Wien: Die damalige "Tierärztliche Hochschule" unter dem Hakenkreuz

josef

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Die Vetmed unter dem Hakenkreuz: Mehr als nur Mitläufer
Zwei neue Bücher arbeiten die "dunklen Jahre" der heutigen Veterinärmedizinischen Universität auf. Auch sie war lange vor 1938 eine "Hochburg des Nationalsozialismus"
Statt eines Titels trug der Text bloß ein Hakenkreuz als Überschrift. Darunter hieß es: "Auch die österreichische Tierärzteschaft hat für das Zustandekommen der heutigen staatspolitischen Lage in Österreich sich eingesetzt, dafür gekämpft und Opfer in großer Zahl gebracht." Diese Zeilen erschienen einige Wochen nach dem "Anschluss" 1938 in der "Wiener Tierärztlichen Monatsschrift". Autor war David Wirth, einer der führenden österreichischen Fachvertreter im 20. Jahrhundert, der sein Schreiben mit folgenden Worten schloss: "Die Jahre einer würdelosen, sogenannten Unabhängigkeit sind vorbei!"

War das bloß die nötige Anbiederung eines Universitätsangehörigen an die neuen Machthaber? Oder entsprach Wirths Darstellung den Tatsachen? Das sind nur zwei der Fragen, denen die Zeithistorikerin Lisa Rettl in einem Projekt nachging, das sich der Geschichte der Wiener Tierärztlichen Hochschule (heute: Vetmeduni Vienna) in den Jahren zwischen 1930 und 1947 widmete.

Diese Hochschule war damit zwar eine der letzten Unis in Österreich, die sich der eigenen NS-Geschichte stellte. Die Aufarbeitung durch das Team um Rettl erfolgte dafür umso gründlicher und setzt durchaus für andere Unis Maßstäbe – obwohl sich die wichtigsten Rechercheergebnisse gut ins Bild der Hochschulen in der Zwischenkriegszeit einfügen.

Hochschulen als NS-Wegbereiter
Dieses Bild hat erst in den letzten Jahren eine wichtige Nachschärfung erfahren: Die heimischen Universitäten – und damit auch die Tierärztliche Hochschule – waren in den 1920er-Jahren Brutstätten des Antisemitimus und spätestens ab 1930 gerade kein Hort des Widerstands gegen den Faschismus, ganz im Gegenteil. Entsprechend nennt Rettl die Tierärztliche Hochschule gar eine "Hochburg des Nationalsozialismus".
Wegbereiter für das NS-Regime fanden sich dabei sowohl bei den Professoren wie bei den Studierenden: Bereits bei den Studentenwahlen Anfang 1931 siegten – wie an allen anderen Hochschulen auch – an der Tierärztlichen Hochschule die Vertreter des Nationalsozialistischen Studentenbunds und dominierten die ohnehin schon völkisch ausgerichtete Deutsche Studentenschaft.

"Sicherster" Wiener Rektor
Rektor der Tierärztlichen Hochschule war in dieser Zeit David Wirth, der bei der Nazi-Studentenvertretung großes Vertrauen genossen hat. Wirth wurde zwar erst 1942 NSDAP-Mitglied. Der Veterinärmediziner, der 1910 promoviert hatte, war aber Burschenschafter und bereits vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied des Deutschen Klubs geworden, eines radikal deutschnationalen Vereins. All das machte ihn für die Nazis 1933 zum "sichersten Mann unter den Wiener Rektoren".

Der spätere Rektor David Wirth im Jahr 1913, als er Adjunkt an der Tierärztlichen Hochschule war, mit dem Pferd
BoyFoto: Privatarchiv Lore Sexl


David Wirth rund 20 Jahre später als Rektor der Tierärztlichen Hochschule. Er leitete die Hochschule 1931 bis 1933 und dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg.
Foto: Historisches Archiv der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Sig. 6.1.1.2.11

Rettl und ihre Mitarbeiter haben sich im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts seit 2014 vier Jahre lang mit den dunklen Jahren der Vetmeduni Vienna befasst, davon zwei Jahre lang in verschiedenen Archiven im In- und Ausland. Daraus gingen gleich zwei Bücher hervor. Das erste erschien bereits 2018, ist als eine Art Gedenkbuch zu verstehen und enthält vor allem akribisch recherchierte Biogramme von jüdischen Studierenden, von denen nicht allen die Flucht ins Ausland gelang.

In dem neuen Buch steht die eigentliche Geschichte der Tierärztlichen Hochschule zwischen 1930 und 1947 im Zentrum und nimmt, wie bereits angedeutet, nicht nur die Zeit nach dem "Anschluss" unter die Lupe, sondern auch dessen Vorgeschichte. Dazu gehört auch ein von Linda Erker verfasstes Kapitel über die Zeit des Austrofaschismus, der damals bereits in die Autonomie der Unis und die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen hat.

Weniger Zäsur als Kontinuität
1938 stellte dann, und das kam auch für Rettl überraschend, an der Tierärztlichen Hochschule alles andere als ein Jahr des Umbruchs dar: Im Vergleich zu anderen Unis gab es nicht mehr viel zu "säubern". Insgesamt nur sechs Studierende jüdischer Herkunft wurden aus rassistischen Gründen vertrieben und nur zwei Lehrende aus politischen Gründen entlassen.

Alle anderen Professoren blieben sowohl im Austrofaschismus als auch im Nationalsozialismus an der Hochschule. Trotz dieser erstaunlichen Personalkontinuität, die ein weiterer Beleg für die weitverbreitete NS-Gesinnung an der Hochschule ist, war diese nach 1938 von der Schließung bedroht. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs breitete sich an der Hochschule allgemeine Hochstimmung aus, wie Rettl schriebt.

Hundemusterung für die Wehrmacht
Den Veterinärmedizinern nicht zuletzt wegen der massenhaften Einfuhr von Schlachtvieh ins Deutsche Reich eine neue Bedeutung zu. Und ein Foto vermutlich aus 1939 hält auch noch eine andere neue Aufgabe der Hochschule fest: Tierärzte begutachteten Hunde zur Kriegsverwendung bei Polizei und Wehrmacht – und die Wiener Hundebesitzer machen eifrig mit.


Wienerinnen und Wiener bringen ihre Hunde 1939 zur sogenannten Hundemusterung in Tierärztliche Hochschule. Die Originalbildunterschrift lautet: "Unsere vierbeinigen Lieblinge stellen sich ebenfalls in den Dienst des Vaterlands."
Foto: Bildarchiv der KPÖ / Albert Hirscher

Kontinuitäten nach 1945
Das Kriegsende 1945 und die Jahre danach brachten dann abermals erstaunliche personelle Kontinuitäten, die sich an der Karriere von David Wirth illustrieren lassen: Obwohl 1944 zum Dozentenbundführer ernannt, konnte Wirth nach dem Krieg noch kurz als Rektor amtieren, ehe er erst Anfang 1946 frühpensioniert und als minderbelastet eingestuft wurde: Sein Verhalten würde "kein Gewähr" bieten, "jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich einzutreten".

Nahezu bruchlos konnte Wirth danach seine Karriere an der Uni München fortsetzen. Und spätestens 1959 war dann auch in Österreich vergessen, was in den ersten Nachkriegsjahren noch belastend war: Wirth erhielt das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, die höchste staatliche Wissenschaftsauszeichnung Österreichs.

Zu Wirths 80. Geburtstag konnte sich ein Kollege dann doch nicht verkneifen, noch einmal auf die Entlassung des Ex-Rektors 1946 hinzuweisen: Mehr als zehn Jahre habe es gedauert, ehe diese Wirth "zugefügte Kränkung von dem späteren, wieder in Ordnung gekommenen Österreich gutgemacht wurde". Dieser Text erschien – wie schon Wirths eingangs zitierte "Anschluss"-Bejubelung – in der "Wiener Tierärztlichen Monatsschrift", nur halt 27 Jahre später.
(Klaus Taschwer, 19.9.2019)


Literaturhinweis:


Lisa Rettl, "Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tierärztlichen Hochschule 1930–1947. Wege – Spuren – Schicksale", € 20,50 / 360 Seiten, Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
Lisa Rettl, "Die Wiener Tierärztliche Hochschule und der Nationalsozialismus. Eine Universitätsgeschichte zwischen dynamischer Antizipation und willfähriger Anpassung", € 41,10 / 356 Seiten, Wallstein Verlag, Göttingen 2019.

Buchpräsentation am 24. 9. um 14 Uhr im Festsaal der Vetmeduni Vienna, Veterinärplatz 1, 1210 Wien. Anmeldungen erwünscht.

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