Vor 120 Jahren konnte man mit venezianischen Gondeln durch den Wiener Prater fahren

josef

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Venedig liegt im Wiener Prater
Mit venezianischen Gondeln durch den Prater – das war am Ende des 19. Jahrhunderts in einem der ersten Themeparks der Welt möglich
Wer heute vom Praterstern Richtung Riesenrad und Planetarium schlendert, hätte sich vor 120 Jahren eher als Tourist gefühlt, der durch pittoreske venezianische Gassen flaniert, als ein Spaziergänger, der die Schönheiten Wiens erkundet, denn im Bereich des Kaisergartens (zwischen Hauptallee, Praterstern und Ausstellungsstraße) konnte man ab 1895 "Venedig in Wien" besuchen.

Besuchen Sie "Venedig in Wien".
Foto: Public Domain

Treten Sie ein: Der am Praterstern gelegene Eingang "Porta nuova".
Foto: Public Domain

Gabor Steiner, der "Vater" des Themenparks
Größten Anteil an der Errichtung dieses Vergnügungsparks, einem der ersten Themenparks der Welt, hatte der Theaterunternehmer Gabor Steiner. Der Kaisergarten war seit 1891 Eigentum der Londoner Gesellschaft "The Assets Realisation Company", die das Areal, das nun "Englischer Garten" hieß, gegen eine Jahresmiete von 26.000 Gulden an Steiner verpachtete. Und sofort begann Steiner seine Idee eines Vergnügungsparks, der die Anmutung der Lagunenstadt Venedig nach Wien bringen sollte, in die Tat umzusetzen. Unterstützung fand er dabei im Architekten Oskar Marmorek und dem Maler Ferdinand Moser.

Gabor Steiner im Jahr 1897.
Foto: Public Domain


Die Wiener Gondeln wurden tatsächlich in Venedig angefertigt.
Foto: Public Domain

Mit großem Aufwand trieb Steiner die Arbeiten voran. 50.000 Quadratmeter wollten mit typischem venezianischen Flair gefüllt werden. Drei große Plätze bildeten das Zentrum der Anlage, umspült von Kanälen, die echtes Venedig-Feeling vermitteln sollten. Etwa einen Kilometer lang war das Kanalsystem, auf dem die Gondolieri ihre Fahrten anboten, jeder Kanal etwa fünf breit und mit leichtem Gefälle versehen. Zwei größere Becken dienten zum Aus- und Einsteigen der Gäste. Steiner legte dabei großen Wert auf möglichst großen Realismus. So ließ er die Gondeln, die für die Bootsfahrten zum Einsatz kamen, in Italien anfertigen und auch die Wiener Gondolieri stammten tatsächlich aus Venedig.


Gondelfahrten im Prater waren der Renner.
Foto: Public Domain


Die Gondolieri stammten aus Italien, was den Gondelfahrten Authentizität verleihen sollte.
Foto: Public Domain


Elf Brücken überspannten die Kanäle.
Foto: Public Domain

Ansturm auf das Wiener Venedig
Cafés, italienische Restaurants, Läden, in denen italienische Produkte angeboten wurde, eine Bühne und ein Marionettentheater vervollständigten das venezianische Ensemble. Als "Venedig in Wien" am 18. Mai 1895 eröffnet wurde, war der Erfolg vorprogrammiert. Alt und Jung, Männer und Frauen stürmten die Kulissenstadt und machten das Projekt sofort zu einem sensationellen Erfolg. Im Eröffnungsjahr sollen an Sonn- und Feiertagen bis zu 50.000 Besucherinnen und Besucher die Lagunenstadt im Miniaturformat frequentiert haben. Mehr als zwei Millionen Menschen statteten im ersten Jahr dem Ausstellungsgelände einen Besuch ab. Als geflügeltes Wort soll der Spruch "Wir gehen heut Abend nach Venedig" die Runde gemacht haben. Und selbstverständlich berichtete auch die Presse ausführlich. Hier eine Seite aus 'Das interessante Blatt' vom 20. Juni 1895:




"Das interessante Blatt" vom 20. Juni 1895.
Foto: Anno / Österreichische Nationalbibliothek


Gruß von der Wasserrutschbahn.
Foto: Public Domain

Eine neue Attraktion
Um die Besucherinnen und Besucher bei Laune zu halten, wurden außerdem jedes Jahr Anstrengungen unternommen, neue Sensationen im österreichischen "Venedig" anzubieten. So wurde das Gelände unter anderem mit einem Kinematografen, der erste Filmvorführungen ermöglichte, ausgestattet und mit einer Wasserrutschbahn erweitert. Aber Steiner wollte mehr. Er war Unternehmer durch und durch und beauftragte die Ingenieure Walter Basset Basset und Harry Hitchins mit der Errichtung eines Spektakels wie es Wien noch nicht gesehen hatte. Chefkonstrukteur der Attraktion war Hubert Cecil Booth. Ein Platz für die neue Attraktion war auch rasch gefunden – der "Turm von Murano", in dem Glasbläser bis dahin ihre Kunst vorführten, musste weichen. Anlässlich der Feier zum 50.Thronjubiläum Kaiser Franz Josephs I. sollte ein spektakuläres, dem Anlass angemessenes Fahrgeschäft den Besucherstrom nach "Venedig" in Gang halten.

Die Bauarbeiten gingen zügig voran und am 25. Juni 1897 setzte es sich zum ersten Mal in Bewegung: das Wiener Riesenrad. An jenem Tag vollführte das knapp 65 Meter hohe Rad allerdings nur eine halbe Drehung um die Montage fertigstellen zu können. Am 3. Juli erfolgte die offizielle Einweihung und Eröffnung. Eine Fahrt dauerte damals etwa zehn Minuten. Die 30 Waggons fassten je 30 Personen und waren höchst modern mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet. Viele Liebespaare nutzten das Riesenrad, denn es wurden "Wagons separée" angeboten, in denen sich die Verliebten ungestört wähnten. Und Wien war um ein touristisches Highlight reicher.


Das Riesenrad, 1910.
Foto: Presse-Service der Stadt Wien

Das Ende des Projekts
Doch der Zauber des Neuartigen erlosch ziemlich rasch. Schon fünf Jahre nach Eröffnung ließ die Begeisterung bei der Wiener Bevölkerung nach. 1901 war "Venedig in Wien" bereits wieder Geschichte. Die venezianischen Kanäle wurden trockengelegt, und im Laufe der nächsten Jahre folgten auf dem Areal unterschiedlichste Sonderausstellungen:1901 konnte man eine "Internationale Stadt" bewundern, im Jahr darauf eine "Blumenstadt" durchstreifen und 1903 stand in der "Elektrischen Stadt" das Wunder der Elektrizität im Fokus des Interesses. Doch zu diesem Zeitpunkt war das venezianische Flair, das wenige Jahre lang über dem Pratergelände gelegen und die Bevölkerung in Begeisterung versetzt hatte, längst in Vergessenheit geraten.
(Kurt Tutschek, 22.7.2019)
Venedig liegt im Wiener Prater - derStandard.at
 
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