Schiffstransporte in neuem Licht
Jüngst entdeckt: Die ersten Farbaufnahmen des Donautales von Ingolstadt bis Regensburg
VON MICHAEL WESTERHOLZ / Fotos: Wasser- und Schifffahrtsamt Regensburg
Ab Juni 1940 bis 1944 schwammen insgesamt über 600 Schiffe ab Ingolstadt abwärts ins Schwarze Meer.
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Hier zwei Schlepper, der eine schon im Wasser, der zweite noch am Ufer. Links im Hintergrund die Gießerei.
Lachen müsst' ich, wenn's gelänge: Aber eine solche Aktion geheim zu halten? Unmöglich!"So die erste Reaktion des Hugo Walter, weiland Oberbaurat an der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Regensburg, den im Herbst 1939 eine Anfrage der Deutsch-Amerikanische Petroleum AG (D AP AG) verblüfft hatte: In Absprache mit dem Reichsverkehrsministerium in Berlin wollte sie wissen, ob Tankkähne aus Nord*deutschland über Kanäle, die Elbe, zwischen Dresden und Ingolstadt 425 Kilometer über die Reichsautobahn und dann 1800 Kilometer donauabwärts bis ins Schwarze Meer verlegt werden könnten?
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Vom vielrädrigen Rollwagen im Vordergrund, auf dem das Schnellboot von Dresden auf der Reichsautobahn nach Ingolstadt gebracht wurde, ist ein Schnellboot auf die Hellingwagen gehoben worden.
Der Krieg tobte schon, die USA waren noch keine Gegner Deutschlands. Militärtaktiker zogen die rumänischen und russischen Ölfelder ins Kalkül ihrer Kriegspläne, und die US-Manager erhofften sich satte Gewinne aus dem vor*hersehbaren Ölmehrverbrauch.
Oberbaurat Walter, als Faltbootsportler und Wasserbauer Donauexperte und um fachkundige Freunde nicht verlegen, stieg an Untiefen, unter niedrigen Brücken in Pförring, Neustadt und Kelheim, an Felsformationen ins Wasser. Überdies erwies er sich aber auch als fürsorglich vorausschauender Vizechef seiner Helfer: Während sein Chef die Aktion undurchführbar nannte, holte Walter sich Praktiker aus Bauhöfen, Werften, von BayerLIoyd- und DDSG-Schiffen zusammen: „Für sie und für Baggerfahrer (die walzende Kiesbänke und Untiefen freibaggerten) musste für die Dauer der Transporte die Freistellung von der Wehrmacht beantragt werden."
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Frühmorgens bei leichtem Nebel auf der Slipanlage Ingolstadt.
Ein Schnellboot schwimmt von den Hellingwagen ab.
Wie wichtig dies war, erwies sich, als Walter im Juni 1940 an der Ingolstädter Slipanlage den ersten, 70 Meter langen, neun Meter breiten Tankkahn zur Abfahrt frei pfiff: Sein risikoscheuer Chef in der Regensburger Behörde war bereits an der Front. Und da die Transporte sich unvorhersehbar auf über 600 Schiffe (davon 500 für die Kriegsmarine) bis 1944 ausdehnten, bewahrten die Freistellungen viele Mitarbeiter Walters vor Fronteinsätzen. Obwohl erst ab 1941 das Kriegsministerium die Aufträge vergab, wurden alle Transporte von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und dem Sicherheitsdienst (SD) abgeschirmt und von Offizieren begleitet. Doch während Walter und alle anderen Beteiligten nicht einmal dienstliche Notizen anfertigen durften, machten sich die Menschen am Strom alsbald ihren Reim auf die teils durch Umbauten getarnten schwimmenden Behälter. Eine Mehrheit glaubte, kriegsentscheidende Wunderwaffen würden dort verschifft - Joseph Goebbels Propaganda wirkte.
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Schrecken jedes einzelnen Transports: Die enge S-Kurve vor
der unter Schiffern gefürchteten „Langen Wand" in der
Weltenburger Enge. Doch alle Transporte verliefen unfallfrei.
Von den Brücken aus schauten Kinder und Erwachsene u. a. auf sechs U-Boote (42 Meter lang, nach Maschinendemontage 150 Tonnen schwer, um 90 Grad zur Seite gelegt), 30 Schnell-, 23 Räum-, 50 Landungsboote, 26 U-Boot-Jäger (Kriegsfischkutter), 84 Bewacher (Barkassen), 113 Küstenfrachter, 40 Küstentankleichter, 30 Schlepper, je zwei Raddampfer und Eisbrecher, vier Schwimmbagger und 18 seetüchtige Motorboote im Gesamtgewicht von 55 000 Tonnen. Gerd Enders, von März 1942 bis April 1944 auf einem der ins Schwarze Meer verlegten sechs (von nur 57 einsatzfähigen!) U- Booten, nannte 1995 in der Studie „Ingolstadt im Nationalsozialismus" unwesentlich abweichende Zahlen.
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Geruhsamkeit in Höhe Kloster Weltenburg nach aufregenden
Fahrtabschnitten: Offiziere genießen an Deck des Tankschiffes die Sonne.
Die Schiffe und Boote schwammen auf flachen Pontons oder zwischen unförmigen Schwimmkästen, wurden von dem starken Schlepper Tristan gezogen, in der Weltenburger Enge haarsträubend bugsiert, mit gewagten Manövern durch Regensburger Strudel („Wirbelwasser") gejagt, durch Bögen der Steinernen und der Eisernen Brücke mit nur noch Zentimetern Abständen zu den Mauersteinen und Stahlstreben über Soge und Staus mit gefährlichen Deckwalzen halb gezogen, halb geschoben. Wiederholt glitten Schiffe nur dank Tauen in die Schifffahrtsrinne zurück, die vom Ufer aus zugeworfen worden waren. Dabei sei's so dramatisch zugegangen, dass „ein Fregattenkapitän mit Ritterkreuz nach Besichtigung der Durchfahrt an der Steinernen Brücke kategorisch erklärte: ,Da lasse ich mein Boot nicht durchfahren!", spottete Jahre später der Pensionär Walter über solche Ängste, als er seine Erinnerungen niederschrieb.
Mittlerweile, so berichtete Heimatforscher Hans Fegert 1988 in den Ingolstädter Heimatblättern, hatte das Oberkommando der Marine (OKM) zur reibungslosen Abwicklung der Landtransporte seiner Schiffe und U-Boote eine Sondertruppe mit 600 Speditions-, Schiffsbau-, Montage-, Funkexperten, Kraftfahrern und Feldgendarmen aufgebaut. Sogar Schneepflüge gehörten zu deren Ausrüstung: Ein Zentimeter Schnee auf der Autobahn konnte die Durchfahrt eines auf mehrere je 150 PS starke Tieflader verladenen U-Bootes durch eine Unterführung verhindern. Ingolstädter waren als Zuschauer ausgesperrt: Die zwischen Autobahnausfahrt „Auwaldsee", Peisserstraße und Slipanlage (vor dem Bau der Schillerbrücke 1963 abgebaut) eigens angelegte Schotterstraße blieb ihnen versperrt.
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Juni 1940, das erste Tankschiff steuert auf die Pförringer Brücke zu.
Doch so strikt Geheimhaltung befohlen war: 1935 hatte Agfa mit Farbfilmen zu experimentieren begonnen. Amateurfotograf Walter dokumentierte mit den neuen Filmen die Fahrt des ersten Tankschiffes sowie später der Schnellboote. U-Boote fotografierte er nicht mehr: Als sie transportiert wurden, war Walter bereits eingerückt. Allerdings existieren von diesen U-Boot-Transporten (am 14. Oktober 1942 war das erste wieder im Kriegsdienst, am 3. Juni 1943 das sechste) Schwarzweißaufnahmen eines unbekannten Fotografen, die Fegert entdeckte und veröffentlichte.
Walters Farbdias blieben Jahrzehnte unbeachtet, bis Bauoberrat Rolf Diesler als neuer Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Regensburg sie jüngst aus einer Kiste hervorzog: „Eine schier unglaubliche Sensation", entfuhr es Fegert, „es dürften die ersten Farbaufnahmen des Donautales von Ingolstadt bis Regensburg sein. Ein Schatz für jede Sammlung!"
Walter kann sie nicht illegal aufgenommen haben: Auf den Fotos sind zivile Beobachter der Transporte auf den zu passierenden Brücken zu sehen, die Walters Hantierungen gesehen haben müssen. Offiziere, entspannt an Deck eines Tankers sitzend, während er Kloster Weltenburg passiert, müssen Walters Fotoapparat und Aufnahmeexkursionen gesehen haben, auch Männer in den für die Gestapo und den SD typischen Ledermänteln. Dass seine Fotos im Amt (300 Mitarbeiter unter Aufsicht des Bundesverkehrsministeriums, zuständig für „Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs" auf 213 Kilometern Bundeswasserstraße Donau) blieben, deutet an, dass er dienstlich dokumentierte, was geschah, private Nutzung der Fotos aber untersagt war.
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Die alte Kelheimer Straßenbrücke ist passiert, nach einem
Zwischenstopp zieht der Schlepper den Tankkahn wieder
in die Schifffahrtsrinne. Im Hintergrund die Befreiungshalle.
Als Walter in der Zeitschrift für Binnenschiffahrt und Wasserstraßen (Nr. 9/1976) die Transportaktion preisgab, illustrierte er sie mit einigen seiner Schwarzweißfotos - ohne Hinweis auf die kostbaren Farbbilder als bahnbrechende bunte Momentaufnahmen einer Landschaft, die er wie aus dem Effeff kannte. Hatte er sie vergessen?
Und die Schiffe? Sie kämpften mit wechselnden Erfolgen im Schwarzen Meer, versenkten bei 57 Feindfahrten vor der Kaukasusküste 26 Schiffe mit 45 425 Bruttoregistertonnen, wurden durch Angriffe beschädigt, versenkt oder bei aussichtsloser Kriegslage von den Besatzungen versenkt oder gesprengt.
43 Jahre nach Kriegsende stießen Bergarbeiter 50 Kilometer nördlich von Istanbul auf eines der drei deutschen U-Boote (U 19, U 20, U 23), die beim Rückzug am 10./11. September 1944 „im Vorfeld der türkischen Küste" auf Grund gesetzt worden waren. Kein Zweifel: Dieses U-Boot war von Ingolstadt aus auf dem Wasserweg ins Schwarze Meer gebracht, von Arbeitern der Hitzler-Werft technisch geleichtert, in Linz oder Galatz wieder zusammengebaut worden. Jener Küstenstreifen der Selbstversenkung war um 1960 trockengelegt worden. 1986 begannen Bergleute dort mit dem Abbau von Kohle: Sie bargen 1988 das deutsche U-Boot.
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Einer der heikelsten Punkte der Donaupassage:
Die Durchfahrt unter der Steinernen Brücke in Regensburg
QUELLE:
PAULIG, G. & WEBER, J. & WESTERHOLZ, Michael.
Schiffstransporte (1940-1944) auf der Donau im Neuen Licht
(weiteres leider unbekannt)
Artikel ist unter:
http://www.uk-muenchen.de/berichte/reportagen_donau.htm
einsehbar
MfG Michi