Zukunftsvisionen von gestern

josef

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#1
DIE ZUKUNFT VON GESTERN
Stadion auf dem Mond: Wie man sich 1979 Olympia 2020 vorstellte
Fliegende Autos, unterirdische Städte und das Internet, das sich nicht durchsetzen wird: In unserer neuen Serie kramen wir alte Zukunftsprognosen hervor
Zukunftsprognosen machen Spaß – zumindest so lange, bis sie fällig werden. Ein Ausweg für Zukunftsforscher ist bisweilen, das Eintrittsdatum möglichst weit nach hinten zu verschieben und darauf zu hoffen, dass sich später niemand mehr daran erinnert. Das dachten sich wohl auch die Autoren des Usborne Book of Future, erschienen im Jahr 1979, die eine sehr sportliche Vision für die Olympischen Spiele 2020 zeichneten.


Mit einer Rakete sollten die Zuschauer von der Erde auf den Mond transportiert werden.
Faksimile: Usborne Publishing

Das Olympische Feuer, wie es in einer mit Sauerstoffpatrone bestückten Fackel brennt.
Faksimile: Usborne Publishing

Sie rechneten damit, dass das Großsportereignis 2020 erstmals auf dem Mond stattfinden würde. Bewohnt, so die Autoren, wäre der Erdtrabant ja ohnehin schon seit den 90er-Jahren. Ja, sogar Kinder würden den Spielen beiwohnen, welche die Erde nur aus nostalgischen Erzählungen ihrer Eltern kennen. Die geringere Gravitation auf dem Mond könnte sogar neue Weltrekorde beflügeln: Die Messlatte für den lunaren Stabhochsprung legten die Futuristen der 70er-Jahre auf 14 Meter – fast dreimal so hoch wie der damalige Weltrekord.


Bis zu 14 Meter hoch: Die geringere Gravitation soll neue Rekorde ermöglichen.
Faksimile: Usborne Publishing

Stattgefunden haben die Olympischen Spiele 2020 bekanntlich weder auf dem Mond noch auf der Erde. Aber wer hätte vor 41 Jahren schon gedacht, dass sich die Menschheit in Zukunft durch so etwas Basales wie ein Virus aus der Fassung bringen lässt?
(pp, 8.2.2021)
Stadion auf dem Mond: Wie man sich 1979 Olympia 2020 vorstellte - derStandard.at
 

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#3
DIE ZUKUNFT VON GESTERN
Polizeiroboter: Damals mit Tränengas-, heute mit Temperaturpistole
Schon 1924 stand das Konzept für einen Roboterpolizisten, fast hundert Jahre später sind sie da.
Zugegeben, vom Aussehen her erinnert der chinesische Polizeiroboter ein wenig an Wall-E – und auch die Lockdown-bedingt oft leergefegten Straßen, durch die er patrouilliert, passen gut zum Flair des dystopischen Pixar-Animationsfilms.


In Shanghai kontrollieren die autonomen Roboter Corona-Maßnahmen.
Foto: Reuters

Seit vergangenem Jahr rollen die Roboter durch die Straßen Schanghais und anderer chinesischer Städte, um die Corona-Maßnahmen zu kontrollieren. Mithilfe einer eingebauten Wärmebildkamera können die Robocops die Körpertemperatur von Passantinnen messen und auch feststellen, ob sie ordnungsgemäß eine Maske tragen. Bereits im März des vergangenen Jahres ermahnten Polizeiroboter Bewohner der tunesischen Hauptstadt Tunis, die trotz Lockdowns auf den Straßen waren.

Die Idee ist nicht neu: Schon im Jahr 1924 fantasierte der Science-Fiction-Autor und Erfinder Hugo Gernsback in seinem Magazin Science and Invention über einen ferngesteuerten "Polizei-Automaten", der sich aus seiner Sicht "außerordentlich wertvoll" erweisen könnte, um Mobs aufzulösen. Über ein eingebautes Telegraphon könnten Polizisten vorher aufgenommene Warnungen abgeben. Sollten diese wirkungslos bleiben, entlädt der Polizeiroboter seinen Tränengastank in die Menge.


Ein mit Tränengas und rotierenden Bleikugeln bestückter Roboter sollte Demonstrationen auflösen – so zumindest das Konzept von 2024.
Foto: Science and Invention

Zu nahe kommen sollte man der Maschine jedenfalls nicht, denn als Nahkampfwaffe hält der Automat eine schnell rotierende Scheibe mit an Ketten befestigten Bleikugeln bereit. Dann doch lieber Wall-E.
(pp, 13.4.2021)
Polizeiroboter: Damals mit Tränengas-, heute mit Temperaturpistole
 

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#4
ZUKUNFT VON GESTERN
So stellte man sich im Jahr 1900 die Zukunft unserer Mobilität vor
Sich bewegende Gehsteige, Spaziergänge übers Wasser, Flüge mit Vogelfedern. Nicht alles traf ein, was eine Schokoladenfabrik für die Zukunft hielt, doch vieles kam in ähnlicher Form
Mobilität begeistert bereits kleine Kinder. Sie interessieren sich für Züge, Schiffe, Flugzeuge, Traktoren, Autos und Räder. Sie sind wissbegierig, wollen neue Sachen entdecken – und Fahrzeuge aller Art eignen sich nun einmal perfekt für Entdeckungen. Bei vielen Menschen bleibt die Begeisterung auch mit zunehmendem Alter bestehen.

In der unregelmäßigen Serie "Die Zukunft von Gestern" schauen wir uns an, welche fragwürdigen Ideen unserer Vorgängerinnen und Vorgänger tatsächlich eintraten und welche nicht. Wir hoffen ebenso, dass das nie jemand mit unseren Texten macht. ;-)
Illustration: Fatih Aydogdu / Der STANDARD

So ist es nicht verwunderlich, dass sich Verheißungen, Wünsche oder Prophezeiungen über die Zukunft sehr oft um das Thema Mobilität drehen. Das fliegende Auto ist die wohl popkulturell meistreferenzierte Vision. Auch wenn sie dank Velikoptern oder Jetpacks teilweise erfüllt wurde, hat man sich fliegende Autos doch immer spektakulärer, schneller und cooler vorgestellt.

Ziemlich spektakuläre Vorstellungen von der Mobilität der Zukunft hatte vor 121 Jahren auch eine deutsche Schokoladenfabrik. Die bereits 1817 in Berlin gegründete Firma Theodor Hildebrand & Sohn war für die damalige Zeit in Marketingfragen schon recht fortschrittlich (und teils fragwürdig).

Mit einem Ballon gemütlich übers Wasser – sogar mit der Kutsche. Wofür es in diesem Szenario noch den Gehstock des adretten Herren braucht, erschließt sich mir nicht ganz
Foto: Foto: Theodor Hildebrand & Son

Später sollte sie dies etwa durch die extra für die Olympischen Sommerspiele in Berlin 1936 entwickelte und mit Koffein angereicherte Scho-Ka-Kola beweisen – vielen als Fliegerschokolade der deutschen Luftwaffe bekannt. Auch mit 14 Milligramm der Rauschdroge Methamphetamin angereicherte Pralinen verkaufte die Firma.

Bevor der Spruch im Forum kommt: "Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen."
Foto: Foto: Theodor Hildebrand & Son

Der ewige Traum vom Fliegen
Schon im 19. Jahrhundert vertrieb die Firma aber auch Sammelheftchen, die mit Klebebildern aus den Schokopackungen gefüllt werden konnten. Besonders beliebt war dabei eine Serie zum Jahrhundertwechsel, die das Leben in 100 Jahren, also im Jahre 2000, vorhersehen sollte. Viele Vorhersagen drehten sich auch hier um das Thema Mobilität.

Ich habe auch keine Ahnung, was der Vorteil von mit Schienen betriebenen Schiffen gegenüber schwimmenden sein sollte!
Foto: Theodor Hildebrand & Son

Der Traum vom individuellen Fliegen mit Kunstflügeln etwa war damals wie heute groß und verwirklichte sich in gar nicht so unähnlicher Form. Extremsportlerinnen und -sportler legen mit Wingsuits heute oft weite Strecken zurück. Mit motorisierten Drachen, bemannten und autonomen Lufttaxis sowie Jetpacks ist es heute sogar möglich, ohne sich todesmutig von einem Berg zu stürzen.

Der ein oder andere österreichische Hersteller eines picksüßen Getränks hätte die Herren und Damen damals bestimmt mit Geld überschüttet.
Foto: Theodor Hildebrand & Son

Die auf Schienen betriebenen Schiffe auf dem Meeresgrund wirken vielleicht wie die absurdeste Vorhersage. Generell hat man sich im Wasser prognostisch aber etwas weit vorgewagt. Die Wasserspaziergänge auf schwimmenden Skiern dank Ballons wurden an Seen dann doch eher durch den gemütlichen Elektrobootverleih oder das flottere Wasserskifahren ersetzt.

Die sich bewegenden Gehsteige findet man so in zahlreichen Flughäfen, um lange horizontale Fußstrecken schneller zu meistern. Zum Groll vieler Personen wurde die gesteigerte Mobilität auf dem Gehsteig aber eher durch E-Scooter ermöglicht.
(Fabian Sommavilla, 10.12.2021)
So stellte man sich im Jahr 1900 die Zukunft unserer Mobilität vor
 

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#5
DIE ZUKUNFT VON GESTERN
Der seltsame Helm, der beim Konzentrieren helfen sollte
Schriftsteller Hugo Gernsback erfand 1925 ein eher unkonventionelles Mittel, um dem Lärm der Stadt zu entkommen

Der "Isolator" als Hilfe für Leute, sich ganz auf eine Aufgabe zu konzentrieren.
Foto: WorldRadioHistory.com / Science and Invention

An manchen Tagen fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Sind es nicht die Bauarbeiter, die unten auf der Straße mit dem Presslufthammer hantieren, dann sind es Smartphone oder Laptop, die mit Benachrichtigungen quälen. Was nach einem Auswuchs unserer schnelllebigen Zeit klingt, beschäftigt Menschen schon seit langem. Die Industrialisierung ließ die Städte lauter werden. An die Stelle von Pferdekutschen, die klackernd, aber gemächlich durch die Straßen fuhren, trat das lautere Automobil. Großstädte erlebten einen Bau-Boom, überall stampfte man Gebäude aus dem Boden. Baustellen erfüllten die Städte mit ihrem lauten Hämmern – für viele der Klang der Zukunft, die man in Beton und Stahl goss.

Kopf bekommt Deckel
Anders erging es dem luxemburgisch-amerikanischen Science-Fiction-Autor, Herausgeber und Erfinder Hugo Gernsback. Er litt unter dem Umgebungslärm, musste er sich in seinem Büro doch konzentrieren, um auf neue Ideen zu kommen. Doch er ließ den Lärm nicht untätig über sich ergehen, eine Lösung musste her. Prompt stellt er im Jahr 1925 in seiner eigenen Zeitschrift "Science and Invention" "The Isolator" vor – einen seltsam aussehenden Helm, der vor Geräuschen und sichtbaren Ablenkungen abschirmen soll. Mit diesem Hilfsmittel, so Gernsbacks Idee, könne man sich endlich auf die Arbeit konzentrieren.


"The Isolator" von Hugo Gernsback.
Foto: WorldRadioHistory.com / Science and Invention

Was aussieht wie eine Mischung aus Taucherhelm und Gasmaske, ist ein Vollvisierhelm aus Holz. Innen ist er mit Kork ausgekleidet, außen mit Kork und Filz. Für die Augen wurden drei Glasstücke eingesetzt. Das äußere Glas war völlig schwarz, Gernsback kratzte lediglich zwei kleine, weiße Linien hinein. Denn: Das unruhige Auge sollte bloß nicht umherwandern. Mit dem beschränkten Sichtfeld sollte es nur das Blatt Papier auf dem Schreibtisch erkennen.

Der Aufbau des "Isolators".
Foto: WorldRadioHistory.com / Science and Invention

Vor dem Mund befindet sich eine Schallwand, die das Atmen erlaubt, aber den Schall abhält. Fertig war das, nun ja, Schreckgesicht. Ganze 95 Prozent der Geräusche würden damit vermieden, behauptet Gernsback in seiner Zeitschrift. Später fügte er noch einen Sauerstofftank hinzu. Er stellte fest, dass Trägerinnen und Träger des Helms nach 15 Minuten langsam schläfrig wurden. Kein Wunder, schließlich umhüllten sie sich sanft mit Kohlendioxid.

"Gute Investition"
Gerade praktisch kann man den klobigen Helm nicht nennen. Wer will schon ständig einen Sauerstofftank neben sich stehen haben? Und was passiert, wenn Einbrecher die Wohnung ausräumen, während der eigene Kopf abgeschottet im Helm steckt? Gernsback jedenfalls zeigte sich überzeugt von seiner Erfindung: "Mit dieser Anordnung wird festgestellt, dass eine wichtige Aufgabe in kurzer Zeit erledigt werden kann, und die Konstruktion des Isolators wird sich als eine gute Investition erweisen", schreibt er im Magazin.
Doch schon damals setzte sich der Isolator nicht für die Masse durch. Und auch heute ist er in Haushalten und Büros freilich nicht anzutreffen. Moderne Noise-Cancelling-Kopfhörer erfüllen meist denselben Zweck und sind dabei angenehmer zu tragen. Ablenkungen ganz abzuschirmen, schaffen sie allerdings auch nicht.
(Florian Koch, 31.7.22)
Zum Nachlesen
"Science and Invention": The Isolator



Der seltsame Helm, der beim Konzentrieren helfen sollte
 
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