USA/Grönland: Verlassener Militärstützpunkt

josef

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#1
Unter Grönlands Eis liegt ein verlassener US-Militärstützpunkt
Im Camp Century, das 200 Soldaten und Techniker beherbergte, kam der erste transportable Reaktor der Welt zum Einsatz


Überreste aus dem Kalten Krieg in Kulusuk (Archivbild, August 2005).
Foto: AP/John McConnico

Der Eingang der Eisstation.
Foto: US Army


Eine der Peter-Schneefräsen im Einsatz.
Foto: US Army


Die Deckenkonstruktion.


Die Decke der Reaktorhalle nach zwei Wintern.


Foto: US Army
Tunnelinstandhaltung mit der Kettensäge.

Hätte sich Donald Trump mit seinem Wunsch, Grönland zu kaufen, durchgesetzt, hätten die USA damit auch ein Umweltproblem übernommen, über das sie sich mit Dänemarks Regierung seit Jahrzehnten nicht einig werden. Man würde nämlich mit der größten Insel der Welt auch die Überreste einer Militärbasis erwerben, die derzeit noch vom Eis bedeckt ist und in der große Mengen teils hochgiftiger Abfälle liegen – und müsste damit wohl auch für die Sanierung aufkommen.

Camp Century wurde Ende der 50er-Jahre errichtet, als Atomenergie noch als Lösung zahlreicher Probleme gesehen wurde. Dank des weltweit ersten mobilen Nuklearreaktors war es möglich, ohne teure Treibstofflieferungen Energie, Wärme und Schmelzwasser für die bis zu 200 US-Soldaten, die auf dem Stützpunkt stationiert waren, zu erzeugen.

Für den Transport der tonnenschweren Gerätschaften errichteten Pioniere eine eineinhalb Kilometer lange Rampe auf dem grönländischen Eisschild, über die Baumaterial, Vorräte und Maschinen 200 Kilometer ins Landesinnere geschleppt wurden. Acht Meter unter der damaligen Eisoberfläche wurde ein drei Kilometer langes Tunnelnetzwerk errichtet, in dem Labors und Unterkünfte, aber auch eine Kapelle, ein Spital und ein Kino Platz fanden.

Die dänische Regierung, unter deren Verwaltung Grönland damals stand, erlaubte den USA in einem 1951 unterzeichneten Vertrag die Errichtung von Militärstützpunkten auf Grönland. Offiziell sollte Camp Century zur Erprobung neuer Baumethoden im – wie man damals annahm – ewigen Eis und zu Forschungszwecken dienen.

Tatsächlich gewannen die Pioniere einige Erkenntnisse über Schneebauten: Wie in dem mittlerweile freigegebenen Bericht aus dem Oktober 1965 zu lesen ist, waren die Experten hellauf begeistert von den Schneefräsen des Schweizer Herstellers Peter, von denen eigens drei Stück beschafft worden waren.

Aus dem pulverisierten Schnee, der beim Ausheben von Gräben mit dieser Maschine anfällt, lassen sich tragfähige Bauelemente fertigen, fand man heraus. Der "Peter-Schnee", wie er in dem Dokument genannt wird, sollte auf Stahlbögen geschüttet werden, die als provisorische Überdachung auf den Gräben lagen. Wenn die Schneedecke ausgehärtet war, wollte man die "Wonder Arches" wieder entfernen und für den nächsten Tunnel benutzen.

Was man der Gastgebernation verschwieg: Die in Camp Century gewonnenen Erkenntnisse hätten dazu genutzt werden sollen, weite Teile der Insel in eine Basis zum Abschuss von Atomraketen auszubauen. Insgesamt 130.000 Quadratkilometer groß sollte das "Project Iceworm" am Ende werden – mehr als dreimal die Fläche Dänemarks. Über 4.000 Kilometer Tunnel hätten im Endausbau die Abschussanlagen verbunden, in denen 600 ballistische Raketen bereitstehen sollten.
Für die Entfernung der Abwärme sollte eine entsprechend dimensionierte Belüftungsanlage dienen. Ursprünglich war vorgesehen, das zwischen 15 und 25 Grad warme Abwasser in einen 300 Meter von der Trinkwasserversorgung entfernten Schacht zu pumpen, wo es bis zu einer Tiefe von 30 Metern versickern sollte. Trockene Abfälle kippte man einfach in Schneegräben, die dann zugeschüttet wurden.

Film der US-Armee.DOCUMENTARY TUBE

Leicht radioaktives Kühlwasser durfte man der Übereinkunft zwischen Dänemark und den USA zufolge damals noch in Löchern im grönländischen Eisschild verklappen, strahlende Feststoffe wurden in Beton eingegossen und abtransportiert.

Doch der Polarsommer war in den Jahren 1959 und 1960 kürzer als erwartet, sodass die Anlage am Ende kleiner als geplant ausfiel. Die eigentlich vorgesehenen Isolierwände zwischen den elektrisch beheizten Gebäuden und den Schneewänden wurden weggelassen, der Peter-Schnee erwies sich als doch nicht so tragfähig, weshalb man die Stahlbögen nicht entfernen konnte, und auch an der Abfallentsorgung wurde gespart: Am Ende lag der Sickerschacht nur 50 Meter entfernt, was zu erheblichen Geruchsproblemen in weiten Teilen der Anlage führte.
i Wintern.Foto: US Army
Das größte Problem war allerdings, dass auf das Abluftsystem verzichtet wurde. Durch die Abwärme des PM-2A-Reaktors, der über eine thermische Leistung von zehn Megawatt verfügte, gaben Decken und Wände bald nach. Das Vorhaben, die Tunnels mit elektrischen Kettensägen freizuschneiden, stellte sich als aussichtslos heraus, sodass man sich entschloss, im Sommer 1964 den Reaktor abzubauen und stattdessen Dieselgeneratoren zu installieren.

Bis 1967 wurde Camp Century noch sporadisch genutzt, seither hat eine meterdicke Schneeschicht die Anlage zugedeckt. In den einstürzenden Eistunneln lagern aber immer noch 200.000 Liter Diesel, unbestimmte Mengen an polychlorierten Benzolen (PCB) und etwa 24.000 Liter Abwasser und leicht radioaktives Kühlwasser.

An die Möglichkeit eines Klimawandels dachte damals allerdings noch niemand. Im Sommer 2017 stattete eine Expedition der dänischen Vermessungsbehörde der Basis einen Besuch ab. Die Glaziologen stellten fest, dass die Eisdecke über der Anlage derzeit 30 bis 40 Meter dick ist und durch Schneefall weiter wächst.

Da sich die Arktis aber schneller erwärmt als andere Weltregionen, geht man davon aus, dass die Eisdecke ab 2090 abnehmen wird und Camp Century dann langsam wieder an die Oberfläche gelangt. Seit der Stilllegung ist die ganze Anlage durch Eisbewegungen 232 Meter nach Südwesten gewandert, durch dabei entstandene Risse im Eis droht Schmelzwasser in das verseuchte Tunnelsystem zu gelangen.
Neben Camp Century gibt es auf Grönland drei weitere eingeschneite US-Stützpunkte. Wer für die Entsorgung der Abfälle zuständig ist, bleibt unklar: Baskut Tuncak, der UN-Sonderberichterstatter zu Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf die Menschenrechte, erklärte im Vorjahr, Dänemark müsse alle Überreste des US-Militärprogramms entfernen, die USA sollten sich daran beteiligen.

Bislang haben sich allerdings Dänemark und Grönland die Kosten geteilt: "Mir ist nicht bekannt, dass die USA involviert wären", sagte Jakob Abermann, der an der Universität Graz Gebirgshydrologie und Glaziologie lehrt und sich derzeit zu einem Forschungsaufenthalt in Grönland befindet, zum STANDARD.
(bed, 29.8.2019)

Weiterlesen
US-Basis aus der Zeit des Kalten Krieges sorgt für Unbehagen (19. September 2017)

Link
Campcenturyclimate.dk
Science direct: Ice-penetrating radar survey of the subsurface debris field at Camp Century, Greenland
Geophysical Research Letters: The abandoned ice sheet base at Camp Century, Greenland, in a warming climate

Unter Grönlands Eis liegt ein verlassener US-Militärstützpunkt - derStandard.at
 

josef

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#2
HISTORISCHE BOHRKERNE
Bohrungen unter US-Geheimbasis zeigen eisfreies Grönland vor 400.000 Jahren
Die grüne Vergangenheit der Insel liegt damit weniger weit zurück als gedacht, sie bot Lebensraum für Mammuts. Der Eisschild dürfte sensibler sein als bisher vermutet

Eisberge nahe dem grönländischen Kulusuk im Jahr 2019.
AP

Beinahe wären die Proben in Vergessenheit geraten. Sie stammten von einem Projekt, das militärischer Geheimhaltung unterlag, und ruhten Jahrzehnte in einem Kühlschrank. Gerade das erweist sich nun aber als Glücksfall, der neue Erkenntnisse über den grönländischen Eisschild bringt.

Lange Zeit waren Fachleute davon ausgegangen, dass der bis zu drei Kilometer dicke Eisschild in Grönland mindestens 2,5 Millionen Jahre alt ist. Doch eine nun im Fachjournal "Science" erschienene Studie zeigt auf, dass eine Periode moderater Erwärmung zwischen 424.000 und 374.000 Jahren vor unserer Zeit eine große Eisschmelze zur Folge hatte.
Für die Studie untersuchten Forschende der Universität Vermont und der Utah-State-University sowie 14 anderer Partnerinstitutionen Sedimente aus einem Eisbohrkern, der in den 1960ern bei einer Basis der US-Armee genommen wurde.

Camp Century ist eine verlassene Armeebasis der USA aus dem Kalten Krieg.
Underground Geocenter

Bohrungen im Kalten Krieg
Die Anlage hieß Camp Century und lag im Nordwesten Grönlands. Diese in den späten 50er-Jahren errichtete Armeebasis bestand aus einem drei Kilometer langen Netzwerk aus Tunneln, die bis zu acht Meter tief im Eis verborgen lagen. Sie enthielt Unterkünfte für bis zu 200 Soldaten, Labors, eine Krankenstation, aber auch ein Kino und eine Kapelle. Ein Kernreaktor stellte die Stromversorgung sicher. Diese unter dem Eis liegende Stadt, die unter Genehmigung der damals für Grönland zuständigen dänischen Regierung entstand, sollte letztlich zur Stationierung von Atomwaffen dienen.

Ursprünglich hätte die Station nur der erste Schritt zu einem viel größeren Komplex sein sollen, doch verschiedenste Probleme, unter anderem mit dem Reaktor, führten zur Aufgabe der Anlage. Die Tunnel sind inzwischen eingestürzt und unter einer Schneeschicht verborgen. Das ist ein Problem, weil immer noch 200.000 Liter Diesel und leicht radioaktives Wasser dort lagern. 10.000 Tonnen Müll sollen es insgesamt sein.

Teil des Projekts waren damals auch Bohrungen, die bis zum Grund des 1.400 Meter messenden Eisschildes führten. Von dort wurde ein mehrere Meter langer Bohrkern mit Sedimenten an die Oberfläche geholt. Er wurde archiviert und geriet in Vergessenheit.


Projektmitarbeiterin Hawke Woznick bereitet die Proben aus dem Bohrkern zur Untersuchung vor.
USU/Levi Sim

Zum Glück keine alten Analysen
2017 wurde der Bohrkern durch Zufall wiederentdeckt. Neue Untersuchungen des Materials enthüllten nun, dass Grönland auch in deutlich jüngerer Zeit einmal eisfrei gewesen sein muss. "Wir hatten immer angenommen, dass der Eisschild seit fast 2,5 Millionen Jahren in etwa gleich geblieben ist", sagt die Geowissenschafterin Tammy Rittenour von der Utah State University. "Aber unsere Untersuchung zeigt, dass er genug geschmolzen ist, um das Überleben von Moos, Sträuchern und schwirrenden Insekten zu erlauben." Es könnte sich um einen borealen Wald gehandelt haben, mutmaßt das Team.

Die Proben seien ein außerordentlicher Glücksfall, freut sich die Forscherin. "Wir haben nur sehr wenige Proben von unterhalb des grönländischen Eisschildes, weil die meisten Bohrungen abgebrochen werden, wenn sie die Basis des Eises erreichen", sagt Rittenour. "Diese wiederentdeckten Sedimente aus dem Camp Century stellen eine einzigartige, unberührte Zeitkapsel vergangener Bedingungen dar."

Da die Proben gefroren und weitgehend unberührt geblieben waren, gelang es dem Team mit einer Technik namens Lumineszenzdatierung festzustellen, wann sie das letzte Mal dem Sonnenlicht ausgesetzt waren. "Hätten Forscher die Sedimente in der Vergangenheit untersucht, hätten wir keine der Analysen durchführen können, die wir für diese Arbeit gemacht haben."

"Alarmierender Weckruf"
Die Untersuchung des Bohrkerns bestätigt, was bereits eine Studie vor zwei Jahren nahelegte. Damals fand man heraus, dass das Eis nicht älter als etwa eine Million Jahre sein konnte. Nun ließ sich das Alter der Sedimente noch genauer zuordnen.

Rittenour berichtet, dass das Abschmelzen damals für einen Anstieg des Meeresspiegels von etwa 1,5 Metern sorgte. Insgesamt könnte der Meeresspiegel nach Modellrechnungen um bis zu sechs Meter höher gewesen sein. Das geschah, obwohl die Atmosphäre deutlich weniger CO2 enthielt als heute. Die hohe Konzentration an Treibhausgasen, mit der künftig zu rechnen ist, wird solche Phänomene verschärfen.

"Wir stellen fest, dass das Eisschild viel empfindlicher auf den Klimawandel reagiert, als wir bisher dachten", sagt Rittenour. "Das ist ein alarmierender Weckruf." Ihr Kollege Paul Bierman von der Universität Vermont bestätigt: "Die Vergangenheit Grönlands, die in dem gefrorenem Boden konserviert ist, deutet auf eine warme, feuchte und weitgehend eisfreie Zukunft für den Planeten Erde hin."
(Reinhard Kleindl, 23.7.2023)
Bohrungen unter US-Geheimbasis zeigen eisfreies Grönland vor 400.000 Jahren
 
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