um die Qualität der Artikel kümmern.

„Sei mutig“
Betrachtet man die Sprachenvielfalt der Wikipedia im Verlauf der Zeit ist ein deutlicher Aufwärtstrend zu beobachten: So gab es 2010 gerade einmal zwei Sprachen – Englisch und Deutsch – mit mehr als einer Million Artikeln und weniger als 30 Ausgaben mit mehr als 100.000 Artikeln. Damit ist man zehn Jahre später der Vision des Lexikons für alle nun deutlich näher. Ermöglicht haben das die Wikipedia-Mitwirkenden, nach und nach wächst auch der Anteil der Bearbeiterinnen und Bearbeiter aus Entwicklungs- und Schwellenländern.

Doch selbst hierzulande kann man sich an alternativen Ausgaben der Wikipedia beteiligen: So gibt es sowohl eine bairische als auch eine alemannische Wikipedia, die – laut Wikipedia – die Dialekte in Österreich abdecken. Nicht zuletzt dürfte das dazu beitragen, entsprechende Dialekte zu erhalten. Das Motto ist dabei über alle Sprachen hinweg gleich: „Bii muetig“, „Drau de“, „Be bold“, „Sei mutig“ – ein Aufruf, sich zu überwinden, aktiv am weltgrößten und dennoch frei verfügbaren Lexikon mitzumachen.

15.01.2021, Florian Bock, ORF.at

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