Historische Hintergründe die 1948 zur Ausrufung des Staates Israel führten und in denen die Wurzeln der heutigen Konflikte zu finden sind

josef

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#1
Die Wurzeln des Nahost-Konflikts

Aufarbeitung des Themas in den Schulen
An vielen Schulen herrscht dieser Tage das Bedürfnis, der aufgeladenen Stimmung zum aktuellen Nahost-Konflikt mit Fakten zu begegnen. Die Wurzel des Konflikts bilden Siedlungsbewegungen im Gebiet des heutigen Palästina in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die das Gebiet in gewissem Sinne aus seinem Dämmerzustand rissen. Juden und auch Christen zog es ins „Gelobte Land“. Dort lebten freilich gut 300.000 Menschen arabisch sunnitischer, aber auch christlicher Herkunft. Und es gab ebenso kleinere Gruppen jüdischer Bewohner, etwa in Hebron.

Fakten unterliegen Bewertungen und Blickwinkeln, aus denen sie betrachtet werden. Will man das schwierige Verhältnis von jüdischer und arabischer Bevölkerung dieser Region betrachten, wird man in Österreich immer die eigene Geschichte und das späte Eingeständnis zur Mitverantwortung an den Taten des Nationalsozialismus und damit auch an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden miteinbeziehen. Das Bekenntnis zum Staat Israel ist in Österreich wie auch in Deutschland aufgrund der eigenen Geschichte zur Staatsräson geworden.

Auch Fakten unterliegen Bewertungen
Das Bedürfnis, den Nahost-Konflikt in Schulen zu diskutieren, ist riesengroß. Das Dilemma, diesen komplexen Konflikt auf einfache Formeln oder Haltungen zu bringen, ist augenscheinlich. Will man diesen Konflikt nicht im Freund-Feind-Schema betrachten, dann kann die Kenntnis elementarer Fakten helfen. Auf den Seiten des Bildungsministeriums etwa versucht man das.

Die Dimensionen des Konflikts
Es gibt eine historisch-politische, religiöse bis ideologische und nicht zuletzt auch eine riesige soziale Dimension dieses Konflikts. Stets haben Kräfte von außen in diesem Spannungsfeld mitgewirkt – von der Mandatszeit der Briten bis hin zur Gegenwart, betrachtet man alleine die Rolle des Iran, Konflikte rund um Israel quasi über die Bande zu spielen. Beschäftigt man sich nur mit der sozialen Dimension des Nahost-Konflikts, stößt man gerne auf die Dimension des Kampfes der weniger gut Situierten gegen ein, so der Vorwurf von arabischer und auch westlich-linker Seite, „imperialistisch“ agierendes Land.

Solche Argumente der Gegenwart waren schon an der Quelle des Konflikts rund um das ausgehende 19. Jahrhundert zu hören, als sich die ersten zugezogenen jüdischen Siedlerinnen und Siedler in Palästina niederließen. Als die Emigranten aus dem Ausland damals nach Palästina kamen, gab es freilich die Auffassung eines „palästinensischen Volkes“ noch gar nicht. Wohl gab es aber auch schon zur Zeit des Osmanischen Reiches und im Zeitalter des wachsenden Nationalismus auch auf arabischer Seite den Wunsch, die arabische Bevölkerung Syriens, des Libanon und Palästina in einem gemeinsamen, eigenständigen arabischen Königreich zu vereinen.

Die Uhren [in Palästina] tickten langsam – das Tempo wurde bestimmt vom Schreiten des Kamels und den Zügeln der Tradition. Dann begannen Ende des Jahrhunderts vermehrt Fremde ins Land zu strömen, und es schien aus seiner levantinischen Betäubung zu erwachen. Muslime, Juden und Christen fühlten sich vom Land Israel emotional angezogen. In der von ihnen angestoßenen multikulturellen Revolution, die fast hundert Jahre andauerte, gingen Prophetentum und Wunschdenken, Unternehmertum, Pioniergeist und Abenteurertum eine magische Verbindung ein. Die Grenze zwischen Hirngespinst und Realität war oft verschwommen.
Tom Segev: „Es war einmal in Palästina“

Es war einmal in Palästina
Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits erste Gruppen von Jüdinnen undJuden nach Palästina gegangen, um dort auf dem Boden der einstigen Heimat, in Eretz Israel, von wo die Juden 70 nach Christus von den Römern vertrieben wurden, landwirtschaftliche Siedlungen zu errichten. Sie taten das in der Nachbarschaft christlicher Sekten, die ebenfalls davon beseelt waren, in dem für sie „Heiligen Land“ zu siedeln.

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Ausschnitt aus einer alten Karte zu Palästina, Mitte des 19. Jahrhunderts

Eine der ersten berühmten Beschreibungen Palästinas unter osmanischer Herrschaft stammt vom US-Schriftsteller Mark Twain in seinem oft bitterbös gehaltenen Reisebuch „The Innocents Abroad“ („Die Arglosen im Ausland“). Sein amerikanischer Blick auf Palästina im Jahr 1867 zeigt eine oft menschenleere Gegend. Die heute kultivierte Jesreelebene in Galiläa etwa stellte sich ihm als ein wüstes, menschenleeres Land vor, ein leeres Land, von dem christlich und jüdisch beseelte Siedler meinten, es wäre das Land, das man nicht zuletzt aus religiösen Motiven besiedeln könne.

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Aquarell von Edward Lear aus dem Jahr 1856 mit Blick auf Jerusalem von Osten

Der Berg Tabor steht allein […] in einer lautlosen Ebene, […] einer Verödung. […] Wir sahen niemals irgendein menschliches Wesen auf der gesamten Etappe, […] äußerst selten irgendwo einmal einen Baum oder Busch. Sogar Olivenbaum oder Kaktus, jene Freunde kargen Bodens, schienen fast vollständig das Land Galiläa verlassen zu haben.
Mark Twain über Palästina in: „The Innocents Abroad“

„Der Judenstaat“ als Antwort auf Antisemitismus in Europa
In verschiedenen Wellen sollte Palästina von Jüdinnen und Juden ab den 1880er Jahren, gerade auch unter dem Eindruck von Pogromen in Osteuropa, in verschiedenen Wellen besiedelt werden. Das war noch bevor der Wiener Journalist Theodor Herzl in seiner programmatischen Schrift „Der Judenstaat“ (1896) die ideelle Grundlage für den politischen Zionismus geschaffen hatte.

Der Begriff Zionismus
Der Zionismus bildet eine Verbindung von Elementen der Moderne und der traditionellen jüdischen Werte. Für die deutsche Historikerin und Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer „meint der Zionismus im weitesten Sinn die Sehnsucht nach Zion“. Zion ist ein Alternativbegriff zu Jerusalem. Zionismus, so Krämer, könne religiös oder kulturell gemeint sein, er könne sich aber auch politisch zuspitzen, so Krämer jüngst gegenüber der ARD: „Zionimus ist aber auch eine Spielart des Nationalismus, wie er sich im 19. Jahrhundert herausbildet, und beschreibt im konkreten Fall den jüdischen Nationalimus, der davon ausgeht, dass die Juden nicht nur eine religiöse Gemeinschaft sind, sondern auch eine politische, und als solche auch den Anspruch haben, wie andere Völker, auf die Bildung eines eigenen Staates.“


ORF Topos: Kalkül der Hamas – Schicksal der Palästinenser
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Herzl hatte als Korrespondent der Wiener „Freien Presse“ den Dreyfus-Prozess in Frankreich mitverfolgt und dabei gesehen, wie sehr der Antisemitismus Triebfeder für die Verurteilung des französischen Offiziers Alfred Dreyfus wegen angeblichen Geheimnisverrats gewesen war. Selbst nach dessen erwiesener Unschuld wurde das Urteil gegen Dreyfus nicht zurückgenommen. Herzl war sich im Schatten des europäischen Antisemitismus gewiss, dass Jüdinnen und Juden ohne eigenen Staat nie würden in Sicherheit leben können. Sein Programm des politischen Zionismus, das ein Jahr später auf dem ersten Zionistischen Weltkongress (ZWO) in Basel verabschiedet wurde, sah die Errichtung einer gesicherten Heimat für das jüdische Volk vor. Im Zusammenwirken mit den Großmächten und jüdischen Finanziers sollte ein Protektorat als Vorstufe eines künftigen jüdischen Staates gebildet werden.

Das ausgeschlagene Uganda-Angebot
Die „Jewish Company“ war für die Finanzierung von Landkäufen zuständig, der Jischuv, also das Gemeinwesen der Juden in Palästina, sollte auch Regeln für das gemeinsame Zusammenleben der verschiedenen Einwanderungswellen etablieren. Herzl hatte dem britischen Kolonialminister Joseph Chamberlain vorgeschlagen, den Nordteil der Sinai-Halbinsel zum Ansiedlungsgebiet der Juden und zugleich „zu einem Stützpunkt englischer Macht im Mittelmeer-Raum“ werden zu lassen.

Zwischenzeitlich gab es von englischer Seite auch das Angebot, die Juden im britischen Mandatsgebiet Uganda anzusiedeln. Während Herzl bereit war, sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen, solange Palästina nicht zu haben war, protestierten maßgebliche zionistische Gruppen gegen diese Afrikavariante.

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Theodor Herzl in Palästina. Fotografie von David Wolffsohn, Anfang November 1898
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Die Wellen der Alija nach Palästina
Die Wellen jüdischer Emigration nach Palästina seit den 1880er Jahren bezeichnet man auf jüdischer Seite gesamtheitlich als alijot, die einzelnen Wellen als alija. Der Begriff leitet sich aus dem Hebräischen ab und heißt übersetzt „Aufstieg“. Es meint seit biblischen Zeiten die Rückkehr von Jüdinnen und Juden aus dem Exil ins Land Israel. Seit 1880 gibt es verschiedene Einwanderungswellen nach Palästina. Viele haben Pogrome gegen Juden, etwa im zaristischen Russland, als Ursache. Etwa 25.000 Jüdinnen und Juden kamen mit der ersten alija ins Land, von denen sich die meisten im Gebiet um Dschaffa, Haifa und Jerusalem niederließen. Einige gründeten neue gemeinschaftliche, landwirtschaftliche Siedlungen, moschavot (Singular: moschava) entlang der Küste, in Galiläa und am See Genesareth.

Charakteristisch für die Siedlungstätigkeiten war der Landkauf, unterstützt teilweise von ausländischen Finanziers wie Edmond de Rothschild. Prägend war aber auch die Verbindung von Siedlungstätigkeit und das Etablieren eigener Arbeitsrollen. Beides war auch dann für die kibuzzim-Bewegung prägend. In den agrarischen jüdischen Siedlungen sollten nur Juden arbeiten und keine Abhängigkeit von arabischen Landarbeitern bestehen. Die arabischen Landarbeiter verloren damit aber ihre Stellung als Bauern und wurden somit in Richtung der Städte abgedrängt.

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Der Kibbuz Nahal, aufgenommen Ende der 1930er Jahre

Die Briten und das Match um Palästina
Seit dem Ende des Osmanischen Reiches im Schatten des Ausgangs des Ersten Weltkrieges hatten die Briten den allmählich stärker werdenden Konflikt zwischen Juden und Arabern auf dem Boden von Palästina genutzt, um ihre Herrschaft im Nahen Osten über das Prinzip von Teilen und Herrschen zu festigen. Mal förderte man die jüdische Seite, mal gab es Konzessionen für die arabische Seite, nachdem diese unter Emir Faisal mitgeholfen hatte, das osmanische Heer zu schlagen.

Als sich England und Frankreich auf der Grundlage des Sykes-Picot-Abkommens vom 16. Mai 1916 ihre künftige Einflusssphäre im Nahen Osten aufteilten und die Briten ihren Anspruch auf Palästina stellten, lebten somit schon einige zehntausend Jüdinnen und Juden auf jenem Gebiet. Die Türkei als künftiger Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches hatte für das Gebiet von Palästina, Syrien oder des Libanon keine Zuständigkeiten mehr. Die Zukunft dieser Region war somit offen und rief die siegreichen europäischen Mächte aus dem Ersten Weltkrieg auf den Plan.

Chaim Weismann, ein Pragmatiker auf dem Weg zum jüdischen Staat
Wichtiger Kontaktmann zu den Briten war der Chemiker Chaim Weismann, der als Präsident des Zionistischen Weltkongresses eine entscheidende Rolle für die zionistische Siedlungspolitik in Palästina nach dem Ersten Weltkrieg einnehmen sollte. Weismann wird oft als Vertreter des „pragmatischen Zionismus“ gesehen und auch als jemand, der die Existenz eines jüdischen wie arabischen Territoriums in Palästina zeitweise mitdachte. Ihm war 1916 für die britische Seite die künstliche Herstellung des kriegswichtigen Acetons gelungen.

Die Unterstützung der Briten zur Festigung der Macht im Nahen Osten sollte sich für die zionistische Seite bezahlt machen. Die Briten unterstützten die jüdischen Einwanderungswellen auch, um ihre Position im Nahen Osten abzusichern. Zugleich pflegten die Briten auch enge Kontakte mit der arabischen Seite und suchten von verschiedenen Gruppen Unterstützung für die Loslösung vom Osmanischen Reich.

Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, mit der Maßgabe, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte.
Der britische Außenminister Arthur James Balfour an Walter Rothschild im November 1917. Die Erklärung wurde als „Balfour Declaration“ bekannt.

Das britische Mandat über Palästina
Der Oberste Rat der Alliierten übertrug am 25. April 1920 in Sanremo den Briten die Mandate über den Irak und Palästina. Das Palästina von 1920 deckte sich annähernd mit dem Palästina des Altertums und wurde erst mit der Bildung des Emirats Transjordanien mit der Westgrenze des Jordans begrenzt. Sollten im Fall der Mandate Irak und Syrien eigene Regierungen gebildet werden, sah das Mandat in Palästina eine direkte britische Führung vor. Das vom Völkerbundsrat bestätigte Dokument sah aber vor, dass die Mandatsmacht Bedingungen für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte zu schaffen hatte; eine Aufgabe, die der Jewish Agency zufallen sollte. Am Anfang kümmerte sich die ZWO darum.

Die Briten taten so, als wäre die Errichtung einer nationalen Heimstätte für Juden durchführbar, ohne den Arabern zu schaden, und manche mögen das tatsächlich geglaubt haben. Aber natürlich war es unmöglich. In Wahrheit bildeten sich in Palästina zwei rivalisierende nationalistische Bewegungen heraus, die unweigerlich auf Konfrontation zusteuerten. […] Von Anfang an blieben also nur zwei Möglichkeiten: Entweder besiegten die Araber die Zionisten, oder die Zionisten unterwarfen die Araber. Der Krieg zwischen beiden war unvermeidlich.
Tom Segev

Die arabische Sicht der Briten und ihrer Politik
Hatte man der arabischen Seite 1915 noch für die Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen Unabhängigkeitsversprechungen gemacht, so schienen diese mit der Mandatsregelung hinfällig geworden zu sein. Das von US-Präsident Woodrow Wilson 1916 verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker, das sich im Völkerbundpakt niedergeschlagen hatte, blieb für die arabische Seite in Palästina wirkungslos. Hatte Emir Amir Faisal als Führer der arabischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz noch vorab im Jänner 1919 eine Vereinbarung mit Weismann und dem ZWO geschlossen, die von der „rassischen Verwandtschaft und uralten Bindung zwischen den Arabern und dem jüdischen Volk“ ausging, so war diese Vereinbarung im März 1920, also knapp vor dem Sanremo-Abkommen, schon wieder Geschichte.

Während des Krieges gab es Lockrufe der britischen an die arabische Seite, nach dem Krieg einen arabischen Staat bzw. arabische Staaten zu unterstützen. Doch die Abmachung etwa mit Scharif Hussein und seinem Sohn Amir Faisal rund um die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich, angeführt durch den britischen Offizier T. E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) war nie von konkreten Landversprechen der britschen Seite begleitet gewesen.

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Sinnbild für das schwierige Verhältnis zwischen Kolonialmacht und Arabern: Der Brite T. E. Lawrence im Beduinengewand

Die vielen Versprechungen Großbritanniens
„Großbritannien unterzeichnete nicht nur viele Vereinbarungen und Nebenvereinbarungen mit Verbündeten oder möglichen Verbündeten“, erinnert der US-Nahost-Historiker James L. Gelvin, „sondern machte verschiedenen nationalistischen Gruppen Versprechungen, sie nach Ende des Ersten Weltkrieges zu unterstützen“. Der arabische Nationalismus, so Gelvin, habe sich stets auf die gebrochenen Versprechen der Briten als Startpunkt des eigenen Kampfes um Palästina bezogen.

Erst mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches hätten sich die Araber der Region, die sich als Untertanen des Osmanischen Reiches wahrgenommen hätten, in ihrer eigenen Identität neu bestimmt. „Ein eigener palästinensischer Nationalismus, der eine eigene palästinensische Identität vorsah, begann sich erst mit Ende des Ersten Weltkrieges herauszubilden“, so Gelvin.

Der palästinensische Nationalismus tauchte erst in der Zwischenkriegszeit als Antwort auf die zionistische Migration nach Palästina auf.
US-Nahost-Historiker James L. Gelvin („The Israel-Palestine-Conflict. A History“)

King-Crane-Bericht prognostizierte gewalttätige Konflikte
Eine Kommission des Obersten Alliierten Rates sollte noch 1919 auf dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches erheben, in welchen Teilen der Region politische Selbstbestimmung möglich sei. Vorgeschlagen wurde die Kommission von US-Präsident Woodrow Wilson. Es sollte aber eine rein US-amerikanische Mission unter der Führung der Diplomaten Henry C. King und Charles R. Crane werden: Beide kamen in ihrem Bericht zum Ergebnis, dass Landkäufe jüdischer Siedler Probleme schaffen würden.

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Das Dorf Siloach (Siloam) im Osten Jerusalems um 1900

Wiederholt wurde in der Beratung der Kommission mit jüdischen Vertretern klar, dass die Zionisten auf eine praktisch vollständige Enteignung der gegenwärtigen nicht jüdischen Bewohner durch verschiedene Formen des Landkaufes abzielten. […] Die Friedenskonferenz sollte nicht ihre Augen vor der Tatsache verschließen, dass antizionistische Gefühle in Palästina und Syrien stark sind. […] Kein britischer Offizier, der von den Kommissionsmitgliedern befragt wurde, glaubte, dass das zionistische Programm anders als durch den Einsatz von Waffen verwirklicht werden könnte.
King-Crane-Report, nachträglich veröffentlicht 1922

Die Spannungen entladen sich
Noch bevor der King-Crane-Report veröffentlicht wurde, kam es im April 1920 und Mai 1921 zu arabischen Pogromen gegen jüdische Einwanderinnen und Einwanderer, ebenso zu einem Aufstand gegen die britische Mandatsherrschaft, die zunehmend als Vertretung zur Durchsetzung imperialistischer Ziele angesehen wurde. Erst der Beginn der Mandatszeit markierte auch den Beginn eines eigenen palästinensischen Nationalismus, der in den kommenden Jahren um seine eigenen Ansprüche kämpfte.

Nicht zuletzt die schlechtere Organisiertheit der arabischen Seite, auch die am Anfang zunächst hauptsächlich von syrischen Eliten getragenen Formulierungen einer nationalen arabischen Identität, sollten die arabische Seite sehr oft ins Hintertreffen gegenüber der jüdischen Siedlungsbewegung in der Mandatszeit bringen.

Erste Resolution des Palästinensisch-Arabischen Kongresses, 1919
Als Reaktion auf die Ansiedlung jüdischer Einwanderinnen und Einwanderer vor dem Krieg traf sich von 27. Jänner bis 10. Februar 1919 der erste palästinensische-arabische Kongress mit 27 Delegierten aus muslimisch-christlichen Gesellschaften aus ganz Palästina. Die meisten Delegierten stammten aus der besitzenden Klasse und waren gleichmäßig in probritische und panarabische Fraktionen aufgeteilt. Ein Telegramm wurde an die Pariser Friedenskonferenz geschickt, in dem ein Verzicht auf die Balfour-Erklärung und die Aufnahme Palästinas als „ein integraler Bestandteil der unabhängigen arabischen Regierung Syriens innerhalb einer Arabischen Union, frei von jeglichem ausländischen Einfluss oder Schutz“ gefordert wurde.

Wir betrachten Palästina als nichts anderes als einen Teil des arabischen Syriens, und es wurde zu keiner Zeit davon getrennt. Wir sind durch nationale, religiöse, sprachliche, moralische, wirtschaftliche und geografische Grenzen an es gebunden. […] Unser Distrikt Südsyrien oder Palästina sollte nicht von der unabhängigen arabischen-syrischen Regierung getrennt und frei von jeglichem fremden Einfluss und Schutz sein.
Erste Resolution des Palästinensisch-Arabischen Kongresses


ORF Topos: Wie reden über den Hamas-Terror?
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Die unterschiedlichen Ansätze von Juden und Arabern
Während sich die Jüdinnen und Juden nicht zuletzt auch auf besser gebildete Eliten verlassen konnten, die ins Land kamen, hatte man sich auf arabischer Seite nie eigens zu Siedlungsverbänden oder ähnlichen Einigungsformen zusammenschließen müssen. War man zunächst Bewohner des Osmanischen Reiches, hatte man nun die britische Mandatsmacht als Gegenüber.

Die Zionistinnen und Zionisten, so erinnert Gelvin, hätten ihre Kolonien von Anfang an von Grund auf strukturieren müssen. Die arabische Seite wiederum habe sich stets im Rahmen bekannter politischer Institutionen des Osmanischen Reiches bewegt. „Obwohl die meisten Zionisten die Politik der Briten im Nahen Osten ablehnten, gewöhnten sie sich doch daran, im Rahmen des Mandats zu operieren“, so Galvin. Bei den Araberinnen und Arabern habe zunächst eine komplette Ablehnung des Mandatsystems und der Balfour-Deklaration vorgeherrscht.

Es gab so etwas wie Palästinenser gar nicht. Wann hat es ein unabhängiges palästinensisches Volk mit einem unabhängigen palästinensischen Staat gegeben? Es gab Südsyrien vor dem Ersten Weltkrieg, und dann gab es Palästina unter dem Einschluss von Jordanien. Es gab kein palästinensisches Volk, das sich als solches deklariert hätte, und wir wären gekommen und hätten ihnen dann ihr Land weggenommen. Sie haben nicht existiert.
Golda Meir, israelische Premierministerin (1969–1974) in der „Sunday Times“, 15. Juni 1969

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Keine Freunde in Sachen Nahost-Palästinenser-Politik: Österreichs Kanzler Bruno Kreisky und die israelische Premierministerin Golda Meir, 1973 im Bundeskanzleramt in Wien

Soziale Verschiebungen durch Landverkäufe
Die Landverkäufe von arabischen Großgrundbesitzern an jüdische Siedler brachten starke soziale Verschiebungen mit sich, weil Araber das Land verloren, auf dem sie als Bauern arbeiteten. Sie mussten für Lohnarbeit oft an die Ränder der Städte ziehen und sahen ihre soziale Position weiter untergraben. Die arabische Oberschicht Palästinas sah durch die Grundverkäufe ihre Position gegenüber der Basis der Bevölkerung geschwächt. Ihre Glaubwürdigkeit wurde gerade durch die Landverkäufe untergraben.

Nicht zuletzt aus der Zwischenkriegszeit wird eine soziale Frage des Konflikts zunehmend deutlich, die sich auch wieder in der Radikalisierung des Konflikts niederschlagen sollte. Zahlreiche Expertinnen und Experten zum Nahen Osten weisen darauf hin, dass die Frage der Palästinenserinnen und Palästinenser zu sehr im Rahmen syrischer Eliten gestellt wurde, die ein Palästina der Araberinnen und Araber immer als Teil eines „Großsyriens“ ansahen. „Die Palästinenser mussten im Lauf ihrer Geschichte erleben, dass sie immer wieder Spielball unterschiedlicher Interessen von außen wurden“, fasste der deutsche Journalist und Nahost-Experte Richard C. Schneider die Situation in einem Podcast des „Spiegel“ knapp zusammen. Die 1920er Jahre sollten der Auftakt für große Verwerfungen zwischen Arabern und Juden bringen.
03.11.2023, Gerald Heidegger, ORF Topos (Text)

Links:
TVthek-Schwerpunkt zum aktuellen Nahost-Konflikt
Die Geschichte des Nahost-Konflikts auf ORF Sound
Wellen der jüdischen Immigration nach Palästina
„Spiegel“-Podcast zur Geschichte des Konflikts
ORF Topos
 
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1920 bis 1949
Die Ungleichheiten im Nahost-Konflikt und ihre Ursachen
Der Nahostkonflikt wird spätestens nach dem Ersten Weltkrieg einer von unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Juden und Arabern, die beide für sich einen eigenen Staat in Palästina wollen. Auch wenn es nicht „die“ Juden in dem Konflikt gibt, so gibt es ebenso wenig „die“ Araber oder „die“ Palästinenser. Doch es fallen Unterschiede in der Organisiertheit des Kampfes für die eigenen Interessen auf. Das sollte entscheidend für die weiteren Entwicklungen werden, als man 1948 den Staat Israel ausrief.
Nachdem mit Ende des Ersten Weltkrieges die Fronten für den Konflikt zwischen Arabern und Juden in Palästina sehr klar bezogen waren, radikalisierte sich diese Auseinandersetzung in den 1920er und 1930er Jahren. Der Zweite Weltkrieg und die Schoa sollten die Frage um einen sicheren Staat für die Jüdinnen und Juden in Palästina neu aufwerfen, nachdem auch die Britinnen und Briten lange genug vor den Konsequenzen der Judenverfolgung weggeschaut hatten – und auch danach durch konsequentes Nichthandeln nach 1945 den Aufstand der jüdischen Seite gegen sich mitverursachten.

Oft steht die Frage im Raum, ob es ohne Hitler gar kein Israel gegeben hätte. Nicht nur der Historiker Michael Wolffsohn, selbst als Sohn deutsch-jüdischer Flüchtlinge in Palästina geboren, verneint das. „Vermutlich hätte es Israel auch ohne Hitler gegeben“, so Wolfenssohn. Überhaupt, so darf man mit der Orientalistin Gudrun Krämer erinnern, bedeutete nicht der Zweite Weltkrieg „die Zäsur“ zwischen Arabern und Juden, „sondern die kurz danach erfolgte Teilung des Mandatsgebiets und die Gründung des Staates Israel, die das Verhältnis – weit über Palästina hinaus – verschlechterten“.

Oftmalige Begriffsvermischungen
Der Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gelte, so liest man derzeit in vielen Beschreibungen, als eine der langwierigsten und kompliziertesten Auseinandersetzungen der Welt. Begrifflich sind diese Zuschreibungen freilich ungenau, können doch Araber muslimischen oder christlichen Bekenntnisses ebenso Israelis sein. Tatsächlich ist es ein Konflikt zwischen Juden und Arabern auf dem Boden Palästinas, der nach dem Ersten Weltkrieg und dem britischen Mandat in Palästina eigentlich erst die Grundzüge annahm, die man heute kennt.

Als die Araber Palästinas zu Palästinensern wurden
Die Araber Palästinas beginnen sich in der Zeit des britischen Mandates zunehmend als Palästinenser zu definieren, auch wenn eine Selbstständigkeit der arabischen Seite noch Anfang 1920 stets im Zusammenhang mit Syrien und Transjordanien formuliert wird. Mit dem Beginn des britischen Mandatsregimes zeichnete sich eine Verschärfung der Spannungen zwischen Juden und Arabern auf dem Boden Palästinas ab, und auf britischer Seite gab es nicht wenige, darunter auch den damaligen für Palästina mit zuständigen Kolonialminister Winston Churchill, die die strategische Bedeutung des Palästina-Mandats hinterfragten.

Hätte man nicht den USA das Mandat über Palästina übertragen sollen, lautete eine der Losungen. „Die Zionisten widersetzten sich dem Gedanken eines US-Mandats mit der Begründung, das amerikanische Demokratieverständnis laufe dem Plan einer nationalen Heimstätte zuwider“, erinnert etwa Tom Segev an Debatten in zionistischen Kreisen Anfang der 1920er Jahre.

Faisal I. und die Tragik der arabischen Seite
Auf der Pariser Friedenskonferenz hatte Prinz Faisal, damals Leiter der arabischen Gesandtschaft, ein Abkommen mit dem späteren Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation (ZWO), Chaim Weizmann, geschlossen, bei dem die arabische Seite die Grundzüge der Balfour-Deklaration und damit die Schaffung einer „nationalen Heimstätte für Jüdinnen und Juden in Palästina“ anerkannte.

Faisals Geschichte mag als symptomatisch für die Tragik der arabischen Seite und deren Unterstützung für die Interessen Großbritanniens während des Krieges gegen die Osmanen stehen. Im März 1920 ließ sich Faisal zum König von Großsyrien krönen und wurde dort zu König Faisal I., allerdings nicht für lange Zeit, erhielt doch Frankreich auf der Konferenz von San Remo das Völkerbundmandat für Syrien und den Libanon. Von den Franzosen vertrieben, erhielt Faisal die Erlaubnis, für eine kurze Zeit samt Hofstaat in Palästina zu bleiben. 1921 bekam er quasi als Trost den Irak, wurde dort zum König gekrönt, musste aber zugleich die britische Mandatsherrschaft über den Irak anerkennen.

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Prinz Faisal während eines Empfangs 1918 im Buckingham Palace

Gute Absichten bei der Mandatsverwaltung
In Palästina wurde ein britischer Jude, Herbert Samuel, erster britischer Hochkommissar. Am Anfang seiner Amtszeit gab er sich noch überzeugt, dass es mit Besonnenheit möglich sei, so erinnert Segev, „einen jüdischen Staat in Palästina gründen zu können, ohne dass es zum Krieg kommen musste“.
„Wir sind als Europäer gekommen. Obwohl unsere Wurzeln im Orient liegen und wir in den Orient zurückkehren, bringen wir unsere europäische Zivilisation mit“, hielt David Ben Gurion noch Mitte der 1930er Jahre fest und schrieb gegenüber den Briten: „Wir wollen unsere Verbindung und die unseres Landes zur europäischen Zivilisation nicht kappen. Wir sehen in Großbritannien den wichtigsten Bannerträger der zivilisierten Welt und Palästina als Brücke zwischen Orient und Okzident.“

Schwierige Formierung der arabischen Seite
Für die arabische Seite, die sich in den 1920er Jahren formieren wollte und ebenso für ein eigenes Territorium für die Palästinenser kämpfte, stellte sich die Lage, schon in Hinblick auf die eigene Organisation, deutlich uneinheitlicher dar. Ein Teil der eigenen Anführer, Eliten der Großgrundbesitzer, befanden sich in Geschäften mit jüdischer Seite und dem Verkauf von Land.

Zwischen 1924 und 1929 kamen über 80.000 Jüdinnen und Juden nach Palästina, die meisten aus wirtschaftlichen und politischen Gründen aus Osteuropa, sie suchten eine sichere Heimstätte in Palästina.

Die Ausweitung jüdischen Siedlungswesens war verbunden mit der Vertreibung der Araberinnen und Araber vom Land, auf dem sie bisher etwa als pachtende Bäuerinnen und Bauern tätig waren. „Eroberung des Bodens“ und „Eroberung der Arbeit“ nannte Ben Gurion als Grundpfeiler für die Absicherung der jüdischen Gemeinschaft. In den neu gegründeten landwirtschaftlichen Siedlungen sollten jedenfalls keine arabischen Lohnarbeiter tätig sein. Zur Verteidigung der jüdischen Interessen wurde in der Zwischenkriegszeit auch die Haganah (Deutsch: „Verteidigung“) als militärische Organisation – zunächst im Untergrund – ins Leben gerufen.

Churchill in Palästina
Im Frühjahr 1921 bereiste Churchill in Begleitung des Diplomaten und legendären britischen Anführers des arabischen Aufstandes während des Krieges, T. E. Lawrence (mit dem Beinahmen „von Arabien“), Palästina. Churchill, der gegenüber dem Judentum und dem Zionismus mehr als reserviert war, die arabische Seite aber noch stärker ablehnte als die jüdische, weigerte sich bei seinem Besuch, auf Forderungen nach der Rücknahme der Balfour-Deklaration einzugehen. Der damalige Kolonialminister leitete seine Einstellung zum Zionismus, vornehm gesagt, aus dem von ihm vermuteten „weltumspannenden Einfluss der Juden“ (Segev) ab. Im Grunde betrachtete er die Maßnahmen in der Verwaltung Palästinas ebenso ungründlich wie der eingesetzte Gouverneur Samuel.

Samuel jedenfalls akzeptierte die Ernennung des gerade mal 26-jährigen Hadschi Amin al-Hussaini zum neuen Mufti von Jerusalem. Der Vorgänger war noch während des Aufenthaltes Churchills in Palästina gestorben. Al-Hussaini, der aus einer einflussreichen und mit anderen arabischen Clans rivalisierenden Familie entstammte, sollte zum Anführer der arabischen Seite gegen die Juden in Palästina werden, nicht zuletzt während der Großkonfrontationen zwischen 1936 und 1939 und auch nach 1945.

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Im Dezember 1941 erhielt der aus Palästina geflohene Großmufti Jerusalems, Amin al-Husseini, Audienz bei Adolf Hitler in der Berliner Reichskanzlei

Hadschi Amin al-Hussaini: SS-Mitglied und Mentor der PLO
Hadschi Amin al-Hussaini vertrat in seiner Rolle als religiöser und vor allem politischer Führer eine Kombination von Islamismus, verschwörungstheoretischem Antisemitismus und Antizionismus. Seinen Kampf gegen die Jüdinnen und Juden sah er als eine Form des Dschihad, eines heiligen Krieges. Al-Husseini lehnte jede Verständigung mit dem Jischuv ab und verhandelte mit den Briten über den Stopp der jüdischen Einwanderung nach Palästina. Er suchte die Annäherung an das faschistische Italien, vor allem aber an Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, und wurde sogar Mitglied der SS.

Die Schoah unterstützte er nicht nur ideologisch, sondern auch tatkräftig, etwa, in dem er die Fluchtrouten für Jüdinnen und Juden aus Osteuropa blockierte. Tausende jüdische Kinder wurden durch ihn an das NS-Regime ausgeliefert. Al-Hussaini entging nach Ende des Zweiten Weltkriegs, auch durch die Hilfe Frankreichs, dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Stattdessen konnte er sich in Ägypten niederlassen und erneut den Kampf der arabischen Seite gegen Israel fortsetzen. Am Ziel der Judenvernichtung hielt er sein ganzes Leben fest.

Al-Husseini, der 1974 auf dem Boden der Amerikanischen Universität in Beirut starb, war auch Vorbild und Mentor des früheren Führers der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und späteren Friedensnobelpreisträgers Jassir Arafat. Die Fatah unter Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bezeichnete al-Husseini mehrmals als ihren „Vorkämpfer“.

Großgrundbesitzer und Patrizier
Das politische Leben auf arabischer Seite wurde von Großgrundbesitzern und Patriziern geprägt. Die rivalisierenden Familien Hussaini und Naschaschibi nahmen Schlüsselpositionen in der arabischen Nationalbewegung ein. Im Zionismus sahen sie nicht zuletzt auch ihre herausgehobene Stellung in der arabischen Gesellschaft bedroht. Auch wenn es mit der Istikal (=Unabhängigkeitspartei) eine laizistisch orientierte Gruppe gab, die Front gegen das britische Mandat machte, so wurden seit den Zusammenstößen an der Klagemauer in Jerusalem 1929 die extremistischen Kräfte um den Mufti auf palästinensisch-arabischer Seite spielbestimmend.
Die Auseinandersetzungen um die Klagemauer und die stimulierte Angst, die Juden wollten den Tempelberg einnehmen, führte zu einer Reihe von Pogromen, von denen das Massaker von Hebron an den dort seit 800 Jahren ansässigen Jüdinnen und Juden traurige Berühmtheit erlangte.

Gewaltausweitung und britische „Diplomatie“
Die Aufstände auf arabischer Seite motivierten die Briten, gestützt auf zahlreiche Expertenempfehlungen aus dem eigenen Lager, zu einer Beschränkung der Migrationspolitik: Einwanderung und Landerwerb von jüdischer Seite sollten drastisch eingeschränkt werden, was von zionistischer Seite wieder als Bruch der Balfour-Deklaration gesehen wurde.

Gegen Mitte und Ende der 30 Jahre stellten zwei Völker gegeneinander den Anspruch auf dasselbe Territorium. Noch suchte die Kolonialmacht nach einer politischen Lösung, die von der Koexistenz beider ausging. Die in den 1930er Jahren aus Deutschland und Österreich gekommenen Jüdinnen und Juden brachten oft nicht nur ein liberaleres Gedankengut mit in den Jischuv. Deutlich wurde für die jüdische Seite auch die Gefahr durch den Nationalsozialismus für das Leben der Jüdinnen und Juden in Europa. „Die Einwanderungswelle, die dadurch (die Ereignisse in Deutschland, Anm.) verursacht wurde, hat dem Zionismus Segen gebracht“, hielt Ben Gurion fest: „Wir wissen, wenn den Massen das Wasser nicht bis zum Halse gestiegen wäre, so wären sie nicht ins Land gekommen.“

Der Peel-Plan: Ein erster Teilungsversuch
Ein Versuch der britischen Regierung, unter der Führung von Lord Robert Peel 1937 einen Teilungsplan für Palästina zu entwickeln, stieß sowohl auf jüdischer als auch auf arabischer Seite auf Ablehnung. Der Plan sah die Errichtung eines kleineren jüdischen Staates im Nordwesten und eine Vereinigung der größeren, arabisch besiedelten Gebiete mit den Emirat Transjordanien vor. Von Jerusalem bis Jaffa sollte wiederum ein Korridor unter britischer Führung angelegt werden. Ein kleiner „Tel-Aviv-Staat“ wurde seitens der ZWO zwar abgelehnt, allerdings sah man auch die Chance, tatsächlich in einem eigenen Gebiet Hunderttausende Jüdinnen und Juden aufnehmen und zugleich die Araberinnen und Araber Richtung Transjordanien verweisen zu können.

Die arabische Seite lehnte den Peel-Plan nicht nur als unannehmbar ab – der Plan stimulierte, spätestens nach der Erschießung des populären Mudschahedin-Führers Isaddin al-Kassam (der später Modell für die Al-Kassam-Brigaden Pate stehen sollte) eine Reihe arabischer Aufstände. 1937 griffen palästinensische Freischärler zu den Waffen, um die britische Mandatspolitik zu beenden. Eine Lösung dieses Konflikts gelang den Briten nur durch die starke Verstärkung der eigenen Truppen um 30.000 Mann – und durch die Unterstützung der eigentlich illegalen jüdischen Haganah, die zwischenzeitlich zur „britischen Hilfspolizei“ ernannt wurde. Im Herbst 1938 konnten die Briten weitgehend die Kontrolle über Palästina wieder herstellen. Anführern der palästinensischer Seite wie al-Hussaini war rechtzeitig die Flucht ins benachbarte Ausland gelungen.

Zwischen Appeasement und Selbstermächtigung
Alle Ansätze der Verständigung zwischen den Völkern waren mit dem Aufstand zwischen 1936 und 1939 jedenfalls Geschichte. Und auf jüdischer Seite dominierte die Einsicht, das Schicksal der Verteidigung in Hinkunft selbst in die Hand nehmen zu müssen. Ben Gurion sprach sich 1938 dafür aus, „die Briten nicht länger zu unterstützen, sondern auch unsere eigene Militärmacht aufzustellen“.

Die britische Seite setzte ihre Appeasement-Politik in Palästina gerade vor dem Hintergrund des ausgebrochenen Zweiten Weltkrieges fort. Um die arabische Seite nicht zu einem Bündnis mit Deutschland und Italien zu motivieren, begrenzte ein neuerliches Weißbuch von 1939 die Zuwanderung nach Palästina. Insgesamt 75.000 Jüdinnen und Juden sollten in den nächsten fünf Jahren nachkommen dürfen. Zu diesem Zeitpunkt war die Judenverfolgung durch die Nazis in vollem Umfang in Gange.
Wir werden gemeinsam mit England gegen Hitler kämpfen, als gäbe es kein Weißbuch, und wir werden das Weißbuch bekämpfen, als gäbe es keinen Krieg.
David Ben Gurion

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David Ben Gurion am Ziel seiner Politik: Israel wurde unabhängig, die britischen Truppen wurden zur Einschiffung verabschiedet

„Wenn wir eine Seite kränken müssen, dann lieber die Juden“
Die geschätzte Zahl illegaler Immigrantinnen und Immigranten rechneten die Briten mit in ihre Weißbuchquote hinein. „Wenn wir eine Seite kränken müssen, dann lieber die Juden als die Araber“, lautete die Losung des britischen Premiers Neville Chamberlain zu Beginn des Krieges. 1942 bestand zudem die Gefahr, dass die Deutschen Ägypten erobern könnten und danach nach Palästina vorrücken würden. Erst mit der Schlacht von al-Alamein konnten die Briten den Vorstoß der Deutschen zum Stillstand bringen.

Nach einigen Schiffstragödien rund um die Flucht nach Palästina und in Anbetracht des Ausmaßes der Judenvernichtung durch die Nazis stellte sich der nachfolgende britische Premier, Winston Churchill, realpolitisch darauf ein, wie er selbst festhielt, einen Staat für Millionen von Jüdinnen und Juden einzurichten. Churchill sollte das aber ohnedies nicht zur Umsetzung bringen – nach dem Krieg wurde er vom deutlich zionismusfreundlichen Clement Attlee als Premier abgelöst. Trotz vollmundiger Bekenntnisse in Richtung jüdischer Seite stimulierte die fortgesetzte restriktive Einwanderungspolitik gegenüber Jüdinnen und Juden antibritische Anschläge und Sabotageakte.

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Das Haganah-Schiff „Jewish State“, festgehalten von den Briten im Sommer 1947 in Haifa. Die auf dem Schiff befindlichen Juden wurden in ein Lager auf Zypern gebracht. 52.000 Jüdinnen und Juden wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Briten in Lagern festgehalten, weil man die Immigration nach Palästina begrenzen wollte.

„Israel würde es auch ohne Hitler geben“
Immer wieder ist zu hören, dass der Staat Israel ohne den Holocaust nie gegründet worden wäre. Das allerdings sei „absoluter Unsinn“, sagt der Münchner Historiker Michael Wolffsohn, Autor von Büchern wie „Wem gehört das Heilige Land?“ und „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“. „Der Zionismus – das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat – wurde 1897 gegründet, die institutionellen Rahmenbedingungen des zionistischen Gemeinwesens standen spätestens 1920“, erläuterte der 1947 als Sohn deutschjüdischer Flüchtlinge in Tel Aviv geborene Wolffsohn in einem Interview der dpa. Israel würde es vermutlich auch ohne Hitler geben.

„Die meisten Juden, die in Europa überlebten“, so rekapituliert Segev, „verdankten ihre Rettung der Niederlage Deutschlands“ und fügt erinnernd hinzu: „Großbritannien verlor in diesem Krieg mehr als eine Viertelmillion Soldaten sowie Zehntausende Zivilisten.“ Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war für die Briten das Kapitel Palästina angesichts der Aufwände, die zwei Völker an Ort und Stelle irgendwie unter Kontrolle zu halten, endgültig an einen Wendepunkt gekommen.

Die neuen Vereinten Nationen sind am Zug
Das Mandat über Palästina legte man 1947 in die Hand der Vereinten Nationen (UNO), der Nachfolgeinstitution des Völkerbundes, nachdem sich die Interessensgegensätze zwischen der Jewish Agency und der neu gegründeten Arabischen Liga verschärft hatten. Am 29. November 1947 übergab die UNO-Sonderkommission zu Palästina der UNO-Vollversammlung die Resolution 181 (II) zur Abstimmung, die mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen wurde. Die Resolution sah nicht nur das Ende des britischen Mandats und den Abzug der britischen Streitkräfte vor, sondern auch, dass „unabhängige arabische und jüdische Staaten“ neben einem „besonderen internationalen Regime für den Stadtbezirk Jerusalem“ spätestens mit 1. Oktober 1948 „zur Existenz gelangen“ sollten.

undoc.org
Originalkarte der UNO zum Teilungsplan von 1947

UNO-Teilungsplan von 1947
Der arabische Staat sollte 43 Prozent des Territoriums Palästinas umfassen, der jüdische Staat 56 Prozent. Ein Prozent war für den Stadtbezirk von Jerusalem vorgesehen, in dem damals 105.000 Araber und 100.000 Juden lebten. Im arabischen Teil lebten damals 725.000 Araber und 10.000 Juden, im vorgesehenen jüdischen Teil 498.000 Juden und 407.000 Araber.

Jüdische Seite offensiv kampfbereit
Seit 1945 war die Führung des Jischuv (siehe Begriffsglossar unten) auf einen bewaffneten Kampf für einen jüdischen Staat vorbereitet. Mit der seit Herbst 1947 ausgearbeiteten „Operation Dalet“ („Operation D“) ging man von jüdischer Seite vom defensiven zum offensiven Kampf über. Zweck der Operation war die Vertreibung von arabischen Bewohnerinnen und Bewohnern aus jenem Territorium, das gemäß UNO-Teilungsplan der jüdischen Seite zugesprochen war, aber auch darüber hinaus. Jüdische Gebiete außerhalb der vorgesehenen Grenzen sollten ebenso gesichert werden wie „vorwiegend jüdisch bewohnte Gebiete zu zusammenhängenden Territorien zu vereinigen“ (Jigal Allon, Chef der Palmach-Einheiten).

Jüdische Untergrundverbände kämpften sich bis Mitte Mai 1948 bis ins zentrale Negev-Gebiet vor. Am 9. April drangen Einheiten des Untergrund-Kampfverbandes Irgun, der schon 1946 den Anschlag auf den Sitz des britischen Generalstabes im King-David-Hotel verübt hatte, in das arabische Dorf Deir Jassin ein und massakrierten dort auch arabische Frauen und Kinder. Ein arabischer Vergeltungsschlag auf dem Skopus-Berg wenige Tage später und fortgesetzte Gewaltspiralen sollten die Folgen sein.

Die Kommission erklärt, dass sie niemanden in dem Bedauern über die Leiden nachsteht, die den Juden Europas durch europäische Diktaturen zugefügt wurde. Aber die Angelegenheit dieser Juden sollte nicht mit dem Zionismus verwechselt werden, denn es kann kein größeres Unrecht und keine größere Aggression geben, sollte das Problem der Juden in Europa durch ein anderes Unrecht gelöst werden.
Alexandria-Protokoll, 1944, Vorläufer der 1945 gegründeten Arabischen Liga

„Nicht den Preis für europäische Schuld zahlen“
Die arabische Seite lehnte den Teilungsplan weiterhin entschieden ab. Man müsse auf dem Boden Palästinas die Schuld der Europäer begleichen, die die Jüdinnen und Juden auf ihrem Boden zuerst diskriminiert und dann zu vernichten gesucht hätten. „Arabische Politiker“, so erinnert die Expertin Krämer etwa an die Beschlüsse des Alexandria-Protokolls arabischer Staatsoberhäupter aus 1944, „erkannten sehr wohl das Leid, das den europäischen Juden zugefügt worden war – aber von Europäern, nicht von ihnen.“ Gegen den Teilungsplan agierte die arabische Seite nach 1947 allerdings nur unzureichend koordiniert.

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Die israelische Flagge wird am 14. Mai 1948 hier in Tel Aviv aufgezogen. Am selben Ort wurde an diesem Tag von David Ben Gurion die Unabhängigkeit ausgerufen.

Ein Staat wird Wirklichkeit
Im April und Mai 1948 hatten die militärischen israelischen Untergrundorganisationen ihren „Plan D“ umgesetzt und mehr Gebiet für die jüdische Seite erobert als im UNO-Teilungsplan vorgesehen. Schon vor dem Arabischen Krieg waren mehr als 300.000 Araberinnen und Araber aus dem von jüdischer Seite beanspruchten Gebiet geflohen. Wenige Stunden vor Ablauf des offiziellen britischen Mandats über Palästina verkündete Ben Gurion als Premier einer provisorischen Regierung am 14. Mai 1948 die Gründung des Staates Israel. Er tat das im Stadtmuseum Tel Aviv, nicht in Jerusalem.

Die arabische Seite hatte seit April Vorbereitungen getroffen, um ihrerseits militärisch in Palästina und gegen einen möglichen jüdischen Staat einzugreifen. Am Tag nach der Gründung Israels erklärten die Nachbarn Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien dem jungen Staat den Krieg – doch sie verloren. Israel eroberte drei Viertel des ehemaligen Britisch-Palästina. Die Araber hielten nur noch den Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem. In eben diese Gebiete und in andere arabische Staaten floh daraufhin mehr als die Hälfte der arabischen Bevölkerung aus den von Israel eroberten Gebieten, etwa 700.000 Menschen.

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Die Briten holten Ende Mai 1948 im Hafen von Haifa ihr Hoheitszeichen vom Fahnenmast

Mangelnde arabische Einheit
Der oft mythisierte Kampf Davids gegen einen übermächtigen Goliath war diese Auseinandersetzung nicht. Eher zeigte sich hier erneut das Muster gut gegen nachlässig organisiert. Nicht zuletzt an der innerarabischen Konkurrenz und der Angst eines erstarkten Abdallah von Jordanien sei jeder Versuch einer Koordination auf arabischer Seite gescheitert, meint die Orientalistin Krämer: „Während Israel entschlossen Staat und Gesellschaft konsolidierte, blieb die arabische Seite uneinig.“ Auch die Waffenstillstände von 1949 wurden, nachdem Israel schon bis auf die Sinai-Halbinsel vorgedrungen war, von arabischen Staaten einzeln getroffen.
Ohne gemeinsame Strategie war man in den Krieg gegangen – ohne gemeinsame Linie ging man wieder raus. Der Krieg von 1948/49 markiere, wie viele Expertinnen und Experten sagen, die größte Zäsur in der gesellschaftlichen und politischen Geschichte Palästinas. Für die arabische Seite heißt diese Zäsur: „al-nakhba“, „die Katastrophe“.
16.11.2023, Gerald Heidegger, Simon Hadler, beide ORF Topos

Links:
TVthek-Schwerpunkt zum aktuellen Nahost-Konflikt
Die Geschichte des Nahost-Konflikts auf ORF Sound
Glossar zu Israel, Begriffen und Institutionen
Wellen der jüdischen Immigration nach Palästina
Israel – von der Idee zum Staat (Podcast, BR/ARD)
„Spiegel“-Podcast zur Geschichte des Konflikts
UNO-Teilungsplan 1947 im Wortlaut
Historisches Material des Israel State Archives

Historische Karten zu Siedlungen und Gebieten auf palestine.org

Verwendete und zitierte Bücher zum Thema
Tom Segev: Es war einmal in Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels (Pantheon)
James L. Gelvin: The Israel-Palestine Conflict. A History (Cambridge University Press)
Gudrun Krämer: Geschichte Palästinas (C.H. Beck)
Michael Wolffsohn: Wem gehört das Heilige Land? (Piper)
Angelika Timm: Israel. Geschichte des Staates seit seiner Gründung (Bouvier)
Michael B. Oren: Six Days of War. Junge 1967 and the Making of Modern Middle East (Ballantine)
ORF Topos
 
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